Elisabeth Fock über die Notwendigkeit eines körperbewussten Osterfestes.
Das Osterfest naht und mit ihm ganz unterschiedliche Assoziationen: von Ostereiernostalgie, Sonnenaufgangswanderungen bis hin zur Freude über das Frühlingserwachen der Natur. Für Christ:innen ist es das wichtigste Fest, da in ihm der Kern der christlichen Botschaft erfahrbar wird – die Hoffnung auf die leibliche Auferstehung. Wenn man sich anschaut, mit welchem Aufwand Weihnachten allerorts gefeiert wird, unabhängig von Konfession oder Gläubigkeit, so mag es doch verwundern, dass Ostern und seine Botschaft kaum noch zu überzeugen vermag.
Meines Erachtens braucht es hier ein anderes Narrativ, das Ostern in unsere gegenwärtigen Krisen hinein übersetzt, nämlich das einer dramatischen Körpergeschichte, deren letzter Akt auch Impulse für heutige Herausforderungen setzen kann. Welche Narrationen von Körperlichkeit braucht also die Welt von heute?
Ostern – eine dramatische Körpergeschichte
Vom leidenden zum skandalösen Körper
Ostern wird erst im Lichte der Kartage verstehbar, da sich über Gründonnerstag und Karfreitag hinweg eine (liturgische) Spannung aufbaut, die schließlich im Hochfest der Osternacht kulminiert. Am Gründonnerstag wird ein Bild von Jesus gezeichnet, das ihn uns als einfachen und leidenden Menschen vorstellt. Er isst und trinkt mit seinen Jünger:innen (Mk 14,16-26); es wird berichtet, dass er aus Angst Blut schwitzt (Lk 22,39-44) – ein literarisches Bild, das eine durch und durch körperliche Reaktion auf das nahende Ende zeigt. Hier ist Jesus zuallererst Mensch in einem leidenden Körper jenseits aller Siegessicherheit, die uns im Johannesevangelium suggeriert wird, das ja die Szene im Garten von Getsemani gar nicht kennt.
Hier ist Jesus zuallererst Mensch.
Am Karfreitag setzt sich diese Leidensgeschichte des Christuskörpers fort. Die Folterung Jesu wird als körperliches Ereignis geschildert, bei dem er eine schmerzhafte Dornenkrone tragen muss, geschlagen wird und ein schweres Kreuz schleppt (Mk 15,16-22). Auch in seiner letzten Stunde erleben wir Jesus angsterfüllt (Mk 15,34-35) und leidend. Ein geschundener Körper am Kreuz, das Skandalon schlechthin für Jüd:innen. Seine Wunden und Narben haben sich tief in seinen Körper eingeschrieben, sind identitätsstiftend geworden, da sie letztendlich zu den körperlichen Erinnerungszeichen werden, an denen er von seinen Jünger:innen nach der Auferstehung erkannt wird. Der christliche Messias erweist sich damit nicht in einem starken, unverwundbaren Heldenkörper, sondern erniedrigt sich und ist körperlich am Ende.
Der verklärte Körper
Dieser Christuskörper erfährt in der Auferstehung eine vollkommene Transformation zum verklärten Leib des auferstandenen Christus. In der Theologie wird produktiv gestritten, was eigentlich unter einer leiblichen Auferstehung zu verstehen ist.[1] Die biblischen Zeugnisse machen jedoch vor allem auf die Körperlichkeit dieses Auferstehungsereignisses aufmerksam: Jesus lässt eben nicht seinen Körper im Grab zurück und erscheint als Geistwesen. Er begegnet vielmehr seinen Jünger:innen noch auf Erden in seinem Körper (Lk 24,13-16; Lk 24,40), isst mit ihnen (Lk 24,36-43) und zeigt seine Narben, an denen ihn Thomas berührt und erkennt (Joh 20, 25-29). Und doch ist es auch ein Körper, der seinen Anhänger:innen nicht sofort bekannt ist, der geheimnisvoll bleibt und schließlich in der Himmelfahrt ganz entrückt wird (Apg 1,9-10).[2]
Ein erinnerter, aber toter Körper?
