Marita Wagner arbeitet derzeit als Visiting Scholar am Hekima University College der Jesuiten in Nairobi. Sie hat im September am afrikanischen Klimagipfel teilgenommen und zieht zusammen mit Gloria Munyavi Wambua und Rachael Kirui ein ganz persönliches Fazit.
Im Rahmen des ersten afrikanischen Klimagipfels in der Geschichte formulierte der kenianische Präsident Willam Ruto drängend: „In der Klimakrise gibt es keine zwei Seiten. Wenn wir nichts tun, dann werden wir alle darunter leiden. Wenn wir brennen, werdet auch ihr brennen.“ Vom 6. bis 9. September 2023 kamen die Präsident*innen und Minister*innen der afrikanischen Staatengemeinschaft in Nairobi unter dem Thema „Driving Green Growth and Climate Finance Solutions for Africa and the World“ zusammen. Auch ausländische Delegierte sowie afrikanische Umweltaktivist*innen und Youth Leaders nahmen an der Zusammenkunft teil.
Die Hoffnungen und Erwartungen waren groß.
Die Hoffnungen und Erwartungen waren groß, insbesondere der jungen Generation. Sie fordern Klimagerechtigkeit und das Sichtbarmachen der sozialen und ökonomischen Disparitäten, die innerhalb aber auch zwischen den afrikanischen Staaten existieren. Dabei nehmen sie insbesondere vulnerable Gemeinschaften in den Fokus. Ein Beispiel ist der Slum Kibera, der mitten in Nairobi liegt und in dem 2,8 Millionen Menschen leben – 60 Prozent der Hauptstadtbevölkerung.
Der Afrikanische Klimagipfel sollte ein Forum von und für Afrikaner*innen werden. In der Auswertung werden jedoch Enttäuschung und Frustration, mitunter auch Wut artikuliert: „Es war kein Gipfeltreffen, es war eine bloße Ausstellung. Wir als junge Umweltaktivist*innen, die sich mit eigenen Start-Ups und konkreten Lösungsansätzen einbringen wollten, haben keinen Platz am Tisch erhalten“, stellt Gloria Munyiva Wambua, Vorsitzende des katholischen Jugendnetzwerks YOUNIB mit Sitz in Nairobi, fest. Und dies ist wortwörtlich zu verstehen.
The »Race Card«
Bereits die Registrierungswoche vor Beginn des Gipfels hat gezeigt, dass der Zugang zum Treffen streng reguliert wurde – zumindest für die eigene Bevölkerung. Während ich über einen befreundeten kenianischen Delegaten ohne Hürde einen Zugangspass erhielt, mussten Munyiva und der Fernsehdirektor YOUNIBs drei Tage lang um ihre Pässe kämpfen. Diese Erfahrung machten auch andere kenianische Teilnehmende. Der Hauptsaal, in dem die Präsident*innen und Abgeordneten diskutierten, war offiziell nur mit einem VIP-Pass zugänglich. Munyiva und unsere Mitstreiter*innen wurden daher vom Sicherheitspersonal abgewiesen. Als ich kurz darauf mein Glück versuchte, musterten die Wachmänner zunächst streng meinen Pass.
White privilege at its best.
Als sie »Delegate Germany« lasen, lächelten sie mich an, die Flügeltüren zum Konferenzsaal schwangen auf und ich durfte eintreten – white privilege at its best. Wir hatten dieses Szenario bereits antizipiert: „Wir brauchen die Informationen, um mitreden zu können, also nutze die Chance – für uns alle“, hatte Munyiva zu mir gesagt. Ich notierte so viel ich konnte, machte Fotos und Videos, um möglichst viele Daten teilen zu können. Und trotzdem lässt sich der systemisch-institutionelle Rassismus und meine darauf gründende Bevorzugung nicht ausblenden. Meine Freundin Rachael Kirui kommentierte dieses Erlebnis wie folgt: „Unser [kenianisch-afrikanisches] Denken ist noch immer kolonialisiert und durch rassistische Stereotype unterwandert. Wir bevorzugen weiße Europäer*innen gegenüber unseren eigenen Landsleuten, weil sie als wichtiger, intelligenter und einflussreicher gelten. Dabei haben wir hier in Kenia die kreativsten jungen Menschen, die bereits in jungen Jahren eigene Unternehmen und Start Ups im Bereich Umweltschutz gründen. Die Ideen sind da, aber wir haben kein Geld, um diese patentieren zu lassen. Also müssen wir sie günstig verkaufen und die multinationalen Konzerne machen langfristig Profit und Erfolg mit unseren Erfindungen.“ Warum exkludiert ein Afrikanischer Klimagipfel die eigene engagierte junge Bevölkerung, die noch dazu die Mehrheit der kenianischen Gesellschaft darstellt?
