Am 12. Dezember beginnt in diesem Jahr das achttägige jüdische Channukkah-Fest. In einem schriftlichen Interview mit feinschwarz.net erklärt Sarah Egger, Geschäftsführerin des Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit im Wien, die Hintergründe und Bräuche dieses Festes.
Channukkah ist vielen als fröhliches Lichterfest bekannt. Worum geht es aber wirklich dabei – und was sind die geschichtlichen Hintergründe des Festes?
Viele jüdische Feste haben einen ernsten Hintergrund. Sie werden fröhlich gefeiert, weil wir heute dankbar sind, am Leben zu sein. Auch Channukkah ist ein Fest, das an eine Gelegenheit erinnert, als die Existenz des Judentums massiv bedroht war. Die theologische Deutung ist, dass der Ewige uns nicht nur physisch gerettet, sondern insbesondere auch ermöglicht hat, dass wir weiterhin unser Judentum ausleben können. Die Channukkah-Geschichte ist angesiedelt in der Zeit, die in den Makkabäerbüchern beschrieben wird, als das Land Israel unter hellenistischer Herrschaft stand. Die Jüdinnen und Juden sollten von den Herrschenden gezwungen werden, deren griechischen Kult anzunehmen. Viele hellenisierten sich auch freiwillig, um am gesellschaftlichen Leben (z.B. Sport in den Gymnasien) teilzuhaben. Aber eine Gruppe von Jüdinnen und Juden widersetzte sich. Sie flohen in die Berge, wo sie mit allen Mitteln versuchten, ihrem Judentum treu zu bleiben. Daher kommen angeblich auch diese „lustigen“ Drejdel (Kreisel), mit denen heute Kinder spielen. Diese sollen als Spielzeug getarnte Unterrichtsmaterialien gewesen sein, indem an den Seiten hebräische Buchstaben aufgemalt wurden.
Da diese Gruppe den Schabbat streng einhielt, wurde sie einmal stark dezimiert, als griechische Truppen sie am Samstag angriffen. Daraufhin formierte sich jüdischer Widerstand unter Matitjahu mit dem Beinamen haMakkabi („der Hammer“, nach ihm sind heute die internationalen jüdischen Sportwettkämpfe benannt) und seiner Familie. Die jüdische Gruppe schaffte es, die Griechen zurückzuschlagen, die Herrschaft über das Land Israel wieder zu erobern und den Tempel in Jerusalem neu einzuweihen.
Channukkah kann hochpolitisch und in viele Richtungen gedeutet werden.
Hier setzt der „harmlosere“ Teil der Geschichte ein, auf dem auch viele Traditionen aufbauen: Um die Menorah im Tempel wieder zu entzünden, brauchte man koscheres Öl. Es gab nur genug für einen einzigen Tag – aber durch ein Wunder brannte dieses acht Tage lang, bis neues koscheres Öl zur Verfügung stand.
Channukkah kann hochpolitisch und in viele Richtungen gedeutet werden. Der jeweils heutige Kontext deutet Geschichten beim Lesen mit, und so lese ich Channukkah in diesem Jahr besonders als Aufruf, sich seine Überzeugungen nicht nehmen zu lassen, auch wenn sie politisch im Moment wenig opportun sind.
Die Channukkiah ist ein Zeichen dafür, dass wir uns nicht unterkriegen lassen und stolz auf unser Judentum sind.
Wie läuft das Chanukkafest konkret ab? Was sind die wesentlichen Rituale und Gebräuche dabei?
Wesentlich ist das Entzünden der Channukkiah. Das ist ein Leuchter, der im Gegensatz zur Menorah acht Arme hat (plus einem Schammasch, einer Dienerkerze, mit der die anderen Kerzen entzündet werden). Wenn es dunkel ist, versammelt sich die Familie bei der Channukkiah, die so öffentlich sichtbar wie möglich sein soll. Sie ist ein Zeichen dafür, dass wir uns nicht unterkriegen lassen und stolz auf unser Judentum sind. Wir danken dem Ewigen für die Wunder, die er in der Geschichte wirkt, und singen Loblieder. Es ist wichtig, in Öl gebackene Speisen zu essen, um an das geweihte Öl im Tempel zu erinnern. Beliebt sind Sufganjot (Krapfen) und Latkes (Kartoffelpuffer) – ob man diese mit Sauerrahm oder Apfelmus isst, ist Teilgebiet eines erbitterten Streits, der seit 70 Jahren in der „Annual Latke-Hamantash-Debate“ auch öffentlich ausgetragen wird. Geschenke waren eigentlich weitgehend nicht so üblich – das würde ins Geld gehen, bei acht Festtagen. Aber seit einiger Zeit gibt es Tendenzen, weihnachtliche Gebräuche nachzuahmen (etwa mit „Channukkah-Büschen“), und daher schenken sich manche Familien auch zu Channukkah etwas.
Als theologische Deutung bietet sich das Herausführen aus der Gefahr, aus einer dunklen Zeit an.
