Theologie und Ethik haben sich als zunehmend wichtige Stimmen im Umweltdiskurs etabliert. Markus Vogt sondiert die Diskussionslage und sagt, worauf es ankommt.
Für die notwendige Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft fehlt es nicht primär an ökologischem Wissen und technischen Möglichkeiten, sondern an einem tieferliegenden Wandel der kulturellen Grundeinstellungen. Wir sind kollektiv in Gewohnheiten, Denkmustern und Strukturen gefangen, die uns oft daran hindern, das ökologisch Vernünftige zu tun. Für die Ethik geht es dabei nicht primär um ein Begründungsdefizit, sondern vor allem um Herausforderungen der kollektiven Willensbildung und Handlungsermöglichung.
Vorstellungen des guten Lebens – und die Bedingungen der Natur
Die Aufgabe besteht darin, die Vorstellungen des guten Lebens sowie die gesellschaftlichen Strukturen, die dieses Streben organisieren sollen, mit den Bedingungen der Natur zu vermitteln. Die ökologischen Herausforderungen sind so tiefgreifend, dass man ihnen nicht mit der Formulierung einiger moralischer Vorschriften, Tugenden und Pflichten gerecht werden kann. Nur wenn diese in einem umfassenden Kulturwandel verankert sind, werden sie hinreichende Kraft für die nötigen Transformationen entfalten.
Dabei ist offensichtlich, dass die christlichen Kirchen keineswegs hinreichende Antworten auf die ökologischen Herausforderungen parat haben. Sie müssen sich selbst hinsichtlich des Naturverhältnisses wandeln, um nicht Teil des Problems, sondern stärker Teil der Lösung zu sein. Im Anspruch des biblischen Ethos radikaler Umkehr und Erneuerung wird christliche Umweltethik als Transformationsethik konzipiert. Nur in einer auch zu Selbstkritik bereiten Auseinandersetzung mit der eigenen Tradition kann christliche Umweltethik die oft vergessenen Schätze einer praxisrelevanten Schöpfungsverantwortung heben und neu entdecken. Die Faszination der Umweltenzyklika Laudato si‘ liegt nicht zuletzt darin, dass sie dies schonungslos verdeutlicht.
Biblischer Herrschaftsauftrag = Anthropozentrismus?
Lange war christliche Umweltethik defensiv von der Verteidigung gegen den Vorwurf des sogenannten Anthropozentrismus des biblischen Herrschaftsauftrages geprägt. Dieser hat in Verbindung mit der neuzeitlichen Subjekt-Objekt-Dichotomie eine fatale Wirkung entfaltet. Die Balance, den Menschen konsequent als Teil der Natur zu denken, ohne dabei seine einmalige Verantwortung als sittliches Subjekt unsachgemäß einzuebnen, ist eine Kernfrage jeder Umweltethik. Mit dem Prinzip Nachhaltigkeit, das ursprünglich ein Naturnutzungskonzept war, hat sich weltweit ein anthropozentrischer Ansatz durchgesetzt, der in der Konsequenz gleichwohl radikale Transformationen einfordert. Politisch wirksam ist dieser Zugang in den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, die aus der Sicht einer postkolonialen ethischen Systematik jedoch voller innerer Widersprüche sind.
Was die ethische Reflexion über Umweltfragen so schwierig macht, sind nicht zuletzt uneinheitlich gebrauchte Begriffe. Schon bei der Bezeichnung des Gegenstandsbereiches gehen die Ansichten grundlegend auseinander: Impliziert der Begriff „Umwelt“ nicht schon eine funktionale, auf den Menschen und seine Nutzungsinteressen bezogene Perspektive? Sollte man von daher nicht andere Begriffe zur Einordnung des Themas bevorzugen, zum Beispiel Naturethik, Bioethik, Geoethik, Ökologische Ethik, Ökologische Sozialethik oder Mitweltethik? Aus theologischer Sicht läge der Terminus „Schöpfungsethik“ nahe. Für jede der Alternativen gibt es durchaus starke Argumente. Dennoch verdeutlicht die Bezeichnung „Christliche Umweltethik“ entscheidende Perspektive am prägnantesten:
- Der Begriff Umwelt hat einen relationalen Fokus: Umwelt ist das, was von Lebewesen als solche wahrgenommen, erlebt, genutzt und gestaltet wird.
