Theresa Beilschmidt, Referentin in der politischen Erwachsenen- und Jugendbildung am St. Jakobushaus Goslar, rezensiert den Sammelband „Der inspizierte Muslim. Zur Politisierung der Islamforschung in Europa“, 2018 im transcript Verlag Bielefeld erschienen.
Der im April 2018 von der Berliner Islamwissenschaftlerin Schirin Amir-Moazami herausgegebene Sammelband Der inspizierte Muslim. Zur Politisierung der Islamforschung in Europa versammelt Beiträge aus unterschiedlichen Bereichen der Islamforschung – Islamwissenschaft, Soziologie, Kulturwissenschaften, Anthropologie, Erziehungswissenschaft und Politikwissenschaft. Er möchte, so die Herausgeberin Amir-Moazami in der Einleitung, eine „Änderung der Blickrichtung“ in der aktuellen Islamforschung anregen (S. 10). Gleichzeitig tritt das Buch an, die „Zusammenhänge von Macht und Wissen“ im diskursiven Feld um den Islam in Europa sowie das „Zusammenspiel von Wissensproduktion und staatlich-politischer Intervention“ zu verdeutlichen (ebd.). Die Autor_innen des Buchs möchten mit ihren Beiträgen auf die „Rassisierung“ von Muslim_innen ebenso wie auf „strukturelle Mechanismen der Anderung, Besonderung, Veraußergewöhnlichung, aber auch der Einverleibung von religiösen Minderheiten in einem säkularen nationalstaatlichen Rahmen“ aufmerksam machen. Theoretisch verortet sich dieser Band daher in Debatten um Säkularismus und Säkularität, sichtbare und konforme oder deviante Religiosität und ganz allgemein um die Rolle der Forschenden in diesem politisierten Forschungsfeld als welches die Islamforschung richtigerweise beschrieben wird (S. 13).
Reflexive Forschung in der „säkularen Moderne“
Angesichts der Tatsache, dass die Forschung um „den“ Islam in den vergangenen Jahren einen unglaublichen Boom erlebt hat – was vor allem mit als „Störungen“ der vermeintlich säkularen europäischen Ordnung empfundenen Ereignissen (Anschlägen, Karikaturenstreit, Beschneidungsverbot etc.) zu tun hat – kommt dieser Band als kritische Intervention und Infragestellung ebendieser Forschung zur rechten Zeit. Gerade in so einem Feld, das eine Unterteilung in „wir“ und „die anderen“ geradezu herausfordert, ist es wichtig, sich über die Position der Forschenden Gedanken zu machen und diese zu problematisieren, kritisieren und deutlich zu situieren.
Kritische Intervention und Infragestellung bisheriger Islamforschung
Aus unterschiedlichen Forschungsdisziplinen, aber meist mit den gleichen Theoretiker_innen im Hintergrund – Michel Foucault, Talal Asad, Saba Mahmood – argumentieren die Beitragenden dafür, die eigene Rolle – und somit auch die eigene Forschung – kritisch zu hinterfragen. Die Soziologin Anna Daniel arbeitet in ihrem Text Welche Religion gilt als modern? (S. 35-60) beispielsweise heraus, in welchem Kontext der gängige Religionsbegriff entstanden ist (dem von Max Webers Moderne) und kritisiert dann, dass dieser Begriff heute meist unreflektiert und unkritisch verwendet werde. Dies führe dazu, dass der „Blick auf die globale Heterogenität und Dynamik religiöser Erscheinungsformen und Zusammenhänge wesentlich verengt“ sei (S. 36). Daniels Aufruf, die „diskursive Einbettung in das säkulare Selbstverständnis moderner Gesellschaften stärker [zu] reflektieren“ (S. 56) ist auf Grundlage ihrer Darstellung logisch und nachvollziehbar. Dennoch bleibt beim Lesen – nicht nur dieses Artikels – die Frage, wie diese Forderung denn konkret in die Forschungspraxis umzusetzen sei, ohne in das Verfassen vager Aussagen und, später dann als unkonkret kritisierter, Konzepte zu verfallen.
Doch: Lassen sich die Kritisierten tatsächlich anfragen?
Während der Einblick in die jeweilige Forschung – u.a. Sinn und Unsinn quantitativer Forschung über Muslim_innen in Europa (Schepelern Johansen und Spielhaus), Produktion von Wissen über „den“ Islam in der Deutschen Islam Konferenz (Müller), das „Phantasma ‚Arabischer Mann‘“ (Dietze) und Salafismus in den Niederlanden (de Koning) – durchaus interessant zu lesen sind (gerade de Konings Beitrag), entsteht beim Lesen etwas das Gefühl, dass der Sammelband nur solche Arbeiten erwähnt, die seine Argumentation unterstützen, während andere unter den Tisch fallen. Dies ergibt einen etwas einseitigen Blick auf die aktuelle Forschung, welcher noch davon unterstützt wird, dass teilweise auf sehr alte Literatur zurückgegriffen wird (in diesem so dynamischen Feld kann schon eine Studie aus dem Jahr 2009 veraltet sein).
Alles in allem ist dies jedoch ein wichtiges Buch, das auf wunde Punkte in der aktuellen Forschung zum Islam aufmerksam macht. Bleibt nur noch zu hoffen, dass es auch von den „richtigen“ Leuten gelesen wird. Kritische Forscher_innen werden schon jetzt ihre Rolle reflektieren und zu vermeiden versuchen, Stereotype zu reproduzieren. Problematisch sind eher diejenigen Diskursteilnehmer_innen, die für solche Denk- und Sichtweisen immun sind und stattdessen ihre Arbeit dazu nutzen, die ohnehin schon erhitzte Stimmung noch mehr anzuheizen.
Rezensiertes Werk: Amir-Moazami (Hg.): Der inspizierte Muslim. Zur Politisierung der Islamforschung in Europa, Bielefeld: transcript, 2018.
Beitragsbild: Buchcover, transcript
Dr. Theresa Beilschmidt arbeitet als Referentin in der politischen Erwachsenen- und Jugendbildung am St. Jakobushaus, Akademie der Diözese Hildesheim, in Goslar. Dort ist sie zuständig für die Bereiche Migration/Flucht, Islam, interreligiöser Dialog, Teilhabe und Diversität. Ihr Buch Gelebter Islam. Eine empirische Studie zu DITIB-Moscheegemeinden in Deutschland erschien 2015 bei transcript.
Ebenfalls von Theresa Beilschmidt auf www.feinschwarz.net erschienen:
Die DİTİB im Dazwischen: Wie staatliche Religionspolitik den Dialog mit dem Islam gefährdet