Im Vorfeld der Weltsynode haben sich kirchliche Laienmitarbeiter:innen aus zwölf Ländern und vier Kontinenten getroffen, um ihre Stimme zu erheben und ein weltweites Netzwerk zu bilden. Aus Rom berichtet Christian Bauer.
Ein Bild bewegt mich schon lange. Erzbischof Albert Rouet von Poitiers[1] hält seinen Hirtenstab in die Mitte einer liturgischen Versammlung. Es ist die Amtseinsetzung von lokalen Gemeindeleiter:innen, und er lässt sie alle seinen Stab ergreifen. Geteilte Hirtensorge: nicht im Sinne von dividing, sondern im Sinne von sharing[2]. Das Ergebnis ist nicht (wie manche fürchten) weniger, sondern mehr Hirtensorge (in der Logik des Evangeliums). Eine solche Liturgie wünsche ich mir in jeder Diözese zur Einführung von Pastoral- oder Gemeindereferent:innen. Sie wäre der symbolische Ausdruck einer vor allem auf Vertrauen[3] und weniger auf Angst basierenden Ekklesiologie – im Rahmen einer sich transformierenden Weltkirche, die den Weg einer umfassenden Selbstbekehrung („conversión pastoral“)[4] einschlägt: weg von einer klerikalistischen Ständegesellschaft, hin zu einer synodalen Weggemeinschaft.
Nichtgeweihte Amtsträger:innen
Auf diesen kirchlichen Umkehrweg der Selbstevangelisierung zielte auch das „1st World Meeting of Lay Ministers“ (1.-5. Oktober 2023), zu dem der Berufsverband der deutschen Pastoralreferent:innen unter dem Motto „Beyond clericalism, for the people’s sake“ über zwanzig Kolleg:innen und sie begleitende Theolog:innen aus aller Welt nach Rom eingeladen hatte. Sie kamen aus Bolivien, Deutschland, Ghana, Indien, Korea, Österreich, Philippinen, Schweiz, Slowenien und USA (besonders beeindruckend: die starken Frauen aus dem globalen Süden). Und sie alle hatten – sofern es sich nicht um universitär verortete Theolog:innen handelte – mindestens zwei Dinge gemeinsam: Sie arbeiten (größtenteils) als kirchliche Hauptamtliche und sie haben eine (durchaus unterschiedlich geartete) theologische und pastorale Ausbildung.
Als nichtgeweihte Amtsträger:innen, die ein „auf Dauer eingerichtetes und einem geistlichen Zweck dienendes Kirchenamt“ (vgl. can. 145 §1 CIC) innehaben, bringen sie herkömmliche römisch-katholische Ekklesiologien gehörig durcheinander[5]. Sie überschreiten die vorkonziliare Binarität von Klerus und Lai:innen in Richtung einer pluralen Ämterordnung. Denn sie sind weder geweihte Kleriker („Nichtgeweihte.. “) noch einfache Laien („… Amtsträger:innen“) – in jedem Fall aber mehr als bezahlte Ehrenamtliche. Auch sie stehen, wie die geweihten Amtsträger, den übrigen Getauften im Volk Gottes dienend gegenüber. Wenn sie zum Beispiel predigen[6], dann sprechen sie nicht in ihrem eigenen Namen, sondern im Auftrag der Kirche. Und auch für sie gilt die synodal gewendete Ämterformel des Hl. Augustinus: „Mit euch bin ich Christ, für euch bin ich Bischof, Priester, Pastoralreferent:in… “[7].
Verschiedene Kontexte, ähnliche Erfahrungen
Die jeweiligen ortskirchlichen Bezeichnungen dieser „professional lay ministers“ sind unterschiedlich: Catechistas in Lateinamerika, Ecclesial Lay Ministers in den USA, Mokambi im Kongo, Animateurs pastorals in Frankreich, Catechists in Indien, Pastoraal werkers in den Niederlanden oder Gemeinde-/Pastoralreferent:innen in Deutschland – aber die Erfahrungen sind trotz verschiedener Kontexte (z. B. in Bezug auf Bezahlung, Ausbildung, offizielle Beauftragung bzw. bischöfliche Sendung) sehr ähnlich:
- Positiv wurde berichtet von der konkreten Arbeit mit Einzelnen und Gruppen in den verschiedendsten Feldern von Gottes- und Menschendienst: Gemeindeleitung, Einzelseelsorge, Liturgiefeiern, Schulunterricht, Geflüchtetenarbeit, Sakramentenkatechese, Klinikpastoral, Bibelkreise, Citykirchen, Klimainitiativen, Medienarbeit etc. Überall dort, wo es um das geht, wofür Kirche eigentlich da ist – nämlich das Evangelium glaubwürdig zu bezeugen – wird das eigene Tun als höchst befriedigend und erfüllend erlebt.
