Der Beitrag von Lara Hielscher über das Cochlea Implantat hat zu intensiven und auch kontroversen Rückmeldungen geführt. Neben Zuspruch gibt es auch Kritik. So von Elke Schwaninger, einer selbst Betroffenen, Hörtherapeutin und langjährig Engagierten, die vor allem die Chancen aufzeigt. Und von Roswitha Rother, seit 24 Jahren Nutzerin von CI.
Frau Hielscher schreibt als Fazit, dass sie „selbst die bilinguale Förderung (gemeint sind Cochlea Implantat plus Gebärdensprache) für einen fraglichen Kompromiss“ hält, da das auch schon zuviel Reparatur bzw. Anpassungsdruck sei. Bei taub geborenen Kindern sollte also rein auf Gebärdensprache gesetzt werden?
Als langjährige Engagierte für Menschen mit Cochlea Implantat, aus meiner beruflichen Erfahrung als Hörtherapeutin für CI-versorgte Kinder UND als Selbstbetroffene (taub, aber dank CIs mit sehr gutem Sprachverstehen) muss ich konstatieren: Den bilingualen Weg abzulehnen, ist nicht nur realitätsfern – es führt auch geradewegs in die Exklusion!
Über 95% der Eltern von taub geborenen Kindern sind normalhörend! Das heißt: Sie beherrschen gar keine Gebärdensprache!
Die Autorin unterschlägt einen wichtigen Fakt: Über 95% der Eltern von taub geborenen Kindern sind normalhörend! Das heißt: Sie beherrschen gar keine Gebärdensprache und müssen diese wie eine Fremdsprache lernen. Bis zu einem annähernd muttersprachlichen Niveau braucht es VIELE Jahre! Es fehlen Kurse und regelmäßige Anwendungsmöglichkeiten!
Und da kommen wir zum zweiten, entscheidenden Punkt: Selbst wenn Eltern Gebärdensprache beherrschen – wie kommuniziert das Kind dann mit der Welt ausserhalb der eigenen vier Wände? Im Kindergarten, mit Nachbarn, in der Schule etc… Dolmetscher sind nicht nur Mangelware, sondern auch nicht 24/7 verfügbar. Sprechen lernen ohne zu hören ist nicht nur extrem mühsam, es ist fast unmöglich, da die eigene Aussprache nicht kontrolliert werden kann.
Wenn man seine Bedürfnisse und Gedanken aber nicht bzw. nur in einem sehr engen Rahmen artikulieren kann, führt dies im Alltag oftmals zu Isolation bzw. Exklusion.
Und nicht zuletzt existiert ein signifikanter Zusammenhang zwischen gutem Hören, Lautspracherwerb und Schriftsprach- bzw. Lesekompetenz! Und daran wiederum hängen entscheidende Bildungschancen.
Es gibt aktuellere und deutlich positivere Forschungsergebnisse zum Lautspracherwerb mit CI.
Früh bilateral mit Cochlea Implantat versorgte Kinder haben gute Chancen auf einen altersgemäßen Spracherwerb. Der von der Autorin angeführten Szagun-Studie können mittlerweile aktuellere und deutlich positivere Forschungsergebnisse zum Lautspracherwerb mit Cochlea Implantat entgegengesetzt werden.
Wer diese Fakten ausklammert und die langfristigen psychosozialen Folgen von Gehörlosigkeit verklärt, hat die Komplexität des Themas leider verfehlt.
Cochlea Implantate sind ein modernes Wunder!
In eine ähnliche Richtung geht der Kommentar von Roswitha Rother:
Ich kann als langjährig Betroffene und in der Selbsthilfe Engagierte nur unterschreiben, was Frau Schwaninger darstellt. Die Studien von Frau Szagun, auf die sich bezogen wird, haben Kinder untersucht, welche in den Jahren 1996-2000 und 2000-2005 implantiert wurden. Nur 23% davon beidseitig. Ein nur sehr geringer Teil im 1. Lebensjahr. Die Ergebnisse lassen sich nicht auf heutige technische Voraussetzungen, regelhafte beidseitige Versorgung und durch Neugeborenenhörscreening früheres Implantationsalter übertragen.
Auch finde ich in keiner der Originalstudien eine Aussage, die das Zitat belegt: „Während die Hälfte der Kinder, die in den ersten Lebensjahren CIs erhalten, altersgemäß sprechen lernen, kann die andere Hälfte kurz vor ihrer Einschulung nur einzelne Wörter oder Zwei-Wort-Sätze sprechen.[2] Das kann kaum als gelungene Kommunikation bezeichnet werden“. Zumindest entspricht das nicht dem heutigen Stand der CI-Versorgung.
Solche Darstellungen verunsichern Eltern noch zusätzlich, ebenso die Andeutung, dass es zu psychischen Problemen durch Implantation kommen könnte, als „guten“ Grund anzuführen sich gegen ein CI zu entscheiden. Ohne jegliche wissenschaftliche Grundlage so etwas zu postulieren, ohne gleichzeitig auch die Probleme unversorgter Gehörlosigkeit zu benennen, halte ich für eine einseitige Darstellung.
Im Übrigen sind zumindest für mich Cochlea Implantate ein modernes medizinisches Wunder, seit 24 Jahren kann ich damit wieder hören und an der hörenden Welt teilhaben.
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Beitrag von Lara Hielscher vom 14.2.2020: