Seit längerem implementieren auch die Kirchen neuere Steuerungsmethoden der öffentlichen Verwaltung. Lukas Grangl zu den Chancen, Herausforderungen und Grenzen der Umsetzung moderner Organisationsreformen im kirchlichen Kontext.
Wie und in welcher Gestalt den Herausforderungen der Gegenwart begegnen? Vor dieser Frage stehen nicht nur Individuen, sondern auch Großorganisationen wie die katholische Kirche, die sich in einem komplexen Netz externer und interner Wirkmächte und Trends befindet. Die Schlagworte hierzu sind bekannt: Säkularisierung, Individualisierung, Pluralisierung, Ressourcenrückgang (Finanzen, aber auch Personal und Partizipation) und vieles mehr.[1]
Können moderne Organisationsgestaltungsansätze in die Kirche übertragen werden? Und wenn ja: Wie? Zur Beantwortung dieser Frage wird exemplarisch auf das „New Public Management“ (NPM) zurückgegriffen. Das NPM wurde als „Neues Steuerungsmodell“ (NSM) in die Kommunalverwaltungsorganisation der Bundesrepublik Deutschland integriert.
New public management: Ziele, Erfahrungen und Scheitern
Das NPM hatte ein demokratisches Ziel: Die Führungsfunktion der Politik gegenüber der Verwaltung zu stärken sowie die Legitimation des Verwaltungshandelns insgesamt zu erhöhen. Wesentlich für die Frage der Integration moderner Organisationsreformansätze in den kirchlichen Kontext ist hierbei deren dezidiert marktwirtschaftlich-unternehmerische Ausrichtung: der konsequenten Orientierung an den Kund:innen, an den erstellten Leistungen, den erzielten Wirkungen (Output) und der verwirklichten Qualität. Zudem findet eine Orientierung am Wettbewerb statt (mit anderen, mit sich selbst).[2] Diese Grundausrichtung basiert auf einer Reihe von Prämissen über die Wirklichkeit, die als etwas rational Erfassbares, Gestalt- sowie Kontrollierbares verstanden wird.[3]
Ein idealtypisches Ergebnisbeispiel dieser Reformbemühungen stellt ein Bürger:innen- und Verwaltungszentrum dar, das im Sinne von marktwirtschaftlichen Kunden- und Servicecenter als Mach-die-Kund:innen-glücklich-Zentrum agieren soll. Auf der Innenseite zeigt sich das NPM etwa in Form eines Kontraktmanagements, also dem Festlegen von Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Organisation und Mitarbeiter:innen (Belohnung/Sanktionierung als extrinsische Motivatoren). Der organisationsinterne Prozess der Leistungserstellung (von „Produkten“) auf Basis eines zugewiesenen eigenverantworteten Budgets soll durch Instrumente des Qualitätsmanagements, des Controllings und internen Rechnungswesens überwacht werden. Dies setzt Messbarkeit voraus. Personal- und organisationsseitig wird eine laufende Verbesserung durch Personal- und Organisationsentwicklung angestrebt.[4]
Gerade Praktiker wissen, dass Organisationsgestaltung auf dem Papier von bestechender Logik sein kann, jedoch im Strudel der Komplexitäten und Kontingenzen des Steuerungshandelns vor größere Herausforderungen gestellt wird. So auch im Falle der Umsetzung des New public management als „Neues Steuerungsmodell“, das mittlerweile als weitgehend gescheitert angesehen wird.
In der Praxis zeigten sich hier u.a. drei Problemfelder:[5] zum einen die mangelnde Berücksichtigung der (demokratischen) Eigenlogik öffentlicher Politik und der Interessen der beteiligten Akteure, zweitens die Nichtberücksichtigung organisationaler Dynamiken, etwa dass dezentrale Einheiten vor allem durch Budgetexpansion „gewinnen“, sowie drittens ein unsauberes Informationsmanagement, insofern Akteure ein Interesse daran haben, Daten nicht wertungsfrei weiterzuleiten, was die Ziel- und Erfolgsmessung erschwert. Auch entstehen hier leicht unverarbeitbare „Datenfriedhöfe“.
