Am 15.8.2022 fand im Salzburger Dom eine Jungfrauenweihe statt. Isabelle Jonveaux (Graz) analysiert Hintergründe der medialen Debatte, die die Weihe begleitete.
Am 15. August 2022 hat im Salzburger Dom eine Jungfrauenweihe stattgefunden. Derzeit leben acht Frauen diese Form des geweihten Lebens in der Diözese Salzburg. Diese Art der Weihe, die auf die antike Zeit des Christentums zurückgeht, als es noch keine Frauengemeinschaften gab und die asketische Lebensform in der Wüste den Männern vorbehalten war, wurde 1970 von der Kirche neu belebt. C. 604 im Kirchenrecht von 1983 definiert die Lebensform der geweihten Jungfrauen und folgt auf C. 603, der die Lebensform der Eremiten definiert; beide Lebensformen sind außerhalb der Institute des geweihten Lebens angesiedelt. Man liest: „Außer diesen Formen des geweihten Lebens gibt es den Stand der Jungfrauen, die zum Ausdruck ihres heiligen Vorhabens, Christus in besonders enger Weise nachzufolgen, vom Diözesanbischof nach gebilligtem liturgischem Ritus Gott geweiht, Christus, dem Sohn Gottes, mystisch anverlobt und für den Dienst der Kirche bestimmt werden.“ In sich handelt es sich um eine Form von geweihtem Leben unter anderen.
Warum hat diese Jungfrauenweihe eine Debatte in den Medien ausgelöst? Es wurde über die Jungfrauenweihe einer Pastoralassistentin der Diözese Graz im Jahr 2017 nicht so viel berichtet. Was macht den Fall von Salzburg so umstritten?
Wir haben es mit einer ungewöhnlichen Mediatisierung des geweihten Lebens zu tun.
Es muss hier zuerst betont werden, dass diese Zeremonie bereits im Vorfeld in den Medien angekündigt und am Tag der Weihe digital übertragen wurde. Die meisten Jungfrauenweihen finden im engsten Familien- und Freundeskreis statt. Hier haben wir es mit einer ungewöhnlichen Mediatisierung des geweihten Lebens zu tun. Seitdem die Berufungen in den Ordensgemeinschaften oder für die Priesterweihe rückläufig sind, wird jeder Eintritt in das Ordensleben oder jede Ordination mit mehr Bedeutung und mehr Interesse für die Medien aufgeladen. Die Seltenheit der religiösen Berufungen lädt jede als Charisma gegenüber der Gesellschaft auf und jeder kann zu einer medienwirksamen Figur werden, egal, ob die Person dafür vorbereitet ist oder nicht. Die Individualisierung des Eintritts ins Klosterleben und seiner verschiedenen Etappen (Einkleidung, Profess) machen sie zu persönlichen Zeremonien, deren Mediatisierung mehr die Person als das Ereignis betrifft, wie bei einer Gruppe von zum Beispiel fünf oder sechs NovizInnen früher.
Die Mediatisierung wurde von der Loretto-Gemeinschaft selber betrieben.
In diesem Fall wurde die Mediatisierung von der Loretto-Gemeinschaft selber betrieben. Dabei ist die Kultur des Events, die diese Laiengemeinschaft charakterisiert, zu erkennen. In einem mit „Der Pilger und der Konvertit“ (1999) betitelten Buch stellt die französische Soziologin Danièle Hervieu-Léger sechs Identifikations-Modalitäten zum Christentum bei den jungen Praktizierenden auf; die erste ist der Enthusiasmus und die kollektive Begeisterung der grossen Versammlungen. Die Laien- und hauptsächlich Jugendgemeinschaft von Loretto, die auch das Ereignis „Pfingsten“ in Salzburg jedes Jahr organisiert, hat aus dieser Weihe ein Event gemacht, wo die Mitglieder ihr Zugehörigkeitsgefühl durch die geteilte Emotion wieder spüren können.
Die breite Medienberichterstattung über dieses Ereignis hat es auch außerhalb der katholischen Kreise getragen, die mit einer bestimmten Art von Ritualen und Rhetorik vertraut sind. Viele auflagenstarke Zeitungen in Österreich berichteten darüber, wie z.B. der Standard oder die Krone. Das bedeutet, dass eine Kategorie von Menschen, die noch nie von dieser Art des geweihten Lebens gehört hatte, es in diesem Moment für sich entdeckte und schockiert war, wie man beim Lesen der Reaktionen sehen kann.
