Neu im Amt: Der Theologe, Kunstkenner und Politiker Thomas Sternberg präsidiert das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Fragen zu Kirchenreform, Politik und dem heute passenden Stil, Kirche zu sein.
Herr Prof. DDr. Sternberg, Sie sind im letzten November zum Präsidenten des ZdK gewählt worden – für viele und auch für Sie selbst überraschend. Wettbewerbliche Wahlen sind ja bei Zentralkomitees aller Couleurs eher die Ausnahme. Gehen Sie nach diesem Start freier an die Aufgaben Ihres Amtes heran?
Eines ist schön: Ich bin jetzt der gewählte Kandidat der Vollversammlung! Wäre ich der einzig Vorgeschlagene gewesen und es hätte praktisch nur die Möglichkeit einer Akklamation gegeben, wäre bei den Delegierten das Gefühl gewesen: Jetzt schauen wir erstmal, wer uns da präsentiert wird… So ist klar: Sie haben mich wirklich gewollt. Und ein bisschen Wettbewerb tut dem Zentralkomitee auch gut.
Aber es sollte ja keine Kampfkandidatur sein…
Nein, das habe ich immer betont. Ich habe vorher mit Frau Flachsbarth [Maria Flachsbarth MdB, alternative Kandidatin, d. Red.] gesprochen. Wir haben gemeinsam festgestellt: Solchen Wettbewerb kennen wir auch aus der Politik, es ist keineswegs ehrenrührig, eine Wahl zu verlieren. Nachdem mir viele gesagt haben ‚Das kannst du nur verlieren’, wollte ich es doch versuchen.
Eine Frau an der Spitze der katholischen Laien wäre natürlich ein besonderes Signal gewesen.
Das ZdK hat ein völlig legitimes Interesse an einer Stärkung von Frauen in Leitungs- und Führungspositionen. Nun ist die Wahl so ausgegangen. Anzumerken ist, dass wir bereits eine Frau als Präsidentin hatten [Rita Waschbüsch, 1988-1997, d. Red.], gegenwärtig haben wir zwei Vizepräsidentinnen und viele aktive Frauen auch in der Verantwortung von Arbeitskreisen und Gremien des ZdK. Die Partizipation von Frauen ist dem Zentralkomitee also überhaupt nicht fremd oder etwas, das erst erkämpft werden müsste.
Was sind die wichtigsten Themen, die Sie auch persönlich voranbringen möchten mit dem ZdK?
Auch wenn das noch abgestimmt werden muss, ist doch deutlich, dass die Flüchtlingsfrage einen ganz wichtigen Raum einnehmen wird, und zwar im Blick auf die längerfristige Integration der Menschen, die zu uns kommen. Auch wird sicher der muslimisch-christliche Dialog ganz oben auf der Agenda stehen. Die Fragen nach Palliativmedizin und überhaupt nach einer guten Hospizversorgung bleiben zentral. Und schließlich müssen wir daran mitarbeiten, was es heißt, „synodale Kirche“ zu sein und zu werden.
Die Bischofskonferenz hat in den letzten fünf Jahren mit dem Dialogprozess „Im Heute glauben“ einiges angestoßen. Vielen ist nicht klar, was daraus konkret geworden ist, wo Ergebnisse sind.
Ich selbst hatte nie sehr hohe Erwartungen in diesen Prozess. Dafür bin ich aber ganz positiv überrascht von den Ergebnissen der letzten Zusammenkunft in Würzburg [September 2015, d. Red.]. Die Treffen zuvor waren ja mehr oder weniger unverbindliche Tischgespräche. In Würzburg ging es plötzlich um die Erarbeitung eines Textes. Da konnte man eine interessante Beobachtung machen: Die vorherigen Treffen hatten es geschafft, ein Vertrauensklima zu schaffen für gemeinsame Diskussion, in denen ein Argument als Argument galt, egal von wem es vorgetragen wurde – sei es ein Bischof, eine Ordensschwester, ein Laie oder eine Professorin. Als sich ein Bischof massiv empört zeigte über die Ergebnisse, war klar, das ist eine Außenseitermeinung.
Ein Bischof als „Außenseiter“?
