„Eine Frau … ein Drache … wollte ihr Kind verschlingen.“ (Offb 12). Apokalyptische Szenarien und Horrorvisionen haben Konjunktur. Zukunftsängste speisen sich aus dem Zusammenspiel von wissenschaftlichen Prognosen und biblischen Endzeiterwartungen. Hildegard König erblickt in ihrem Gedicht „vision“ spielerisch-poetisch ein ganz anderes Ende.
vision
ein zeichen
im nachtblauen all
die mondbarke
randvoll mit
sternenstaub und sonnenglanz
darin
das kind
schläft
in den fängen des drachen
nie wieder
wird er seine häupter
erheben
das kind
hat es ihm angetan
ein zeichen
vor blutrotem horizont
die frau
und die flucht
auf leben und tod
was ihr bleibt
ist verwüstung
ist wüste
und trugbilder
flimmern
am mittag
auf geblendete augen
aber fällt
nächtens
der mondschatten
wirft eine spur
hoffnung ins dunkel
und eine ahnung
am ende wird
alles
ganz
anders
Das Gedicht ist unter „Die apokalyptische Frau“ im 2023 erschienenen Buch „Zeigt euch! 21 Portraits namenloser Frauen der Bibel“ mit Texten von Barbara Janz-Spaeth, Claudia Sticher und Hildegard König enthalten.
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Hildegard König, Dr. theol., Professorin i. R. für Kirchengeschichte (TU Dresden), Lyrikerin, Trauerbegleiterin, lebt in Chemnitz.