Für Teilhabe und Selbstbestimmung aller Menschen müssen Planer und Planerinnen neben der Kenntnis einschlägiger Vorschriften und Regelwerke auch den Mut zur kritischen Auseinandersetzung haben, fordert Birgit Dietz.
Mit ihrem Buch „Demenzsensible Architektur“ 1 macht die Architektin die Arbeit des Bayerischen Instituts für alters- und demenzsensible Architektur öffentlich, das sich für eine umfassende Barrierefreiheit von Räumen einsetzt. „Ob also ein Mensch als hilflos, überfordert, störend oder dement erlebt wird, hängt nicht nur von ihm allein, sondern auch von der Reaktion und der Unterstützung seiner Umwelt ab. In diesem Buch wird auf Ansätze des ‚Universal Design‘ und des ‚Evidence-based (healthcare) Design‘ zurückgegriffen. Dabei werden die Anforderungen an die Lebensräume von Menschen mit kognitiven Einschränkungen stärker berücksichtigt. Bisher werden in die Entscheidungen, wie diese Lebensräume gestaltet werden, meist vorwiegend finanzielle, ästhetische und funktionale Aspekte einbezogen.“ (S. 11/12)
Ob ein Mensch als hilflos erlebt wird, hängt von der Unterstützung seiner Umwelt ab.
Die Diakonie Neuendettelsau ist eine Ausnahme. Hier hat man sich bereits vor mehr als 10 Jahren intensiv Gedanken gemacht, wie Gebäude, Räume, Gärten den Bedürfnissen demenzkranker Menschen entgegenkommen können. Birgit Dietz weist auf die gesellschaftliche Verantwortung hin: „Ob der Lebensabschnitt mit einem Gefühl der Zufriedenheit durchlebt werden kann, ist nicht ausschließlich der Situation, den Erfahrungen und den Ansprüchen des Einzelnen geschuldet, auch die gesellschaftspolitische Dimension spielt eine entscheidende Rolle.“ (S.14) Die eigene Erfahrung mit ihrer an Demenz erkrankten Schwiegermutter und die Forschung des Psychologen Dietrich Dörner haben die Architektin für das Thema sensibilisiert:
Dörner „beschreibt, dass viele Emotionen mit zwei Bedürfnissen zusammenhängen: dem Bedürfnis nach Bestimmtheit und dem nach Kompetenz. Bestimmtheit wird in einer geordneten Umwelt erlebt, deren Regeln erkannt werden und in der Entwicklungen vorauszusehen sind. Wer Probleme bewältigen und Aufgaben lösen kann, fühlt sich kompetent. […] Vor diesem Hintergrund erklärt Dörner das Erleben von Unbestimmtheit und Inkompetenz als eine wesentliche Ursache für das Entstehen von Angst.“ (S. 15) Ein bewusster Einsatz architektonischer Mittel kann dazu beitragen, diesen Eindruck zu reduzieren. […] Eine wesentliche Grundlage für die alters- und demenzsensible Gestaltung unterschiedlicher Räume und Lebensbereiche ist daher, das Erleben von Bestimmtheit und Kompetenz zu ermöglichen.“ (S. 17)
Das Erleben von Bestimmtheit und Kompetenz ermöglichen.
„Wenn nun also nicht nur die Anpassungsfähigkeit des an Demenz erkrankten Menschen an unterschiedliche Umgebungen abnimmt, sondern bei einigen Formen von Demenz die Welt in Einzelteile zu zerfallen droht, sollte die Lesbarkeit der Umgebung mit einfach zu entschlüsselnden Signalen an alle Sinne so gut wie möglich unterstützt werden. […] Prof. Andreas Kruse vertritt die Meinung, dass Ressourcen bewusst aufgebaut werden können. Besonders in Bereichen, die über unsere kognitive Fähigkeiten hinausgehen, wie Musik oder Kunst, sei dies möglich. So können ‚Inseln des Selbst‘ geschaffen werden, die auch in der Erkrankung – vielleicht wie von einem erfahrenen Seefahrer die im Nebel versunkene Insel – noch angefahren werden können.“ (S. 24)
Inseln des Selbst schaffen.
Birgit Dietz und ihr Team denken deshalb über den Einsatz von Farben, über Licht und Schatten, Kontraste, über Wege, Piktogramme, Leitsysteme und die Gestaltung von Informationen nach. Das Buch nimmt die Leser*innen in anschaulichen Beispielen und Bildern mit in nicht nur für demente Menschen problematische Situationen und zeigt Lösungen auf – zum Teil überraschend einfache Lösungen, die Bestimmtheit und Kompetenz stärken und gegen die Angst arbeiten.
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Text und Bild: Birgit Hoyer, Mitglied der Redaktion.
- Birgit Dietz, Demenzsensible Architektur. Planen und Gestalten für alle Sinne, Fraunhofer IRB Verlag, Stuttgart 2018. Alle Seitenangaben beziehen sich auf die Publikation. ↩