Bischofssynode in Rom und Synodaler Ausschuss in Deutschland ringen aktuell um das Verständnis von Synodalität. Thomas Schüller (Münster) benennt Aporien, die sich zwischen dem Wunsch nach Synodalität und dem katholischen Verständnis des Bischofsamts ergeben.
Unverkennbar beginnt mit der zweiten Sitzungsperiode der Beratungen auf der Bischofssynode in Rom zum Thema Synodalität gerade eine entscheidende Phase. Gleichzeitig ringen die Kommissionen des Synodalen Ausschusses in Deutschland um die Fortschreibung der Beschlüsse der Synodalversammlung, vor allem um ein neues, dauerhaftes synodales Organ auf Ebene der Bischofskonferenz. An diesen Beratungen bin ich als Kirchenrechtler aktiv beteiligt. In beiden Prozessen werden bei der kirchenrechtlichen Konkretion Aporien und Dichotomien deutlich, die zurzeit kaum oder gar nicht lösbar zu sein scheinen. Folgende Aspekte sind dabei von besonderer Brisanz.
Der Papst delegiert strittige Themen an von ihm berufene Expertengruppen.
Papst Franziskus will eine synodale Kirche, wobei er mit Synodalität offenbar eher einen Lebensstil, eine Haltung des Hinhörens auf den Geist Gottes und die Geschwister im Glauben meint. Daraus abgeleiteten Strukturen von verbindlicher Beratung und Beteilung oder gar Reformen attestiert er, sie seien nicht wirklich synodal oder würden forciert von politisch agierenden Pressuregroups mit intellektueller Hybris gegenüber den Entrechteten der Welt. Zum Unmut vieler Synodenteilnehmer delegiert der Papst strittige Themen an von ihm berufene Expertengruppen, die nur ihm rechenschaftspflichtig sind und eher in Hinterzimmern beraten als öffentlich sichtbar auf der synodalen Bühne.
Wer nur Haltung will, steht in der Gefahr, gnostisch zu denken, sklerotisiert die Kirche zu einer frommen Exerzitiengruppe.
Inhaltlich geht es Franziskus – theologisch nachvollziehbar – um Synodalität. Sie bedeutet eine möglichst breite Beteiligung aller Gläubigen an Entscheidungen, die ausgerichtet auf Evangelisierung im Sinne einer befreienden Mission sein müssen. Ein entscheidender Aspekt, den die Mehrheit der deutschen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) beim Brief des Papstes 2019 an die deutschen Katholiken zunächst offenkundig überlesen oder in der theologischen Tiefenbohrung nicht mitvollzogen haben. Genauso gilt aber auch: Eine so verstandene Synodalität entfaltet nur Dynamik und missionarische Strahlkraft, wenn sie strukturiert überführt wird in rechtlich gesicherte Beratungs- und Entscheidungsprozesse aller Gläubigen. Wer nur Haltung will, steht in der Gefahr, gnostisch zu denken, sklerotisiert die Kirche zu einer frommen Exerzitiengruppe ohne leibhaftige Gestalt, gleich so als wäre Gott in Jesus Christus nie ganz inkarniert, ganz Fleisch geworden – wie es Lumen Gentium 8 in seiner großartigen Analogie vom Mensch gewordenem Gottessohn und Kirche entwirft. Zudem verbleibt in solch einer Sicht von Synodalität alle Entscheidungsmacht in unkonditionierter Fülle beim Bischofsamt.
Es mangelt an einer pneumatologischen Korrektur der überbordenden bischöflichen Amtstheologie.
Bischofssynode und synodalem Weg in Deutschland mangelt es gleichermaßen an einer pneumatologischen Korrektur der überbordenden bischöflichen Amtstheologie. Beide Prozesse tragen schwer an der Bürde der Geistvergessenheit des letzten Konzils. Ausgehend von Lumen Gentium und Christus Dominus saugt das bischöfliche Amt christozentristisch überzogen alle Entscheidungsmacht auf und beraubt die der Charismen ihrer Gläubigen, die keine Verankerung im Verfassungsgefüge der Kirche finden und damit ortlos bleiben. Der Einwand an dieser Stelle, in LG 12 habe das II. Vatikanum doch den sensus fidei als Glaubenswahrheit bekräftigt, dass also das Volk Gottes als Ganzes im Glauben nicht irren kann, geht insofern ins Leere, als diese Lehre des Konzils kirchenrechtlich nicht rezipiert wurde. Gemäß c. 750 CIC/1983 legt das kirchliche Lehramt (Papst und Bischofskollegium) die zu glaubenden Wahrheiten vor, und dies „wird ja auch durch das gemeinsame Festhalten der Gläubigen unter der Führung des heiligen Lehramtes offenkundig gemacht“. Der Codex reduziert den sensus fidei zu einer bloßen Bestätigungsinstanz. Eine eigenständige Bezeugungsinstanz des Glaubenssinnes wird damit negiert.