Staatliche Verwaltungsreformen – ein Vorbild für die Katholische Kirche?
Dies führt zur Frage der Übertragbarkeit dieser Ansätze und zugehöriger Erkenntnisse in den kirchlichen Kontext. Eine solche ist nicht ohne weiteres möglich. Dies ist aufgrund mehrerer Differenzen der Fall: (1.) abweichende Aufgaben- und Zielstellungen, (2.) ähnlich hohe, aber nicht gleiche Systemkomplexität, (3.) unterschiedliche Legitimationsquellen und (4.) die Eigenlogiken und Arbeitsweisen der jeweiligen Systeme. Möchte man Erkenntnisse moderner Verwaltungs- und Organisationsreformen für die Kirche fruchtbar machen, zeigen sich vor allem drei Herausforderungen.
Zum einen ist da die fremde Sprach- und Denkwelt. Voraussetzung einer gelungenen Implementierung ist die Überbrückung der Kluft zwischen einer Sprachwelt, die wesentlich von Objektivierungen und Zweck-Mittel-Relationen dominiert ist, und der Sprachwelt der kirchlichen Milieus, die eine dezidiert am Menschen und der Gemeinschaft orientierte Sprache pflegen. Im pastoralen kirchlichen Bereich ist zudem mit der Schwierigkeit zu rechnen, die Aufträge der Kirche in klare und quantifizierbare Zieldefinitionen zu überführen (Zieldiffusität). Im Zentrum steht das (Seelen-)Heil des Menschen, ein nicht quantifizierbares Gut. Drittens aber droht die Gefahr der „Vergegenständlichung“ der Gläubigen. Die Prozesse des NPM erfordern eine Sichtweise, durch die das Gegenüber vorübergehend (als Handlungs- und Steuerungsadressat) von einem „Du“ zum „Es“ wird. Grundlage gelungener Pastoral aber sind persönliche Beziehungen.
Diese Herausforderungen gehen jedoch mit einer Stärke einher: Die neuen Managementansätze erlauben einen nüchternen, gar „schonungslosen“ Blick auf Wirkungszusammenhänge und die Motivationen und Bedürfnisse aller Beteiligten: eine ergänzende Perspektive, die den „werkzeughaften“ Charakter von Kirche (vgl. LG 1) unterstützt.
Voraussetzungen erfolgreicher Implementierung
Die Zusammenschau der Erfahrungen mit dem NPM im staatlichen Bereich, mit den in der Kirche vorliegenden besonderen Anforderungen und schließlich der Stärke dieser Ansätze als Transmissionsriemen, erlaubt eine Antwort auf die Frage, wie die Verwaltungsreformansätze im kirchlich-organisationalen Kontext fruchtbar gemacht werden können.
- Akteursinteressen berücksichtigen! Vor einer Einführung muss eine eingehende Beschäftigung mit den vorhandenen Interessenstrukturen stattfinden. Die Reform muss so konzipiert und strukturiert sein, dass den einzelnen Akteur:innen Gründe zum Mitwirken gegeben werden.
- Konzeptkompatibilität prüfen! Trotz des grundsätzlich auf Basis der jeweiligen Prämissen logischen Aufbaus von Reformansätzen muss die Frage gestellt werden: Wie kann die innewohnende Eigenlogik so adaptiert werden, dass sie mit der Eigenlogik kirchlicher Systeme kompatibel wird?
- Lernprozesse zulassen und fördern! Ein Reformprozess muss nicht zwangsweise als ein „großer Wurf“ ausgestaltet sein, sondern kann ebenso gut ein schrittweiser Prozess über viele Jahre sein. Gerade die zeitlich hohe Stabilität kirchlicher Leitungsstrukturen im Vergleich zu Politik oder Wirtschaft bietet hier erhöhte Erfolgschancen.
