Heiligenlegenden bringen tiefe Wahrheiten des Lebens erzählerisch bzw. biographisch zum Ausdruck. Helga Kohler-Spiegel (Feldkirch) spürt den Tiefendimensionen des Heiligen Christophorus nach und zeigt auf, wie hier die Entwicklung des Lebens auf Umwegen gelingen kann.
Christophorus – von gewaltiger Größe und furchtbarem Angesicht, wie es in der Legenda aurea[1] überliefert ist – will dem Mächtigsten dienen. Sein erster Weg führt an den Hof des mächtigsten Königs, doch als er sieht, wie sich dieser bei der Nennung des Namens des Teufels bekreuzigt, sagt Christophorus zum König: „Fürchtest du den Teufel, dass er dir schade, so ist offenbar, dass er größer und mächtiger ist denn du, da du solche Angst vor ihm hast. So bin ich denn in meiner Hoffnung betrogen, da ich vermeinte, dass ich den mächtigsten Herrn der Welt gefunden. Aber nun leb wohl, denn ich will den Teufel selbst suchen, dass er mein Herr sei und ich sein Knecht.“
Christophorus findet den Teufel bei einer Schar Ritter, gelobt ihm seinen Dienst für ewige Zeiten (!) und nimmt ihn zu seinem Herrn an. Doch an einer Wegkreuzung sieht der Teufel ein Kreuz und flieht von der Straße, um das Kreuz zu umgehen. Und wieder erzwingt Christophorus eine Erklärung, worauf er sagt: „So ist denn jener Christus größer und mächtiger denn du, so du sein Zeichen so sehr fürchtest? Also war meine Mühe umsonst, und ich habe den größten Fürsten der Welt noch nicht gefunden.“ Unabhängig von seinem Versprechen auf ewige Treue verlässt Christophorus den Teufel, um Christus zu suchen.
Christophorus sucht seinen Weg, engagiert und kompromisslos, Irrwege inbegriffen.
Es wird eine lange Suche, bis er zu einer Einsiedelei kommt und im Glauben unterwiesen wird. „Der König, dem du dienen willst, begehrt, dass du viel fastest.“ Antwortet Christophorus: „Er fordere von mir ein ander Ding, denn dies vermag ich nicht zu tun.“ Sprach der Einsiedel: „Es ist not, dass du viel zu ihm betest.“ Antwortet Christopherus: „Ich weiß nicht, was das ist, und kann ihm darin nicht folgen.“ Da sprach der Einsiedel: „Weißt du den Fluss, darin viel Menschen umkommen, so sie hinüber wollen fahren?“ Antwortet Christophorus: „Ja, ich weiß ihn.“ Und der Einsiedel sprach: „Du bist groß und stark: Setze dich an den Fluss und trage die Menschen hinüber, so wirst du Christo dem König gar genehm sein, dem du zu dienen begehrst; und ich hoffe, dass er sich dir daselbst wird offenbaren.“ Also ging er zu dem Fluss und baute sich an dem Ufer eine Hütte. Er nahm eine große Stange in seine Hand, darauf stütze er sich im Wasser und trug die Menschen alle hinüber ohne Unterlass.“
Die Legende selbst ist deutlich: Christophorus sucht seinen Weg, engagiert und kompromisslos, Irrwege inbegriffen. „Dem mächtigsten König dienen“ – Sie können sich ausmalen, was Christopherus für den mächtigsten König wohl alles gemacht hat. Heutige Bilder helfen sich vorzustellen, was es alles beinhalten könnte, „dem mächtigsten König zu dienen“. Ist es ein Leben von „immer mehr und immer größer und immer schneller“? Ist es Leben im Dienst von Karriere und Macht? Oder…
Gott sei dank muss der Teufel manchmal am Kreuz vorbei, sonst würden wir nie merken, dass wir noch im Dienste des Teufels stehen
Dann: Ein Leben im Dienste des Teufels – vielleicht kennen Sie solche Phasen im eigenen Leben. Ein Leben im Dienste des „Diabolos“, übersetzt des Anklägers, des Zerstörers, des Miesmachers… Es könnte ein Leben sein gefangen in Verstrickungen, in Abwertung und Gewalt, im Leben auf Kosten von anderen… Manchmal entdecken wir rückblickend: Es war ein Leben „im Dienst des Teufels“.
Gott sei dank muss der Teufel manchmal am Kreuz vorbei, sonst würden wir nie merken, dass wir noch im Dienste des Teufels stehen. „Am Kreuz vorbei“ – manchmal sind es Krankheiten, oder Erfahrungen von Verlust und Trauer, die Menschen nachdenklich machen, die die Augen öffnen.
Christophorus muss seinen eigenen Weg suchen.
Die Legende ist bestechend präzise in den überlieferten Erfahrungen. Tradierte Formen der Gottesverehrung – sie sind bekannt: Beten und Fasten und Almosen geben. Christophorus muss seinen eigenen Weg suchen, einen Weg, der seinem Wesen entspricht. Am Anfang der Legende heißt es: er sei „von gewaltiger Größe und furchtbarem Angesicht“. Diese seine Stärke ist unverzichtbar, um seinen Weg zu gehen und seinen Platz zu finden. So nah am Ziel ist er bereit, alles zu verlieren, nur um sich selbst nicht zu verbiegen, um nicht gegen sein Wesen zu leben. „Er fordere von mir ein ander Ding, denn dies vermag ich nicht zu tun.“ Es macht keinen Sinn, einen Auftrag anzunehmen, den er nicht erfüllen kann, weil er nicht seiner Person und seinem Wesen entspricht. Christophorus ist bestechend klar, auch so nah am Ziel weist er den Auftrag zurück, weil er seinen Weg und seine Art zu leben finden muss, und weil dies zu ihm als Person passen muss.
Irgendwie eine mutige Geschichte.
[1] Jacobus de Voragine, Die Legenda Aurea, übersetzt von Richard Benz, Heidelberg 8. Aufl. 1975, 498. Der Text ist teilweise paraphrasiert, teilweise wörtlich übernommen.
Autorin: Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Pädagogische Psychologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg.
Beitragsbild: Gotisches Christophorus-Fresko im Grazer Dom (Foto Pock)