Weihnachten ist ein Fest der Lichter. Und des Erspürens einer Sehnsucht, so Cornelia Dockter. Sie spürt Sinn und Sinnlichkeit theologischer Vollzüge nach.
„Those Christmas lights
Light up the street
Down where the sea and city meet
May all your troubles soon be gone
Oh, Christmas lights keep shining on.“
Die Besingung der Christmas Lights im gleichnamigen Lied der britischen Band Coldplay bringt die Hoffnung auf ein lichterfülltes Weihnachten zum Ausdruck, das – möchte man es christlich ausbuchstabieren – Jesus Christus als in die Welt kommendes Licht dieser Welt in den Mittelpunkt rückt (Joh 8,12). Aber auch für Menschen, die den christlichen Ursprung des Weihnachtsfestes nicht mehr brauchen, um sich die Bedeutung von Weihnachten zu erschließen, bilden Lichter einen unverzichtbaren Begleiter durch die Advents- und Weihnachtszeit. Entsprechend groß ist der Unmut, wenn angesichts der aktuellen Energiekrise auf Einsparungen und Verzicht beim weihnachtlichen Lichtermeer gedrungen wird. Dabei stehen die Lichter stellvertretend für all die Elemente, die Weihnachten überhaupt zu Weihnachten werden lassen. Wieder mit Coldplay gesprochen: „When you′re still waiting for the snow to fall. Doesn’t really feel like Christmas at all.“ Weihnachten zeigt wie fast kein anderes Fest, wie sehr der Mensch ein ästhetisches Wesen ist. Ein Wesen, das über sinnliche Wahrnehmung Bedeutung erfasst und schafft. Diese Affinität des Menschen für Sinnlichkeit zeigt sich eben gerade dort, wo der Lebenssinn angefragt ist. Der Gang über den Friedhof an Allerseelen einen Monat vor Beginn der Adventszeit und die auf den Gräbern leuchtenden Lichter zeigen das menschliche Bedürfnis an, materiell sichtbar zu machen, was letztendlich nur erhofft werden kann. Das Materielle wird als Medium zwischen Immanenz und Transzendenz genutzt und erhält hierdurch Anteil an beiden Welten.
materiell sichtbar machen, was letztendlich nur erhofft werden kann
Dieses Phänomen ist christlich mit den Sakramenten und Sakramentalien der Kirche in den Blick genommen. Thomas von Aquin bestimmt Sakramente als Zeichen für die Gnade Gottes, die diese Gnade nicht nur bezeichnen, sondern die zudem auch bewirken, was sie bezeichnen („efficiunt quod figurant“).[1] Die Sakramente als „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (Lumen Gentium 1) funktionieren darüber, dass der Mensch auf sinnfällige Art und Weise die göttliche Zuwendung am eigenen Leib erlebt und hierdurch erfährt, dass er und sie immer schon in die Heilsgegenwart Gottes hineingenommen ist. Das Sakramentale, das gerade auch in der orthodoxen und katholischen Tradition eine zentrale Bedeutung für das Glaubensleben hat, erfordert somit immer zweierlei: die allem zuvorkommende Bewegung Gottes auf den Menschen zu und die menschliche Offenheit dafür, die Bewegung Gottes in der Vermittlung der kirchlichen Symbole und Zeichen bei sich ankommen zu lassen. Das typisch katholische Prinzip des ex opere operato – kraft des vollzogenen Ritus – sichert in verlässlicher Weise ab, dass es wirklich die göttliche Gnade selbst ist, die in den Sakramenten erfahrbar wird. Gleichzeitig erinnert gerade auch die protestantische Tradition immer wieder an die Bedeutung des menschlichen Adressaten der Heilszuwendung Gottes.
immer schon in die Heilsgegenwart Gottes hineingenommen
Das Zueinander der produktiven und der rezeptiven Seite des Sakraments gestaltet sich in der aktuellen Zeit allerdings zunehmend problematisch. Zum einen ist da die aktuelle Situation der Kirche, die aufgrund von Missbrauchskrise und einem Hadern mit den Zeichen der Zeit zumindest im deutschen Kontext die Frage aufkommen lässt, wie gläubige Menschen im zeichenhaften Handeln der Kirche noch die Liebe Gottes erkennen können. Die Kirche steckt in einer Vertrauens- und Glaubwürdigkeitskrise, die – wie dies auch Erwin Dirscherl und Markus Weißer in ihrem Anfang 2022 erschienenen Sammelband zur Sakramententheologie aufgeworfen haben – es vielen Gläubigen schwieriger macht, in dem in der Person Christi handelnden Priester wirklich das Handeln Christi selbst zu erblicken.[2] Wenn persönliche Erfahrungen mit der Kirche dazu führen, dass man in den traditionellen Formen des kirchlichen Heilshandelns schlichtweg nichts mehr spürt von dem, was die Kirche ja eigentlich intendiert, stellt sich die Frage nach neuen Erfahrungsweisen der unbedingten Zuwendung Gottes. Entsprechend gibt auch Gregor Hoff zu bedenken: „Die repraesentatio Christi gelingt nicht länger von der Seite repräsentativer Bevollmächtigung her, insofern sie kirchenrechtlich gesetzt und verbürgt ist. Die Logik des kirchlichen Zeichengebrauchs verändert sich mit seiner Rezeption im Volk Gottes.“[3] Dann braucht es ein verstärktes Hören auf die Bedürfnisse der Gläubigen, um den Zusammenhang von Nächsten-, Selbst und Gottesliebe kirchlich spürbar werden zu lassen.
