Markus Ries macht auf Aspekte des Schreibens „Veritatis Gaudium“ aufmerksam, die eine kritische Einschätzung verlangen. Leserbrief zum Beitrag von Christian Cebulj.
Der optimistische Motivationsruf „Veritatis gaudium“ kommt erfrischend und zur richtigen Zeit: Papst Franziskus ergreift die Initiative, um der Theologie neue Impulse zu geben und sie auf ein höheres Niveau zu heben, als sie in seinen Augen derzeit ist. Und er benennt entscheidende Punkte: Fokussierung auf das Wesentliche der Frohen Botschaft, Dialog, Interdisziplinarität und Vernetzung. „Überlegte und prophetische Entschlossenheit“ nimmt er überzeugend und glaubwürdig für sich in Anspruch. Wir tun gut daran, uns davon in Frage stellen und inspirieren und zu lassen. Hier trifft jemand den Kern und traut den wissenschaftlich Arbeitenden geistige Offenheit, Demut und fruchtbaren Fortschritt zu.
Veritatis Gaudium: Glücksfall und wahre Freude also?
Glücksfall und wahre Freude also? Schauen wir dem Pferd in den Bauch, ehe wir es in die Stadt ziehen. In seinem zweiten Teil enthält der Erlass 241 detaillierte Vorschriften mit gleichen, einheitlichen Regelungen für alle kirchlich anerkannten Hochschuleinrichtungen auf der ganzen Welt. Die zuständigen Oberen haben als Großkanzler für das Gedeihen ihrer Institutionen zu sorgen. Wer ernst nimmt, dass sie im Heiligen Geist gesetzt sind wie einst die episkopoi von Ephesus (Apg 20,28), wird erschrecken: „Veritatis gaudium“ spricht ihnen in Fragen der theologischen Studien Urteilskraft und Verantwortung rundweg ab. Für substanzielle Entscheidungen müssen sie das Plazet der Römischen Bildungskongregation einholen: für die Approbation von Studienordnungen genauso wie für die Verleihung von Ehrendoktoraten oder die Bestätigung gewählter Dekaninnen und Dekane.
Die Berufung auf ordentliche Professuren unterliegt nach wie vor dem römischen „nihil obstat“-Vorbehalt.
Die Berufung auf ordentliche Professuren unterliegt nach wie vor dem römischen „nihil obstat“-Vorbehalt – eine Regelung, die zurückgeht auf die Konstitution „Deus scientiarum Dominus“ vom 24. Mai 1931 und deren Anwendung seit 1979 wiederholt die Glaubwürdigkeit von Kirche und Theologie arg beschädigte. Die Bischöfe, die der Papst ja selbst ernannt hat, gelten nach dieser Vorschrift als nicht kompetent für die Beurteilung von Rechtgläubigkeit und Integrität einer kandidierenden Person.
Die kirchlichen Gesetzgeber achten die Arbeit der Theologinnen und Theologen, zeigen aber offene Geringschätzung gegenüber ihren Mitbrüdern im bischöflichen Dienst. Diese Spannung schafft Risiken – gefragt sind jetzt Augenmaß, Umsicht und Verantwortungsbewusstsein. In Troja haben sie damals zu früh gejubelt.
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Markus Ries ist Professor für Kirchengeschichte und Prorektor Universitätsentwicklung an der Universität Luzern.