Silke Zäh wirft ihren Blick auf das Gemeinwohl-Projekt „Kulturscheune“ in Sibiu (Rumänien). Es wurde im April 2024 in Frankfurt mit dem Becker-Staritz-Preis ausgezeichnet.
Eine hundert Jahre alte Scheune wurde renoviert und in ein Bildungs-, Kultur- und Sozialzentrum für die Gemeinde von Guşterița (Hammersdorf) umgewandelt. Obwohl die Scheune noch nicht vollständig renoviert ist, haben in ihr schon während der Umbauphase zahlreiche Kultur- und Bildungsveranstaltungen für Kinder und Erwachsene stattgefunden. Am vergangenen Wochenende wurde dem Projekt „Kulturscheune“ der Becker-Staritz-Preis der action 365 in Frankfurt verliehen. Mit dieser Würdigung erhält das Projekt die ihm gebührende Aufmerksamkeit auch in Deutschland, denn es behandelt eine Problematik, die im Kern ein gutes Zusammenleben aller Menschen betrifft.
Die Idee zum Projekt von Alexandru Ioniţă entwickelte sich bereits in Deutschland während seines Promotionsstudiums in der Theologie und noch bevor er nach Rumänen wieder zurückkehrt. In seiner Heimat angekommen, wird ihm schmerzlich bewusst, dass seine Gemeinde verschiedene ethnische Gruppierungen umfasst und seine Aufgabe darin besteht, sie auf irgendeine Art und Weise zusammenzubringen. Aber wie?
Marginalisiert und diskriminiert
In Guşterița, einem Vorort von Sibiu (Hermannstadt) in der Landesmitte Rumäniens, leben mehrheitlich Rumänen neben einer kleinen Gruppe von Nachfahren der Siebenbürger Sachsen. Der größte Teil der Gemeinde sind inzwischen Romn*ja. Es sind oft sehr arme Familien, denen es an essentiellen Dingen fehlt, die sich in einer schweren Situation befinden und starken Diskriminierungen ausgesetzt sind. Die Kinder und ihre Familien haben kaum finanzielle Mittel und leben marginalisiert am Rande der Siedlung. Diese Familien haben kaum Zugang zu Bildung, die ihnen helfen würde, ihre Talente zu Fähigkeiten zu entwickeln. Auch gibt es keine kulturellen Angebote, die ihrem Selbstverständnis entsprechen und dazu beitragen würden ihre Identität und ihr Selbstvertrauen zu stärken – eine wichtige Voraussetzung für ein gemeinsames Zusammenleben vor Ort. Der Wunsch nach einer besseren Zukunft bleibt für für viele ein unerfüllter Traum.
Ein Visionär geht seinen Weg
Noch bevor Alexandru Ioniţă Pfarrer in der Gemeinde Sibiu wird, promovierte er mit Hilfe eines Stipendiums in München. Vier Jahre lang lebte er damals in Deutschland, verbringt die meiste Zeit mit Studien in der Bibliothek. In der übrigen Zeit, in der er für seinen Lebensunterhalt sorgen muss, übt er verschiedene Tätigkeiten für die Bahnhofsmission München und im kath. Männerfürsorgeverein e. V. aus. Die Erfahrungen in diesen sozialen Einrichtungen sollten sein zukünftiges Leben prägen. Sie öffneten ihm zunehmend die Augen für Realitäten – Realitäten, die er vorher nicht gesehen hatte. Realitäten, in denen Menschen von der Gesellschaft diskriminiert und nicht gesehen werden. Im Verborgenen bereiteten diese Erfahrungen einen Weg, den er noch nicht ganz erkennbar vor sich sah.
Der junge rumänisch-orthodoxe Priester erhielt nach seiner Promotion das Angebot für die rumänische Gemeinde in München zu arbeiten. Er lehnte jedoch ab, obwohl die meisten seiner Kollegen nicht nach Rumänien zurückkehrten, denn dort gab es nur wenige berufliche Perspektiven. „Was sollte er mit seiner Zukunft anfangen? Wo sollte er hingehen?“, waren seine Gedanken. Als er eines Tages in der S-Bahn durch die Stadt fuhr, las er einen Satz. Einen Satz, der sein Leben für immer verändern sollte: „Mut haben, bedeutet dahin gehen, wo andere fliehen.“ Mit seinen Erfahrungen aus Deutschland wollte er zurückkehren, mit dem Vorhaben ähnliche soziale Projekte in seinem Heimatland ins Leben zu rufen, aus dem Menschen vor Armut und Perspektivlosigkeit migrieren.
„Ihr dürft nicht in die Kirche rein!“
Für Alexandru Ioniţă war es ein Schock, als er in seiner Gemeinde eintraf: er hatte viele Rom*nja-Familien gesehen, aber keine in der Kirche. Man sagte ihnen: „Ihr dürft nicht in die Kirche rein!“ In der dreißigjährigen Amtszeit seines Vorgängers war den Rom*nja weder der Zutritt zur Kirche noch der Zugang auf das Gelände erlaubt. „Das war schockierend, diese Ausgrenzung mitzuerleben“, sagte Alexandru Ioniţă in seiner Dankesrede für den Becker-Staritz-Preis der action 365, den er mit seiner Kollegin Marinela Ignat entgegennahm. „Es wird hier gegen das Evangelium gehandelt, mir war klar, so kann das nicht weitergehen. Es musste sich etwas ändern“, fügt er hinzu. Seine Gedanken reiften zu einer Idee: Es braucht einen Ort der Begegnung. Einen Ort, der Raum bietet für Veranstaltungen, für Kunst und Kultur, zum Feiern und zum Reden. Räume, in denen die verschiedenen ethnischen Gruppen der Gemeinde die Möglichkeit bekommen zusammenzufinden.
