Die Kolumne für die kommenden Tage 45
Am Donnerstagabend, dem 12. März 2020, erklärte Donald Trump den nationalen Notstand und verkündet die Schließung der Grenzen für Reisende aus dem Schengen Gebiet (ausgenommen Großbritannien, dessen Infektionszahlen gerade explodieren). Über Nacht bricht auf den Flughäfen und in Familien, wie der meinigen, das Chaos aus.
Mich trifft Trumps Spontanentscheidung auf dem Weg vom Skiurlaub in Ischgl zu einer Konferenz des Zentralrats der Juden in Frankfurt/Main. Eine meiner erwachsenen Töchter wandert gerade im Himalaya zum base camp des Mount Everest, während ihr Vater Seminare in Südafrika hält. Nur die jüngste Tochter sitzt zuhause in Washington DC und ärgert sich über ihre verantwortungslose Familie, die sich wohl wissend um die bevorstehende Corona Krise noch schnell ins Flugzeug setzt und auf verschiedene Kontinente verteilt. Und dann saßen wir plötzlich alle fest.
Als sich die Grenzen schließen und die Flüge gestrichen werden, ziehen die US-Botschaften ihre Mitarbeiter ab. Gestrandete U.S. Bürger bekommen keine Informationen, und erst nach Protesten und politischem Druck allgemein gehaltene Aufforderungen, sofort zurückzureisen oder auf „unbestimmte Zeit“ im Ausland zu bleiben. Ich verpasse den letzten Flug, weil ich ja nach Ischgl in Quarantäne bin, während in Nepal eine landesweite Ausgangssperre verhängt und militärisch kontrolliert wird. Aber dies ist keine Kolumne über das Missmanagement des Clowns im Weißen Haus, sondern über unsere globale Mobilität in Zeiten der Pandemie und des Klimawandels.
Die einzige Waffe, die der Narr im Präsidentenamt effektiv gegen den Virus einsetzt, ist die Einschränkung des Reiseverkehrs, zuerst aus China, und dann von Europa. Und er ist nicht der Einzige: Selbst die Grenzen zwischen Österreich und Deutschland und innerhalb Europas werden geschlossen.
Damit triff der Virus ins Herz der Globalisierung, die ja nicht nur aus internationalen Produktionsketten und Handelswegen sondern aus der Mobilität der intellektuellen und wirtschaftlichen Eliten sowie der Arbeitsmigranten besteht: die polnische Haushilfe, die rumänische Spargelstecherin, der Bangladeschi Gastarbeiter in Singapur, die indischen IT-Experten und mexikanischen Schlachthofarbeiter in den USA, die philippinischen Pflegerinnen in Israel, und die Katholiken mit denen Papst Franziskus ein ganzes Fußballstadion in den arabischen Emiraten für eine Messe füllt. Ohne diese „essential workers“ bricht die Nahrungsversorgung und Pflege weltweit zusammen.
Auch die Regierung in Washington DC sieht sich gezwungen, den Illegalen einen offiziellen Freibrief auszuhändigen, damit sie sich frei bewegen können. Sie atmen in der Krise zum ersten Mal wieder frei durch. ArbeitsmigrantInnen reisen ständig hin und her: zur Arbeit und um unsere Familien zu besuchen, um unseren Kindern die Sprache, Kultur, und Religion zu erhalten und um in Heimweh und Kindheitserinnerungen zu schwelgen [Skifahren in den Alpen!]. Pandemie und Klimawandel sind zwei Konsequenzen dieser globalisierten Arbeitswirklichkeit.
Eine weitere Nebenwirkung ist die nationalistische Wut der Daheimgebliebenen, die uns gerade überall entgegenschlägt. Trotzdem scheint es, als hätte die Pandemie den Nationalisten aller Länder erst einmal den Wind aus den Segeln genommen. Trotz Reisebeschränkung und Verlust der Bewegungsfreiheit globalisiert Corona (und der Klimawandel) uns weiter, und lässt uns zu einer Menschheit zusammenwachsen.
Und jetzt muss ich Schluss machen, um an einem Seminar in Tel Aviv teilzunehmen, bevor ich einen Vortrag in einer Bostoner Synagoge halte, und dann an meinem faculty meeting in Maryland teilnehme. Vor vier Wochen kannte ich Zoom noch nicht. Jetzt gehört es zu meinem Alltag in Bielefeld, wo ich mit einer eiligst abgeschlossenen Krankenversicherung für Ausländer der Reisezukunft harre.
Katharina von Kellenbach, Ph. D., ist Professor of Religious Studies am St. Mary’s College of Maryland, USA