Die Geschichte könnte hier zu Ende sein. Damit bliebe das Osterfest eine Erinnerung an einen Körper, der Gott und Mensch zugleich war, aber für uns heute keine Aussagekraft mehr hätte. Ein erinnerter, aber toter Körper. Doch wie kann diese Körpergeschichte auch für uns noch heute etwas austragen?
Der transformierte Körper oder: Ein Körper, der werden darf
Gerade die liturgische Feier der Kartage mag zunächst körperfeindliche Assoziationen hervorrufen, etwa mit der Verklärung körperlichen Leidens, was sich beispielsweise kirchengeschichtlich in der Bewegung der Flagellanten[3] zeigte und in einer, wie es Nancy Eiesland nennt, behindernden Theologie, die körperliche Beeinträchtigungen als „ein Zeichen göttlicher Erwählung“ deutet, „durch die die Rechtschaffenen gereinigt und vervollkommnet würden aufgrund schmerzhafter Prüfungen.“[4] Andere körperfeindliche Auswüchse in Kirche und Theologie bedürfen hier nicht der weiteren Erläuterung, zielen sie doch in das dunkle Feld von missbräuchlichen Strukturen, einem klerikalen Ämterverständnis oder in eine rigide Sexualmoral, um nur einige Beispiele zu nennen.
Verklärung körperlichen Leidens – eine behindernde Theologie
Doch welche anderen Deutungen kann dann eine gegenwartssensible Körpertheologie einbringen? Ich meine, dass sich hier drei finden lassen. Zunächst erinnert uns das bleibende Skandalon des geschundenen Christuskörpers daran, jegliches körperliche Leiden nicht unreflektiert zu verklären und einer schwarzen Anthropologie das Wort zu reden. Ein solcher Körper muss irritieren und sprachlos werden lassen.
Ein solcher Körper muss irritieren und sprachlos werden lassen.
Es ist jedoch zweitens kein unverwundbarer heroisierter Körper, mit dem sich Gott inkarniert, sondern ein verwundbarer, leidensfähiger, der nach Solidarität schreit. Von der Inkarnation bis zur Kreuzigung schreibt sich Gott als verletzliches, körperliches Wesen in die Menschheitsgeschichte ein. Und weil Gott liebt, macht er sich in Jesus Christus verwundbar und es ist nicht eine Beziehung, die bei sich bleibt, sondern sich auch auf den Menschen hin ausstreckt.[5] Körperliche Vulnerabilität als Signum des Menschen anzuerkennen bedeutet dann, auf den Anderen hin grundsätzlich offen zu sein, zu affizieren und affiziert werden zu können – auch in körperlicher Hinsicht. Wenn die Theologie von einem verletzlichen Körper spricht, dann wehrt sie sich gegen solche Unverwundbarkeitsstrategien, die gegenwärtige Körperdiskurse prägen und uns einen ewig jungen, gesunden und schönen Körper suggerieren.[6]
ein verwundbarer, leidensfähiger Körper, der nach Solidarität schreit
Und schließlich zeigt sich für uns in der Transformation des Christuskörpers das körperliche Gewordensein und gewordene Körperlichkeit:
„Wenn wir dem gesamten Bogen der Evangelien folgen, wird nicht nur klar, dass die Verkörperlichung ein zentrales Element menschlicher Identität sowie der Erlösung dieser Identität ist, sondern auch, dass es ein Fehler ist, die Geburt und das Aufwachsen bis hin zum erwachsenen Jesus oder das körperliche Leid als Folge der Kreuzigung bis hin zur Auferstehung und dem Aufstieg von Jesus in den transformierten, verherrlichten Körper zu überspringen.“[7]
den eigenen Körper als Geschichte zu lesen
Damit sind wir dazu eingeladen, den eigenen Körper als Geschichte zu lesen, in die sich die Biographie einschreibt und körperlich sichtbar wird; zum Beispiel durch Geburten, Narben, Beeinträchtigungen, Körperformen jenseits von Schönheitsnormen. Eine solche Lesart von Körperlichkeit wehrt sich damit gegen eine vermeintlich unveränderliche Natur des Körpers, die es zu bewahren gilt. Und schließlich bedeutet es auch, dem Menschen das autonome Recht zuzugestehen, den eigenen Körper zu verändern und sich nicht mit körperlichen Widrigkeiten zufrieden zu geben. Solche Entscheidungen müssen sich dabei stets an der menschlichen Würde und der individuellen Freiheit messen lassen. Sobald sie keine echte Wahloption, sondern eher die Konsequenz eines (technologischen) Imperativs zur Selbstoptimierung darstellen, sind sie ethisch fragwürdig und damit zu verwerfen. Religiöse Bildung könnte hier eine Möglichkeit darstellen, (junge) Menschen dazu zu befähigen, ethisch verantwortete und lebensdienliche Entscheidungen in Bezug auf den eigenen Körper zu treffen, sodass sie sich einerseits körperlich empowern und im Sinne der Identitätsarbeit auch Körperexperimente wagen und andererseits dabei nicht unter Druck geraten, sich verunsichern lassen oder sogar unter die Räder geraten. Zugleich ist darauf aufmerksam zu machen, dass solche Entscheidungen christlich gesprochen immer vorläufig bleiben werden. Vielleicht können sie dann so etwas sein wie ein Vorgeschmack auf das eschatologische Versprechen einer leiblichen Auferstehung – der körperlichen Transformation schlechthin.
