Die Professionalisierung der Pastoral ist voller Ambivalenzen. Man kann ihnen nicht entfliehen, indem man sie leugnet, unkritisch auf pastorale Professionalisierung setzt oder sie umgekehrt als „Angestelltenkirche“ denunziert. Was aber dann? Von Rainer Bucher.
Als in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts das priesterlich dominierte katholische Milieu ziemlich spektakulär erodierte, konnten die reichen deutschsprachigen Kirchen mit einer überraschenden Strategie reagieren: mit professioneller Expansion. Das personale Angebot der Kirche wurde massiv ausgebaut und vor allem professionalisiert.
Die Entwicklung
Man vermittelte den pastoralen MitarbeiterInnen eine spezialisierte, geregelte und hochwertige Ausbildung, definierte spezifische pastorale Berufsfelder und dafür notwendige Handlungskompetenzen und stellte die meist gar akademisch Ausgebildeten auch tatsächlich ein. Wesentliche Teile des von der Kirche beschäftigten Personals, etwa in der Caritas, der Aus-, Weiter- und Erwachsenenbildung oder auch im Religionsunterricht, werden von professionell ausgebildeten, professionell besoldeten und auch professionell arbeitenden Menschen gestellt, die allermeisten von ihnen sogenannte ,,Laien“.
Dieser Professionalisierungsprozess schuf an der Basis der Pastoral eine konkurrierende, nichtpriesterliche Personalstruktur neben der weiterhin in vielen Bereichen letztentscheidenden priesterlichen Hierarchie. Das aber setzte nun seinerseits die Priester unter pastoralen Professionalisierungsdruck und schuf damit eine nicht leicht aufzulösende Spannung zum klassischen, nachtridentinischen und amtstheologisch-sakramental fundierten, also gerade nicht professionell-funktional geprägten Priesterbild.
Dieser Professionalisierungs- und Differenzierungsprozess folgte dabei der allgemeinen Linie einer funktionalen Differenzierung ehemals integrierter gesellschaftlicher Handlungsbereiche. Dahinter steckte kein pastorales Gesamtkonzept, das wesentlich über jene Reaktionsmuster auf Herausforderungen hinausginge, wie sie moderne Gesellschaften selbst zur Verfügung stellen.
Dieses konzeptionelle Defizit holt nun die Kirche in Zeiten absehbarer Ressourcenknappheit ein. Denn spätestens angesichts der anstehenden Prioritätenentscheidungen treten die Ambivalenzen des Professionalisierungsprozesses relativ offen zu Tage. Das allein freilich wäre noch nicht das Problem. Das liegt vielmehr darin, dass es offenbar schwer fällt, mit diesen mehr oder weniger unvermeidbaren Ambivalenzen produktiv umzugehen.
Ambivalenzen
Relativ klar im Bewusstsein ist die personale Ambivalenz. Explizit christliches Handeln, das bezahlt, gelernt und beruflich ausgeübt wird, scheint irgendwie zweitrangig, ja fast defizitär gegenüber christlichem Handeln, das unbezahlt, spontan und ganz jenseits beruflicher Rollenmuster einfach aus persönlichem Impuls heraus geschieht. Der Effektivitätsgewinn und der Zuwachs an Sachgerechtigkeit, die Professionalität normalerweise bedeuten, werden, so meint man dann, bezahlt mit dem Authentizitätsdefizit relativ gut bezahlten Berufshandelns.
Die gesamtpastorale Ambivalenz hingegen ist weniger im Bewußtsein, so drängend sie auch sein mag. Professionalisierung der Pastoral bedeutete nämlich fast immer auch Aufbau eines Handlungsbereichs außerhalb der traditionellen kirchlichen Basisstruktur, der Pfarrei, so geschehen etwa in der Diakonie oder im Bildungssystem, inklusive Religionsunterricht.
Die katholische Kirche hierzulande teilt sich gegenwärtig in eine krisenhaft schrumpfende ,,Gemeindekirche“, eine davon zu unterscheidende Ritenkirche und einen um diese beiden herum gelagerten Kranz professionalisierter kirchlicher Handlungssektoren: schulische und außerschulische Bildung, Kategorialpastoral, Caritas, Werke der Mission und Entwicklungszusammenarbeit.
Diese Differenzierung, unabdingbare Begleiterscheinung des Professionalisierungsprozesses, führt jenseits finanzieller und rechtlicher Integrationsmechanismen zu einer doch recht auffälligen pastoralen Desintegration der ehemals durch den Klerus integrierten kirchlichen Handlungsstruktur. Dem Differenzierungsgewinn steht ein deutlicher Zusammenhangsverlust gegenüber.
Die amtstheologische Ambivalenz des pastoralen Professionalisierungsprozesses ist vor allem an der Schwierigkeit ablesbar, ihn wirklich stimmig mit der klassischen, nach-tridentischen Amtstheologie und speziell ihrer Kopplung von Sakramentalität und Jurisdiktionsvollmacht zu verbinden und etwa zu verhindern, dass sich „Professionalität“ und „Weihe“ rivalisierend auf unterschiedliche Handlungsgruppen der Kirche verteilen.
