Soll die Kirche mit der AfD reden? Für Michael Haspel ignoriert diese Frage das eigentliche Problem: fremden-, frauen-, demokratie- und rechtsstaatsfeindliche Positionen unter nicht wenigen Kirchenmitgliedern.
Soll die Kirche mit der AfD reden? Soll die AfD auf Kirchentage eingeladen werden? Dürfen AfD-Mitglieder Ehrenämter in der Kirche übernehmen dürfen? Das sind Fragen die angesichts der Wahlerfolge und hohen Umfragewerte der AfD im kirchlichen und öffentlichen Raum diskutiert werden. Und sie gehen am eigentlichen Problem vorbei. Denn sie gehen von einer Innen/Außen-Unterscheidung aus: Hier ist die Kirche und irgendwo dort draußen sind die Rechtspopulisten und Rechtsextremen.
Die Innen/Außen-Unterscheidung trifft in Mitteldeutschland nicht mehr zu.
Zumindest für die kirchliche und gesellschaftliche Situation im mdr-Sendegebiet (Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) trifft diese Struktur nicht mehr zu. Angesichtes der Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl 2021, bei der in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen 16 Direktmandate an die AfD gegangen sind, und den Prognosen für die Landtagswahlen vor allem in Thüringen und Sachsen im Herbst 2024 müssen wir davon ausgehen, dass in den ländlichen Bereichen der Kirchen in Mitteldeutschland vielerorts 30-50% der Gemeindeglieder AfD wählen oder AfD-affin sind. Die Unterschiede zwischen Städten und dem ländlichen Bereich sind extrem, so dass die im Durchschnitt schon hohen Werte im ländlichen Bereich bei weitem übertroffen werden.[1]
Neben den hohen Werten in der Fläche findet sich darüber hinaus auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland eine einmalige Konzentration von Rechtsextremismus-Hotspots und -Immobilien: Thommy Frenck in Kloster Veßra; die Reichsbürgerverschwörung in Bad Lobenstein; Götz Kubitschek und das sogenannte Institut für Staatspolitik in Schnellroda; die Bildungsstätte des Gedächtnisstätte e.V. in Guthmannshausen; die Verbrennung des Tagebuchs der Anne Frank in Pretzien; Patrick Wieschke und Knockout 51 in Eisenach/Gotha; die Turonen in Ballstädt; Thorsten Heise in Fretterode, Sven Liebich und zeitweilig die Identitären in Halle; Der „III. Weg“ in Ohrdruf, für lange Zeit das Braune Haus in Jena – und schließlich kamen die Mitglieder des NSU aus Thüringen (und tauchten in Sachsen unter). Von Seiten der Kirche ist keine Strategie erkennbar, wie mit diesen Hotspots umgegangen werden könnte. Nicht selten werden Pfarrer:innen im Entsendungsdienst an die wenig beliebten Orte geschickt. Dann bestreiten die entsprechenden Familien schon mal das Krippenspiel mit.
keine kirchliche Strategie im Umgang mit Hotspots des Rechtsextremismus
Gab es früher, etwa zu den Zeiten als die NPD in einigen Landtagen saß, noch geringfügige Unterschiede bei Einstellungen und Wahlverhalten von Kirchengliedern und dem Rest der Bevölkerung, sind diese Differenzen hinsichtlich des Rechtspopulismus und der AfD weitgehend nivelliert, d.h. es muss davon ausgegangen werden, dass die Werte der Gesamtbevölkerung in etwa auch die der Kirchenglieder sind. Ob das bei ehrenamtlich Engagierten, Kirchenältesten, Kerngemeinde und Hauptamtlichen anders ist, bleibt zu hoffen, – zuverlässige Zahlen dazu gibt es nicht. Nach neueren Untersuchungen ist nicht die Kirchenmitgliedschaft, sondern die Form der Religiosität entscheidend, nämlich ob diese inklusiv ist, oder exklusiv und dabei andere Gruppen abwertet.
