Bernd Hillebrand entwickelt anhand des Bildes eines leeren Sofas, was eine schwache Präsenzpastoral ausmacht, wo ihre Herausforderungen und Versuchungen liegen und was durch diesen Ansatz gewonnen werden kann.
Das leere Sofa ist wohl das beste Bild für die pastorale Theorie der Präsenz und für die Präsenzpastoral. Ob als Metapher oder als real aufgestelltes Möbelstück bietet das Sofa einen Freiraum, der sowohl besetzt werden oder auch unbesetzt bleiben kann. Gleichzeitig ist das Sofa als Präsenzangebot nicht ganz leer, sondern eine Person sitzt schon auf dem Sofa, ist da und macht ein sogenanntes personales Angebot. Sie bietet ein stilles, zuhörendes, dialogisches Dasein an. Welche theologische Haltung steht aber hinter diesen präsenztheologischen Angeboten?
Qualifizierung der Präsenz
Präsent-Sein wird auf diese Weise zwar methodisch bestimmt, aber inhaltlich und theologisch bleibt eine Qualifizierung offen. Sie gibt nicht vor, aus welcher Haltung und Motivation heraus jemand präsent ist. Deshalb wird Präsenzpastoral teilweise durch Attribute wie „bedingungslos“ oder „absichtsarm“ näher charakterisiert, was bereits eine schwache Haltung anklingen lässt. Präsenz aus sich heraus ist noch nicht produktiv oder gut für die/den anderen. Beispielsweise wird im reinen Da-Sein die Versuchung einer Defizit- oder Objektorientierung in der Begegnung mit dem/der anderen noch nicht qualitativ berücksichtigt. Das Aufstellen eines leeren Sofas ist noch kein pastoral qualifiziertes Angebot. Es stellt sich also die Frage nach einer christlich-theologisch qualifizierten Präsenz.
Vattimos Verständnis von Schwäche
An dieser Stelle kann ein Blick in die Philosophie Klärung bringen: Der Philosoph Gianni Vattimo bringt christliche Präsenz und christlichen Lebensvollzug mit Schwäche in Verbindung. Sein Konzept des „schwachen Denkens“ überträgt Vattimo auf die christliche Religion. Er interpretiert das Christentum in erster Linie als Offenbarwerden der Kenosis Gottes. Die Kenosis, d.h. die Selbsteinschränkung oder Selbstentäußerung Gottes sei der Hauptzug des Christentums. Diese Selbstentäußerung wird zu einer schwachen Position, die sich für Vattimo in einer Ungewissheit zeigt, die es gilt durchzuhalten, um offen für die Möglichkeiten zu sein, die es dann zu ergreifen oder zu verwerfen gilt. Gerade darin sieht Vattimo eine Stärke der Christ:innen, die sie in die Lage versetzt, die Schwäche und Ungewissheit durchzuhalten und mit der Möglichkeit der Auferstehung als Stärke zu hoffen.
Im Bild des Sofas könnte der Ansatz Vattimos bedeuten, dass Plätze auf dem Sofa in der christlichen Logik ohne Voraussetzung und Bedingung eingenommen werden können. Es kann jede:r auf dem Sofa Platz nehmen, der/die möchte. Darin liegen Schwäche und Ungewissheit im riskierenden Sinne, denn vielleicht ist es am Ende der/die im Kampf um einen Platz Stärkste oder jemand, der/die das Sofa verunreinigt oder eine Person, die einfach ausruhen oder reden möchte. Es liegt also ein Risiko darin, wer auf dem Sofa Platz nimmt und gleichzeitig kann das Sofa Ausgangspunkt einer intensiven Beziehungs- und Begegnungserfahrung sein. Diese riskante Spannung zwischen Stärke und Schwäche hält die Person aus, die ein leeres Sofa anbietet.
Das Paradox der Schwäche in der Gabe-Hingabe-Logik Marions
Mit dieser Beschreibung bestimmt Vattimo jedoch noch nicht, wodurch die Schwäche motiviert ist, was das Motiv für und in diese Position hinein ist. Anders Jean-Luc Marion.[1] Er versteht die Kenose von der Trinität her und qualifiziert sie inhaltlich aus seinem Gabe-Hingabe-Verständnis. Marion betont die selbstlose Liebe in der Kenose deutlicher als Vattimo, als deren Konsequenz die Selbstschwächung in der Kenose folgt. Die Entäußerung beschreibt Marion als Hingabe, als Nicht-Festhalten und als Aufgeben. Dahinter steckt ein gnadentheologisches Vertrauen und Übergeben der eigenen Sorge als Verzicht auf Selbsterlösung. In der Kenose findet also ein bewusster Verzicht statt, über den Empfang einer Gabe zu verfügen.
Zusammenfassend zeigt sich in dem Verständnis der Kenose bei Marion zum einen eine bedingungslose Anerkennung des/der anderen im Kontext von Gabe und Hingabe als schwache Präsenz, die riskiert leer auszugehen, die gibt ohne eine Garantie des Empfangens zu haben. Zum anderen deutet sich bereits eine Paradoxie in diesem Verständnis einer schwachen Präsenz an: die Gabe überlebt möglicherweise nur durch Hingabe, worin also eine Stärke liegt, aber die Hingabe garantiert den Empfang der Gabe nicht, sondern ist gleichsam unverfügbar.