Mir geht es hier gar nicht um die Person, sondern um das Kirchenverständnis, das in diesem Prozess sichtbar wurde: Wenn wir aufhören, uns immer nur in der Innenperspektive zu bewegen, dann agiert man wirklich als eine gemeinsam dienende Kirche – mit allen, die mitmachen wollen. Es wird immer welche geben, die sagen: Dafür bin ich nicht zu haben. Wir sollten nicht immer versuchen, auch den letzten Bischof davon zu überzeugen, dass wir doch recht haben. Das wird nie gelingen. Der Perspektivwechsels ist mir wirklich wichtig: dass wir gemeinsam dienende Kirche sein können. Es gibt auch eine neue Freiheit im Umgang miteinander, wenn man es schafft, als gesamte Kirche Salz der Erde zu sein, Sauerteig.
Aber interne Probleme bleiben doch bestehen?
Viele Themen der Verfassung unserer Kirche bleiben auf dem Tisch! Ich habe etwa große Hoffnung auf das Papier des Papstes als Ergebnis der beiden Familiensynoden. Ich habe auch Hoffnung, dass der unselige Streit um Donum Vitae endlich begraben werden kann. Es gibt von außen betrachtet ja eine zum Teil groteske Fehlwahrnehmung dieser Initiative, als ob dort in katholischem Namen Abtreibungen ermöglicht würden. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist der Einsatz von katholischen Männern und Frauen, die sich für das ungeborene Leben einsetzen, in einem Rahmen, der per Gesetz alle Betroffenen erreicht.
Bestehen denn reale Aussichten auf eine Entspannung in dieser Frage?
Ich meine ja – weil die Akteure von damals mittlerweile älter geworden und zum Teil neue Personen in Amt und Verantwortung gekommen sind. Ich setze auf viele Gespräche und Vertrauensbildung. Dann sollte es gelingen, alte Hardliner-Positionen zu räumen, etwa die fürchterliche Rede von der Schwangerschaftskonfliktberatung „mit Tötungslizenz“. Klar ist doch: Es handelt sich um ein gutes christliches Engagement, das man nicht verkirchlichen muss. Es wäre schon hilfreich, endlich von der Position abzurücken, die Unterstützung von Donum Vitae vertrage sich nicht mit einer Beschäftigung im kirchlichen Dienst.
Katholiken sind in der deutschen Gesellschaft in der Minderheit, auch der Anteil der Christen aller Konfessionen ist immer weiter rückläufig. Wenn die Kirche ethisch argumentiert, gerät sie – verstärkt durch einen immer aggressiveren Atheismus – unter den Verdacht, eine Sondermoral zu vertreten, die anderen eigentlich nichts zu sagen hat. Wie könnte der christliche Glaube in einer pluralen Gesellschaft neu ins Spiel kommen und sich von dem Verdikt der „moralischen Übergriffigkeit“ befreien?
Ich glaube, dass es neben dem Säkularismus heute auch das interessante Phänomen gibt, dass Christen mit ihren Überzeugungen und Überlegungen durchaus gefragt sind. Aber nur, wenn die Antworten nicht autoritativ, auftrumpfend und endgültig vorgetragen sind, sondern argumentativ, vermittelt, dialogisch. Am schwierigsten ist es genau dort, wo ethische Standpunkte so vermittelt werden müssen, dass sie diejenigen erreichen, die sich weltanschaulich ganz anders positionieren. In den Debatten zur Frage der Autonomie am Lebensende hörten Christen immer wieder: „Ihr habe Eure Vorstellung vom Leben als Geschenk Gottes, die will euch keiner nehmen, aber macht daraus bitte kein Argument für andere“.
Wie entkommt man diesem Vorwurf?
Um dieser Falle zu entgehen, braucht es eine echte geistige Arbeit; man kann aus der eigenen Überzeugung nicht direkt ein Argument machen in der ethischen Auseinandersetzung. Es geht um eine Übersetzungsarbeit für Menschen aus anderer Tradition. Die Kirche kennt solche Ausweitung der Adressaten. Mich hat immer beeindruckt, wie in den päpstlichen Sozialenzykliken, auch in Gaudium et Spes, neben den Christen auch von Anderen gesprochen wird: Es geht um „alle Menschen guten Willens“. An die müssen wir uns wenden wollen, und dafür kann man nicht einfach mit Autoritätsanspruch auftreten. Es geht eigentlich nur über die Überzeugungskraft der Person und des Arguments.
