Das rote Sofa am Rhein ist ein Projekt der Römisch-Katholischen Kirche Basel. Kerstin Rödiger berichtet von der Idee, sich als Kirche auf dem Sofa den Menschen nahbar zu machen, und von den Gesprächen, die sich auf dem Sofa ergeben haben.
Am Anfang war es nur ein geflügeltes Wort… das rote Sofa. Es fiel das erste Mal in der Basler Lesegruppe um das «GründerInnenhandbuch für pastorale Start ups» irgendwann Ende 2019. Ermutigt von diesem Buch machte allein schon das Bild eines roten Sofas am Rheinufer Lust zum Anfangen. Lust, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen, Lust auf Begegnung jenseits der Kirchenwände, Lust darauf, sich nahbar zu machen und überraschen zu lassen.
Sarah Biotti, Leiterin der Spezialseelsorge und Fachstelle Diakonie, brachte mit ihrer Idee den Stein ins Rollen und im April 2020 diskutierte – in einer der ersten Sitzungen mit Masken – eine Gruppe von Seelsorger*innen und Jugend/Sozialarbeiter*innen an dieser Idee weiter.
Lust darauf, sich nahbar zu machen.
Gestärkt wurde dieses Projekt dann, indem von Brigitte Horvath und Pia Krenger im Rahmen einer Projektarbeit in Sozialer Arbeit ein Konzept dafür erarbeitet wurde. Sie betonten darin die Einbindung des roten Sofas in den Sozialraum Kleinbasel. Dort liegt die zentrale Verwaltung der katholischen Landeskirche Basel direkt am Rheinufer und von dort sollte das rote Sofa zu den Einsätzen an den Rhein getragen werden.
Das sogenannte Rheinbord ist eine Hauptschlagader Basels, ein Lebensort an dem flaniert, gegessen und gelacht wird und viel kulturelles Leben stattfindet. Das angrenzende Kleinbasel hat multikulturelle Anwohner*innen und Läden, in der näheren Umgebung liegt das Männerwohn- und ein Kinderheim, grosse Einkaufszentren und kleine Läden voller Besonderheiten.
viel kulturelles Leben am Rheinbord
Nach diesem ersten Treffen ging alles recht schnell. Es wurde ein schönes, tragbares rotes Sofa gekauft. Trotz der Corona-Pandemie erteilte die Stadt die zeitlich begrenzte Erlaubnis, um vor jener landeskirchlichen Zentrale, dem Lindenberg, das rote Sofa über den Sommer probeweise einmal die Woche für 2 Stunden aufzustellen. Wir teilten uns immer zu zweit ein und variierten die Zeiten: mal morgens, mal mittags oder nachmittags. Bewusst gab es keine augenscheinliche Kennzeichnung, dass wir von der Kirche sind. Wir trugen nur einen Button mit dem Logo der Kirche. Und so begann also die Geschichte des roten Sofas am Rhein.
Eindrücklich Begegnungen
Bei einem meiner Einsätze sah ich einen Mann am Rhein um die Bäume herum Steine sammeln. Er war ganz darin versunken. Er schien sie zu zählen und steckte sie in eine Plastiktüte. Es war an seiner Kleidung erkennbar, dass er wahrscheinlich zumindest zeitweise auf der Strasse lebte. Langsam näherte er sich dem Sofa, immer noch Steine suchend. Ich sprach ihn auf seine Tätigkeit an. Er brauche Gewicht, deshalb sammle er Steine, antwortete er. Das Gespräch drehte sich zunächst um die Frage nach Masse und Gewicht und wie viel er denn schon gesammelt habe. Ich folgte seiner Logik. Bis er schliesslich mit einem für mich überraschenden Sprung das Sofa richtiggehend eroberte – und glücklich darauf sass. Ich fragte ihn nun danach, von was er eigentlich träume. Mit ihm entstand daraus dieses Elfchen, ein Gedicht aus elf Worten:
Erdbeertörtchen
davon geträumt
gekauft in Bäckerei
es schmeckte wie erwartet
himmlisch
Er war in diesem Sommer der einzige, der auch mich nach meinen Träumen fragte.
Der einzige, der auch mich nach meinen Träumen fragte.
Auch mein allererstes Gespräch war für mich sehr einprägend und zugleich typisch. Es begann ebenfalls damit, dass ich einen vorbeigehenden jüngeren Mann ansprach, ob er bereit sei, mir von seinen Träumen zu erzählen. Er wurde nun seinerseits neugierig, wer wir hier sind. Schliesslich erzählte er noch ziemlich lange davon, über was er gerade nachgedacht hatte, während er am Rhein spazieren ging.
Manche Begegnungen blieben sehr kurz, manchmal war es nur ein Nicken zu den Rheinschwimmern, die nun schon zum zweiten Mal vorbeiliefen und uns einfach nur wahrnahmen. Kolleg*innen erzählten, wie sie sich einfügten in dieses kulturelle Leben mit tanzenden Ballerinas und Menschen, die ihre Slackline am Rhein aufspannten. Manchmal sprachen wir Menschen an, die in der näheren Umgebung auf der Bank sassen. Mein Einstieg war oft die Frage nach den Träumen, andere fragten nach der Befindlichkeit oder einfach, ob man auf dem Sofa einen Moment ausruhen möchte. Brigitte Horvath, Autorin der Projektarbeit und Seelsorgerin im Tabubereich, konnte eine der Frauen einladen vorbeizuschauen. Diese nutzte tatsächlich die Gelegenheit für ein längeres Gespräch mit ihr.