- Der nüchterne Begriff Umwelt ist politisch und international anschlussfähig. Er ist breit angelegt und integriert wichtige Felder wie z.B. Technikfolgenabschätzung.
Ethisch entscheidend ist letztlich nicht, welchen Begriff man wählt, sondern ob man sich der damit verbundenen Implikationen bewusst ist und diese mit anderen Perspektiven ins Gespräch bringt. Dies ist für die Umweltethik deshalb besonders virulent, weil hier extrem unterschiedliche Wertungen und Weltbilder aufeinandertreffen. In ihrer Tiefendimension ist sie eine kritische Auseinandersetzung mit dem durch Fortschritt, Rationalismus, Technisierung und Wohlstandsstreben geprägten Projekt der Moderne. Nicht wenige Umweltethiker*innen halten dieses aus Sorge um die Integrität der Natur sowie die Ressourcenbasis für die Existenzsicherung künftiger Generationen für grundlegend fragwürdig. So ergeben sich tiefgreifende Spannungen innerhalb der Umweltethik, insofern diese teils als Gegendiskurs zur Moderne verstanden wird und teils als Impulsgeberin einer „ökologischen Modernisierung“.
Starke Wertungen und heftige Konflikte
Vor diesem Hintergrund sind mit umweltethischen Fragen oft starke Wertungen und entsprechend heftige Konflikte verbunden. Dies macht die Debatten der Umweltethik bisweilen anstrengend, aber auch spannend. Viele Umweltdiskurse laufen auf normative Fragen zu. Auch von vermeintlich deskriptiven Zugängen aus scheint es oft kein großer Schritt zu weitreichenden Wertungen. So beschreibt beispielsweise kaum jemand die Zunahme von Plastik in den Weltmeeren ohne implizite Wertungen. In der Art und Weise der Wahrnehmung von scheinbar neutralen, objektiven Fakten verstecken sich normative Vorentscheidungen. Umweltethik braucht deshalb einen wissenschaftstheoretischen Zugang, um die mit den jeweils verwendeten Analysemodellen verbundenen Perspektivierungen und Wertungen aufzudecken und einem ethischen Diskurs zugänglich zu machen. Die methodische Grundfrage der Umweltethik wird jenseits des Naturalismus im Übergang von Situationsbeschreibungen zu moralischen Postulaten verortet.
Umweltethik hat systematisch mit der Vergesellschaftung von Naturbelastungen zu tun: Die Schädigung oder Zerstörung von Naturräumen sowie die Ausbeutung von Naturressourcen zeitigt zugleich soziale Exklusionen und Belastungen. Deshalb muss jede Umweltethik heute ökosozial verfasst sein. Gerade die Verflechtung sozialer – also zwischenmenschlicher oder gesellschaftlicher – mit ökologischen Prozessen ist in besonderer Weise Thema der Umweltethik.
In der Suche nach einer systematischen umweltethischen Reflexion müssen zunächst typische Muster, blinde Flecken, aber auch Aufgaben und Kompetenzen der Ethik in dem vielschichtigen ökosozialen Krisendiskurs analysiert werden. Im theologischen Zugang können dann dynamisch-schöpfungstheologische und interreligiöse Aspekte der Ökoethik ebenso aufgegriffen wie lehramtliche Entwicklungen hinsichtlich der Aussagen von Päpsten und Bischofskonferenzen zu Umweltfragen zur Sprache gebracht werden. Als konzeptionelle Leitbegriffe der Umweltethik können dabei Ressourcengerechtigkeit, intergenerationelle Verantwortung, Risikomündigkeit, Tierethik und Nachhaltigkeit entfaltet werden. Handlungsfelder, in denen diese konkretisiert werden, sind u.a. Energiewende, Grüne Gentechnik, Konsumethik, Bevölkerungsentwicklung und Bildung für nachhaltige Entwicklung.
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Prof. Dr. Markus Vogt lehrt Christliche Sozialethik an der LMU München. Er ist einer der profiliertesten Vertreter einer christlich inspirierten Umweltethik und Autor eines soeben erschienenen Grundlagenwerks zur Thematik (Christliche Umweltethik. Grundlagen und zentrale Herausforderungen, Herder 2021). Bild: S. Hofschlaeger – pixelio.de