Andere Kirchen, andere Probleme. Basilius J. Groen gibt Einblick in eine sakramententheologisch wie praktisch spannende Diskussionslage der Orthodoxie zu Zeiten von Corona.
Im Idealfall sollte bei der eucharistischen Kommunion jede Infizierungsmöglichkeit ausgeschlossen sein. Die Coronavirus-Krise und das Vorgehen bei der Kommunion im byzantinischen Ritus machen jedoch klar, dass dies gar nicht selbstverständlich ist. Im Folgenden konzentriere ich mich auf die Lage in Griechenland, kirchlich betrachtet ein fast gänzlich orthodoxes Land, in dem das Thema dieses Beitrags besonders virulent ist.
Der gemeinsame Kommunionlöffel
Anders als das Bild des ‚gemeinsamen Kelches‘ – die ökumenische Zukunftsvision, in der die getrennten christlichen Denominationen endlich gemeinsam Eucharistie feiern – betrifft der ‚gemeinsame Löffel‘ die konkrete heutige Kommunionspraxis der orthodoxen Kirche sowie jener katholischen Ostkirchen, die dem byzantinischen Ritus folgen. Dabei wird die aus einer Mischung von konsekriertem Brot und Wein bestehende Kommunion mit einem versilberten oder vergoldeten Löffel ausgeteilt; für alle KommunikantInnen wird derselbe Löffel verwendet. Zuvor sind die konsekrierten Gaben von Brot und Wein am Altar im Kelch miteinander vermischt worden und bei der Kommunion wird ein kleiner Teil dieser Mischung den Gläubigen vom Priester oder Bischof mittels des mit einem langen Stiel ausgestatteten Löffelchens in den Mund gegeben.
Als zu Beginn des Jahres 2020 die Covid-Pandemie ausbrach und die griechischen Staatsbehörden dem gesellschaftlichen Leben Zügel anlegten – bald mit strengen Maßnahmen, bald mit Lockerungen –, betraf das auch die Gottesdienste. Sie wurden entweder ausgesetzt und die Kirchengebäude wurden geschlossen oder die Feiern konnten nur unter bestimmten Hygienebedingungen stattfinden. Oft wurde die Liturgie in leeren Kirchen gefeiert und man konnte sie zu Hause über Radio, Fernsehen, Internet oder per Livestream mitverfolgen.
Eine ‚Superspreader‘-Gelegenheit?
Obwohl die Staatsbehörden sich über die Art, wie die Gläubigen normalerweise die Kommunion empfangen, nicht äußerten, entstand in der griechischen Gesellschaft eine einschlägige heiße Debatte. Wäre die Tatsache, dass alle KommunikantInnen die eucharistischen Gaben vom selben Löffel bekommen, nicht ein ‚Superspreader‘-Ereignis, das die Ausbreitung der Pandemie fördern und zum Tod anderer Gläubigen beitragen würde? Unser Thema ist umso schwerwiegender, da inzwischen eine stattliche Anzahl von Gläubigen und Klerikern, einschließlich Bischöfen, verstorben ist. Dabei könnte die Kommunionspraxis eine wichtige Rolle bei der Infizierung gespielt haben.
Die Bestürzung und die lebhaft geführten Diskussionen riefen bei der Kirchenleitung unterschiedliche Reaktionen hervor. Wie in vielen anderen orthodoxen Kirchen erklärte auch die Heilige Synode (Bischofskonferenz) in Athen, es sei unmöglich, dass die Kommunion des Leibes und Blutes des Herrn Krankheiten verursachen würde, weil die Eucharistie das Sakrament der Unsterblichkeit sei. Die Metropoliten und der Erzbischof betonten, die Kommunion schütze gerade vor spiritueller und physischer Krankheit jedweder Art; das hätte sie ja immer schon gemacht und das sei auch jetzt noch so. Zum Missfallen einiger KollegInnen pflichtete auch eine bekannte Virologin diesem Standpunkt bei.
Die Eucharistie als das Sakrament der Unsterblichkeit könne nicht krank machen.