nichts mehr spüren von dem, was die Kirche ja eigentlich intendiert
Die Ästhetik des Sakramentalen speist sich also nicht nur aus den Vorgaben durch Schrift und Tradition, sondern ist zudem immer auch darauf verwiesen, die empfangende Seite in den Blick zu nehmen, um wirklich als wechselseitiges Geschehen verständlich werden zu können. Entgegen der Annahme jedoch, ein rezeptionssensibles Verständnis der Sakramente müsse allein dem Prinzip der Bedürfnisorientierung der Gläubigen dienen, bringt Isabella Guanzini die Kategorie des Begehrens im Kontext einer Ästhetik der Sakramente ins Spiel.[4] Sie kritisiert die Überlagerung der Liturgie mit ästhetischen Formen, wodurch „das Sakrament seinen Charakter als Besiegelung eines performativ-affektiven Wortgeschehens“[5] einbüße. Durch die ästhetische Ausgestaltung des sakralen Raums verliere das eigentliche Sakrament seine Kraft, da die Momente des Durchlässigen, Entzogenen, Geheimnishaften getilgt würden: „Der Versuch, die Oberfläche emotional und künstlerisch zu inszenieren, dient mehr dem Genießen des Objekts als dem Begehren des Subjekts und seiner unbestimmbaren Sehnsucht nach dem Anderen, der noch fehlt.“[6] Wenn Guanzini festhält, dass es bei sakramentalen Formen „um eine Möglichkeit des An-die-Oberfläche-Kommens, die das Begehren nach dem Geheimnis nicht sättigt, sondern es dank der materiellen Offenheit ihres symbolischen Charakters lebendig hält“[7] geht, dann ist hiermit die menschliche Dynamik des Vermissens akzentuiert, die die Differenz-Einheit symbolischer Vollzüge in den Blick nimmt. Die Kategorie des Begehrens bringt also die Unverfügbarkeit der göttlichen Zuwendung zum Ausdruck, die allerdings im Modus des Vermissens genau diese Transzendenzbewegung abbildet, die allen religiösen Vollzügen gemeinsam ist.
Begehren der Unverfügbarkeit der göttlichen Zuwendung im Modus des Vermissens
Diese Dynamik von Erfahrbarkeit und Entzogenheit von Sinn durch Sinnlichkeit wird auch an Weihnachten spürbar. Entsprechend der Kategorie des Begehrens kann eine Reduzierung der Weihnachtslichter entsprechend sogar sinnvoll sein, solange sie nicht vollständig zum Erlöschen gebracht werden.
Autorin: Dr. Cornelia Dockter ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Systematische Theologie unter besonderer Berücksichtigung gesellschaftlicher Herausforderungen an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Bonn.
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[1] Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, Tertia Pars, Quaestio 62, Artikel 1.
[2] Vgl. Erwin Dirscherl/Markus Weißer, Zur Theologie der Sakramente. Aktuelle Anfragen in Krisenzeiten, in: dies. (Hg.), Wirksame Zeichen und Werkzeuge des Heils? Aktuelle Anfragen an die traditionelle Sakramententheologie (QD 312), Freiburg i.Br. 2022, 13-26, hier 15, 24f.
[3] Gregor Maria Hoff, Die Sakralisierungsfalle. Zur Ästhetik der Macht in der katholischen Kirche, in: Gregor Maria Hoff/Julia Knop/Benedikt Kranemann (Hg.), Amt – Macht – Liturgie. Theologische Zwischenrufe für eine Kirche auf dem synodalen Weg, Freiburg i.Br 2020 (QD 308), 267-284, hier 283. – Vgl. Judith Hahn: Körperlicher Entzug, feinschwarz.net, 14.12.2022.
[4] Vgl. Isabella Guanzini, Eine Ästhetik des Sakraments. Zeichen des Heils in der Zeit der Ästhetisierung der Lebenswelten, in: Dirscherl/Weißer (Hg.), Wirksame Zeichen und Werkzeuge des Heils?, 79-101.
[5] Ebd., 90.
[6] Ebd., 92.
[7] Ebd., 93.