Katharina von Kellenbach, in den USA lehrende deutsche Theologin, zu den ersten vier Monaten von Donald Trump. Eine Analyse, ausgehend von einigen Feststellungen Dietrich Bonhoeffers.
Seit Trump vor vier Monaten für das höchste Amt der USA vereidigt wurde, lebt die amerikanische Öffentlichkeit im Bann seiner faktenresistenten Dummheiten und großmäuligen Ausfälligkeiten. Der Unwahrheiten und Gemeinheiten sind so viele und sie sind weltweit so bekannt, dass sie hier nicht wiederholt oder widerlegt werden müssen. Wie kann dieser Ausbruch der Unwahrheit im Herzen der amerikanischen Demokratie verstanden werden? Ist es wirksam, sich mit jeder Ungeheuerlichkeit, die vom Weißen Haus aus verbreitet wird, kritisch auseinanderzusetzen?
Dietrich Bonhoeffer stellte 1943 resigniert fest: „Gegen Dummheit sind wir wehrlos.“[1] Tatsächlich hat Donald Trump geschafft, was konservativen Republikanern seit Jahren verwehrt blieb: die systematische „Dekonstruktion des administrativen Staates“, wie sein rechtslastiger Chefstratege Steve Bannon es ausdrückte, auf demokratischem Weg herbeizuführen.[2] Dazu bedurfte es eines Außenseiters, der vielen Wählerinnen und Wählern nicht trotz, sondern wegen seiner bizarren Persönlichkeit und launenhaften Unberechenbarkeit wählbar schien.
Lüge oder Bullshit.
Kennt Donald Trump den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion?
Dieses Phänomen hat zwei Seiten: Zum einen stellt sich die Frage, ob sich Trump seiner Lügen bewusst ist, d.h. ob er weiß, was er tut, wenn er zum Beispiel vor laufenden Kameras wiederholt, er sei wie Angela Merkel telefonisch abgehört worden. Kennt er den Unterschied zwischen Fakt und Fiktion? Zum anderen ist zu fragen, warum seine WählerInnen und republikanischen KollegInnen von seinen ohne Zwang oder Zweck verbreiteten Unrichtigkeiten nicht abgestoßen werden.
Zur Person Trumps besticht die 2005 erschienene Vorlesung des Princeton-Philosophen Harry G. Frankfurt On Bullshit.[3] In einem noch vor der Wahl im Time Magazin veröffentlichten Kommentar bezichtigt Frankfurt Trump sowohl der Lüge als auch des Bullshits. Frankfurt unterscheidet den Lügner vom bullshit artist, weil ersterer gezielt eine Unwahrheit lanciert, um eine Tatsache zu vertuschen, während letzterer generell Humbug verbreitet, um eine von der Realität losgelöste Scheinwelt zu schaffen.
Dem Bullshit-Künstler ist es egal, ob er später von Fakten widerlegt werden kann. Ihm geht es darum, im Moment Kontrolle über seine Hörerinnen und Hörer zu erhalten, indem er ihre Wirklichkeit manipuliert und eine Scheinwelt aufbaut. Bullshit verbirgt keine konkrete Wahrheit, sondern erfindet eine andere Realität, die dem Bullshit-Künstler Vorteile verschafft. Trump bedient sich beider Mittel: Manchmal lügt er, um unbequeme Tatsachen wie seine Steuererklärung zu verbergen, manchmal gaukelt er eine Phantasiewelt vor, in der alle Krankenversicherung, gutbezahlte Jobs, Steuererleichterungen und die Niederlage des IS erleben werden.
Kein intellektueller Defekt, sondern eine soziologische Erscheinung.
Bedrückender als die pathologische Persönlichkeitsstruktur des US-Präsidenten ist die Tatsache, dass die Mehrheit des amerikanischen Wahlvolks einem bullshit-Artisten erlegen ist. Bonhoeffer diagnostizierte ein solches Aussetzen des gesunden Menschenverstandes als „Dummheit“. Er meinte damit keinen intellektuellen Defekt, sondern eine soziologische Erscheinung: „Sie ist eine besondere Form der Einwirkung geschichtlicher Umstände auf den Menschen, eine psychologische Begleiterscheinung bestimmter äußerer Verhältnisse. Bei genauerem Zusehen zeigt sich, daß jede starke äußere Machtentfaltung, sei sie politischer oder religiöser Art, einen großen Teil der Menschen mit Dummheit schlägt. Ja, es hat den Anschein, als sei das geradezu ein soziologisch-psychologisches Gesetz. Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen.“ (15)
Dummheit bezeichnet die freiwillige Unterwerfung unter die Ideologie eines Machthabers. Im Banne des Begehrens nach einem Führer (und ich benutze dieses Wort bewusst), der einem die täglichen Kämpfe und Entscheidungen abnehmen möge, wird die Lüge zum Loyalitätsritual. Für Trump sind Fabeleien keine zufälligen Ausrutscher auf Twitter, sondern integraler Bestandteil seiner Machtergreifung.
