Eine neue liturgische Sprache lebt von ihrem Inhalt und von der Haltung der Sprechenden. Sie bewegt und erzählt. Und sie hat Macht, Wirklichkeit zu schaffen. Von Jacqueline Keune
Der Barmherzigkeit Gottes sind Grenzen gesetzt.
Das sagt der Präfekt der Glaubenskongregation in einem Interview.
Der Barmherzigkeit Gottes sind Grenzen gesetzt.
Das ist für mich Missbrauch von kirchlicher Sprachmacht, denn Sprache ist Macht.
Sprache macht Welt. Sprache macht Glauben, eben auch solchen: der Barmherzigkeit Gottes sind Grenzen gesetzt.
Eine neue liturgische Sprache weiss, dass Worte Wirklichkeit schaffen – heilende und verheerende, darum ist ein bewusster Umgang mit Sprache von grösster Bedeutung. Worte sind Zweige für Nester und Pflaster für Wunden. Worte machen gross und machen schön. Und Worte machen runter, kanzeln ab und treten nach. Es gibt Sätze, auch religiöse Sätze, die Seelen imprägnieren.
Eine neue liturgische Sprache ist nah am Leben der Menschen und an der Wirklichkeit der Welt. Sie weiss, dass sie von Gott redet, wenn sie vom Menschen redet und orientiert sich nicht an abstrakten Wahrheiten, sondern an lebendigen Erfahrungen, auch an fremden.
Carola Moosbach betet:
Ich fordere Deine Gerechtigkeit Gott
hilf mir tritt Du für mich ein
lass ihn nicht davonkommen diesen ehrbaren Schrebergärtner
lass es nicht diesen Dreckskerl sein der als letzter lacht Gott
Amen
Wenn Gott und die Rede von ihm nichts mit unseren konkreten Alltagen zu tun haben sollen, dann ist das, als ob es ihn gar nicht gäbe.
Eine neue liturgische Sprache rechtfertigt nicht, sondern reflektiert. Sie belehrt nicht, sondern bewegt. Sie deutet mehr an denn aus. Und sie erzählt mehr als sie doziert.
Martin Buber sagt: «Ich habe keine Lehre. Ich zeige nur etwas … Ich stosse das Fenster auf und zeige hinaus.»
So sehr ein Mensch verkümmert, wenn er bloss noch in seiner Funktionalität gesehen wird, so sehr verkümmert eine Sprache, die nur noch erklärt.
Eine neue liturgische Sprache tut nicht andächtiger als es ihre Sprechenden selber sind. Sie schafft keine künstliche Bedeutung, sondern redet normal. Und sie weiss, dass ein starker Inhalt einen starken Ausdruck schafft, nicht umgekehrt.
Wolf Biermann bittet:
Gott,
und bist du nichts
als ein Loch,
dann lass
mich durch.
Und bist du nichts
als ein Brot,
dann komm
in meinen Bauch.
Und bist du nichts
als ein Licht,
dann mach
mich an.
Eine neue liturgische Sprache räumt den Sprachmüll beiseite, der sich in den Jahrhunderten aufgetürmt hat und konzentriert sich auf das Wesentliche. Paul Zulehner spricht von «Logorrhö», vom Wortdurchfall, vom liturgischen Gelafer. Wenn ich allein an die Bibliotheken über die Letzten Dinge denke.
Die Lyrikerin Christine Busta fasst sie in zwei Sätzen zusammen:
Was werden wir sein
in hundert Jahren?
Der Erde vermählt und Gott anvertraut,
zwei Hände voll zärtlichem Staub.
Eine neue liturgische Sprache ist mit der Sprache des Alltags vertraut und gleichzeitig eine verdichtete, eine mystische, eine poetische Sprache. Nicht, weil sie Gedichte rezitiert, das macht die Sprache nicht poetisch, sondern weil sie Grenzen überschreitet.
«Binde deinen Karren an einen Stern», sagt Leonardo da Vinci.
Um von der Liebe, von der Sehnsucht und vom Schmerz reden zu können, brauchen wir eine Sprache, die über die Sprache des Alltags hinausreicht.
Und eine neue liturgische Sprache orientiert sich an einem gerechten und geschwisterlichen Bild vom Menschen, von Kirche und Welt. Und an einem ewigen Du, das nicht herrscht, sondern liebt. Sie stellt sich auf die Seite der Benachteiligten und eröffnet den Armen eine Perspektive. Sie hofft, dass mehr möglich als wirklich ist und steht immer im Dienst der Verkündigung des Reiches Gottes. Deshalb ist sie immer auch Anders- und Gegensprache.
Wir brauchen keine neue liturgische Sprache, wenn wir nichts zu sagen haben. Aber wir haben etwas zu sagen. Etwa das:
Der Barmherzigkeit Gottes sind keine Grenzen gesetzt.
Jacqueline Keune, freischaffende Theologin, Luzern
Zum Weiterlesen:
Jacqueline Keune, Von Bedenken und Zusagen. Liturgische Texte, Horw / Luzern (db-verlag) 2004
Dies., Den Tag entlang. Geschichten und Geschichtetes, Horw / Luzern (db-verlag) 2011
Der Text entstand als Impuls an der Tagung „Das Morgen entsteht im Heute. Zu den vergessenen Möglichkeiten des Konzils“ vom 21. November 2015 in Luzern. Die auf der Homepage der Herbert-Haag-Stiftung veröffentlichte Fassung (Tagungsdokumentation, S. 37-39) wurde von der Autorin für feinschwarz.net leicht überarbeitet.
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