Gendergerechtigkeit und Klima
Insbesondere mit Blick auf Genderungerechtigkeit im Klimawandel gibt es viel zu tun. Im Rahmen eines Panel Talks erklärte die berühmte ugandische Klimaaktivistin Vanessa Nakate: „Wir sind mehr als nur Mütter, Töchter und Schwestern. Wir sind mehr als die Rollen, die uns die Gesellschaft zuweist. Deshalb müssen wir vor allem in Frauen und ihre Ideen investieren. Das bedeutet auch, dass wir als Frauen in der Klimabewegung einander helfen müssen, um Plattformen füreinander zu schaffen. Viele von uns sind schon hier und wollen Teil der Bewegung sein.“ Die Second Lady of Ghana, Samira Bawumia, sowie die Beraterin des kenianischen Präsidenten für Frauenrechte, Harriet Chiggai, unterstrichen die Herausforderung, dass bis dato nur drei Prozent aller Finanzierungen für Klimaprojekte in von Frauen geführte Unternehmen und Organisationen investiert werden. Somit gehören sie neben unterprivilegierten Gruppen zu den am stärksten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffenen Personen. Was es brauche, so Bawumia, sei die Rückbesinnung auf und Integration von vorhandenem indigenen traditionellem Wissen – beispielsweise mit Blick auf den Anbau heimischer Früchte und Gemüsesorten – in Klimafinanzierungsprogramme.
Afrikas Ressourcen für Afrika
Im Rückblick stellt sich unter uns jungen Christ*innen eine weitere Frage: Der Klimagipfel wurde als Chance für Afrika und seine wirtschaftlichen Beziehungen mit Europa, den USA und China angepriesen. „Afrika ist der Schlüssel für Klimafinanzierungsprogramme und Grünes Wachstum“, hieß es. Aber warum stellt kaum jemand die Frage, wie es dazu kam, dass wir uns heute in dieser Klimakrise samt kapitalismusorientierter Überproduktion und einer global-hierarchischen Arbeitsverteilung wiederfinden? Und kann eine grüne Industrialisierung, die weiterhin am neoliberalen Wachstumsnarrativ festhält, nachhaltige Lösungen bieten?
Europa verstößt gegen das Pariser Klimaabkommen.
Braucht es anstatt „Green Growth“ nicht vielmehr einen „Degrowth“-Ansatz?[i] Brauchen wir weniger vom Mehr?[ii] Ein Panellist analysierte scharf: „Wer hat Europa das Recht gegeben, so viel Kohlenstoff auszustoßen? Europa verstößt gegen das Pariser Klimaabkommen. Wenn du den Vertrag brichst, dann musst du dazu stehen und Verantwortung übernehmen! („If you break it, you own it!“) Und deshalb brauchen wir eine Emissionssteuer! Andernfalls steuern wir auf einen grünen Kolonialismus zu.“ Auch wies er auf das Paradoxon hin: zwar seien Europa und die USA die Hauptverursacher das Klimawandels, de facto werde aber die afrikanische Bevölkerung am meisten durch diese Auswirkungen geschädigt – obwohl sie am wenigsten zu dieser Zerstörung beigetragen hat. Aus diesem Grund müssten die Ressourcen des Kontinents zuerst den Menschen in Afrika zugutekommen, erst danach könne man über transkontinentale Handelsbeziehungen sprechen.
Vor diesem Hintergrund fehlte vielen der jüngeren Teilnehmenden eine kritische Auseinandersetzung mit globalen Abhängigkeitsverhältnissen und neokolonialen Strukturen, die weiterhin wirkmächtig sind und die es zu adressieren gilt.
Ökotheologische Reflektion
„Die europäischen Länder kommen nicht als „Freunde“ oder aus reiner Nettigkeit zum Klimagipfel, sondern aufgrund wirtschaftlicher Interessen“, weiß auch der Yarumal-Missionar Firmin Koffi. Ich begleite ihn dieser Tage bei seiner Arbeit in Kibera. Als Priester und Psychologe lebt er mit den Menschen im Slum, wo es kein fließendes Wasser gibt, stattdessen wird es in großen Tanks gesammelt und gefiltert, auch Elektrizität ist nicht durchgängig vorhanden. Des Weiteren fehlt ein funktionierendes Abwassersystem, der Müll sammelt sich auf den Straßen. In einer Megacity wie Nairobi leben viele Menschen unter einfachen Verhältnissen auf engem Raum miteinander. Father Firmin hat deshalb 2017 den Biobauernhof »3000 Friends Farm« mitbegründet.