Zudem führte man an, dass die Art, wie man kommuniziert, sowieso unveränderlich sei, weil die Kirche es immer so gehandhabt hätte und man nicht berechtigt sei, diese ehrwürdige Tradition eigenmächtig zu verändern. Als die Pandemie jedoch länger anhielt, wurde in einigen Pfarrgemeinden der Löffel nach jedem Kommunikanten/jeder Kommunikantin sorgfältig desinfiziert. Allerdings zogen viele besorgte Gläubige vor, auf die Teilnahme am himmlischen Gastmahl ganz zu verzichten. Dieser Verzicht stellt dabei übrigens keine Besonderheit dar, weil viele Gläubige nur selten die Kommunion empfangen.
Um aus der Not eine Tugend zu machen, unterstrichen manche TheologInnen den Stellenwert des eucharistischen Fastens und dass man nach einer langen Fastenzeit das heilige Abendmahl umso mehr genießen würde. Zudem legten sie dar, mittels Enthaltsamkeit gefährde man andere nicht, Verzicht sei also ein Zeichen der Nächstenliebe. Ministerpräsident Konstantinos Mitsotakis, ein bekennendes Mitglied der orthodoxen Kirche, äußerte sich ähnlich. Des Weiteren, sagten die TheologInnen, könne man Kirche-Sein auch im Gebet zu Hause und in Caritas/Diakonie, wie beispielsweise durch die Unterstützung der Notleidenden, zum Ausdruck bringen.
Alternative Modelle
Mitten in der Pandemie gab und gibt es jedoch auch andere Modelle des Kommunionsempfanges. Im orthodoxen Rumänien wurde es den Kommunizierenden erlaubt, ihre eigenen Löffel von zu Hause mitzunehmen, um mittels derer die eucharistischen Gaben in den Mund gereicht zu bekommen. Des Weiteren sieht man in der Orthodoxen Kirche der Ukraine auch, dass der Priester jeweils ein Stück des heiligen Brotes in den Kelch eintaucht und es den Kommunizierenden auf die mit einem Tüchlein bedeckte Hand legt, wonach sie es selbst in den Mund nehmen. In diesem Fall benötigt man gar keinen Löffel!
Das dritte Beispiel betrifft das Patriarchat von Konstantinopel, zu dessen Jurisdiktion auch ein beträchtlicher Teil Griechenlands gehört. Die Hl. Synode am Bosporus möchte zwar nachdrücklich an der traditionellen Kommunionsweise mit dem gemeinsamen Löffel festhalten – das gilt auch für die Kirche Zyperns –, hält jedoch, wenn auch nur vorläufig und ausschließlich aufgrund der Coronavirus-Gesetzgebung und der außerordentlichen Umstände (Prinzip der oikonomia), die Möglichkeit gemäß der alten Jakobusliturgie offen, die noch die Kommunion in zwei separaten Gestalten von Brot und Wein kennt und in der jede/r sich das Brot selbst in den Mund gibt und vom Kelch trinkt.
In der griechisch-orthodoxen Metropolie von Österreich zum Beispiel wird dies empfohlen. Das ist ebenso der Fall im riesigen US-amerikanischen Erzbistum, wo man mancherorts auch eine andere Praxis beobachten kann, nämlich die Verwendung einer Vielzahl von kleinen Holzlöffeln, einer für jede Person, mit einer damit einhergehenden Diskussion über das Material solcher Löffelchen: Holz oder Leichtmetall, dauerhaft oder nicht, zum Reinigen und Wiederverwenden oder zum Einmalbenutzen und danach Verbrennen.
Theologische Hintergrundprobleme
Ein paar diskutable Themenfelder möchte ich hier anreißen. Erstens in Bezug auf die oft gehörte Aussage, dass die heutige Kommunionsweise im byzantinischen Ritus die althergebrachte sei und auf den Herrn Jesus Christus und seine Apostel selbst zurückgehe. Diese Aussage ist nicht richtig. Es gab nie eine uniforme Kommunionspraxis. Was das Letzte Abendmahl und die sogenannten Einsetzungsberichte im Neuen Testament betrifft, finden wir bereits unterschiedliche Ritualabläufe und Deuteworte vor. Zudem verzehrte man jahrhundertelang die beiden Gestalten separat.
