Stefan Hoffmann, Bamberg, paraphrasiert Jesaja 9,1-6.
Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht kein helles Licht.
Seine Augen haben sich schon lange an die Finsternis gewöhnt, es findet sich im Dunkeln zurecht mit geweiteten Pupillen.
Jedes bisschen Licht, jede Spur davon reizt die Netzhaut der Dunkelheit-Bewohner*innen.
Noch nehmen sie diese kleinen Veränderungen wahr und es bewegt sich etwas in ihren Herzen, auch wenn sie nicht sicher sind, ob es Sehnsucht ist oder eine Täuschung, Wunschdenken oder Hoffnung.
Noch sind sie nicht so lange in der Finsternis, dass gleichgültige Zeitläufte ihre Wahrnehmungsorgane unbrauchbar gemacht hätten, als überflüssig wegentwickelt durch eine ewigen Gesetzen verpflichtete Evolution.
Immer wieder gibt es (Leucht-)Spuren, zart und flüchtig, aus Sehnsucht eingebildet oder wirklich, in jedem Falle den Wahrnehmungs-Apparat reizend. Wenn sie verlöschen, ist die Dunkelheit eine Zeit lang schwärzer als zuvor, undurchdringlich, beängstigend. Und die Menschen leben in ihr wie unter Wasser.
Sie rücken zusammen, treten in Fühlung, werden zu einem großen Organismus, dürsten nach Zugehörigkeit. Die Mutigsten sitzen am Rand und starren hinaus in die Finsternis, halten Ausschau. Die meisten aber halten sich die Ohren zu.
Sie fürchten das Unheil aus der Dunkelheit, das stille Verhängnis, das leise Grauen. Und sie schließen die Augen. Doch sie können ihre Sinne nicht abschalten.
Früher konnten sie sie übertönen mit allerlei Getöse und Events und Social Media. Aber jetzt sind sie ausgesetzt in der Dunkelheit und ihre Sinne haben sich geschärft.
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Text und Bild: Stefan Hoffmann, Theologe und Fernsehredakteur.