Natürlich sind die fatalen Weichenstellungen auf dem I. und II. Vatikanum mit der Hypostasierung des päpstlichen und bischöflichen Amtes nicht mit einem Federstrich revidierbar. Es sind zu glaubende lehramtliche Entscheidungen von Konzilien, die Verbindlichkeit und Zustimmung im Glauben beanspruchen. Wie man allerdings die Vereinseitigungen theologisch und kirchenrechtlich (in dieser Reihenfolge) neu ausbalancieren kann, ist eine offene Frage. So wie die Ämter des Papstes und der Diözesanbischöfe dogmatisch und subsidiär kirchenrechtlich momentan ausgestaltet sind, sind sie nicht wirklich lebbar und stellen eine permanente Überforderung der Amtsträger dar.
Kirchenrechtliche Anordnungen wie lehramtliche Weisungen laufen ins Leere, werden von den Gläubigen nicht rezipiert oder ignoriert.
Judith Hahn[1] kann in ihrer Kirchenrechtssoziologie eindrucksvoll nachweisen, dass zwischen papalem und bischöflichem Anspruch, alles alleine entscheiden und anordnen zu können, und der tatsächlichen Annahme ihrer Vorgaben durch die Normunterworfenen eine Kluft besteht, die faktisch zur nahezu vollständigen Wirkungslosigkeit führt. Kirchenrechtliche Anordnungen wie lehramtliche Weisungen laufen ins Leere, werden von den Gläubigen nicht rezipiert oder ignoriert. Kirchenrechtlich gibt es für Papst und Bischöfe kaum Sanktionsinstrumente, die tatsächlich zu einer Verhaltenskorrektur führen, ausgenommen bei Klerikern und abhängig Beschäftigten. Normative Anordnungen, in der Regel Gesetze, die von den Normunterworfenen regelmäßig nicht beachtet werden, verlieren ihre Verbindlichkeit, taugen nicht, das Miteinander der Gläubigen bezogen auf das Evangelium wirkmächtig zu gestalten.
Diese Spannung, alleine entscheiden zu müssen, und nachfolgend das ohnmächtige Erleben, dass eigene Entscheidungen nicht rezipiert werden, ist alltägliche Erfahrung der Bischöfe. Darum reicht es theologisch nicht aus, diese bischöfliche Letztentscheidung und Verantwortung zu reklamieren, wie es der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck in einem Interview mit der FAZ vom 5.1.2024 ins Wort gefasst hat: „Nach dem sakramentalen Verständnis des Bischofsamtes liegt die Letztverantwortung und auch die Entscheidungsgewalt beim jeweiligen Bischof und auf weltkirchlicher Ebene beim Papst. Ich halte es für richtig, dieses hierarchische Prinzip der Kirche durch ein synodales Prinzip zu ergänzen.“[2] Der erste Satz ist dogmatisch und lehramtlich unbestritten, und doch wirft er mehr Fragen auf, als er Antworten geben kann. Gibt es bei einer Letztverantwortung auch eine vorletzte Verantwortung, also eine uneigentliche Verantwortung, in der sich Gläubige mit Rat an den Beratungen beteiligen können, um dann aber gehorsam die autarke Entscheidung des Bischofs annehmen zu müssen, wie auch immer sie ausfällt? Und noch einmal: Was nützt kirchenrechtssoziologisch alle Letztverantwortung, wenn die ihr entsprungenen, autoritativ befohlenen Entscheidungen ins Leere laufen? Gehört zu einem mündigen Glauben – in der Diktion von Thomas Pröpper[3] – nicht die in Freiheit angenommene Entscheidung eines anderen, weil Gott den Menschen zur Freiheit im Glauben beruft und ihn nicht zum Glauben zwingt?