Es braucht die Bereitschaft, mit der Erfahrung von Ablehnung umzugehen.
Die Begegnungen waren ein bunter Mix aus «einfach-da-sein», an diesem Rheinufer einen Raum eröffnen, kurzen fast poetischen Begegnungen und intensiven Gesprächen.
So erfüllend diese Zeit am Rheinbord war, so ist diese Art von Begegnung doch auch anspruchsvoll. Es braucht von uns Seelsorger*innen eine freundliche Präsenz, gewürzt mit einer aufgeschlossenen Haltung und einer grossen Portion Mut, Menschen anzusprechen. Es braucht das aktive Zugehen auf die Menschen – und damit verbunden auch die Bereitschaft, mit der Erfahrung von Ablehnung umzugehen.
Was bleibt?
Nach diesem Sommer wurden im Rückblick drei zentrale Beobachtungen deutlich:
Erstens war es für das Rote-Sofa-Team eine gute Erfahrung in kurzer Zeit ein Gemeinschaftsprojekt mit viel Freude und positiver Energie zu starten. Die Konzentration auf ein gemeinsames Ziel schaffte einen Raum, den es so vorher noch nicht gab. Auch das Anfangen, ohne auf alle «Aber» eine Antwort zu haben, war eine lohnende Erfahrung.
Zweitens hörten wir viele positive Reaktionen auf dieses Projekt und erlebten Verwandlung. Eine Frau hatte sich entspannt auf das Sofa gesetzt und wurde spürbar unsicher, als sie erfuhr, dass dies von der Kirche initiiert ist. Das anschliessende Gespräch jedoch bot die Möglichkeit, mit diesem ungewohnten Rahmen Raum für diese andere Erfahrung von Kirche zu schaffen. «Das ist aber gut, dass Kirche so etwas anbietet», sagte etwa eine ganze Gruppe Rentner*innen, die einen Geburtstagsausflug veranstalteten hatten, und auf und um das Sofa ihre Erinnerungsfotos knipsten.
«Das ist aber gut, dass Kirche so etwas anbietet.»
Das Rote Sofa ist ein Symbol für die Bewegung, dass die Kirche auf die Menschen zugeht und sich für ihr Leben, ihre Sorgen und ihre Freuden interessiert. Wir auf dem Sofa setzen uns diesen Reaktionen aus, sehr nah, sehr echt, sehr eindrücklich. «Wir müssen uns aus der Komfortzone hinausbewegen, das braucht Mut», sagte dazu Sarah Biotti.
Drittens: Das rote Sofa überraschte die Menschen mit Gastfreundschaft und dem Angebot, Zeit zu haben ohne etwas zu wollen. Ein Mann war seit 3 Jahren mit dem Velo unterwegs, er musste den Kopf frei bekommen. Für ihn war das Angebot hier kurz auszuruhen eine wunderbare Geste des Willkommenseins, die ihm auf seiner Reise einen Moment des Innehaltens bot. Es gab andererseits auch eine Frau, die sich erst drei Wochen nach dem ersten Kontakt traute, auf dem Sofa Platz zu nehmen.
Das rote Sofa überraschte die Menschen mit dem Angebot, Zeit zu haben ohne etwas zu wollen.
Diese drei Ziele sollen auch in Zukunft mitgenommen werden, wenn der Bildungsverantwortliche des Pastoralraums Basel-Stadt Martin Föhn SJ zusammen mit der Jugendarbeiterin Mirjam Lachenmeier dieses Projekt für die Zukunft weitertragen. Einerseits soll es nun regelmässig am Rhein stehen und andererseits findet es vielleicht auch an anderen Orten seinen Platz, etwa in einem Spitalgarten oder auf dem Pfarreifest. Auch sollen Kissen auf dem Sofa verkünden: «Wir haben Zeit». Das rote Sofa darf seine Wirkung weiter in den sozialen Raum hinein entfalten, und vielleicht auch besondere Gäste aus dem Männerwohnheim empfangen.
Die Kirche braucht solche Projekte, damit sie das Bild von sich wieder weiten kann. Wir als Seelsorger*innen profitieren von der Erfahrung, einfach für die Menschen nahbar zu sein und auch Ablehnung auszuhalten.
das Bild von sich wieder weiten
Die Menschen dürfen sich überraschen lassen, dass jemand einfach Zeit hat und sich genau jetzt für sie interessiert.
Das Rote Sofa, es ist für mich zu einem Bild für diese Aufmerksamkeit und Menschenfreundlichkeit geworden.
Eigentlich bräuchte es auf der Welt mehr rote Sofas.
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Dr. Kerstin Rödiger ist seit 2016 in der Römisch-Katholischen Kirche Basel angestellt. Sie hat auch im eigenen Wohnzimmer ein rotes Sofa stehen. Am Rhein liebt sie es, einen Kaffee zu trinken, leider hat sie das Rheinbord noch nie vorbeischwimmend genossen.
Fotos von der Projektgruppe „Das rote Sofa“. Der Button wurde auch dafür hergestellt.
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