Dalibor Milas aus Mostar, einem Ort mit ganz eigener Macht-Spiel-Geschichte, schaut Game of Thrones, wo Erlösung nicht in Frömmigkeit, Lehre oder Moral gefunden wird, vielmehr an den Rändern der Geschichte, weit entfernt von Religion oder Macht.
Die populäre Kultur ist eines der wichtigsten Themen der Theologie – oder sollte es zumindest sein. Der Popkultur entrinnen wir nicht, wir sind in ihr verwurzelt und mit ihr verwachsen.
Game of Thrones ist eine von Kritikern sehr gelobte und auch kommerziell erfolgreiche HBO Fantasy-Fernsehserie. Die Serie basiert auf George R. R. Martins gefeiertem Romanzyklus Lied von Eis und Feuer. Martin, der auch am Filmprojekt mitwirkt, beschreibt eine fantastische Welt von Lords und Ladys, die mit allen Mitteln um den Eisernen Thron kämpfen. Die komplexe Handlung der Serie umfasst zahlreiche Figuren und thematisiert unter anderem Politik und Machkämpfe, Religion und Gesellschaftsverhältnisse. Mord, Totschlag, Vergewaltigung und Prügeleien sind normale Bestandteile jeder Episode.
Die Serie ist wirklich ein Spiel der Throne, in eine quasi-mittelalterliche und mythische Welt versetzt, mit verfeindeten Königreichen und Fürstentümern. Zu Beginn der Serie erklärt Cersei Lannister diese Grundhaltung mit den Worten: „Wer das Game of Thrones spielt, der gewinnt oder stirbt. Es gibt keinen Mittelweg.“
„Wer das Game of Thrones spielt, der gewinnt oder stirbt. Es gibt keinen Mittelweg.“
Jeder gegen jeden in wechselnden Allianzen, so lautet die sozialdarwinistische Regel im Spiel um den Eisernen Thron. Die Sieben Königslande operieren in einer Welt, in der die Theorie der internationalen Beziehungen von Hobbes Realität ist. Laut Hobbes ist das Leben „einsam, arm, böse, brutal und kurz“ und das internationale politische System ist fast anarchisch.
Game of Thrones ist eine Geschichte des Klassendenkens, des Patriarchats, des Sexismus, der sexuellen Gewalt und der tiefen systemischen Ungerechtigkeit. Die politischen Aktivitäten sind hier alle sehr persönlich. Das bedeutet, dass alles existenziell ist; in dieser Art der Politik gibt es wenig Raum für Ehrlichkeit. Es ist die Geschichte des Überlebens in einer harten und brutalen Welt, die nichts für Kinder und auch nichts für schwache Gemüter ist. Aus christlicher Perspektive gibt es viele Stimmen, die die explizite Darstellung von Gewalt und Sex stark ablehnen.
Game of Thrones demonstriert Martins Fähigkeit, eine ganz neue und unmöglich mögliche Welt zu schaffen. Man kann ihn mit J. R. R. Tolkien, dem Großvater der mythologischen Fantasiewelten, vergleichen. Doch die fiktiven Welten des Game of Thrones (Martin) und das Lord of the Rings (Tolkien)- Universum verkörpern zwei verschiedene Welten und Weltanschauungen.
Game of Thrones und das Lord of the Rings-Universum verkörpern zwei verschiedene Welten und Weltanschauungen.
Sowohl Tolkien als auch Martin beschäftigen sich mit dem Krieg, beide zeigen den Krieg, wie er wirklich ist: brutal, hart und traurig. Tolkien diente selbst in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs und verlor viele enge Freunde. Ein paar von diesen Freunden werden tatsächlich als die Inspiration für die vier Hobbits in Lord of the Rings vermutet
Für Tolkien gilt die Erkenntnis, dass die Schrecken des Krieges geschehen, wenn die Menschen ihre Menschlichkeit ablegen. Die Orks sind eine Allegorie für die Wesen, die sich wegen ihrer Liebe zum Töten in Monster verwandelt hatten. In Lord of the Rings gibt es einen deutlichen und physischen Unterschied zwischen Gut und Böse. Obwohl das Böse in uns allen schläft, kann man eindeutig Gut und Böse unterscheiden. Das heißt, dass man einfach einen klaren Unterschied zwischen hässlichen „bad guys“ und hübschen“good guys“ bemerken kann.
Martin konstruiert eine andere Welt. Er sieht Brutalität nur als eine weitere Facette des Menschen, als einen Teil der natürlichen Ordnung der Welt.
Martin sieht Brutalität als einen Teil der natürlichen Ordnung der Welt.
In seiner fiktiven Welt ist Brutalität entscheidend fürs Überleben. Wer mitfühlend und barmherzig ist verliert den Kopf. Martin sieht die Welt nur mit einem, dem beschädigten Auge. Jede gute Tat steht unter Verdacht. Alles, was gut und positiv ist, ist der Korruption oder einem Teil davon ausgesetzt.
Martin fehlt der Geist der Eukatastrophe Tolkiens. Der Begriff Eukatastrophe wurde von Tolkien geprägt. Er hat ihn zuerst in einem Brief an seinen Sohn verwendet. Das aus dem Griechischen stammende Wort καταστροφή – Katastrophe (Wendung zum Niedergang) ist mit der griechischen Vorsilbe ευ -„eu“ (wohl, gut, richtig, leicht) verbunden und meint die positive Wendung eines Ereignisses.