Die Geschichte zeigt auch, dass der Wert, der auf die Jungfräulichkeit von Frauen gelegt wird, nie weit von der Macht der Männer entfernt ist.
Was ist an dieser Art des geweihten Lebens in der heutigen Gesellschaft besonders schockierend? Zunächst und vor allem die Bezeichnung, die sich auf die Jungfräulichkeit von Frauen konzentriert und diese zu einem Wert an sich macht. Keuschheit in Form des Verzichts auf sexuelle Beziehungen ist bei allen Arten des geweihten Lebens erforderlich, auch bei Priestern oder Mönchen und Nonnen. Während die breite Öffentlichkeit das geweihte Leben tatsächlich mit Keuschheit in Verbindung bringt, schockiert die Tatsache, dass letzteres direkt im Namen der Art des Engagements betont wird. Die Geschichte zeigt auch, dass der Wert, der auf die Jungfräulichkeit von Frauen gelegt wird, nie weit von der Macht der Männer entfernt ist. Bei geweihten Jungfrauen ist die direkte Autorität die des Bischofs, also eines Mannes, im Gegensatz zu den Frauenorden, die eine Oberin haben. Diese Form von Weihe ist außerdem nur für Frauen zugänglich. Abgesehen von der Genderfrage ist diese Debatte auch wieder in die aktuelle Debatte um die Priesterehe einzuordnen.
Man verzichtet eigentlich auf die Brautsymbolik, will die Einkleidung nicht mehr so betonen, damit die Profess als die eigentliche Bindung an die Gemeinschaft herausgehoben wird.
Ein interessanter Punkt ist schließlich die Erwähnung der verschiedenen Symbole, die sich auf die Ehe und Hochzeit beziehen: das Hochzeitskleid, der Schleier, das Ring. Diese Symbolik war bis nach dem Konzil auch in Frauenklosterleben verwendet worden, wird aber heutzutage weniger stark in den Mittelpunkt gestellt[1]. Das Brautkleid etwa wird nur noch sehr selten in Europa bei einem Professfeier verwendet. So sagt Veronika Peter, die in den 1980er Jahren zehn Jahre in einem Benediktinerinnenkloster in Deutschland gelebt hat: „Heute ist alles schlichter. Man verzichtet auf die Brautsymbolik, will die Einkleidung nicht mehr so betonen, damit die Profess als die eigentliche Bindung an die Gemeinschaft herausgehoben wird. Erfahrungsgemäß verlassen relativ viele Schwestern nach der Einkleidung die Gemeinschaft wieder.“[2]
Es zeigt sich die Unmöglichkeit für Frauen, außerhalb einer männlichen Autorität zu leben, da die Frauen, die nicht verheiratet sind, dies auf mystische Weise tun, während die Männer zölibatär mit Gott leben.
Die Symbolik, die im religiösen Leben der Frauen im Spiel ist, ist nicht neutral, da sie zum Teil das Erbe der männlichen Herrschaft in der Kirche widerspiegelt. Sie bezieht sich auf den Aufbau der christlichen Askese in der Geschichte, wobei die Askese der Männer als Kampf gegen die Dämonen in der Wüste aufgebaut wird, während die der Frauen die eheliche Vereinigung mit Christus darstellt. In dieser Unterscheidung spiegelt sich die Unmöglichkeit für Frauen wider, außerhalb einer männlichen Autorität zu leben, da die Frauen, die nicht verheiratet sind, dies auf mystische Weise tun, während die Männer zölibatär mit Gott leben. Die Jungfräulichkeit erscheint sogar als einer der „Standards der Heiligkeit“ für Frauen: „Abgesehen von einigen Ausnahmen sind [heilige] Frauen Jungfrauen, Witwen oder Märtyrerinnen“ (Carruth, 2000, 124). Die Verpflichtung als geweihte Jungfrau ist nach deutschem Kirchenrecht ausdrücklich eine Form der Verlobung („anverlobt“) und im lateinischen Text eine Form der mystischen Ehe („mystice desponsantur“), was die Verwendung dieser Symbole rechtfertigen kann, auch wenn das Brautkleid hier sehr selten verwendet wird.