Die katholische Weihe-Amtstheologie, zumal in ihrer ontologisierenden Zuspitzung, hatte nicht zuerst pastorale Handlungskompetenz, sondern die (Weihe-)Gnade und die priesterliche Überordnung über Laien in den Mittelpunkt der priesterlichen (Berufs-)Rolle gerückt und als deren Pendant auf Seiten des Priesters persönliche Heiligkeit und Tugend, nicht aber unbedingt pastorale Professionalität angesetzt.
,,Weihe“ oder „Professionalität“ geraten so in einen merkwürdigen Gegensatz, zumal wenn ,,Professionalität“ für die angestellten LaientheologInnen leicht zum Ersatz für die fehlende Weihe und Weihe für die Priester zum Ersatz für potentielle Professionalitätsdefizite wird. Der Kompetenzgewinn der Professionalität wird zum Rivalitätsort gegenüber der iuridisch verfassten Sakramentalität des Priestertums: eine für beide Seiten ausgesprochen unglückliche Entwicklung.
Wie damit umgehen?
Die Ambivalenzen des pastoralen Professionalisierungsprozesses sind eine Realität – und eine große Versuchung. Diese Ambivalenzen verbieten es, diese Entwicklung für selbstverständlich zu halten und einfach als Normalität zu betrachten: weder synchron und somit weltkirchlich, noch diachron und kirchengeschichtlich sind sie es, sie sind es aber eben auch von ihrer inneren Struktur her nicht.
Die Versuchung besteht in der falschen Alternative, diesen Ambivalenzen entfliehen zu wollen, indem man sie leugnet und unkritisch auf pastorale Professionalisierung setzt, so als ob sie das Allheilmittel für die Konstitutionsprobleme der Kirche wäre, oder konträr die Professionalisierung der Pastoral als Fehlentwicklung hin zu einer „Angestelltenkirche“ denunziert und versucht, sie zurückzunehmen, nicht ohne Sehnsucht nach vormodernen, entdifferenzierten kirchlichen Gemeinschaftsformen, eine Sehnsucht, wie es sie auf allen Seiten des kirchlichen Spektrums gibt.
Insofern diese Ambivalenzen unvermeidbar sind, sollte man sie nicht als Alternativen, sondern als Polaritäten fassen, die unabweisbare Forderungen an die Kirche stellen. Freilich muss es ein Kriterium außerhalb dieser Polaritäten, also außerhalb der Professionalisierungsthematik selber angesetzt werden, das anzeigt, ob die Kirche diesen Forderungen gerecht wird. Dieses Kriterium steckt in nichts anderem als dem Pastoralbegriff des II. Vatikanums als der kreativen Konfrontation von Evangelium und Existenz in Wort und Tat, im individuellen wie kollektivem Bereich menschlichen Handelns.
Natürlich müssen die pastoralen Profis bei aller Professionalität auch an ihrer pastoralen Authentizität arbeiten, denn sie ist recht verstanden Teil ihrer Professionalität. Sie ist aber auch ein Geschenk, eine Gnade und damit nur bedingt einzufordern. Allein von den pastoralen Profis die Bearbeitung der Polarität von Effektivitätsgewinn und Authentizitätsverlust zu verlangen, verlagert einseitig strukturelle Probleme auf die einzelnen.
Ähnliches gilt für die gesamtpastorale Ambivalenz von Differenzierungsgewinn versus Zusammenhangsverlust. Diese Ambivalenz fordert Kommunikation, Anerkennung der pastoralen Unverzichtbarkeit des und der anderen, Überwindung einer Kultur des Ressentiments als Versuch der Selbstkonstitution durch Fremdabwertung.
Diese Ambivalenz fordert den Blick auf das, was der/die andere hat, ich aber nicht und ich von ihm/ihr daher potentiell geschenkt bekomme. Diese urchristliche Haltung der Überwindung jedes pastoralen Konkurrenzdenkens, der Anerkennung der anderen und der Neugierde auf ihre spezifischen Kompetenzen ist gegenwärtig besonders gefordert. Denn nur mit dieser Haltung kann der potentielle Zusammenhangsverlust, den die pastorale Professionalisierung bedeutet, aufgefangen werden, kann man gleichzeitig der Gefahr eines neointegralistischen Gegenschlags entgehen und doch den Effektivitäts- und Sachgerechtigkeitsgewinn der Professionalisierung sichern.
Seinen eigentlichen Lackmustest aber wird der Professionalisierungsprozess der Kirche in der Frage der Rivalität zum sakramentalen Priestertum zu bestehen haben. Denn diese Ambivalenz fordert von beiden Seiten viel, von den professionellen pastoralen Laien wie von den Priestern. Letztere gehörten zwar einmal zu den Pionieren der Professsionalisierung, haben diesen Vorsprung aber seit längerem und spätestens mit der Bildungsexpansion der Nachkriegszeit verloren.
Es fordert von den Laien die Überwindung ihrer angesammelten Kränkungserfahrungen sowie der damit verbundenen kompensatorischen Rivalitätsimpulse und von den Priestern die Entwicklung von Realisationsformen ihres Priestertums jenseits seiner Machtgeschichte der letzten Jahrhunderte und auf der Basis allein seiner gnadentheologischen Legitimation. Das ist beides sehr schwer.
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Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät der Universität Graz und Mitglied der feinschwarz Redaktion.
Photo: Rainer Bucher
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