Elisabeth Fock ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Religionspädagogik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie Doktorandin am Lehrstuhl für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts der Ludwig-Maximilians-Universität München.
[1] Vgl. u.a. Norbert Brieden, Astrid Heidemann und Hanna Roose, „Auferstehung der Toten,“ letzter Zugriff am 21.02.2025, Das Wissenschaftlich-Religionspädagogische Lexikon im Internet, https://bibelwissenschaft.de/stichwort/100165/; Godehard Brüntrup, Matthias Rugel und Maria Schwartz (Hg.), Auferstehung des Leibes- Unsterblichkeit der Seele (Stuttgart: Kohlhammer, 2010); Uwe Swarat und Thomas Söding (Hg.), Gemeinsame Hoffnung – über den Tod hinaus (Freiburg, Basel, Wien: Herder, 2013).
[2] Weiterführend hier auch Saskia Wendel, Die „Leib-Christi“-Metapher. Kritik und Rekonstruktion aus gendertheoretischer Perspektive (Bielefeld: transcript, 2023), 80-117 sowie Elke Pahud de Mortanges, Bodies of Memory and Grace. Der Körper in den Erinnerungskulturen des Christentums (Zürich: Theologischer Verlag Zürich, 2022), 146-172.
[3] Die Flagellanten waren eine Massenbewegung in Italien, die die Selbstgeißelung als konstitutives Element hatte und darin eine Bußleistung zur Abwendung multipler Krisen sah. Vgl. Dieter Berg, „Art. Geißler,“ in: Lexikon für Theologie und Kirche (Band 4), hg. von Walter Kasper (Freiburg: Herder, 2017), 369-370.
[4] Nancy Eiesland, Der behinderte Gott (Würzburg: echter, 2018), 89.
[5] Hildegund Keul, Schöpfung durch Verlust I (Würzburg: echter, 2021), 80.
[6] Man denke beispielsweise an die verschiedenen Enhancementmechanismen des Post- und Transhumanismus, die von einem Körper als störanfällige Maschine ausgehen und seine beständige Optimierung fordern. Vgl. u. a. Anna Puzio, „Mensch, gut siehst du aus! Betrachtung der heutigen Körperoptimierung: Balancing Ethische Autonomie und Fremdbestimmung,“ in: Digitale Transformationen der Gesellschaft. Sozialethische Perspektiven auf den technologischen Wandel, hg. von Sebastian Kistler, Anna Puzio und Anna Maria Riedl (Münster: Aschendorff Verlag, 2023), 73-93.
[7] Jennifer Janine Thweatt, „Cyborg-Christus: Transhumanismus und die Heiligkeit des Körpers,“ in: Designobjekt Mensch. Die Agenda des Transhumanismus auf dem Prüfstand Göcke, hg. von Benedikt P. Göcke und Frank Meier-Hamidi (Freiburg, Basel, Wien: Herder, 2018), 375.
Beitragsbild: shutterstock.com