In seinem Predigtvortrag in der City-Kirche St. Klara in Nürnberg findet Jürgen Kaufmann humorvolle und sehr ernsthafte Antworten.
In Finnland hat die Regierung einmal Winter-Tanzveranstaltungen organisiert. Gegen die schleichende Depression in der Dunkelheit. Man kann das durchaus metaphorisch sehen, heutzutage: Die Welt brennt, Flüchtlinge ertrinken, die Rechten sind auf dem Vormarsch. Da hilft nur noch Ablenkung und Spaß. Sofern man letzteren haben darf. Manche Politiker sind dagegen. Beispiel Erdogan: Majestätsbeleidigung als Prozessgrund. Im Mittelalter gab’s das. Allerdings sind die Zeiten nicht lange her, da man für seinen Humor wahlweise ins Arbeits- oder Konzentrationslager wandern konnte.
Ein Recht auf Spaß und Freude?
Auch das gemeine Volk hat bisweilen Schwierigkeiten damit, wenn es seine Ansichten durch den Kakao gezogen sieht: Satire und Witze über AfD und Pegida ziehen schnell einen „shitstorm“ in den social media mit konkreten Drohungen nach sich. Der macht deutlich, was mit Komikern und Satirikern passieren könnte, wenn gewisse Kreise dereinst das Sagen haben sollten …
Gerade deshalb ist Lachen manchmal die einzige Möglichkeit, nicht an der Realität zu verzweifeln und womöglich für diese Realität einen neuen Blick zu gewinnen, der den Anfang einer Wende aufzeigen könnte. In der DDR wurde damals gerne folgender Witz erzählt: Erich Honecker sieht eine große Menschenschlange vor einem Gebäude. Er stellt sich an, ohne zu wissen, was angeboten wird. Da löst sich die Schlange schlagartig auf. Honecker fragt seinen Vordermann: „Kannst du mir sagen, Genosse, weshalb wir hier Schlange gestanden haben?“ „Klar“, sagt der, „die Leute standen hier, um ihre Ausreiseanträge abzugeben.“ Honecker: „Und weshalb gehen die jetzt alle so plötzlich?“ „Na, wenn du einen Ausreiseantrag stellst, können wir ja alle hierbleiben!“
Solche Witze waren vergleichsweise ungefährlich. Im Dritten Reich bewiesen Kabarettisten schon mehr Mut und vor allem Humor – je nachdem. Der Berliner Kabarettist Werner Finck etwa. Im Publikum hatte er mal einen „Protokollanten“ der Nazis entdeckt und ihm von der Bühne aus zugerufen: „Bin ich auch nicht zu schnell? Kommen Sie mit, oder soll ich mitkommen?“ Dafür landete er 1935 „zur Umerziehung“ für einige Zeit im KZ.
Wegen dieser alten Sau hier saß ich zwei Wochen lang im Loch.
Oder Weiß-Ferdl, ein Münchner Original. Anfangs durchaus Sympathisant der jungen Nazi-Bewegung, entwickelte er sich später zum subtilen Kritiker des Regimes. Einmal erschien er auf der Bühne mit drei Schweinen und stellte vor: „Das ist Frau Mann, das ist Fräulein Mann und das ist Herr-Mann!“ (Also Hermann Göring.) Daraufhin wanderte er einige Tage in den Knast. Als er wieder auf der Bühne stand, brachte er seine Schweine mit: „Ich wurde neulich mit dem Vorstellen nicht fertig; also dies ist Frau Mann, dies ist Fräulein Mann, und wegen dieser alten Sau hier saß ich zwei Wochen lang im Loch.“
Ein Recht auf Spaß und Freude – wie wichtig und gar nicht so selbstverständlich das ist, wird einem richtig bewusst, wenn es allmählich nicht mehr lustig ist. Das ist wie mit der Gesundheit: Die schätzt man erst, wenn man sie verloren hat. Ach ja: Auch Witze über Österreich können nun gefährlich sein. Nach dem Erfolg der FPÖ bei der ersten Präsidenten-Wahlrunde wagte es die „heute-show“ im ZDF, sich darüber lustig zu machen und löste damit den bereits benannten shitstorm aus. Schließlich ist man wieder wer! Ein Trost immerhin: Am österreichischen Wesen ist die Welt noch nie genesen. Obwohl – verdammt: Er kam ja aus Österreich, der Hitler. Da hört der Spaß auf …
Für sich selbst betrachtet ist Freude weder gut noch schlecht.
Es hat ja auch einen gewissen negativen Klang, dieses Wort. Spaß! Das Wort „Freude“ wirkt schon nachhaltiger. Für sich selbst betrachtet ist Freude weder gut noch schlecht. Eine wertende Komponente kommt ihr erst zu, wenn sie in negativem oder positivem Verhältnis zur geltenden Moral steht. Verschiedene Religionen und Kulturen sehen daher das, was wir allgemein als Freude bezeichnen, unterschiedlich. Im Buddhismus etwa wird angenommen, dass ein seelischer Zustand der Freude und Ausgeglichenheit durch Selbsterkenntnis und „achtsame“ Lebensweise“ gefördert werden kann.