Auch an dieser Stelle wieder ein Blick auf das Bild des leeren Sofas: Vielleicht muss man sich das Sofa in roter Farbe vorstellen, die zum Ausdruck bringt, dass dieses Prinzip des leeren Sofas eine gestärkte und vertrauende Erfahrung bedingungsloser Liebe, letztlich Gnade, voraussetzt. Aus dieser Erfahrung heraus ist es möglich, den eigenen Platz freizugeben, vielleicht sogar den, auf dem man sitzt, mit dem Risiko ihn nicht wieder zurück zu bekommen. Aber nur durch dieses Freigeben des Platzes überlebt das leere Sofa als leeres Sofa.
Zirkuläre Problematik im Paradox der schwache Präsenz
Ob es nun bei der schwachen Präsenz um eine schwache Position (Vattimo) oder um eine bedingungslose Anerkennung des/der anderen geht (Marion), eine (schwache) Präsenz steht immer in der Gefahr, das eigene Risiko nicht offen zu halten und die Nutzlosigkeit der schwachen Präsenz für sich zu funktionalisieren. Im Ansatz des Paradox einer schwachen Präsenz liegt nämlich eine zirkuläre Problematik.
Die eine Seite der Problematik liegt in einer kalkulierten Stärke der schwachen Präsenz. Wenn das Paradox einer schwachen Präsenz nicht mehr das Risiko der Bedingungslosigkeit aufrechterhält, sondern mit der Stärke als verfügbare Methode rechnet, wird unter der Vorgabe einer schwachen Präsenz mit Macht über andere verfügt. Es wird zwar ein Platz auf dem Sofa angeboten und freigegeben, die eigene Position wird als schwache dargestellt, aber das Gesprächsthema und das Verweilen ist nicht frei und offen, sondern wird über den/die andere hinweg bestimmt.
Die andere Seite der Problematik einer schwachen Präsenz liegt in einer altruistischen Selbstverachtung. In diesem Verständnis wird die Paradoxie der schwachen Präsenz als vordergründige Selbstaufgabe zugunsten des/der anderen begründet, was jedoch durch die absolute Selbstrelativierung eine Immunisierung zur Folge hat. Auch in diesem Fall werden Plätze auf dem Sofa angeboten. Im altruistischen Verständnis der eigenen Schwäche zieht der/die Anbietende sich dann aber zurück und möchte mit dem eigenen Platz nichts blockieren und entzieht sich dem Interesse und der Auseinandersetzung mit dem/der anderen. Das eigene Präsent-Sein auf dem Sofa verblasst.
Schwebe einer schwachen Präsenz
Um nicht in eine Ideologisierung des starken Schwachen oder des schwachen Starken zu verfallen, bedarf es einer Schwebe zwischen Selbstfürsorge und Selbstentmächtigung, was keine Balance, sondern das Risiko des einen wie des anderen meint. Das Notwendige aus der Schwebe ergibt sich aus der Begegnung mit dem/der anderen und mit sich selbst und setzt sie gleichsam voraus. Denn in der Begegnung kann es zur inneren Berührung, zum inneren Ergriffensein und zur Verantwortung kommen, was eine Empathie für sich selbst und für den/die andere hervorrufen kann. Es geht also nicht ohne Liebesbegegnung. Diese ist gleichsam für die Schwebe vorausgesetzt, zugleich aber nicht verfügbar, sondern Gnade. Darin liegt eine Spur des Unendlichen, das sich in seiner Unverfügbarkeit jeder Machbarkeit entzieht und durch Absichtslosigkeit die Schwebe offen hält.
Präsent-Sein oder Präsenzpastoral im Sinne einer schwachen Präsenz ist nicht harmlos – erst recht nicht auf dem Sofa. Stark-machen und selbst Schwach-sein-dürfen im Sinne einer schwachen Präsenz setzen eine Begegnung voraus, die verändert. „Bisheriges kommt in die Schwebe, und zwar in Gegenseitigkeit, um darin gemeinsam Neues (oder das Alte auch) neu zu entdecken.“[2] Es gilt stets die Schwebe aufrecht zu erhalten sowohl im Freigeben als auch im Nicht-Aufgeben, um darin jeweils etwas Neues, vielleicht Drittes zu finden. Weder das Freigeben noch das Nicht-Aufgeben dürfen bei einer schwachen Präsenz zum Prinzip werden, sondern bleiben in der Schwebe und entscheiden sich aus dem Moment der Begegnung.
Die schwache Präsenz schwebt nicht zwischen den Plätzen des leeren Sofas, sondern nimmt konkret einen Platz ein, hält aber das unverfügbare Risiko einer offenen Begegnung auf oder neben dem leeren Sofa in der Schwebe.
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[1] Vgl. Jean-Luc Marion, Kenose und Trinität, in: IKaZ 45 (2016) 161–174.
[2] Ottmar Fuchs, Momente einer Mystik der Schwebe, Ostfildern 2023, 82.
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