Gibt es geschichtliche Einflüsse zwischen jüdischen und christlichen Bräuchen im Blick auf die Licht-Symbolik – z.B. auf den christlichen Adventkranz?
So weit ich weiß, gibt es keine direkte Verbindung zwischen der Channukkiah und dem Adventkranz. Der Adventkranz stammt, so weit ich weiß, aus dem paganen nordischen Raum. Er wurde christianisiert und zum Fest der heiligen Lucia (die „Lux“, Licht, schon im Namen trägt) von einer Person auf dem Kopf getragen. Wenn den Bräuchen etwas gemeinsam ist, dann die Symbolik des zunehmenden Lichtes. Dass beide Traditionen in die Zeit der Wintersonnenwende fallen, kann mit einem menschlichen Bedürfnis zu tun haben, dem jahreszeitlichen Geschehen symbolischen Nachdruck zu verleihen. Als theologische Deutung bietet sich auch das Herausführen aus der Gefahr, einer dunklen Zeit, an (wie in der Channukkah-Geschichte), beziehungsweise das Hineinführen in eine messianische Zeit (wie Christ_innen sie mit Jesu Geburt und Wirken annehmen).
Gibt es für Channukkah auch regional unterschiedliche Traditionen? Gibt es spezifische Traditionen für Österreich/Deutschland; oder auch zwischen Sefardim und Aschkenasim?
Die Channukkah-Traditionen sind ziemlich international. Unterschiede kann es geben zwischen jeder Familie (es hat ja auch zu Weihnachten jede Familie ihre eigene Tradition), aber es kann auch jede Gemeinde eine eigene Besonderheit haben. Das nennt man Minhag – Brauch der Gemeinde. Aber ich kenne keine ausgefallenen Minhagim für Channukkah, über Sufganjot und Latkes freuen sich alle. Nähere Informationen könnten in einem Artikel eines sefardischen Autors nachgelesen werden: https://www.myjewishlearning.com/jewish-and/sephardic-hanukkah-traditions/
Die Grundlage von Channukkah ist ein weltlicher Kampf um religiöse Selbstbestimmung
Wie sieht bei Channukkah das Verhältnis aus zwischen religiösen Elementen und rein säkularem Fest?
Allein schon in der Channukkahgeschichte lässt sich schlecht zwischen Säkularem und Religiösem trennen. Jüdinnen und Juden wurden aufgrund ihrer Religion verfolgt – ganz säkular und ohne direktes göttliches Eingreifen wehrten sie sich und brachten eine neue Herrscherdynastie an die Macht. Ein direktes göttliches Wunder ist zwar vorhanden, aber jetzt nicht so das spektakulärste Wunder, das der Ewige je vollbracht hat. Er hat (biblisch gesehen) alles Wasser in Ägypten in Blut verwandelt und ist in einer Säule aus Feuer und Rauch vor den Israeliten hergezogen, die er mit Manna vom Himmel gespeist hat – nu, wird er auch das Öl ein bissi länger halten lassen können. Die Grundlage von Channukkah ist ein weltlicher Kampf um religiöse Selbstbestimmung.
In der Feierpraxis gibt es sicherlich Abstufungen. Manche gehen einfach einmal in diesen acht Tagen auf eine Channukkah-Party oder essen Latkes mit ihren Freund_innen. Aber ich finde, dass auch das kein gänzlich säkulares Feiern ist. In dem Moment, in dem wir uns an Channukkah erinnern und eine unserer Traditionen ausüben, verbinden wir uns mit unserem Judentum. Eben esse ich einen kleinen Krapfen – und schon habe ich daran gedacht, dass Gott uns vor Gefahr beschützt und uns zu einer eigenartigen, einzigartigen Beziehung mit ihm ausgewählt hat. Das ist genau das, worum es zu Channukkah geht. Und sobald man die Channukkiah zündet, kann man m.E. überhaupt nicht säkular feiern. Wenn wir die Lichter entzünden, sagen wir eine Bracha, einen Segensspruch. Die Lieder, die wir singen, sind Loblieder auf den Ewigen oder spielen in assoziativer Weise auf das Wunder von Channukkah an.
Welche Bedeutung hat dieses Fest im Kontext der anderen jüdischen Feste?
Hier gibt es manchmal eine Missinterpretation von nichtjüdischer Seite, weil Weihnachten und Channukkah in einem ähnlichen Zeitraum gefeiert werden. Gemeinsam mit Ostern ist Weihnachten eines der wichtigsten Feste des Christentums. Aber nur weil Channukkah zeitgleich stattfindet, heißt das nicht, dass es im Judentum ebenso große Bedeutung hat. Unsere wichtigsten Feiertage sind Rosch haSchana und Jom Kippur sowie Pessach. Channukkah spielt theologisch eine eher untergeordnete Rolle.
Sarah Egger ist Geschäftsführerin im Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Wien.
Beitragsbild: www.piqs.de