Konkret sieht das so aus: Das sind Kirchenälteste, die sich weigern, ein Friedensgebet für die Ukraine abzuhalten, das sind aktive Gemeindeglieder, die in den Telegramgruppen, in denen z.T. auch die Pfarrperson Mitglied ist, fremdenfeindliche, frauenfeindliche, homo- und transphobe, antisemitische und islamophobe Memes teilen und entsprechend kommentieren. Das sind Kirchenkreise, die sich nicht daran stören, dass AfD-Funktionäre kirchliche Leitungsämter wahrnehmen, das sind zahlreiche Teilnehmende auf Anti-Corona-Maßnahmen-Protesten, die Schulter an Schulter mit Rechtsradikalen und Verschwörungsideolog:innen marschieren. Es gibt erste Pfarrer:innen, die deshalb die Stellen wechseln, zum Teil gleich in westliche Landeskirchen. Das sind natürlich Einzelfälle, die ich persönlich kenne; aber die Reaktionen in meinem weiteren Umfeld deuten darauf hin, dass dies nicht singulär ist, sondern die Spitze des Eisberges.
Deshalb stellt sich die Frage: Was bedeutet es für die Kirche, wenn – bei allen regionalen Unterschieden – 30-50% der Menschen sowohl im gesellschaftlichen Umfeld als auch in den Gemeinden rechtspopulistische und rechtsextremistische Einstellungen haben, die den christlichen Grundüberzeugungen widersprechen? Kann man mit fremden-, frauen-, demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Menschen Kirche sein? Das Erstaunliche ist, dass darüber in den Kirchen weitgehend geschwiegen wird. Die Frage des braunen Elefanten in der Kirche – über den man nicht spricht – ist also nicht nur ein politisches und ethisches Problem, es ist ein ekklesiologisches. Es geht um das Wesen der Kirche, um das Kirchesein selbst.
Ein ekklesiologisches Problem: Kann man mit fremden-, frauen-, demokratie- und rechtsstaatsfeindlichen Menschen Kirche sein?
Ursprünglich hatte ich überlegt die Metapher des blauen Elefanten zu nehmen. Aber das wäre nicht präzise genug gewesen. Auf der Ebene der politischen Institutionen ist im Moment natürlich die AfD am auffälligsten und am bedrohlichsten. Die AfD in Mitteldeutschland ist klar rechtsextremistisch ausgerichtet. Aber rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen sind nicht auf die AfD begrenzt. Etwa die Hälfte der AfD-Wähler:innen wird dem Rechtsextremismus zugeordnet. Die anderen teilen überwiegend Elemente rechtspopulistischer Einstellungen. Einige Elemente, mit denen rechtsextreme Einstellungen gemessen werden, etwa im Bereich der Fremdenfeindlichkeit, erzielen aber noch viel höhere Zustimmungswerte als die AfD Zustimmung erfährt. Diese lassen sich dann populistisch mobilisieren – nicht nur von der AfD. Das macht es noch komplizierter, weil es bekanntermaßen in der CDU der mitteldeutschen Länder einen starken rechtspopulistischen Flügel gibt. Es ist ja kein Einzelfall, dass ehemalige CDU-Sympathisant:innen heute bei der AfD sind. Symptomatisch ist Tino Chrupalla, der Bundessprecher der AfD. Er war gemeinsam mit dem heutigen Ministerpräsidenten Kretschmer bei der Jungen Union und hat Kretschmer dann 2017 das Direktmandat für den Bundestag in Görlitz abgenommen. D.h. die AfD ist zweifelsohne ein Sammelbecken für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, aber diese Phänome sind nicht auf die blaue Partei begrenzbar.
Die AfD in Mitteldeutschland ist klar rechtsextremistisch ausgerichtet. Aber rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen sind nicht auf die AfD begrenzt.
