Nicht mehr Individualismus, Seele, freier Wille – sondern der technologische Imperativ des „Dataismus“. Der israelische Universalhistoriker Yuval Noah Harari entwirft in seinem neuen Buch Homo deus eine pessimistische Zukunftsvision. Siegfried Weichlein hat es für Feinschwarz gelesen.
Big History hat Konjunktur. Menschheitsgeschichten sind auf dem Markt, sogar Geschichten der Zukunft, auch wenn Historiker bekanntlich rückwärtsgewandte Propheten sind. Das Genre ist eigentlich alt, uralt sogar, war aber in Verruf gekommen. Menschheitsgeschichte oder Universalgeschichte stand im Verdacht, große Ideensysteme ungeprüft auszubreiten und Rechtfertigung für Religionen und Reiche zu betreiben. Die Big History setzt sich davon entschieden ab, indem sie empirisch überprüfbare Aussagen macht und riesige Datenreihen aus der Physik, der Biologie, der Anthropologie und der Soziologie benutzt. Werkzeugtechnik spielt eine große Rolle genauso wie Warenströme, Hirnveränderungen und Siedlungsbau. Anders als die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist Big History tendenziell weniger politisiert. Sie erlaubt es, einen großen Schritt zurückzutreten, was heilsam sein kann. Ihre prominenten Vertreter kommen aus den USA, den Niederlanden und aus Israel. Es überrascht nicht, dass zu den Themen der Big History die Religionen gehören, begleiten sie doch die Geschichte der Menschheit.
Eine kurze Geschichte der Menschheit
Der israelische Historiker Yuval Noah Harari von der Hebrew University in Jerusalem ist einer der prominentesten Vertreter dieser neuen akademischen Subdisziplin. 2011 veröffentlichte er eine „Kurze Geschichte der Menschheit“, die zum Bestseller wurde und in über 40 Sprachen übersetzt wurde. Sein jüngstes Buch „Homo Deus“ ist eine „Geschichte von morgen“ auf 600 Seiten. Die Pointe dieses Buches ist, dass die künstliche Intelligenz von heute und morgen keine weitere Entwicklungsstufe der Menschheit ist, sondern ein Quantensprung in der Menschheitsgeschichte.
Transhumanismus ist die Zukunft
Die Zukunft wird von der Vergangenheit nicht graduell, sondern prinzipiell verschieden sein. Am deutlichsten wird das beim Thema ‚Leben’. Heilkunde und Medizin haben bisher das Leben selbst nicht wirklich verlängert. Sie haben in vielfacher Weise dafür gesorgt, dass Menschen nicht früher sterben, als es ihr Körper erzwingt, dessen Bauplan endlich ist und ein natürliches Verfallsdatum hat. Der Unterschied zwischen der tatsächlichen und der möglichen Lebenszeit wurde immer kürzer. Die Möglichkeiten der Gentechnik und des bio-engineering eröffnen erstmals die Möglichkeit, das Leben selbst über die bisher biologisch mögliche Lebenszeit hinaus zu verlängern. Die Zukunft wird sich daher qualitativ von der Vergangenheit unterscheiden. Ein anderes Beispiel ist die künstliche Intelligenz, die es möglich erscheinen lässt, dass Computer einmal auf uns herabschauen wie wir auf das Haushuhn blickten. Der Humanismus, der für Harari die bisherige Religion verkörpert, wird so vom Transhumanismus abgelöst.
Gleichheit ist out, Unsterblichkeit ist in
Damit verrücken sich so ziemlich alle Grunddaten der Religionsgeschichte. Religionen sahen im Leben nämlich nie das höchste Gut. Vielmehr gab es etwas danach oder darüber, das wichtiger war und wozu das Leben hinführte. Religionen haben daher ein entspanntes Verhältnis zum Tod, der als Übergang gesehen wird. Der Arzt diagnostiziert Krankheiten aller Art. Er wird aber nie zu dem Urteil kommen: „Sie haben Tod.“ Genau das aber, „Den Tod überwinden“ ist das Motto des Homo Deus. Das haben sich zumindest führende Investoren und Technologiefreaks in Kalifornien wie Peter Thiel und Sergey Brin fest vorgenommen. Ihr Motto ist: „Gleichheit ist out. Unsterblichkeit ist in.“ Helfen soll dabei die Gentechnik, besonders genetisches Engineering und die künstliche Intelligenz. Harari traut mit Peter Thiel dem Menschen des 21. Jahrhunderts eine schier göttliche Schöpfungs- und Zerstörungsmacht zu. Der Mensch der Zukunft strebt nach göttlicher Macht, nicht nach Sinn. Er wird Homo Deus sein. Seine Religion ist der Dataismus.
Religion der Technik
Vieles daran liest sich utopisch. Technik und Wissenschaften haben schon immer ihren festen Platz in Utopien und der Dystopien. Vieles aus „Homo Deus“ findet sich in der Literatur zum Transhumanismus seit den neunziger Jahren. Teilweise liest sich Homo Deus wie das Buch zum Film „Matrix“. Die Schwachstellen dieser Geschichte sind außerdem sofort zu erkennen. Yuval Harari kommt ohne das nach wie vor ungeklärte Rätsel des menschlichen Bewusstseins aus, also ohne die Fähigkeit, sich immer noch einmal reflexiv auf alles das beziehen zu können. Auch ufert sein Begriff der Religion aus und wird unscharf. Science wird zur Religion, Unsterblichkeit sowieso. Die Kritiker haben hier sofort den Hebel angesetzt.
Der Kommunismus war die erste konsequente Technikreligion
Wenn man zudem den Größenwahnsinn darin abzieht, bleibt dennoch etwas übrig. Homo Deus enthält rückwärts auf die Gegenwart gelesen vielleicht zwei erhellende Beobachtungen. Da ist zum einen die Technikreligion. Sie bestimmt die Zukunft, die zutiefst religiös sein soll. Der Kommunismus war die erste solche konsequente Technikreligion. Er setzte zur Entfaltung der Produktivkräfte mit voller Kraft auf Wissenschaft und Technik. Nimmt man die „Geschichte von Morgen“ zum Maßstab, dann ist dieser Kern des Kommunismus nicht verschwunden. Lassen wir uns nicht täuschen. Die Sowjetunion ist untergegangen. Ihr fanatischer Glaube an „Wissen ist Macht“ ist lebendiger denn je.
Die einfallslosen Religionen
Dann sind da zum anderen die Religionen und die Kirchen. Im Mittelalter und in der Neuzeit förderten die christlichen Kirchen Technik und Wissenschaft. Universitäten entstanden und Klöster waren Bildungseinrichtungen. Diese wissensproduktive Seite der Religionen ist aber stark in den Hintergrund getreten. Rabbinern, Priestern und Imamen fällt im 20. Jahrhundert nichts mehr ein, was sich mit Antibiotika, Computern und Feminismus vergleichen ließe. Die Religion ist im 20. Jahrhundert in der Defensive. In den Worten von Yuval Harari: „Religionen, die den Bezug zu den technologischen Realitäten der Gegenwart verlieren, verlieren ihre Fähigkeit, die Fragen, die gestellt werden, überhaupt zu verstehen.«
Yuval Noah Harari: Homo Deus. Eine kurze Geschichte von Morgen. Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn. C.H. Beck Verlag, München 2017, 576 S. 24,95 €.
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Siegfried Weichlein lehrt Zeitgeschichte an der Universität Freiburg i.Üe.