- Neue Sprach- und Denkwelten entdecken! Die Herausforderung für die Beteiligten – insbesondere jenen mit Steuerungsaufgaben –, liegt darin, in zwei verschiedenen Denk- und Sprachwelten beheimatet sein zu müssen. Die Brückenbauarbeit von einer Sprach- und Denkwelt in die andere kann nur dann gelingen, wenn entsprechend qualifiziertes, mit beiden Bereichen vertrautes und mit entsprechenden Ressourcen ausgestattetes Personal vorhanden ist.
- Reformpromotion! Stärkung der Reform durch eine einheitliche Führung und Multiplikator:innen.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich nicht in allen Teilen der Katholische Kirche die gleichen Erfolgschancen einer Implementierung zeigen. So sind in der klassischen Kontaktpastoral auf pfarrlicher Ebene größere Herausforderungen zu erwarten als im übergeordneten und unterstützenden Verwaltungsapparat. Gute Einführungschancen bieten sich aus Sicht des Autors im Rahmen der Erschließung neuer pastoraler Orte (Citypastoral, Jugendkirchen, virtueller Raum etc.), da hier Flexibilität und Kundensensibilität moderner Organisationsmodelle einen Mehrwert stiften können, bei gleichzeitig geringeren Reibungsflächen mit bestehenden Strukturen. Das Versprechen moderner Reformansätze ist real, erfordert jedoch einen sensiblen Zugang zum Bestehenden und zum Eigencharakter der Katholischen Kirche als Organisation, um fruchtbar werden zu können.
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Lukas Grangl, Dr. theol., Studium der Katholischen Fachtheologie und Rechtswissenschaften (KFU Graz), der Politik- und Verwaltungswissenschaften/Governance (FU Hagen) sowie des Bank- und Versicherungsmanagements (FH Joanneum). Aktuell Dissertation zum Thema „Kirchliche Steuerungskulturen“ im Fach Pastoraltheologie. Mitarbeiter einer großen internationalen Steuer- und Wirtschaftsberatungskanzlei.
[1] Vgl. Bsp.: Pollack/Rosta, Religion; Ebertz, Erosion.
[2] Vgl. Schedler/Proeller, NPM.
[3] Vgl. Kegelmann, NPM, 123–136.
[4] Vgl. Bogumil/Jann, Verwaltung; Holtkamp, Verwaltungsreformen.
[5] Vgl. Holtkamp, Verwaltungsreformen, 214–219.
Literatur
Bogumil, Jörg/Jann, Werner, Verwaltung und Verwaltungswissenschaften in Deutschland. Einführung in die Verwaltungswissenschaft, Wiesbaden 22009
Ebertz, Michael, Erosion der Gnadenanstalt? Zum Wandel der Sozialgestalt von Kirche, Frankfurt/M. 1998
Grangl, Lukas, Die Katholische Kirche und das New Public Management. Moderne betriebswirtschaftliche Verwaltungs- und Organisationsreformen im kirchlichen Kontext anhand des New Public Management, Graz 2016. (Diplomarbeit Univ. Graz)
Grangl, Lukas, Moderne betriebswirtschaftliche Organisationsreformen und ihre Versprechen. Das New Public Management und die Katholische Kirche, in: Bucher, Rainer (Hrsg.), Pastoral im Kapitalismus, Würzburg 2020, 95-109
Holtkamp, Lars, Verwaltungsreformen. Problemorientierte Einführung in die Verwaltungswissenschaft, Wiesbaden 2012
Kegelmann, Jürgen, New Public Management. Möglichkeiten und Grenzen des Neuen Steuerungsmodells, Wiesbaden 2007
Pollack, Detlef/Rosta, Gergely, Religion in der Moderne. Ein internationaler Vergleich, Frankfurt/M. 2015.
Schedler, Kuno/Proeller, Isabella, New Public Management, Wien 52011 (=UTB 2132).