Eukatastrophe bedeutet also „gute Katastrophe“ oder „gute Wendung“. Diese „plötzliche Wendung zum Guten“ ist aber nicht einfach das „Happy End“ – „und sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage“ – , sondern eine im Moment der völligen Auswegslosigkeit gänzlich unerwartet eintretende Wende, die den dramatischen Höhepunkt der Erzählung bildet. Eukatastrophe ist selbst unabhängig von menschlichen Wünschen und Taten. Sie kommt „von außen/aus dem Himmel“, ist ein Akt göttlichen Erbarmens.
Die Träger der Eukatastrophe in Tolkiens Welt sind die Hobbits. Sie sind de facto die Helden und Befreier der Mittelerde. Sie repräsentieren die Möglichkeit eines Menschenbildes, das von Lachen, Mut, Zähigkeit und Engagement für das Gute charakterisiert ist. Eukatastrophe kann auch die Abwendung vom Egoismus hin zur Versöhnung bedeuten. Die völlige Eukatastrophe ist das Ziel von Tolkiens Roman, während sie in der Martin-Welt passiert, „unterwegs“ und so in einem weit geringeren Ausmaß.
In Martins Welt ist nicht genug Platz für die universale Eukatastrophe. Schlechte Dinge passieren die ganze Zeit in seiner grauen und moralisch fragwürdigen Welt.
In Martins Welt gibt es nicht genug Platz für die universale Eukatastrophe. .
Seine Charaktere sind komplex und moralisch zweideutig, sind und bleiben eher „grau“. Es gibt keine Helden in Martins Roman wie es sie in Lord of the Rings gibt. Es gibt aber ein kleines Echo dessen, was C. S. Lewis beschreibt, wenn er menschliche Wesen „herrliche Ruinen“ nennt, die gebrochen, aber immer noch fähig sind, das Bild Gottes zu tragen.
…. menschliche Wesen: „herrliche Ruinen“, die gebrochen, aber immer noch fähig sind, das Bild Gottes zu tragen.
Tyrion Lannister, gespielt von Peter Dinklage, stellt für mich den interessantesten Charakter in Game of Thrones dar. Er ist ein intelligenter und zynischer, sowohl zu Grausamkeit als auch zu Empathie fähiger Liliputaner. Tyrion ist gebrochen und hungert nach Zuneigung, weil er deformiert geboren wurde. Jahre schlechter Behandlung und Missbrauch führten Tyrion dazu, zu trinken.
Seine Gebrochenheit transformiert aber nicht sein Aussehen, sondern sein Aussehen und die Vernachlässigung haben ihm die Möglichkeit gegeben, die komplexe Politik der Welt besser zu verstehen. Die anderen haben ihn wegen seiner Größe unterschätzt. „Macht“, sagt er, „ist ein Trick, ein Schatten an der Wand. Und ein sehr kleiner Mann kann auch einen sehr großen Schatten werfen.“
Was Tyron an Größe fehlt macht er später mit seinem Verstand wett. Tyrion ist eine kleine, unbemerkte, unbedeutende Figur, die tapfer und aufopferungsvoll tut, was für die ganze Gesellschaft unglaublich wichtig und wertvoll ist. Dieser atypische Hedonist repräsentiert das christliche Verständnis des menschlichen Daseins, sowohl in seiner Gebrochenheit als auch in seinem Wert – trotz seiner Gebrochenheit.
Bei Martin wird der Kampf zwischen Gut und Böse innerhalb des einzelnen menschlichen Herzens geführt. Game of Thrones ist ein moralisches Universum, in dem es nicht nur Schwarz und Weiß gibt, wie in Tolkiens Welt, sondern es ist voll von Unklarheiten, die in der realen Welt täglich zu Konfrontationen führen.
Game of Thrones ist ein moralisches Universum, in dem es nicht nur Schwarz und Weiß gibt.
Martin zeigt die Stärke und die Hoffnung der Welt in der Schwäche und in der Verletzlichkeit, wobei er Sympathien nicht nur mit Tolkien, sondern auch mit dem Apostel Paulus teilt: „Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er die Weisen zu Schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, dass er zu Schanden mache, was stark ist; und das Unedle vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, und dass da nichts ist, dass er zunichte mache, was etwas ist“ (1 Kor 1, 27-28).
Bemerkenswert ist, dass die Erlösung nicht in Frömmigkeit, Lehre oder Moral gefunden wird. Vielmehr wird Erlösung oder zumindest die Möglichkeit der Erlösung an den Rändern der Geschichte, weit entfernt von Religion oder Macht, gefunden.
… dass die Erlösung nicht in Frömmigkeit, Lehre oder Moral gefunden wird, vielmehr an den Rändern der Geschichte, weit entfernt von Religion oder Macht.
Martins Geschichte wird von „unwahrscheinlichen Helden“, die die Gestalt des Bastards, Zwerges, Waisen, Gefangenen, verkrüppelten Jungen und verlorenen kleinen Mädchens annehmen, besiedelt. Hier sind die Träger der Erlösung diejenigen, die abgeschrieben und abgelehnt werden. Genau wie in der Bibel. Das ist also das Evangelium nach Martin und Game of Thrones: Die Macht wird paradoxerweise in der Verletzlichkeit gefunden.
Das ist das Evangelium nach Martin und Game of Thrones: Die Macht wird paradoxerweise in der Verletzlichkeit gefunden.
Mitleid und Gnade sind stärker als Urteil und Betrug. Die Schwachen werden nicht nur erben, sondern die Erde tatsächlich retten.
(Dalibor Milas)