Camilo Torres lässt die Menschen auch 50 Jahre nach seinem Tod nicht kalt. Norbert Arntz macht auf aktuelle Versuche aufmerksam, die Erinnerung an den Priester-Partisanen für den Friedensprozess in Kolumbien fruchtbar zu machen.
In Kolumbien ereignet sich Erstaunliches: Vor dem 50. Todestag von Camilo Torres am 15. Februar 2016 ordnet der kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos an, nach den sterblichen Überresten des Priesters und Partisanen Camilo Torres zu suchen. Er hofft die Friedensverhandlungen mit der kolumbianischen Guerilla, der „Nationalen Befreiungsarmee“ voranzubringen. Der Erzbischof von Cali, Darío de Jesús Monsalve, Mitglied der kirchlichen Vermittlungskommission, begrüßt diese Entscheidung und deutet die Rückgabe der sterblichen Überreste von Camilo Torres als ein Zeichen der Versöhnung!
In Kolumbien ereignet sich Erstaunliches … die Rückgabe der sterblichen Überreste von Camilo Torres als ein Zeichen der Versöhnung
Allein in den vergangenen fünfzig Jahren sind bei militärischen und paramilitärischen Konflikten in Kolumbien fast eine halbe Million Menschen ums Leben gekommen. Tausende Menschen sind verschwunden. Sechs Millionen Campesinos wurden aus ihren Dörfern vertrieben. Großgrundbesitzer und multinationale Konzerne (vor allem Öl-, Bergbau- und Bio-Kraftstoff-Konzerne) hatten ihnen mit Hilfe von Paramilitärs das Land geraubt.
Friedensverhandlungen in Havanna/Kuba und in Quito/Ecuador zwischen der Regierung des Präsidenten Santos und der Guerilla sollen den militärischen Konflikt beenden. Den herrschenden Schichten erscheint er offenbar zu kostspielig. Den Armgehaltenen und Ausgebeuteten beschert er nur physische und moralische Erschöpfung. Nach dem Plan des Präsidenten soll sich die Guerilla als soziale und politische Bewegung in den demokratischen Prozess Kolumbiens integrieren und an seinem Ausbau mitwirken.
Die Guerilla als soziale und politische Bewegung in den demokratischen Prozess integrieren
Bereits im November 2015 hatte der Erzbischof von Cali, der drittgrößten Stadt Kolumbiens, eine Gedenkfeier für den Christen und Priester Camilo Torres veranlasst. Begründung: „Der Priester Camilo Torres Restrepo hat Kolumbien eine Menge zu geben und zu lehren, vor allem in der gegenwärtigen Etappe, in der das Land sich zu Versöhnung, Wahrhaftigkeit, Gerechtigkeit und Frieden auf den Weg machen will. Bisher wurde seine Grabstätte wie ein Staatsgeheimnis gehütet, sein christliches Engagement von der Kirche verschwiegen und sein Name durch den Stempel ‚Guerillero‘ gebrandmarkt.“
„Der Priester Camilo Torres hat Kolumbien eine Menge zu geben … Bisher wurde seine Grabstätte wie ein Staatsgeheimnis gehütet, sein christliches Engagement von der Kirche verschwiegen und sein Name durch den Stempel ‚Guerillero‘ gebrandmarkt.“
Wie war Camilo Torres eine solch umstrittene Persönlichkeit geworden? Seine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Realität Kolumbiens hatte Camilo in einen tödlichen Konflikt geführt. Aus einer gut situierten bürgerlichen Familie Bogotás stammend begann er sich im Priesterseminar von Bogotá mit den gesellschaftlichen Verhältnissen des Landes zu beschäftigen. Armut und Ungerechtigkeit forderten ihn heraus.
Nach seiner Priesterweihe 1954 schickte ihn der Erzbischof von Bogotá nach Europa, damit er an der katholischen Universität von Löwen in Belgien Soziologie studiere. Seine Arbeit über die „Proletarisierung von Bogotá“ gilt als Pionierarbeit der lateinamerikanischen Stadt-Soziologie. Nach Kolumbien zurückgekehrt gründete er mit anderen die erste soziologische Fakultät Lateinamerikas an der Nationalen Universität von Bogotá. Hier arbeitete er auch als Studentenpfarrer und Professor.