Angesichts der Umfragewerte für neorechte und populistische Parteien wie die AfD in Deutschland, die FPÖ in Österreich oder die SVP in der Schweiz stellt sich die Frage: Bildet sich ein relevantes Lager im politischen Bewusstsein unserer Gesellschaften, das sich von der Idee eines Für-alle-Guten, dem Anspruch, diese Gute zu suchen und von einem dahinter stehenden Menschenbild längst verabschiedet hat? Stehen wir vor einer politischen Ära, in der mehr und mehr individueller und ethno-kommunitärer Nutzen als die letzten Kriterien der Politik gelten?
Ich bin mir über diese Tendenzen zumindest in Deutschland noch nicht so ganz sicher. Es gab immer wieder rechte Parteien, besser Sammelbecken, in deutschen Landtagen, die dann wieder verschwanden. Das Problem ist, dass Leute da sind, die keinerlei Interesse an Anderen und am Gemeinwohl haben, dass damit eine ungeheure Segmentierung der Gesellschaft stattfindet, nach dem Motto: „Ich habe mich und meine Überzeugungen, was scheren mich die Interessen und Argumente anderer?“
Es ist die alte Frage nach dem gesellschaftlichen Grundkonsens…
Ja, darum geht es. Gibt es den heute noch – das bewegt mich schon. Ein Text von Heinrich Heine aus dem Jahr 1835 über die Deutschen kommt mir öfter in den Sinn: Die Deutschen, so sagt Heine, seien ein Volk mit wilden Gottheiten. Das Einzige, was sie zähme, sei das Kreuz – das sei ihr Talisman. Aber wenn dieser Talisman eines Tages breche, und er sei schon morsch, dann werde man es in der Weltgeschichte auf eine Weise krachen hören, wie es noch nie gekracht habe. Die französische Revolution sei dagegen nur ein harmloses Puppenspiel… Soweit Heine. Ich denke, da ist etwas dran. War oder ist das Kreuz das einigende Band der europäischen Gesellschaften gewesen? Es braucht eine gemeinsame Grundlage in der Gesellschaft, die Vertreter aller Weltanschauungen und auch Atheisten und Säkularisten teilen können. Dass es irgendwann keinerlei Respekt mehr vor minimalen Grundlagen des Humanen geben könne, davor haben nachdenkliche Menschen zu recht große Angst.
Kann das Christentum dabei eine Rolle spielen?
Christen stehen unter diesem Anspruch und können einen Beitrag leisten. Ich sehe das beispielsweise in der Flüchtlingsthematik: Dass die Stimmung gegenüber den täglich über die Grenzen strömenden Zufluchtsuchenden nach den Ereignissen der Silvesternacht in Köln noch nicht gekippt ist, liegt entscheidend an vielen Engagierten in der Flüchtlingsarbeit, darunter sehr viele Christen. Jede und jeder von denen ist immun gegen Rechtspopulismus und redet nichts Unbedachtes oder irgendwelche Vorurteile daher! Die Praxis des ehrenamtlichen Einsatzes bremst radikale Tendenzen ab. Es geht um das, was Paul Zulehner das „Entängstigen“ nennt: Ängste müssen in Besorgnis umgewandelt werden. Man muss zeigen, wie komplex die Materie ist. Die Forderung einiger AfD-Funktionäre nach Schusswaffengebrauch der Grenzpolizei bringt hoffentlich manch einen zum Nachdenken…
In CDU und CSU gibt es ja höchst unterschiedliche Meinungen zu der Forderung nach Obergrenzen.
Wie will man denn mit Obergrenzen wirklich konkret arbeiten? Sollen wir wieder einen Stacheldrahtzaun um Deutschland hochziehen? Im Kern geht es um die Frage: Wie stellen wir uns eigentlich uns selbst in Europa und als Mitglied der Europäischen Union vor? Ich warne meine Parteifreunde momentan dringend davor, auf Argumente und Parolen der AfD einzugehen, das nutzt immer nur den radikalen Parteien. Was wir gegenwärtig erleben, ist ein Renommeegewinn in der ganzen Welt, den Deutschland so bisher noch kaum gekannt hat.
In Fokus der öffentlichen Debatte stehen andere Aspekte.