Der bekannte Psychoanalytiker Erich Fromm unterscheidet zwischen „Vergnügen“ als kurzzeitigem Hochgefühl und „Freude“ als dem Gefühl, das man auf dem Weg hin zur menschlichen Selbstverwirklichung verspürt. Entsprechend sieht er einen Gegensatz zwischen „Freude und Vergnügen als Lebensprinzip“. Letzteres, also das Vergnügen, sei ein Kennzeichen der Konsumgesellschaft. Diesem Thema widmete sich auch der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Tibor Scitovsky. Wieso steigt in einer Wohlstandsgesellschaft einerseits der Konsum immer mehr, nicht aber die Zufriedenheit der Menschen, fragte er sich. Er prägte dafür den Begriff joyless economy – freudlose Wirtschaft. Scitovsky riet, Geld in „Vergnügungen“ zu investieren, die nicht vergänglich sind. Zum Beispiel in gemeinsame Unternehmungen mit Familie und Freunden.
Die Seele wolle keine Angst haben.
Damit liegt Scitovsky nicht so weit entfernt vom griechischen Philosophen Epikur. Um Lebensfreude zu ermöglichen, müssen laut Epikur die Grundbedürfnisse nach Essen, Trinken und Kälteschutz gewährleistet sein, und die Seele wolle keine Angst haben. Dieses Ziel dürfe der Mensch nie aus dem Blick verlieren. Alles, was darüber hinausgeht, sei für unser Glück nicht von Bedeutung: ,,Den Menschen nutzt der naturwidrige Reichtum ebenso wenig wie das Nachfüllen von Wasser in ein schon gefülltes Gefäß, denn offenbar fließt beides wieder nach außen ab.“ Der Mensch könne seinem Glück folgen, indem er vernunftvoll und gerecht lebt, sagt Epikur. Konkret: „Man kann nicht in Freude leben, ohne vernünftig, edel und gerecht zu leben. Aber auch umgekehrt kein vernünftiges, edles und gerechtes Leben führen, ohne in Freude zu leben.“ Das könnte so ähnlich auch in unserer guten alten Bibel stehen. Die übrigens sieht die Freude an Gott an zahlreichen Stellen als eine Quelle der Kraft, welche auch in unerfreulichen Situationen das innere Gleichgewicht zu erhalten hilft.
Gott bewahre mich vor griesgrämigen Heiligen.
Apropos Freude in der Bibel: Nun wurde ja jenen, die sich auf eben dieses Buch berufen, den Christen also, immer wieder mal nachgesagt, alles andere als freudig und erlöst zu wirken. Mit sauertöpfischer Askese brachte man sie eher in Verbindung. Weil ja das einzige Ziel sei, sich Lohn im Himmelreich zu erwerben, nicht auf Erden. Dem widerspricht eine Teresa von Avila im 16. Jahrhundert gewaltig. „Gott bewahre mich vor griesgrämigen Heiligen“, ist ein berühmter Satz von ihr. Das Recht auf Freude und auch auf Spaß an dieser Freude ließ sie sich nicht nehmen. Und sah sich dabei im Einklang mit ihrem Herrn Jesus Christus. Sehr zum Unwillen manch kirchlicher Zeitgenossen natürlich. Papst Franziskus heute dürfte ihr gewiss Recht geben. „Wenn wir als Kinder Gottes leben und spüren, wie er uns liebt, dann wird unser Leben neu, unbeschwert und voller Freude“, meint er. Aus Freiheit und Liebe resultiert Freude. Freude als grundlegendes Lebensgefühl. Trotz aller Sorgen und Katastrophen.
Ich freue mich, wenn es regnet. Wenn es nicht regnet, freue ich mich auch.
Nun kann man „Freude“ nicht zwangsverordnen. Sie ist immer etwas Individuelles. Gerade deshalb wäre es absurd, dem Individuum das Recht auf Freude abzusprechen, selbst dann, wenn es um die Welt nicht zum Besten steht. Dass eine freudige Grundhaltung Kräfte frei setzen könnte für mögliche positive Veränderungen, erkannte sogar Karl Valentin: „Ich freue mich, wenn es regnet. Wenn es nicht regnet, freue ich mich auch.“ Und Jesus? Der konnte gewisse Situationen genießen, sich also daran freuen. Auch dazu muss man übrigens in der Lage sein. Gewiss: Die Welt wird das nicht unbedingt besser machen. Aber es macht sie in dem Moment auch nicht schlechter. Was manchmal schon verdammt viel ist. Und es setzt ein Zeichen dafür, dass das, was gerade passiert, nicht das letzte Wort ist. Es zeigt: Leben ist stärker als der Tod.
Text: Jürgen Kaufmann, Pastoralreferent an der City-Kirche Nürnberg; Photo: Jürgen Kaufmann