Helga Kohler-Spiegel (Feldkirch) empfiehlt drei Bücher über Demenz, die sich dem Thema in ganz unterschiedlicher Weise nähern.
Es ist unüblich, als Sommerlektüre Bücher über Demenz zu empfehlen. Ich tue es dennoch. Drei exemplarische Empfehlungen seien genannt. Das erste Buch ist in meinen Augen eine Pflichtlektüre, ein Eintauchen in eine Welt, die berührt und anrührt, die verwirrt und nachdenklich macht und zugleich ermutigt und so viel Achtung vor den Menschen vermittelt. Lesen Sie:
Kathrin Feldhaus und Margarethe Mehring-Fuchs / Veronika-Stiftung Rottenburg (Hrsg.): Wenn der Kopf hinausgeht, ganz weit fort. Wie Menschen mit Demenz das Leben sehen, Patmos-Verlag Ostfildern 2016.
Über ein Jahr lang haben Kathrin Feldhaus und Margarethe Mehring-Fuchs Menschen, die an Demenz erkrankt sind, in drei Einrichtungen in Baden-Württemberg begleitet, „umwerfend ehrlich und direkt“ haben ihnen Betroffene ihre Sicht auf das Leben erzählt, so schreiben sie. Beschreibungen von Situationen, Dialoge, Aussagen der Betroffenen, kurze Texte, Fotos… Ich habe im Buch angefangen zu lesen und es hat mich nicht mehr losgelassen. Das Buch lädt ein zum Blättern, zum Verweilen bei einzelnen Gedanken, das Buch lädt einfach ein, ein wenig hineinzuschauen in die Welt von Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Es ist entwaffnend ehrlich, voller Gefühle, verwirrend und humorvoll zugleich.
Dem Buch beigefügt ist eine CD mit dem Titel „Bruchstücke“. Der Slam-Poet Tobias Gralke hat Gedanken und Textstücke aus dem Buch herausgenommen, mit Zitaten und Liedern erweitert und verdichtet. Herausgekommen ist eine rhythmische, poetische und emotionale Hör-CD, die das Buch wunderbar ergänzt.
Außerdem zu empfehlen sind die kurzen Texte in:
Ute Dahmen / Annette Röser: Mein Vater und die Gummi-Ente… Demenz. Angehörige erzählen. SingLiesel-Verlag Karlsruhe 2015
Ute Dahmen ist Journalistin und beschreibt Szenen mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Auf ganz achtsame Weise erzählt sie kleine Momente, humorvolle und berührende Begebenheiten, wie sie im Alltag mit Menschen mit Demenz immer wieder vorkommen. Diese kleinen Szenen lesen sich sehr leicht, Ute Dahmen hat kurze Texte von jeweils drei bis vier Seiten verfasst. Im Buch heißt es, dass diese Anekdoten, die jeder im Alltag mit Demenz erlebt, manchmal hilfreicher sind als ein fachmännischer Rat. Mir jedenfalls ging es beim Lesen so – diese kurzen Texte haben mich einfach mit hineingenommen in die Welt der Betroffenen. Ich wollte nicht aufhören zu lesen…
Interessant auch: Der Verlag SingLiesel wurde gegründet als Initiative von Menschen, deren Angehörige von Demenz betroffen waren. Ziel des Verlags ist es, gute und sinnvolle Bücher und Produkte für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen zu schaffen. Dafür eignet sich zum Beispiel:
„Was waren das für Zeiten…“ Feste und Bräuche. Bilder vergangener Tage, SingLiesel-Verlag Karlsruhe 2015
Das Buch ist ein „Bilderbuch“. Auf der linken Hälfte einer Doppelseite befindet sich jeweils die Überschrift und ein kurzer Gedanke zum Foto, der in einem Satz das Bild auf der rechten Seite beschreibt. Mehr ist das Buch nicht. Und gerade das macht das Buch hilfreich für alle, die mit Menschen mit Demenz zu tun haben, Angehörige, Ehrenamtliche und Pflegepersonen. Denn die Bilder und der Satz dazu schaffen Gesprächsanlässe, ermöglichen, über Erinnerungen ins Gespräch zu kommen.
Von Demenz ist in diesem Buch nur auf Rückseite die Rede, auf einer Folie, die abgezogen werden kann, wenn es ein Geschenk werden soll. Denn es soll ein „Erinnerungsbuch“ sein, ohne dass von Demenz die Rede sein muss.
Autorin: Helga Kohler-Spiegel ist Professorin für Pädagogische Psychologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg.
Beitragsbild: Buchcover (http://www.patmos.de/wenn-der-kopf-hinausgeht-ganz-weit-fort-p-8627.html?cPath=38_13)