Dieser Renommeegewinn wird nur von den Medien im Innern nicht gespiegelt. Man sollte anerkennen, wenn eine Politikerin wie die Bundeskanzlerin einmal „steht“ und ihre Position auch gegen Widerstände vertritt. Stattdessen wird dann eine recht kleinkarierte Spekulation um Nachfolger lanciert, mit den immer selben Gesprächspartnern vor der Kamera. Das ist der Sachlage unangemessen. De facto gibt es sehr viele Menschen, die sich der Dimension der Aufgabenstellung bewusst sind. Lösen lassen sich Probleme aber nur in vielen einzelnen Schritten.
Es scheint, als ob es die Kirche keinem recht machen kann. Gerade Zeitungen wie Die Welt oder die F.A.Z., die ihr auch schon mal Staatsnähe und ethisch-moralische Weichspülerei unterstellen, kritisieren sie jetzt für ihr deutliches Profil in der Flüchtlingspolitik. Den Kardinälen in Köln und München wird Naivität unterstellt.
Beide genannten Zeitungen sind besonders engagiert in einer dezidierten Kritik der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung, was mich verwundert. Ich persönlich bin seit langem Leser der F.A.Z. und empfinde erheblichen Ärger darüber. Es entwickelt sich mitten im bürgerlichen Medienspektrum fast so etwas wie ein Kampagnenjournalismus, der in dieser durchgehenden Form nicht seriös ist.
In der politischen Debatte stellt sich immer wieder die Frage, wie es um den Anspruch der Unionsparteien heute steht, einer wirklich christlichen Programmatik zu folgen. Wäre das ein Wunsch oder eine Forderung?
Aus Sicht des Zentralkomitees kann man sagen: Die Zeiten der Gleichsetzung einer christlichen Perspektive mit der Politik der CDU sind lange vorbei. Im ZdK gibt es Mitglieder aller Parteien, die dort engagiert und gleichwertig mitwirken. Umgekehrt haben wir auch in den Parteien diese Pluralität, also Mitglieder unterschiedlicher weltanschaulicher Herkunft. Die C-Parteien waren von Gründung und Anspruch her nie kirchliche Parteien. Entscheidend ist, dass das Christliche sich im Menschenbild wiederfinden sollte, das die Grundlage für Politik ist.
Aber funktioniert das heute noch – mit einem christlichen Menschenbild Politik begründen?
Das würde ich schon sagen. Über das Menschenbild kann man attraktiv sein für Christen und Nicht-Christen, weil man damit einen Standpunkt kommuniziert. Diese Verortung muss aber in Verbindung stehen mit einem konkreten, praktischen Vollzug, nicht nur in Sonntagsreden zitiert werden. Bei Angela Merkel kann man etwas Erstaunliches mitbekommen: Sie galt lange Zeit als die Politikerin der Alternativlosigkeit und der Sachgesetzlichkeit. Bei der Rede auf dem Karlsruher Parteitag [der CDU, Dezember 2015, d.Red.] hat sie deutlich gesagt, dass nach ihrer Überzeugung das christliche Menschenbild bestimmte Entscheidungen in der Flüchtlingspolitik erforderlich macht. Sie hat – entgegen aller Prognosen von Journalisten und politischen Beobachtern – dafür riesigen Beifall und ein unerwartet hohes Ergebnis (fast 100 %) bei der Abstimmung über den Antrag zur Flüchtlingspolitik erhalten.
Als Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken müssen Sie ja alle Menschen in der Kirche repräsentieren. Nun sind Sie als Landtagsabgeordneter Nordrhein-Westfalens auch Parteipolitiker. Für viele Kirchenmitglieder liegt der Gedanke fern, die Unionsparteien würden in besonderer Weise christliche Werte in der Politik vertreten. Müssen Sie sich parteipolitisch mehr zurückhalten, damit sich alle durch Sie vertreten fühlen können?
Ich muss eine Trennung wahrnehmen. Das bin ich aber als Akademiedirektor auch gewohnt. Es gibt für mich eine Welt, in der ich Menschen nicht nach Parteizugehörigkeit beurteile. Hier in der Akademie [Katholisch-soziale Akademie Franz Hitze Haus, Münster, der bisherige Wirkungsort von T.S., d. Red.] hat Parteipolitik keinen Platz, hier gibt es andere Kriterien, es wird anders gedacht. Ich empfinde das nicht als Spaltung meiner Person, sondern komme damit gut zurecht. Für mich ist vollkommen klar: Im ZdK bin ich nicht Parteipolitiker, das geht nicht.