Studentenpfarrer und Professor
Als Studentenpfarrer trug er dazu bei, die pastorale Arbeit neu zu konzipieren: Man dürfe nicht von der Lehre ausgehen, um diese im Leben anzuwenden. Man müsse vielmehr von der Analyse der Realität ausgehen, um in der realen Umwelt die Werte des Gottesreiches, Frieden und Liebe, zur Wirksamkeit zu bringen. Durch seine Kontakte in Europa mit der Katholischen Arbeiterjugend (JOC) und der von ihrem Gründer Joseph Cardijn entwickelten Methode „Sehen, Urteilen, Handeln“ war Camilo dazu inspiriert worden. Er wollte die Soziallehre der Kirche mit „wirksamer Nächstenliebe“ praktizieren und entdeckte die Marx‘sche Analyse als hilfreiches Arbeitsinstrument.
… die Soziallehre der Kirche mit „wirksamer Nächstenliebe“ praktizieren
Im Gefolge seiner Aktivitäten jedoch geriet er in einen immer schärferen Konflikt mit seinem Erzbischof in Bogotá. Dieser verbot ihm, sich an der Seite der Studierenden an Protestaktionen zu beteiligen oder sich mit ihnen gemeinsam zugunsten von bedrängten Bauern und Landarbeitern zu engagieren. Trotz des Verbotes entwarf Camilo eine Plattform für ein Bündnis von Organisationen des einfachen Volkes gegen das Bündnis der herrschenden Parteien. Das verschärfte den Konflikt mit dem Erzbischof.
Den Entwurf der Plattform verurteilte der Kardinal mit der Behauptung, „Camilo habe sich wissentlich von der Lehre der Kirche abgewandt“. Daraufhin reifte in Camilo der Entschluss, seine Rückversetzung in den Laienstand zu beantragen. In Interviews und Vorträgen kritisierte er heftig den Widerspruch zwischen kirchlicher Hierarchie und Evangelium. Er hielt inzwischen „die kirchliche Hierarchie für eine der Mächte dieser Welt“.
in einen immer schärferen Konflikt
Aber an seiner Grundentscheidung hielt er fest. Auch in Zukunft wolle er sich als Christ, als Priester und Soziologe mit einer zutiefst ungerechten und grausamen Gesellschaft konfrontieren: „Ich bleibe Priester auf ewig und verstehe es als Ausübung meines Priesteramtes, in Kolumbien eine Revolution zu verwirklichen, in der die Nächstenliebe dadurch wirksam wird, dass die Mehrheit des Volkes am Gemeinwohl teilhat!“ Das war im August 1965 seine Botschaft an die Christen Kolumbiens.
„Priester auf ewig“
Die Mittel für die wirksame Nächstenliebe würden die Privilegierten nicht freiwillig hergeben, weil sie dann auf ihre Privilegien verzichten müssten. „Folglich ist die Revolution das Mittel, eine Regierung zu installieren, die Hungernde sättigt, Nackte bekleidet, Unwissende lehrt. Dann erfüllt sie die Werke der Nächstenliebe nicht nur gelegentlich, auch nicht nur vorübergehend oder nur für einige wenige, sondern für die große Mehrheit unserer Nächsten. Deshalb ist die Revolution nicht nur erlaubt, sondern geboten, wenn Christen in ihr die einzig wirksame Methode erkennen, die Nächstenliebe für alle zu verwirklichen. […] Erst wenn der leidende Nächste nichts mehr gegen mich hat, erst wenn diese Revolution verwirklicht ist, werde ich wieder die heilige Messe feiern, sollte Gott es mir gestatten. Ich glaube, dass ich so dem Gebot Christi Folge leiste!“
„Erst wenn der leidende Nächste nichts mehr gegen mich hat, erst wenn diese Revolution verwirklicht ist, werde ich wieder die heilige Messe feiern, sollte Gott es mir gestatten“
Im Oktober 1965 „ging er in die Berge“ und schloss sich der Guerilla an. Am 15. Februar 1966 wurde er bei einer Konfrontation zwischen Militär und Guerilla getötet.
Bei dem Gedenken für Camilo am 7. November 2015 in Cali greift der Erzbischof in seiner Predigt die Botschaft Camilos an die Christen Kolumbiens auf. Camilo habe sein Leben aufgeopfert. Er habe eine Botschaft der Zusammengehörigkeit des Volkes formuliert, die in die Zukunft weise. Das Zusammentreffen des von Papst Franziskus ausgerufenen Jahres der Barmherzigkeit mit dem 50. Todestag von Camilo könne Frucht tragen, wenn Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Hand in Hand gingen. Nur so könne man zu Versöhnung und Frieden finden.
(Norbert Arntz; Beitragsbild: Dieter Schütz / pixelio.de; Bild: Hernando Sanchez – Albúm Familia Zabala, GFDL, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=6708369)
Siehe auch den Beitrag von Margit Eckholt bei feinschwarz.net.