- Negativ empfunden wurde vor allem die Struktur einer klerikalistischen Ständekirche, in der hauptamtliche Laien (vor allem Frauen!) von verschiedensten Seiten (Hierarchie, aber auch Gemeinden) nicht nur keine Anerkennung, sondern permanente Abwertung erfahren – gerade auch in Bezug auf verweigerte finanzielle und theologische Ressourcen. Insbesondere in Bezug auf diese innerkirchlichen Machtasymmetrien[8] entstand ein starkes Gefühl der Solidarität: „These are shared struggles” (Bibiana Joohyun Roh, Südkorea).
Brief an die Synode
All diese kontextuell unterschiedlichen Erfahrungen sind in den „Brief an die Synodenteilnehmenden“ eingeflossen, der am letzten Tag des „World Meetings“ veröffentlicht und einzelnen Synodenteilnehmer:innen übergeben wurde. Er antwortet auf die Fragen des weltsynodalen Instrumentum laboris nach „neuen Ämtern“ (B 2.2) und ist in einem performativen Akt, d. h. auch selbst auf synodalem Weg entstanden: in einem offen strukturierten Prozess („todos caminando“, Pedro Alvarez, Bolivien), der auf Erzählen und Hören, Schweigen und Beten basierte.
Dabei gab es gleich zu Beginn des Treffens eine gruppendynamische ‚Knirschphase‘, in welcher die Verschiedenartigkeit der Kontexte deutlich spürbar wurde und auch die Notwendigkeit, eine eigene Aufmerksamkeit in bestehende Differenzen zu investieren („We have to search for common ground“). So reichte die Spannweite der gewünschten Gebetsformen zum Beispiel von der täglichen Hl. Messe bis hin zu einem von den asiatischen Teilnehmenden vorbereiteten „Tanz der Elemente“[9]. Theologische und spirituelle Prägungen haben sich auch in diesem Zusammenhang als bisweilen wichtiger erwiesen als geografische Unterschiede.
Theologie als Empowerment
Höhepunkt des Treffens war am letzten Abend ein „Synodal Sharing“ mit Kardinal Leonardo Steiner (Brasilien) sowie anderen Gästen aus der Weltsynode und ihrem Umfeld. Kardinal Steiner erzählte in einem eindrucksvollen Grußwort aus seiner pastoralen Praxis im Amazonasgebiet – inklusiver einer impliziten synodalen Theologie der Wertschätzung (nach Innen) und der Inkulturation (im Außen). Mindestens genauso beeindruckend waren anschließend die beiden persönlichen Zeugnisse von Grace David (Indien) und Emmanuel Zumabakuro Dassah (Ghana). Beide stellten unter anderem die Theologie als eine transformative Kraft des „empowerment“ heraus, die gerade dann unbedingt notwendig sei, wenn beispielsweise ein Priester theologisch Fragwürdiges (z. B. „Jesus never went to the slums”) behauptet.
Am Ende des Treffens standen dann neben dem bereits erwähnten Synodenbrief konkrete Vereinbarungen für die Zukunft. Um die „Anwaltschaft für nachhaltige Veränderung in der Kirche“ (Grace David) zu übernehmen, wurde die Gründung eines Weltnetzwerks beschlossen, das Einzelne und Gruppen zusammenbringt („network of networks”) und über den eigenen Kreis hinaus nach weiteren Verbündeten sucht („We need partners“) – eine Art alternativer Weltkirchenpolitik mit offener Grundhaltung, die versucht, überkommene kirchenpolitische Machtstrukturen in transparenter und kooperativer Weise zu synodalisieren.
Soziale Transformation
Im der abschließenden Feedbackrunde wurde große Begeisterung über das Treffen geäußert: „wie ein neues Pfingsten”, „sehr, sehr tiefe Erfahrung“, „jetzt brauche ich erst einmal eine Verdauungsphase“, „für mich das wichtigste Ereignis dieses Jahres“. Zur Sprache kamen aber auch organisatorische Probleme, die daher rührten, dass das Meeting mit immensem persönlichem Einsatz ehrenamtlich, d. h. auf sommerlichen Restenergieniveau organisiert wurde. Auch kritische Stimmen waren zu hören, die das Treffen als zu harmoniebedürftig bzw. als zu wenig differenzfreundlich erlebt haben. Möglicherweise gilt auch in diesem Zusammenhang folgendes Statement von Emmanuel: „We have to leave the comfort of our zones.”
