Gehört der Islam zu Deutschland? Thomas Frings sieht die Entwicklung der christlichen Prägung des Landes aufgrund des Verdunstens von Glaubenswissen und Glaubenspraxis kritisch. Zugleich kommt er zu einem sehr persönlichen Bekenntnis: der Islam gehört (durch konkrete Personen) zu seiner Familie.
Es gibt Sätze, die sitzen, wie z.B. „Ich bin ein Berliner!“. Und es gibt Sätze, über die wird heftig diskutiert, wie z.B. „Der Islam gehört zu Deutschland!“. Diesem Satz kann man zustimmen, aber auch widersprechen. Ich finde die Argumentation pro und contra letztlich interessanter als den Satz selber, sagt sie doch viel aus über den, der da argumentiert. Wenn der Islam zu Deutschland gehört, dann dürfte doch eine Mehrzahl der Deutschen wenigstens die höchsten Feste des Islams kennen und wissen, wann diese gefeiert werden? Wenn er nicht zu Deutschland gehört, was sagt man damit über die Gläubigen dieser Religion, die mit uns in diesem Land leben?
Wie lange können wir von christlicher Prägung sprechen oder zehren?
Natürlich ist Deutschland ein über Jahrhunderte christlich geprägtes Land. In der Mitte der meisten Dörfer und Städte stehen Kirchen. Der Rhythmus des Jahres wird durch die christlichen Fest- und Feiertage vorgegeben. Doch wie lange können wir von einer solchen Prägung sprechen oder zehren, wenn die Tendenz seit Jahrzehnten ununterbrochen in eine andere Richtung geht? In Köln sind noch knapp die Hälfte der Menschen Mitglieder christlicher Kirchen und selbst in München sind es noch weniger. Die Zahl der Ungetauften wächst am stärksten in Deutschland.
Wenn auch die Daten der christlichen Feste dank der damit verbundenen Ferien gut bekannt sind, so verdunstet das Wissen um deren Inhalte immer mehr. Wie lange können wir noch sagen: „Das Christentum gehört zu Deutschland!“, wenn die Feste dieser Religion nur noch als freie Tage, nicht mehr jedoch als Feiertage begangen werden?
Mit Alaza kam aber nicht nur ein weiteres Kind in meine Familie, sondern mit ihm auch der Islam.
Vor 25 Jahren lernte ich an der Universität einen afrikanischen Studenten kennen, der schnell zum vierten Kind meiner Eltern wurde. Sie wurden seine Trauzeugen und der Tradition seiner afrikanischen Herkunft entsprechend die Namensgeber seiner inzwischen vier Kinder. Mit Alaza kam aber nicht nur ein weiteres Kind in meine Familie, sondern mit ihm auch der Islam. Ob bei Erstkommunion oder Firmung, Beerdigung oder Pfarreinführung, mit ihm saß der Islam in der Kirche in der ersten Reihe und zu Hause mit am Tisch.
Die unterschiedlichen Religionen waren nicht trennend, sondern die konsequente Praxis in der je eigenen Religion ist das tragende Fundament unserer Beziehung.
Seit einigen Jahren lebt Alaza wieder in seiner Heimat Togo. Der enge, familiäre Kontakt ist geblieben und wird durch Besuche gepflegt. Er hat für uns schon die Gottesdienstzeiten ausfindig gemacht, wenn wir in Togo sind, wir wissen, wann seine Gebetszeiten sind, wenn er in Deutschland ist. Die unterschiedlichen Religionen waren nicht trennend, sondern die konsequente Praxis in der je eigenen Religion ist das tragende Fundament unserer Beziehung. Uns verbindet der Glaube an einen Gott. Wie dieser Gott das mit den unterschiedlichen Religionen im Jenseits machen wird, das überlassen wir getrost ihm. Wir sind uns jedoch einig, das wir in keinen Himmel möchten, in den der Andere nicht auch darf.
Wir sind uns jedoch einig, das wir in keinen Himmel möchten, in den der Andere nicht auch darf.
Gehört der Islam zu Deutschland? Muslime auf jeden Fall!
Ist Deutschland noch ein christlich geprägtes Land? Es ist auf jeden Fall ein Land, in dem noch viele Christen wohnen, die ihren Glauben auch bekennen!
Was ich mit Sicherheit sagen kann ist, dass wir eine christlich, sogar katholisch geprägte Familie sind und der Islam zu unserer Familie gehört.
Thomas Frings ist Priester des Bistums Münster. Der Beitrag erschien zuerst im „Kölner Stadtanzeiger“ vom 23.5.2018.
Beitragsbild: Pixabay
Vom Autor bereits auf feinschwarz.net erschienen:
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