Dieselbe für die Kirche geschilderte Problematik gilt auch für die Diakonie[2]. Wie kann man ein diakonisches Profil ausbilden, das sich an der Gottebenbildlichkeit und damit der gleichen Würde aller Menschen orientiert? Wie geht Inklusion mit Mitarbeitenden mit sozialdarwinistischen Einstellungen? Wie geht Eingliederung von migrantischen Jugendlichen, wenn die Verantwortlichen auf Einheimischenvorrechten pochen? Gerade die Werte für diese Einstellungen sind in den entsprechenden Erhebungen schon seit längerem überproportional hoch. Und wie sollen die diakonischen Unternehmen angesichts des eklatanten Arbeits-, insbesondere Pflegekräftemangels reagieren? Auch hier ließen sich konkrete Beispiele anführen: Der rechtsextreme Sticker auf dem Privatwagen, der allerdings für die Pflegefahrten genutzt wird; die Mitarbeitenden, die gebeten werden, auch im Sommer bestimmte Körperteile wegen einschlägiger Tattoos bedeckt zu halten. Für die Diakonie könnte aus dieser Perspektive eine Möglichkeit zur Profilierung erwachsen. Als große Arbeitgeber und wichtige zivilgesellschaftliche Institutionen könnten die diakonischen Einrichtungen für Mitarbeitende, Klient:innen und Angehörige zu Agenturen der Menschenrechts- und Demokratiebildung werden.
Meist wird aber weggeschaut. In Kirche und Diakonie. Wie in der Gesellschaft. Das ist das wirklich Schlimme: Es ist der Neuen Rechten in Teilen Ostdeutschlands gelungen, Fremden- und Demokratiefeindlichkeit, Anti-Feminismus und Gender-Kritik sowie Klimakatastrophenleugnung in Form des Ressentiments sowie abstruser Verschwörungsmythen und Rassismus als „normal“ erscheinen zu lassen. Auf Tabubrüche erfolgt keine öffentliche oder kirchliche Reaktion mehr.
Teilweise beteiligen sich kirchliche bzw. theologische Funktionsträger:innen im heroischen Gestus des Nonkonformismus, in der Auffassung, dass ihre Position noch zum Konservatismus gehöre. Dafür werden im Folgenden drei Beispiele gegeben.
Es ist der Neuen Rechten in Teilen Ostdeutschlands gelungen, ihre Positionen als „normal“ erscheinen zu lassen.
Der Leiter der Diakon:innenausbildung der Diakonie Mitteldeutschland, Thomas A. Seidel, trat schon während der Pandemie durch seinen missionarischen Mitteilungseifer mit Kritik nicht nur an den Coronamaßnahmen, sondern vor allem an der umsichtigen Umsetzung durch die Kirchenleitungen hervor, die auch vor Verschwörungsideologien nicht halt machte. Er ist Mitherausgeber eines Buches, das allerhand Corona-Schwurbeleien versammelt – das ausgerechnet in der Evangelischen Verlagsanstalt erscheint, die ja als Gesellschafterinnen die EKD/GEP und die EKM hat. Mit Unterstellungen wie etwa, dass Medien und Gesundheitswesen ein Interesse an der Durchsetzung der Coronamaßnahmen gehabt hätten und diese deshalb unangemessen gewesen seien, wird aktiv das Vertrauen in wichtige gesellschaftliche Institutionen untergraben – eine Steilvorlage für alle Rechtspopulisten. Seidel ist auch „Großkomtur“ der Evangelischen Bruderschaft St. Georgs-Orden, deren Gründer Ulrich Schacht als einer der Vordenker der Neuen Rechten gilt. Etlichen der Mitglieder werden Verbindungen zur Neuen Rechten nachgesagt, bei manchen ist es offensichtlich.