Diese Erkenntnis weitet auch den Horizont eines binnenkirchlichen Reformprojekts. Sie rückt jene pastorale Welt-Mission der Kirche ins Zentrum, der evangeliumswidrige Strukturen nicht im Wege stehen dürfen und der alle kirchlichen Ämter – geweihte wie nichtgeweihte – zu dienen haben. Auf den Philippinen spricht man, so Joy Candelario, von einem „Kapwa-approach“[10], der eine klerikalistisch-selbstverkrümmte Kirche über sich hinausführt und die Lebensfragen der eigenen Nachbarschaft in den Blick nimmt. „Professional lay ministers“ sind Pioniere einer Kirche, die sich nicht mehr nur als eine „liturgy-centered church“[11] versteht, sondern sich in der Nachfolge Jesu auch als eine „source for social transformation“ (Grace David) erweist.
Kirche von morgen
Zum Schluss daher noch ein anderes Bild, das für mich ebenfalls eine Art kirchliches Zukunftsbild darstellt. Ein Foto, aufgenommen auf meiner morgendlichen Joggingrunde am Monte Mario, die durch ein ganz normales Wohngebiet der römischen Mittelschicht führt[12]. Zu sehen ist das Schild einer einfachen italienischen Kaffeebar, wie man sie hier in fast jeder größeren Straße findet. Sie ist der soziale Treffpunkt des Quartiers. Hier nimmt man nicht nur einen kurzen, schnellen Caffè als Stärkung auf dem Weg (Stichwort: Espresso-Spiritualität[13]), hier hört man auch die neuesten Geschichten aus dem Stadtteil. Und zugleich diskutiert man hier die neuesten Nachrichten aus der Politik. Kleine Welt trifft große Welt.
In der Bar wird der neue Job gefeiert, auf das gerade geborene Enkelkind angestoßen und die verstorbene Ehefrau betrauert. Man kann hier laut lachen, aber auch gemeinsam schweigen. Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Leute haben hier einen Ort. So stelle ich mir für die Zukunft auch christliche Gemeinden vor: als eine jesuanisch inspirierte Kaffeebar[14] an den Straßenecken des Lebens, die Heimat für einen festen Stamm bietet und zugleich offen für passagere Begegnungen ist. In „charismatischer Dreistigkeit“[15] leben „professional lay ministers“ dort schon jetzt die Kirche von morgen: Nah dran am Leben, aus der Kraft des Evangeliums schöpfend. Denn für die Leute ist es sekundär, wer hier am Tresen steht. Hauptsache, da ist jemand.
Christian Bauer ist Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Münster, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Pastoraltheologie, theologischer Blogger und Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.net.
[1] Der inzwischen emeritierte Erzbischof ist auch ein hervorragender Theologe (vgl. expl. sein 2022 bei Grünewald erschienenes Buch „Erstaunter Glaube“).
[2] Das Instrumentum laboris der Weltsynode spricht von „co-responsibility“ (B 2).
[3] Hadwig Müller: Vertrauen – generative Kraft einer Kirche, in: Pastoraltheologische Informationen 19 (1999), 251-261.
[4] Vgl. expl. Christian Bauer: Synodales Reframing. Papst Franziskus und sein Weg der Kirchenreform, in: Ute Leimgruber u. a. (Hg.): Die Leere halten. Skizzen zu einer Theologie, die loslässt [FS Erich Garhammer], Würzburg 2021, 165-170.
[5] Papst Franziskus steht u. a. mit seinem Motu Proprio Antiquum ministerium für einen ‚Kairos‘ der ämtertheologischen Verflüssigung – gerade weil dieses Dokument zur Einrichtung eines neuen Kirchenamtes zwischen katechetischer Sektorialisierung („Katechist:innen“) und gesamtpastoraler Leitungsverantwortung („Katechet:innen“) changiert. Der oben verwendete Begriff der ’nichtgeweihten Amtsträger:innen‘ ist in diesem Zusammenhang nicht als Beschreibung eines persönlichen, sondern eines strukturellen Defizits zu verstehen. Er markiert die Notwendigkeit, die Zulassungsbedingungen zu allen Kirchenämtern zu verändern – und zwar im Rahmen eines im Ganzen synodal transformierten Amtes. Denn es ist ja wenig gewonnen, wenn irgendwann einmal auch Frauen und Verheiratete beim Klerikalismus ‚mitmachen‘ dürfen…
[6] Vgl. Christian Bauer: Laienpredigt als amtlicher Sprechakt. Archäologie einer ekklesiologischen Konzeptualisierung, in: Ders., Wilhelm Rees (Hg.): Laienpredigt – neue pastorale Chancen, Freiburg/Br. 2021, 186-219. Siehe auch die ämtertheologische Kontroverse zwischen Sabine Demel und Manuel Schlögl im Themenheft 2021/4 der Lebendigen Seelsorge („50 Jahre Pastoralreferent*innen“).