Seine Bewegung begann mit der Behauptung, Barack Obama sei kein amerikanischer Staatsbürger, weil er keine Geburtsurkunde vorweisen könnte – eine Unwahrheit, die Trump bis heute, entgegen allen Beweisen, hartnäckig wiederholt. Solche Lügen sind Trump nicht peinlich. Im Gegenteil, sie sind Einladung zur Nachfolge und Unterordnung. Blinder Gehorsam ist, wie Bonhoeffer anmerkt, kein „intellektueller, sondern ein menschlicher Defekt.“
Lüge als Loyalitätsritual.
Auch die politische Elite wird in den Verzicht eigener Positionen gedrängt.
Trumps Strategie, die Loyalität seiner AnhängerInnen über medienwirksame Lügen zu inszenieren, funktioniert beileibe nicht nur bei ungebildeten Menschen der weißen Unter- und Mittelschicht. Im Gegenteil, auch republikanische Senatoren und Abgeordnete finden sich im Netz der Heuchelei gefangen. Jede vom Weißen Haus lancierte Lüge wird zum Ritual der Unterordnung, mit der die politische Elite Washingtons in die Dummheit und den Verzicht eigener Positionen gedrängt wird.
In Bonhoeffers Worten: „Der Vorgang ist dabei nicht der, daß bestimmte – also etwa intellektuelle – Anlagen des Menschen plötzlich verkümmern oder ausfallen, sondern daß unter dem überwältigenden Eindruck der Machtentfaltung dem Menschen seine innere Selbständigkeit geraubt wird und daß dieser nun – mehr oder weniger unbewußt – darauf verzichtet, zu den sich ergebenden Lebenslagen ein eigenes Verhalten zu finden.“ (15f)
Andererseits wirkt die plumpe Grobheit Donald Trumps wie ein Belebungselixir auf liberale und progressive Kräfte. Noch nie waren meine StudentInnen politisch so elektrisiert. Feministische Theologie, die bis vor kurzem noch als Relikt der achtziger Jahre schien, wird angesichts Trumps sexistischer Übergriffe, der Angriffe auf Planned Parenthood und der gesetzlichen Regelung der Abtreibung durch den Supreme Court wieder glühend interessant.
In meinem Kurs zu Religion and Ecology schreiben Studierende freiwillig jede Woche Protestbriefe an unterschiedliche Adressaten. Täglich wird in Washington demonstriert, ebenso auf lokaler Ebene, in Flughäfen und auf Versammlungen. Ganze Staaten sowie viele Städte widersetzen sich offen der Einwanderungs- und Umweltpolitik Trumps; der politische Druck von der Straße ist spürbar und hat bislang nicht nachgelassen.
Innere Selbständigkeit und Klugheit.
Widerstand auf lokaler Ebene.
Der Women’s March, der am Tag nach Trumps Vereidigung weltweit mehr Menschen auf die Straßen trieb als je zuvor, hat sich in lokalen Widerstandsgruppen, genannt huddle groups, im ganzen Land etabliert. Es gibt inzwischen 5448 dieser kleinen autonomen Widerstandszirkel, die auf lokaler Ebene agieren. Die huddle group, die sich um das College im Süden Marylands gebildet hat, meldet Razzien der ICE Einwanderungsbehörden und warnt illegale Menschen, die hier leben und arbeiten, vor drohender Verhaftung und Abschiebung. Die Gruppe bildete ein Familiennetzwerk, das Schulkinder, deren Eltern in Razzien verhaftet und deportiert worden sind, von der Schule abholt und unterbringt. Huddle groups arbeiten im Stillen und versuchen neue Weichen für die nächste Wahl zu legen, indem sie insbesondere Frauen ermutigen, sich auf den Wahlkampf vorzubereiten.
Trump hat in den ersten vier Monaten erheblichen Schaden angerichtet, Umweltrichtlinien ausgesetzt, die Grenzen dicht gemacht, die Wall Street dereguliert, die Forschung finanziell und politisch behindert. Aber: Je deutlicher die Grenzen seiner Macht werden, desto mehr können sich Menschen der Machtentfaltung der Dummheit entziehen.
Um mit Bonhoeffer zu enden: „Übrigens haben diese Gedanken über die Dummheit doch dies Tröstliche für sich, daß sie ganz und gar nicht zulassen, die Mehrzahl der Menschen unter allen Umständen für dumm zu halten. Es wird wirklich darauf ankommen, ob Machthaber sich mehr von der Dummheit oder von der inneren Selbständigkeit und Klugheit der Menschen versprechen.“ (16)
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Katharina von Kellenbach, Ph. D., ist Professor of Religious Studies am St. Mary’s College of Maryland, USA. Von ihr bereits auf feinschwarz: Die USA nach den Wahlen. Ein Bericht aus Washington DC (4. Januar 2017)
[1] Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, hrsg. von E. Bethge, Gütersloh 17., aktualiserte Auflage 2002, 14 f.
[2] Philip Rucker, Robert Costa, “Bannon vows a daily fight for ‘deconstruction of the administrative state’”, in: Washington Post, February 23, 2017.
[3] Harry G. Frankfurt, On Bullshit, Princeton: Princeton University Press 2005; deutsche Ausgabe: Bullshit, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006.