… wird aktiv das Vertrauen in wichtige gesellschaftliche Institutionen untergraben
Einer der Autoren in dem genannten Band ist Rochus Leonhardt, Professor an der Theologischen Fakultät in Leipzig. Ausgerechnet im Band mit dem Titel „Christentum von rechts“, der 2021 erschienenen ist, sind für ihn nicht etwa die rechtsextremen Tendenzen in der AfD das Problem, sondern dass sich demokratische Parteien und zivilgesellschaftliche Organisationen von der AfD abgrenzen. Verbal setzt er sich von den Positionen der AfD ab, um zugleich für ihre Akzeptanz und die Normalisierung ihrer Positionen zu werben. Dabei scheut er sich nicht, AfD-Funktionäre mit Opfern des DDR-Regimes gleichzusetzen und nährt die ideologische Diffamierung der Bundesrepublik als „DDR 2.0“. Am Anfang des Textes kokettiert er damit, dass er sich mit den Inhalten der Neuen Rechten nicht auskenne. Vielleicht hätte er sich damit beschäftigen sollen, denn was er faktisch vollzieht, entspricht lehrbuchartig deren Strategie der Normalisierung rechtsextremer Aussagen in der Mitte der Gesellschaft. Warum so ein Text in einem vom Kulturbeauftragten der EKD herausgegebenen Band verbreitet wird, ist ein weiteres Rätsel.
Ein weiteres Beispiel für Brücken zum Rechtspopulismus sind die Gender-diffamierenden Einlassungen von Annette Weidhas z.B. in Zeitzeichen, aber auch darüber hinaus. Man kann ja zu den Varianten gendersensibler Schreibweisen durchaus unterschiedlicher Meinung sein. Aber wer schreibt, dass Menschen, die Opfer von Diskriminierung sind und dagegen vorgehen, dafür verantwortlich seien, dass sich dann Angehörige der postulierten Mehrheit als Täter:innen unwohl fühlen können, und dies der Grund dafür sei, dass rechtspopulistische Organisationen entstehen, betreibt eine doppelte Täter:innen-Opfer-Umkehr. Dann wird der Postkolonialismus als „Gegenrassismus“ bezeichnet und schließlich gipfelt das Ganze in der Behauptung, die Forderungen nach geschlechtersensibler Sprache würden den ideologischen Sprachregelungen der DDR entsprechen.
Auch diese Argumentation entspricht fast lehrbuchartig dem, was in verschiedenen Untersuchungen beschrieben wird: Die Vorbehalte gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt und die Verteidigung bestehender Machtverhältnisse haben eine Brückenfunktion bei der Mobilisierung rechtspopulistischer Einstellungen. Darüber hinaus wird die für rechtspopulistische Argumentationen typische Konstruktion einer als homogen vorgestellten „Mehrheitsgesellschaft“ verwendet, der Minderheiten gegenüberstehen, die „Sonderrechte“ einforderten.
Vorbehalte gegen geschlechtliche und sexuelle Vielfalt haben eine Brückenfunktion bei der Mobilisierung rechtspopulistischer Einstellungen.
Schlimm genug, wenn solche Positionen vertreten werden. Aber wenn sie auch zur Verlagspolitik eines kircheneigenen Verlages werden, bei dem die Autorin Programmleiterin ist, ist das mehr als verwunderlich. Es dürfte jetzt kaum noch überraschen, dass das erwähnte Corona-Verschwörungsmythenbuch in diesem Verlag erschienen ist.
Alle drei hier besprochenen Akteur:innen werden von sich weisen, rechtspopulistische Einstellungen zu vertreten oder gar mit der AfD zu sympathisieren. Ihre Positionen und das Vorgehen sind aber eindeutig dem zuzuordnen, wie im rechtspopulistischen Spektrum vorgegangen wird und wie sich die Strategie von Vertreter:innen der Neuen Rechten vollzieht. Es mag ihnen so gehen, wie großen Teilen der kirchlichen und gesellschaftlichen Öffentlichkeit: Die Versatzstücke rechter Ideologie und die latenten Kommunikationsstrategien ihrer Agitator:innen werden gar nicht wahrgenommen. Dies steht exemplarisch für eine Kultur, in denen das als normal angesehen wird.