Für das Hören auf den vielstimmigen Spürsinn der Gläubigen ist zwingend ein strukturell-rechtlicher Rahmen notwendi.
Overbecks zweite Interview-Aussage mit der Forderung, die bischöfliche Letztverantwortung synodal zu ergänzen, weist die Richtung, in die der Essener Bischof bereits 2023 gedacht hat. In einem Beitrag für die Herder-Korrespondenz[4] fordert er, dass für das Hören auf den vielstimmigen Spürsinn der Gläubigen zwingend ein strukturell-rechtlicher Rahmen notwendig sei, den der Synodale Weg in Einheit mit der Weltkirche suche. Damit ist Overbeck am entscheidenden Punkt: Um in partizipativen Prozessen zu guten Entscheidungen für alle Gläubigen zu kommen, brauchen papale und bischöfliche Amtsvollmacht, die mehr sind als nur präzise kirchenrechtlich normiert, aus systematisch-theologischer Notwendigkeit (der sensus gehört zum Glaubensgut der Kirche) eine kirchenrechtlich verbindliche Absicherung. Hier liegt momentan eine Leerstelle, an ihr gilt es zu arbeiten.
Konsequent weitergedacht, wird es dabei nicht nur um Entscheidungen in alltäglichen disziplinären Fragen des Lebens in der Weltkirche und in den Bistümern gehen, sondern auch um die Fortschreibung des katholischen Glaubens. Offenbarungstheologisch bestärkt das II. Vatikanum die Kirche darin, immer mehr in die Fülle des in Christus erfahrenen Erlösungsgeschehens einzutauchen.
Damit korreliert der Ruf des Papstes nach einer heilsamen Dezentralisierung.
Mit dem gegenwärtigen Pontifikat von Franziskus kommt verstärkt noch das Moment der Inkulturation hinzu. Wie Papst Paul VI. erinnert Franziskus daran, dass sich Evangelium und Kultur, in die hinein die Botschaft neu verkündet wird, wechselseitig bereichern und sich in der Folge neue Inhalte des Glaubens erschließen. Damit korreliert der Ruf des Papstes nach einer heilsamen Dezentralisierung, dem er aber – trotz seiner vielfältigen legislativen Aktivitäten – bis heute leider keine rechtlichen Taten hat folgen lassen. Im aktuellen Instrumentum laboris der Bischofssynode sind jedoch an einigen Stellen Hinweise zu finden, in diese Richtung entschlossen weiterzuarbeiten und das universale Kirchenrecht fortzuentwickeln.
In diesem Zusammenhang wird ein weiteres Desiderat offenkundig. Es betrifft die verfassungsrechtlich-ekklesiologische Verortung und Aufwertung der Bischofskonferenz, die stagniert. Durch die vom Papstamt abgeleitete monarchische Nachbildung des Amtes des Diözesanbischofs ohne Gewaltenteilung auf dem I. Vatikanum bietet sich der Bischofskonferenz zurzeit nicht wirklich eine Möglichkeit, effektive bischöfliche Kollegialität zu realisieren. Sie steht bei römischen Kurialen, aber auch bei nicht wenigen Diözesanbischöfen selbst, die um ihre uneingeschränkte Amtsvollmacht fürchten, unter dem Generalverdacht, entweder nationale Sonderwege einzuschlagen (Stichwort: Gallikanismus/ Febronianismus) oder faktisch die Amtsgewalt des einzelnen Diözesanbischofs zu unterminieren. Die ekklesiologische Ortlosigkeit und zudem die Zerstrittenheit einzelner Bischofskonferenzen verhindern, sie als intermediäre verfassungsrechtliche Instanz zwischen Universal- und Teilkirchen zu einem ekklesiologischen Scharnier zwischen beiden im Sinne einer triadischen Kirchenstruktur zu entwickeln.
Es gibt wieder eine deutliche Unterscheidung zwischen Weihe- und Leitungsgewalt.
