Über sich hinauswachsen und miteinander wachsen – für Theresa Theis zwei wichtige Aspekte in ihrem Sport und ihrem Glauben. In Bewegung und Glauben findet sie Freiheit und Stärke.
6.30 Uhr an einem Mittwochmorgen in Berlin – die Straßen sind gähnend leer, die Ampeln stehen auf Grün. Während der Großteil der Millionenstadt noch zu schlafen scheint, bin ich unterwegs zu meiner „Box“, um gleich mein Training zu absolvieren. Ich muss auf ALLES vorbereitet sein – gymnastische Übungen an den Ringen oder am Rig; Lifts aus dem olympischen Gewichtheben; kardiovaskuläres Intervalltraining auf dem Ruderergometer; Sprints; Handstandlauf – all das ist CrossFit.
Zusammen mit meiner Trainingsgruppe stelle ich mich jeden Tag aufs Neue den Anforderungen, die das WOD (Workout of the day) vorgibt und ziehe das Training durch. Nein, ich kneife nicht; ich höre nicht einfach mittendrin auf; ich beiße mich durch bis zum Schluss. Das Motto lautet hier: „Be prepared for the unknown! Raus aus der Komfortzone!“. Und danach? – Endorphine brechen sich Bahn: ein Gefühl schier endlos scheinender Ausgeglichenheit – egal, was mein restlicher Tag an Herausforderungen bereithält – ich fühle mich innerlich befreit und mental stark ihnen zu begegnen.
Ein Gefühl schier endlos scheinender Ausgeglichenheit.
Meines Erachtens, und das überrascht jetzt vermutlich nicht, gehören Glaube und Bewegung (für mich speziell Crossfit) zusammen und sind als das „Dreamteam“ schlechthin von unermesslicher Bedeutung für unser Leben. Warum? Ich möchte dies in zwei Punkten ausführen.
1) “Über sich hinauswachsen“ – persönliche Transformation und Körperlichkeit
Wenn ich an der Langhantel stehe und die Gewichtsscheiben geladen habe, warnt mich mein Kopf nie: Hey du, das ist viel zu schwer; das schaffst du niemals! Er sagt mir auch nie, dass ich zu klein, zu groß, zu schmal, zu breit oder zu unfähig sei, für diese oder jene Übung. Und das Schönste: ich kann mir sicher sein, dass mich meine TrainingspartnerInnen bei jedem Lift (ob er nun gelingt oder nicht) mental unterstützen und hinter mir stehen. Und genau diese Umgebung und das Gefühl des Angenommenseins haben mich gelehrt, an meinen Stärken und Schwächen und damit auch an mir selbst zu arbeiten. Da verurteilt mich keiner. Ich bin ich und ich darf so sein, wie ich bin. Durch Crossfit habe ich mich und meinen Körper anders kennenlernen dürfen und erfahren können, was so alles in mir steckt.
Ich habe gelernt, wie wichtig es manchmal ist, sich die Zeit für sich zu nehmen, um neu den Bedürfnissen von Körper und Seele zuhören zu können. Matthäus schreibt: „Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft.“ (Mt 12,30). Er meint unsere Person im Ganzen: geistige, emotionale, körperliche Funktionen des Menschen sind unlösbar miteinander verbunden – das Herz und das Denken sind die Orte, wo wir Entscheidungen treffen; die Seele ist das, was uns ausmacht , wo wir ganz wir selbst sind, in unserer Beziehung zu Gott – und unsere Kraft? – die hat auch mit unserem Körper zu tun und damit, dass wir physische Lebewesen sind, die in dieser Welt leben und arbeiten. Christ/in sein ist allumfassend – ja Christ/in sein ist Mensch sein – und das heißt nach biblischem Befund ganz klar: Leibhaftig sein – Körper und Seele sein. Johannes schreibt: „Und das Wort ist Fleisch geworden […]“ (Joh 1,14) –das heißt „ganzer Mensch“ – Körper und Seele – Gott wird wahrer Mensch mit Muskeln, Sehnen, Bändern, mit Haut und Harren – zum Anfassen.
2) „Miteinander wachsen“ – Weggemeinschaft
Im CrossFit ist Community alles: Die Atmosphäre des gemeinsamen Erlebens von körperlicher Grenzerfahrung und gegenseitiger persönlicher Unterstützung, die eine derartige Grenzerfahrung erst ermöglicht schweißt wahrlich zusammen. Das Training ist von einem respektvollen Miteinander geprägt, welches sich in einer sich gegenseitig unterstützenden Gemeinschaft zeigt, in der der Letzte der Erste sein wird und einer gemeinsamen Sprache, mit der sich alle verstehen. Dort sind Menschen, die um dich herumstehen und dich durch das Workout pushen – sich gegenseitig motivieren und unterstützen – merken, wie man von Woche zu Woche stärker, besser und schneller wird.
Eine Gruppe unterschiedlichster Personen verschiedenen Alters, Herkunft, Statur, körperlicher Verfassung – zusammengewürfelt in einem Raum mit demselben Ziel: das WOD zu absolvieren und das Training zu meistern; jeder ganz individuell in seinem Tempo, mit seinem Gewicht, mit seiner Ambition. Kein/e Einzige/r ist nicht talentiert genug, zu schwach, zu dick, zu dünn oder zu unfit.
Sport und Bewegung bieten uns die Möglichkeit, Glanzmomente des Lebens aber auch Erfahrungen des Scheiterns zu teilen und miteinander zu durchleben. Hier formuliert Papst Franziskus ganz treffend, dass die Schönheit des Sports im Miteinander-Teilen, im „Nicht-Losgelöst-Sein“ von den Menschen um uns herum liege. Im Sport lerne man das, was das Evangelium lehrt und zwar im Tempo unserer Mitmenschen zu gehen, die ein anderes Tempo haben als man selbst – oder zumindest Rücksicht auf sie zu nehmen und in gewisser Weise den Gleichschritt zu suchen.
Nachspiel
Alles was wir in der Welt tun, tun wir als Körper“! (nach Rudolf Bultmann) Unser Körper ist das Medium, mit dem wir in der Welt sind – wir begreifen mit Seele und auch mit Körper und deshalb braucht unser Körper Raum – die CrossFitbox ist ein solcher Raum; dort zeigen wir uns und einander, dass wir da sind – dort begegnen sich unsere leiblichen Ichs.
Crossfit hat mich stark gemacht und macht es auch noch immer – nicht um anderen überlegen zu sein, das ist nicht mein Ziel. Es fordert mich auf, mehr an mich zu glauben, denn ich habe entscheidenden Anteil an meiner Weiterentwicklung. Sich selbst vertrauen und sich selbst mehr zutrauen, Selbstzweifel ausblenden – das würde so guttun. Uns allen. Immer und immer wieder.
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Text: Theresa Theis arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Berliner Institut für Religionspädagogik und Pastoral (BIRP) an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin.
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