In Zeiten eines aggressiven neuen Säkularismus wird vermehrt über die staatskirchenrechtliche Ausgestaltung der Religionsfreiheit in Deutschland gesprochen. Sind die staatskirchenrechtlichen Instrumente wie etwa die Kirchensteuer oder der Körperschaftsstatus nicht auch Hindernisse, die es den Kirchen schwer machen, mit einer sich rasant wandelnden Rolle in der Gesellschaft zurecht zu kommen?
Es ist immer neu zu bedenken, ob der Status quo weiter angemessen ist. Aber einfache Rezepte taugen bei der Weiterentwicklung nicht. „Entflechtung“, „Entweltlichung“ – das sind oftmals schnell in den Raum geworfene Metaphern einer wagen Hoffnung auf ein lebendigeres Christentum. Mit Kindergärten, Schulen und auch im Gesundheitswesen wird viel Gutes getan, im Dienst an der Gesellschaft. Das Argument, man fände ja nicht genügend Katholiken, um die bestehenden kirchlichen Einrichtungen glaubwürdig zu betreiben, trägt aus meiner Sicht nicht. Denn vielleicht werden aus manchen Mitarbeitern ja auch gute Katholiken, wenn sie in einer katholischen Einrichtung arbeiten und deren Geist und Arbeitsweise kennenlernen. Es ist eine Chance.
Wie steht es um die Kirchensteuer?
Es gibt mittlerweile kaum ein klares Bewusstsein darüber, was Kirchensteuer eigentlich ist. Die Privilegien dabei sind viel geringer als heute oftmals dargestellt. Die Kirchensteuer ist nichts anderes als der Mitgliedsbeitrag von Katholiken, der vom Staat treuhänderisch eingezogen wird – und der sich das wiederum höchst angemessen bezahlen lässt. Und sie ist vor allem kein Privileg für die Kirchen. Auch andere Religionsgemeinschaften, die den Körperschaftsstatus besitzen oder erlangen, können Steuern erheben und dieses Instrument nutzen.
Sozialethisch bedenklicher ist aber doch die Frage nach den Dotationen, also den Staatsleistungen, die als Kompensation für die kirchlichen Güter und Werte, die im Rahmen der Säkularisation enteignet wurden, weiterhin gezahlt werden?!
Ja und nein. Ich kann verstehen, dass von außen betrachtet oft Fragen gestellt werden, ob das weiter legitim ist. Es sollte auch auf eine Ablösung hin gearbeitet werden. Ich fürchte allerdings, dass der Aufwand viel größer ist als die damit erzielte Wirkung. Vor allem aber wünschte ich mir mehr historische Information: In kaum einem Geschichtsunterricht wird die Säkularisation erklärt. Bei der Enteignung der Klöster und Stifte fielen diese häufig in den Privatbesitz des Adels. Das Schloss der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis in Regensburg ist das nach der Säkularisation umgebaute Abtshaus des Reichsklosters St. Emmeram. Auch der Prinz von Baden hat 1804 mit „Schloss“ Salem eine ehemalige Reichsabtei zugeschlagen bekommen.
Aber dann müsste man legitimer Weise doch diesen Adel zur Kompensation heranziehen und nicht über Steuermittel die Allgemeinheit mit der Entschädigung belangen.
Es ist nicht meine Rolle, diese Debatte zu eröffnen, aber ich möchte zumindest, dass man darum weiß. Viele dieser Prozesse sind einfach nicht mehr bekannt. Sie gelangen lediglich noch einmal an die Oberfläche der Aufmerksamkeit, wenn einmal ein bedeutendes Kunstwerk aus altem Kloster- oder Kirchenbesitz zur Auktion kommt.
Auch für viele Kirchenmitglieder wirkt es befremdlich und beschämend, dass Kirche an den Dotationen festhält, indem man sich auf den blanken Rechtstitel beruft, anstatt aus eigenem Antrieb zu sagen: Wir meinen, nach mehr als 200 Jahren sind solche Ansprüche nun abgegolten…
Dass das erstaunlich wirkt, glaube ich. Man kann und sollte darüber offen debattieren, zumal wir als Kirche nicht mehr darauf angewiesen sind, weil das Problem der Kirchenfinanzierung mit der Kirchensteuer viel besser gelöst ist. Trotzdem: Mir würde es auch Spaß machen, mit den scharfen Kritikern einmal nach Maßstäben historischer Vernunft darüber zu diskutieren!
Das Gespräch führte Daniel Bogner / Foto: KNA-Bild.