Bleiben noch die offenen Fragen zur Beteiligung von Frauen an Leitungsentscheidungen der Kirche. In der päpstlichen Praxis, aber auch in Förderplänen einzelner Bistümer, die Frauen in Leitungspositionen bringen, wird kirchenrechtlich erkennbar, dass man hier – wie vor dem II. Vatikanum und wie im alten CIC/1917 – wieder deutlich zwischen Weihe- und Leitungsgewalt unterscheidet. Bekanntlich hatte das II. Vatikanum versucht, beide Gewalten mit dem Begriff der potestas sacra zu einer Einheit zu verbinden. Schon der Codex von 1983 ist diesem Ansinnen des Konzis nur in Teilen gefolgt. Gleiches gilt auch für das neue Gesetz zur Arbeit der römischen Kurie[5]. Franziskus hat kein Problem damit, Frauen mit umfassender Leitungsgewalt auszustatten. Im gleichen Atemzug allerdings sperrt er sie von der Weihegewalt aus mit dem Hinweis, die Priesterweihe würde sie klerikalisieren und widerspreche ihrem Wesen als Frau. Die Weihe ist nun aber die Grundlage für die Übertragung der höchsten Leitungsämter in der katholischen Kirche, nämlich des Papst- und Bischofsamtes. Sie bleiben Männern reserviert.
Dass diese Trennung von Weihe- und Leitungsgewalt auf Dauer trägt und Frauen einen gleichberechtigten Platz im Verfassungsgefüge zuweist, darf entschieden bezweifelt werden. Gelegentlich wird in den aktuellen synodalen Beratungsprozessen in diesem Kontext noch darauf verwiesen, dass Laiinnen und Laien inzwischen in Rom wie in den Diözesen als Mitglieder der vorgeschriebenen Organe der Vermögensverwaltung tatsächlich über die Verwendung kirchlicher Gelder und Vermögens entscheiden könnten. Stimmig ist diese Entwicklung nicht, als sei Geld weltlich und Laien zugänglich, während der Glaube nicht von ihnen beeinflusst werden dürfte. Wer über die Verwendung von Geld entscheidet, entscheidet doch auch immer über vom Glauben der Kirche bestimmte Inhalte.
Bleiben mutige Schritte aus, wird sich der Exodus vieler Gläubigen fortsetzen.
Was bleibt? Angesichts der beispielhaft beschriebenen Problemlagen und Dichotomien sind noch zahlreiche theologisch offene Themen zu klären, die ans Eingemachte gehen. Inwiefern im laufenden Pontifikat und im synodalen Prozess der Kirche in Deutschland Antworten, die dann auch zu Konsequenzen führen werden, gegeben werden, steht in den Sternen. Wenn synodale Praxis nicht nur Beteiligung simulieren soll, während die (klerikalen, ausschließlich männlichen) Entscheidungsträger unbeirrt an ihren Prärogativen festhalten, sind mutige Schritte zu gehen. Bleiben sie aus, wird sich der Exodus vieler Gläubigen fortsetzen.
[1] Vgl. Judith Hahn, Grundlegung der Kirchenrechtssoziologie. Zur Realität des Rechts in der römisch-katholischen Kirche, Berlin-Heidelberg 2019.
[2] https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/overbeck-hielt-hengsbach-denkmal-immer-fuer-unangemessen-19425581.html; eingesehen am 02.10.2024.
[3] Vgl. Thomas Pröpper, Gottes Ja – unsere Freiheit. Theologische Betrachtungen. Mainz 1983.
[4] Vgl. Franz-Josef Overbeck, Der Synodale Weg und die Weltkirche. Kein deutscher Sonderweg, in: HK 10/2023, 13-15.
[5] Vgl. Franziskus, Apostolische Konstitution „Praedicate evangelium“ vom 19.03.2002; vgl. https://www.vatican.va/content/francesco/de/apost_constitutions/documents/20220319-costituzione-ap-praedicate-evangelium.html; eingesehen am 2.10.2024.
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Dr. Thomas Schüller, geb. 1961 in Köln, Studium der Kath. Theologie und Kirchenrechtswissenschaft in Tübingen, Innsbruck, Bonn und Münster. Nach Tätigkeit im Bistum Limburg seit 2009 Prof. für Kirchenrecht und zugleich Direktor des Institutes für Kanonisches Recht an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster. Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für Fälle von sexuellem Missbrauch im Bistum Münster. Seit 2023 Mitglied des Synodalen Ausschusses.
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