Handelt es sich um eine bewusste Provokation gegenüber der Gesellschaft, die sexuelle Askese absolut nicht als plausibel ansieht?
Doch während sich das geweihte Leben der Frauen allmählich von ehelichen Symbolen und der Rhetorik der Jungfräulichkeit emanzipiert, konzentriert sich die von der Loretto-Gemeinschaft und der Betroffenen vorgelegte Weihe genau auf diese Dimensionen. Handelt es sich um eine bewusste Provokation gegenüber der Gesellschaft, die sexuelle Askese absolut nicht als plausibel ansieht? „Wer verzichtet, indem er der Welt entsagt, gilt heute als verklemmter Sonderling, der ein gestörtes Verhältnis zur Lust und zum sinnenfrohen Leben hat. Verzicht auf Sexualität gar ist besonders verdächtig.“ [3] Bei einem YouTube-Video, das fast 30.000 Mal angeschaut wurde, und wo sie ihren Weg erklärt, beginnt sie so: „Keinen Sex zu haben ist in unserer Zeit eine krasse Entscheidung“. Ist es aber wirklich das Zentrum des Engagements einer Jungfrau für die Kirche? Die Enthaltsamkeit ist Teil der Askese und die Askese war im Christentum nie ein Ziel in sich, sondern ein Instrument, um Gott näher zu kommen.
Verfehlt die Betonung des Verzichts auf Sex und Jungfräulichkeit nicht den Kern dessen, was das geweihte Leben ausmacht, nämlich ein Leben, das ganz Gott geweiht ist?
Verfehlt die Betonung des Verzichts auf Sex und Jungfräulichkeit nicht den Kern dessen, was das geweihte Leben ausmacht, nämlich ein Leben, das ganz Gott geweiht ist? Und entsteht hier nicht die Kluft zwischen der Kirche und der Gesellschaft, die keinen Zugang zum Verständnis dieser Art von Engagement hat?
Diese Lebensform außerhalb einer Gemeinschaft ermöglichte einst in Wirklichkeit mehr Autonomie für die Frauen.
Wie oft beim geweihten Leben der Frauen ist die Form der Jungfrauenweihe ein Paradoxon zwischen traditionellen Formen der männlichen Herrschaft und der Emanzipation der Frauen, da diese Lebensform außerhalb einer Gemeinschaft in Wirklichkeit mehr Autonomie für die Frauen ermöglichte, nach dem gleichen Modell wie Priester, die individuell leben. Der Soziologe Isacco Turina, der geweihte Jungfrauen in Italien untersucht hat, schreibt: „In sum, while the consecration of virgins does not challenge the traditional rules of Roman Catholicism with regard to sexuality and power, it is quite progressive with regard to themes of individualism, lifestyle, and relations with secular society.”[4]
Diese Debatte zeigt schließlich die aktuellen Reibungspunkte zwischen der Gesellschaft und der Kirche sowie innerhalb der Kirche selbst auf: die Nichtakzeptanz der Kontrolle des Körpers und insbesondere der Sexualität durch die Kirche sowie die Stellung der Frauen in dieser Institution und ihre Symbolik. Das Ereignis an sich wirft aber auch Fragen zur Eventisierung auf, die in einigen Strömungen der katholischen Kirche stark an Bedeutung gewonnen hat.
Isabelle Jonveaux ist Religionssoziologin und Religionswissenschaftlerin. Sie ist Leiterin des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts Suisse Romande (SPI Suisse Romande) und unterrichtet an der Universität Freiburg (Schweiz). Forschungsschwerpunkte: Heutiges Klosterleben in Europa und Afrika; Internet und Religion, neue Formen von Askese.
Beitragsbild: Pixabay
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[1] Isabelle Jonveaux, „Les moniales et l’emprise du genre“, Sociologie, 2/6, 2015 https://journals.openedition.org/sociologie/2487#text
[2]Veronika Peters, Was in zwei Koffer passt. Klosterjahre, Goldmann Verlag, München, 2007, 79.
[3] Axel Michaels, Die Kunst des einfachen Lebens. Eine Kulturgeschichte der Askese, Munich, C.H. Beck, 2004, 7-8.
[4] Isacco Turina, „Consecrated Virgins in Italy: A Case Study in the Renovation of Catholic Religious Life”, Journal of Contemporary Religion, Vol. 26, No. 1, 2011, 52.