In vielen Bereichen sind fremdenfeindliche und verschwörungsideologische Positionen, die sich nach Corona nun auch auf die Klimakatastrophe und den russischen Krieg gegen die Ukraine beziehen, das neue Normal. Allein schon die Thematisierung, dass es inhaltlich problematisch sein könnte, ist dann schwer. Zum anderen ist immer noch eine Haltung weit verbreitet, welche die gesellschaftliche (und kirchliche) Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus als eine Auseinandersetzung zwischen „Linken“ und „Rechten“ ansieht. Als ich vor einiger Zeit einen Pfarrer traf, in dessen Gemeinde gerade ein großer Aufmarsch Rechtsextremer stattgefunden hatte, und ihn fragte, was die Kirche gemacht habe, sagte er: „Wir müssen uns raushalten, wir sind ja neutral und müssen mit allen reden können.“
… eine Haltung verbreitet, welche die Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus als eine Auseinandersetzung zwischen „Linken“ und „Rechten“ ansieht.
Nach dieser ausführlichen Problemanzeige stellt sich natürlich auch die Frage, was man tun kann und was zu tun sei. Und die ist gar nicht trivial. Denn die Gemeinden und Kirchen müssen, wenn sie dieses Thema offensiv oder zumindest offen angehen, damit rechnen, dass es erhebliche Verwerfungen und Austritte, vielleicht sogar Abspaltungen geben wird. Schon bei dem klaren kirchlichen Bekenntnis zur Aufnahme von Geflüchteten 2015 und zur Seenotrettung von Migrant:innen gab es Austritte und Abmeldungen von Jugendlichen von der Konfirmationsvorbereitung (worüber auch nicht gesprochen wird). Vor Ort ist es oft schlicht so, dass die Pfarrpersonen es sich nicht leisten können, Gemeindeglieder oder gar Kirchenälteste zu verlieren und deshalb wegschauen, schweigen oder nur halbherzig reagieren. Vielfach herrschen symbiotische Verhältnisse, in denen Pfarrerinnen und Pfarrern auch die Distanz zu den aktiven Gemeindegliedern fehlt. Wenn man sich die Dimension des Problems klar macht, ist offensichtlich, dass man sich vorher überlegen muss, was die Konsequenzen sein könnten. Die beschriebenen Zustände gelten natürlich nicht überall und gleichermaßen. Wir haben an vielen Stellen Gemeinden und Mitarbeitende, die klar Position beziehen und sich z.B. in der Arbeit mit Geflüchteten engagieren. Aber das ändert leider nichts an der Tatsache, dass es an vielen Stellen nicht so ist.
wegschauen, schweigen oder nur halbherzig reagieren, weil man keine Gemeindeglieder oder gar Kirchenälteste verlieren will
Nichtstun ist keine Option. Es ist ja wohl kein Zufall, dass insbesondere Thüringen und Sachsen frühe Hochburgen der Deutschen Christen waren und die christliche Botschaft in diesen Kirchen durch rassistische Verschwörungsmythen ersetzt wurde.
Deshalb scheint es mir auch kein lokales Problem „im Osten“ zu sein, sondern eine echte Herausforderung für die EKD insgesamt: politisch wie geistlich. Wenn in mehreren Landeskirchen mehr als ein Drittel der Gemeindeglieder rechtspopulistisch eingestellt ist, ist das eine veritable Herausforderung für den einen Leib Christi.[3]
Was könnte also getan werden? Das Naheliegendste ist: Aussprechen, was ist! Laut und deutlich zu sagen: Wir haben ein Problem. Das ist groß und braun. Das ist nicht nur draußen vor der Kirchentür, sondern auch in der Kirche. Das wäre ein großer Schritt.
Es bedarf wohl eines massiven Kommunikations-, Sensibilisierungs- und Bildungsprozesses.