Dieser steht allen Interessierten offen und bietet die Möglichkeit, dem lauten Großstadtleben zu entfliehen. Neben Exerzitien und spirituellen Angeboten bringt Father Firmin den Menschen die Grundlagen von Urban Gardening bei, wie sie in der Planung von Smart Cities Anwendung finden: „Wir zeigen den Menschen, wie sie Alltagsgegenstände recyclen und für ihren Anbau nutzen können. Es braucht keine großen Industriemaschinen dafür. Auch auf wenig Raum und mit wenig Mitteln lässt sich viel für den eigenen Bedarf anbauen.“ Als Material nutzt er Autoreifen, Joghurtbecher, Plastikflaschen und -eimer sowie übriggebliebene Holzpfosten. Anstatt Pestiziden und Chemikalien werden die Felder mit den Exkrementen der Hasen und Kühe gedüngt. Die farmeigene Biogasanlage deckt die Stromversorgung in den Häusern auf der Farm.
Die Umwelt nicht als rein ökonomische Ressource betrachten.
Für Father Firmin ist ein ökologisch-nachhaltiges Umweltbewusstsein integraler Bestandteil theologischer Reflektion: „Wir können Gott nicht von seiner Schöpfung trennen. Theologie kann nicht ohne Ökologie gedacht werden. Wir müssen über das Sprechen, was Gott geschaffen hat, aber zugleich auch die Frage stellen, inwieweit der Mensch als Ko-Schöpfer an diesem Geschehen teilnimmt – positiv wie negativ.“ So entwirft der Theologe Edward Osang Obi eine Afrikanische ökologische Ethik, die sich dem unendlichen Fortschrittsmythos des Westens und einem dualistischen Denken von Mensch und Natur entzieht.[iii] Dabei verweist er auf Laudato Siʾ: „… die Bibel [gibt] keinen Anlass für einen despotischen Anthropozentrismus, der sich nicht um die anderen Geschöpfe kümmert.“[iv] Auch Father Firmin betont, dass afrikanische Gesellschaften die Umwelt nicht als rein ökonomische Ressource, sondern als kommunikative Quelle der eigenen Selbstvergewisserung verstünden. Dieses Bewusstsein um die reziproke Beziehung und die afrikanische Spiritualität eines »Genug« identifiziert er als Beitrag afrikanischer Theologien zu einem globalen Umdenken in ökologischen Fragen. „Es braucht uns als Theolog*innen, um an die moralische Verantwortung des Menschen für die Schöpfung und deren Erlösung zu erinnern.“ Dabei mahnt er insbesondere mit den Worten von Papst Franziskus an, dass es eine „ökologische Schuld“[v] zwischen dem Globalen Norden und Süden gebe – und diese gelte es endlich in den Fokus internationaler Gespräche zu rücken. Der Afrikanische Klimagipfel hat dazu eine erste Chance geboten. Umso wichtiger ist es, den hier präsentierten Forderungen und Perspektiven beim Weltklimagipfel in Dubai Ende diesen Jahres Gehör zu verschaffen.
___
Marita Wagner ist Vorstandsmitglied der Werkstatt Ökonomie, ein entwicklungs- und bildungspolitischer Verein, der sich für wirtschaftliche, soziale und ökologische Gerechtigkeit weltweit einsetzt. Derzeit promoviert sie zu postkolonialen und dekolonialen Studien sowie Critical Studies in Whiteness am Zentrum Theologie Interkulturell und Studium der Religionen an der Paris Lodron Universität in Salzburg, Österreich. Außerdem absolviert sie ein interdisziplinäres Schwerpunktstudium in Global Studies.
Porträtfoto: Mina Jung Photos
[i] Vgl. Matthias Schmelzer, Andrea Vetter, und Aaron Vansintjan, The future is degrowth. A guide to a world beyond capitalism (New York: Verso, 2022).
[ii] Esch, Tobias, Mehr Nichts! Warum wir weniger vom Mehr brauchen, München 2021.
[iii] Osang Obi, Edward, The Church in Africa and the Challenges of Climate Change. Pathways to African Ecological thics, in: Ilo, Stan Chu/ Nonterah, Nora/ Otu, Idara, Faith in Action Vol 1. Reform, Mission and Pastoral Renewal in African Catholicism since Vatican II, Abuja 2010, S. 356-384.
[iv] Der Heilige Stuhl, Laudato Siʾ. Über die Sorge für das gemeinsame Haus, Nummer 68.
[v] Der Heilige Stuhl, Laudato Siʾ, Nummer 51.