Keine uniforme Kommunionpraxis
Die heutige Praxis des gemeinsamen Löffels stammt aus dem elften, zwölften Jahrhundert. Diese Erneuerung fand aus praktischen pastoralen, nicht aus dogmatischen Gründen statt; es gibt keinen Konzilsbeschluss dazu. Übrigens betraf die Erneuerung ausschließlich die Laien; der Klerus verzehrt die beiden Gestalten immer noch separat. Weil die Tradition fließend ist, sich verändert, gibt es keinen Grund, warum das auch jetzt nicht wieder geschehen könnte.
Meine zweite Bemerkung bezieht sich auf die Sakramententheologie. Viele sind davon überzeugt, dass die Eucharistie das Medikament der Unsterblichkeit sei und die Kommunion als Leib und Blut des Herrn gar keine Krankheiten verursachen könne, sondern als geistliche Arznei diese zu heilen vermag. Aufgrund der Inkarnation in Jesus von Nazareth habe Gott das Mensch-Sein vollständig angenommen und geheiligt, ausgenommen das Vermögen zu sündigen. Der Heiligungsvorgang geschehe par excellence stets aufs Neue bei der Kommunion und betreffe nicht nur die Gläubigen, in denen Christus in eucharistischer Gestalt seine Zelte aufschlägt und sein Blut durch die Venen der Kommunizierenden fließen lässt; der Mensch stelle eine Einheit von Leib und Seele dar und daher sei die Kommunion nicht nur spiritueller Art.
Der realsymbolische Charakter der Eucharistiefeier
Der einschlägige Heiligungsvorgang betreffe auch die materiellen Gegenstände, wie den Kelch und das Löffelchen, die dabei verwendet werden. Wir haben es hier mit einem materiellen Sakramentenrealismus zu tun, der dem realsymbolischen Charakter der Eucharistiefeier zu wenig gerecht wird – realsymbolisch in dem Sinne, dass es sich nicht nur um ein Zeichen handelt, sondern dass in etwas Sichtbarem eine unsichtbare Wirklichkeit aufscheint. Aus gläubiger Perspektive lassen sich die Göttliche Liturgie gewiss als die Quelle des Lebens und Christus als der Arzt von Leib und Seele betrachten, aber dieses symbolische, metaphorische Sprechen ist keineswegs mit Magie gleichzusetzen.
Die Wandlung betrifft nicht die physischen Merkmale der Gestalten von Brot und Wein.
Damit eng zusammenhängend ist der Konsekrationsvorgang. Der Heilige Geist wird in der Anaphora (Hochgebet) angefleht, herabzukommen und die eucharistischen Gaben ‚wirklich und wahrhaft‘ in Leib und Blut Christi zu verwandeln. Die Wandlung betrifft jedoch nicht die physischen Merkmale der Gestalten von Brot und Wein; konsekriertes Brot bleibt Brot, wie Christus sowohl der Sohn Gottes als auch Mensch ist.
Der gelehrte Mönch Nikodimos vom Heiligen Berg Athos warnt um das Jahr 1800 nachdrücklich davor, das konsekrierte Brot verderben zu lassen. Und was den gemeinsamen Löffel betrifft, empfiehlt er dem Klerus im Fall von Seuchen, den Kranken die Kommunion aus einem separaten Gefäß zu spenden. Jedenfalls ist es klar, dass der hl. Nikodimos, eine Galionsfigur der Orthodoxie, sehr wohl um die Gefahren des Kommunionsempfanges in Zeiten von Seuchen weiß und dazu bereit ist, die bestehende Kommunionsweise der gefährlichen Situation anzupassen.
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Baslilius J. Groen ist Prof. em. für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Graz.
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