[7] „Wo mich schreckt, was ich für euch bin, tröstet mich, was ich mit euch bin. Für euch bin ich nämlich Bischof, mit euch bin ich Christ.“ (Serm 340,1, vgl. LG 32). Aufgrund der bewussten Umstellung von Teil II („De populo Dei“) und Teil III („De constitutione hierarchica ecclesiae“) in der dogmatischen Kirchenkonstitution Lumen gentium des Zweiten Vatikanums (derzufolge die Hierarchie vom – übrigen – Volk Gottes her und nicht das – übrige – Volk Gottes von der Hierarchie her zu verstehen ist), wäre dieses bekannte Augustinuszitat synodal umzukehren: primär vorgängig ist das Gemeinsame der christlichen Nachfolge Jesu („syn-hodos“), dem sekundär zugeordnet ist der proexistente Dienst des jeweiligen kirchlichen Amtes.
[8] Vgl. Regina Nagel, Hubertus Lürbke (Hg.): .
[9] Es handelte sich um ein eindrucksvolles Morgengebet, das die – u. a. auch im Yoga erschlossenen – Elemente Erde („Wir sind von dort genommen und kehren dorthin zurück“), Luft („Sie fließt durch uns hindurch“), Wasser („Wir bestehen daraus“) und Feuer („Es brennt in unserem Stoffwechsel“) mit der Präsenz Gottes in unserem Körper in Verbindung brachte – nicht zuletzt in einem Tanz, der sogar eingefleischte (liturgische) Nichttänzer:innen wie mich zum Mittun bewegte.
[10] „Kapwa“ bezeichnet einen von allen geteilten Raum („shared space“). Siehe auch entsprechende Pastoralansätze hierzulande: Sozialraumbezug (M. Schüßler), Gemeinwohlorientierung (W. Beck) oder Konversionsflächenpräsenz (Ch. Bauer).
[11] Schon während der Konzilsvorbereitungen fragte der französische Konzilstheologe Yves Congar Kardinal Alfredo Ottaviani, den damals allmächtigen Präfekten der Glaubenskongregation, was die feierlichen Papstliturgien im Petersdom denn eigentlich noch mit dem Leben der einfachen Leute in den Straßen Roms zu tun haben (vgl. Yves Congar: Mon Journal du Concile I, Paris 2002, 37).
[12] Ein anderes kirchliches Zukunftsbild, mit dem ich in Vorlesungen, Seminaren und Workshops gerne arbeite, zeigt die abendliche Tischmesse in einer Wohnung inmitten eines Blocks von italientypischen Mietshäusern, wie sie auch in diesem mir liebgewordenen Stadtteil zu finden sind (vgl. Juan Maria Laboa: Kirchengeschichte in Bildern. Die Gegenwart (Bd. 10), Düsseldorf 1982).
[13] Vgl. Alexandra Bauer: Auf einen Espresso mit Gott. Wie Frauen Spiritualität im Alltag leben, Bamberg 2012 sowie den Kurzfilm „Spiritualität – auch außerhalb der Kirchenmauern?“ (ab Min. 3:37) auf meinem Youtube-Kanal Theologie am Andersort.
[14] Siehe auch Herbert Haslingers Vergleich christlicher Gemeinden mit einer Berghütte (vgl. Lebensort für alle: Gemeinde neu verstehen, Ostfildern 2005, 213-216) sowie mein (ambivalentes!) Bild vom Lagerfeuer, vgl. Christian Bauer: Lagerfeuer des Evangeliums? Missbrauchsgefährdungen und Zukunftschancen gemeindlicher Nahbeziehungen, demnächst im Anzeiger für die Seelsorge.
[15] Leo Karrer (1937-2021), der schweizerische Grandseigneur nachkonziliarer Lai:innen-Theologie, hat diesen Begriff immer wieder gerne verwendet.