Und dann würden wohl einige sagen, ich sehe das aber gar nicht. Das ist doch alles normal. Dann wäre der nächste Schritt Sehhilfe zu leisten. Es bedarf wohl eines massiven Kommunikations-, Sensibilisierungs- und Bildungsprozesses. Da reicht es nicht, Verlautbarungen zu verabschieden und Arbeitshilfen online zu stellen – so wichtig das ist -, sondern in einer Art Schneeballsystem bedarf es einer Aktivierung in den Kirchenkreisen und Gemeinden. Wenn man das ernst nimmt, dann wären dafür erhebliche Ressourcen notwendig, die in den gegenwärtigen Haushalten nur durch Priorisierung zu mobilisieren sind.
Das wäre aber nötig, denn es handelt sich nicht um Adiaphora, um etwas, das nett ist, wenn man es hat, aber nicht unbedingt braucht. Sondern es geht radikal um das Kirchesein der Kirche. Rechtspopulismus und Rechtsextremismus bestreiten den Kern der christlichen Botschaft: Dass die befreiende Liebe Gottes in Jesu allen Menschen gilt. Denn sie sind als Gottes Ebenbilder alle in gleicher Würde von Gott geschaffen. Wo dies bestritten wird, können Christ:innen nicht neutral sein. Es gilt, theologisch und sozialethisch zu fragen, was es heißt Kirche im Rechtspopulismus zu sein. Der evangelischen Kirchen könnte dabei auch eine besondere zivilgesellschaftliche Rolle zukommen. Denn sie ist neben Sportvereinen und Feuerwehr die einzige Institution, die noch in der Fläche präsent ist. Sie könnte Räume schaffen, in denen all der Ärger und die Kränkungen zur Sprache kommen, die bei vielen zur Wut werden und zugleich der Anspruch auf Wahrheit nicht aufgegeben wird. Das ist auch inhaltlich eine besondere Herausforderung. Sicher würde es sich lohnen. Denn aus dem Öffentlichkeitsanspruch des Evangeliums erwächst ja der Öffentlichkeitsauftrag der Kirche.
Es geht radikal um das Kirchesein der Kirche.
Apl.Prof. Dr. Michael Haspel lehrt Systematische Theologie an der Universität Erfurt und an der Friedrich Schiller-Universität Jena.
Bild: Sneha Cecil / unsplash
[1] Auch wenn in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern mit einer Zunahme des AfD-Anteils zu rechnen ist, und in bestimmten Regionen ähnliche Verhältnisse herrschen wie hier beschrieben, macht es doch einen Unterschied, dass dort bislang keine Direktmandate für den Bundestag errungen werden konnten. In kirchlicher Perspektive kommt hinzu, dass es sich in diesen Bundesländern nicht um rein ostdeutsche Kirchen handelt, so dass Ressourcen und Infrastruktur anders sind. Allerdings werden Ergebnisse und Perspektiven der folgenden Überlegungen auch für diese beiden Bundesländer fruchtbringend angewandt werden können, wie auch auf betroffene Regionen im Westen Deutschlands, wo regional ähnliche Bedingungen herrschen können.
[2] Im Osten kann das evangelische Profil der Diakonie schon lange nicht mehr über die Kirchenmitgliedschaft der Mitarbeitenden konstituiert werden, denn sie sind in den meisten Einrichtungen in der Minderheit. Dabei zeigt die gegenwärtige Situation einmal mehr, dass die Kirchenmitgliedschaft an sich auch gar kein geeigneter Indikator für ein evangelisches Profil der Diakonie ist. Denn was ist, wenn die Kirchenmitglieder rechtsextreme Einstellungen haben?
[3] Dazu kommt noch in kybernetischer, also in kirchleitender und organisierender Sicht, dass die westlichen Landeskirchen über den kirchlichen Finanzausgleich erhebliche Mittel in diese Landeskirchen transferieren und sich die Frage stellt, zu welchen Zwecken diese denn eingesetzt werden.