einen Ort schaffen
Im christlichen Glauben einen integrativen Ort zu erschaffen, wurde zu einer wegweisenden Vision. Somit gelang es Alexandru Ioniţă mit seinem Team das Projekt voranzutreiben. Der eigentliche Handlungsantrieb aber war, dass Rom*nja diskriminierungsfrei leben sollten. Nur wenig Budget steht für den Wiederaufbau der Scheune zur Verfügung, doch das macht sich der Pfarrer mit einer weiteren Idee zunutze. Im Kern war ihm wichtig, dass Rom*nja gemeinsam mit den anderen rumänischen Familien an dem Projekt mitwirken können, sodass noch bevor der Ort, zu einem tatsächlichen Ort der Begegnung wird, eine Verbindung zwischen den verschiedenen Gruppierungen entsteht. Mit der Kulturscheune war ihm etwas greifbar vor Augen, dass ein gemeinschaftliches Miteinander ganz ohne Ausgrenzung und Diskriminierung ermöglichen würde. Das trostlose baufällige Gerippe erweckte in Alexandru Ioniţăs die Vorstellung, einen sozialen Raum für seine Gemeinde zu erschaffen. Schon während der Bauphase konnte schließlich durch die Mitwirkung der Gemeindemitglieder etwas Soziales entstehen und den nötigen Glauben für das Gelingen der guten Sache stärken.
Die Kulturscheune bietet Räume der Möglichkeiten
Das Projekt Kulturscheune erwuchs aus einer Kombination von ehrenamtlichen Helfer*innen und Fundraising. Bereits während der Baustellenphase wurden über eine facebook-Seite „SURA CULTURALA GUSTERITA“ Menschen eingeladen mitzumachen und sich ehrenamtlich zu engagieren. Immer mehr Menschen haben davon gehört. Nach und nach entstand auch der Kontakt zu den Rom*nja. Sie hatten nun die Chance gemeinsam mit den rumänischen Familien an dem Projekt mitzuwirken und sich in der eigenen Heimat zu integrieren. Sie hatten die Möglichkeit, ohne Almosen, mit bezahlter Arbeit aus eigener Hand und Kraft etwas für sich selbst zu schaffen. Dabei war auch ein Lohn ein wichtiges Symbol der Anerkennung auf Augenhöhe. In der Mitte ihrer frustrierenden und abweisenden Lebenswirklichkeit entstand etwas Unerwartetes, das Hoffnung keimen ließ.
Heute ist die Kulturscheune Guşteriţa und das dort angeschlossene After-School-Projekt ein Ort der Begegnung, in denen Kinder und Erwachsene ihre Talente und Fähigkeiten entdecken und weiterentwickeln. Das After-School-Programm ermöglicht Kindern aus Rom*nja-Familien Zugang zu individueller pädagogischer Förderung, einem warmen Mittagessen und Nachmittagsbetreuung. Im Sommer gibt es Ferienangebote für Kinder und Jugendliche. Neben Sport-, Musik- und Kunstkursen gibt es Konzerte und Theateraufführungen sowie gemeinsame Feste als Möglichkeiten des Austauschs. Neben Ausstellungen und Aufführungen, welche die Menschen aus der Stadt und der ganzen Umgebung anziehen, werden auch bunte und fröhliche Erntedankfeste gefeiert. Auch lockt die Kulturscheune Besucher*innen mit vielfältigen Angeboten an Workshops, Konzerten und leckerem Essen von Gemeindemitgliedern. Von regelmäßigen Angeboten wie Musikunterricht und Handarbeitskreis, die viel für Oster- und Weihnachtsmärkte und andere Events beitragen, werden kleine, aber regelmäßige Beträge eingenommen, die das Projekt Kulturscheune Guşteriţa am Leben halten. Gleichzeitig werden dabei kulturelle Traditionen aufgegriffen und wieder mit neuem Leben gefüllt.
Gemeinsames Leben teilen
Auch wenn das Projekt der Kulturscheune in Rumänien unprätentiös in Erscheinung tritt, so entfaltet es mit seiner Wirkung für die Menschen im Land strahlenden Glanz, wirft ein gutes Licht auf die eigene Heimat, weckt Vertrauen und Hoffnung in den Menschen, besonders bei den Rom*nja, die bislang eher ausgegrenzt wurden. So wird eine marode 100 Jahre alte Scheune nicht nur zu einem kulturellen Gemeinschafts- und Begegnungsort, sondern hier ebnet sich ein Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft des gemeinsamen Leben-Teilens.
Mehr Informationen und Spendenmöglichkeiten zur Weitererhaltung der Kulturscheune und mehr zum bunten Programm für Mensch und Land, lesen Sie hier: https://www.suraculturala.ro/
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Silke Zäh, 1980 in Darmstadt geboren, studierte Vergleichende Sprachwissenschaft und Komparatistik in Mainz. Zwischendurch schreibt sie für verschiedene online- und print-Medien. Als Pressereferentin arbeitet sie seit 2019 für die action 365 in Frankfurt am Main.
Silke Zäh
Bild: Quelle: https://www.suraculturala.ro/