Die Bischofssynode ist zu Ende. Worin besteht ihre Bedeutung? Was sind die Ergebnisse? Eva-Maria Faber kommentiert den Schlussbericht wenige Stunden nach seiner Verabschiedung.
Ist die Tür geschlossen worden oder offen? Wie weit steht sie offen? Es kommt mir vor, als stünden nach der Bischofssynode viele vor dieser Tür und schauten darauf. Und wie es uns allen immer wieder geht: Im Warten auf die Öffnung eben gerade dieser Tür sehen wir nicht, dass eine andere Tür aufgegangen ist. Mehr noch: dass wir vor dem Hintereingang standen, während sich einer der Haupteingänge öffnete.
Vor und während der Synode wurde oft davor gewarnt, sich auf die Frage der Zulassung zur Kommunion für nach Scheidung Wiederverheiratete zu fixieren. Wer (direkt oder indirekt) von dieser Thematik betroffen ist, hat das verständlicherweise manchmal auch als Verharmlosung der Sache interpretiert, oder als Versuch, von einer für viele Menschen eben doch existentiell wichtigen Thematik abzulenken.
Trotzdem ist es – das Dokument der Relatio finalis vor Augen – wichtig, auf diese Warnung zurückzukommen. Denn tatsächlich sucht man darin an den diesbezüglichen Passagen die Worte „Zulassung zur Kommunion“ vergebens. Doch geben wir acht, dass wir nicht vor dem Hintereingang stehen bleiben und anderes, viel Grundsätzlicheres übersehen. Nicht im Sinne einer Vertröstung und Ablenkung möchte ich im Folgenden scheinbare Umwege gehen, damit wir am Schluss vor einem geöffneten Haupteingang stehen – jedenfalls im Sinne des an den Papst gerichteten Vorschlags der Öffnung eines solchen Eingangs.
nicht vor dem Hintereingang stehen bleiben
Eine erste kleine Beobachtung. Im Titel des zweiten Teils des Dokumentes ist der Begriff der Unterscheidung weggefallen. Er heisst nun: „Die Familie im Plan Gottes“. Dies ist auf den ersten Blick überraschend, da im Prozess der Synode der Gedanke der Unterscheidung sehr wichtig gewesen ist. Genau darin aber liegt der Grund für die Veränderung des Titels zum zweiten Teil: Insofern jetzt die Unterscheidung in allen Teilen vorkommt (das Begriffsfeld 20mal!) und geradezu zum Schlüssel einer neuen Einstellung wird, dürfte es dem Dokument und der Sache entsprechen, nicht einen einzelnen Teil mit diesem Begriff zu überschreiben. 1
Unterscheidung als Schlüssel einer neuen Einstellung
Das Gewicht dieser Kategorie der Unterscheidung führt nun aber dazu, dass es künftig weder pauschale Verurteilungen noch pauschale Regeln geben kann, nach denen man darum auch nicht suchen sollte.
Nicht der Begriff der Unterscheidung, wohl aber die Sache taucht in einem Satz zu Ende von Artikel 51 auf, der in meinen Augen so etwas wie einen Schlüsselsatz des Dokumentes darstellt: „Während die Lehre mit Klarheit zum Ausdruck gebracht wird, sind alle Urteile zu vermeiden, welche der Komplexität der unterschiedlichen Situationen nicht Rechnung tragen. Es ist notwendig, aufmerksam hinzuschauen, wie Menschen leben und wegen ihrer Situation leiden.“
Urteile vermeiden, welche der Komplexität der unterschiedlichen Situationen nicht Rechnung tragen
In der Medienkonferenz des vatikanischen Pressebüros vom 23. Oktober 2015 äusserte Bischof Lucas Van Looy von Gent, die Synode habe einen Weg begangen, der auch der Weg der Kirche sei. Es sei das Ende einer Kirche, die über Situationen und Personen richte, der Beginn einer neuen Kirche, die nicht als Richterin auftrete. 2 Dies ist ein treffender Kommentar zur Nr. 51 des Textes.
Das Kapitel zur Thematik jener Situationen (ab Nr. 69), die nicht mit den kirchlichen Normen übereinstimmen, ist überschrieben mit dem Titel „Familie und pastorale Begleitung“, der erste Abschnitt mit „Situazioni complesse“. Vielleicht beginnt hier ein neuer Sprachgebrauch, welcher die verurteilende Rede von „irregulären Situationen“ ablöst.
„komplexe Situationen“ anstelle von
„irregulären Situationen“
Das Ende der blossen Verurteilungen wird zudem daran deutlich, dass für die verschiedenartigen „komplexen Situationen“ nach den Werten und positiven Elementen Ausschau gehalten wird, die in solchen Situationen gelebt werden (vor allem bezogen auf Menschen in nur ziviler Ehe oder ohne institutionelle Bindung und auf nach Scheidung Wiederverheiratete: vgl. Nr. 69, 70, 71, 84): Dort können Früchte geerntet und Gaben des Geistes entdeckt werden. So heisst es von Menschen, die nach Scheidung wiederverheiratet sind: „Der Heilige Geist entfaltet in ihnen Gaben und Charismen, die dem Wohl aller dienen“ (Nr. 84).
Positiv gewürdigt werden auch die Situationen von Menschen, die in konfessions- und kultusverschiedener bzw. -verbindender Ehe leben (vgl. Nr. 72-74).
Kunst der Begleitung
Für Seelsorgende heisst all das, dass ihnen viel Kunst der Begleitung zugemutet und zugetraut wird (vgl. Nr. 77), damit sie die oft auch bedrückende Last des Teilnehmens an komplexen und schwierigen Situationen aushalten (vgl. Nr. 85) und ein Gespür dafür haben, wann es ganz einfach zu hören gilt, wann es notwendig ist, einen Weg aufzuzeigen, und wann Ermutigung angezeigt ist (vgl. Nr. 77). Pastorale Begleitung ist vonnöten, weil sie hilft, die Situationen wirklich zu bestehen, im Leiden Trost zu finden, Prozesse der Trennung versöhnlich und in einem guten Geist zu leben (vgl. Nr. 78-82). Nur pauschale Regeln, wann wer zur Kommunion zugelassen werden darf, würden nicht nur die Unterscheidung vergessen lassen, sondern könnten auch der Vernachlässigung dieser langen Wege der Begleitung Vorschub leisten.
… welche Formen des Ausschlusses überwunden werden können
Zu einem solchen Prozess der Begleitung gehört dann aber dezidiert auch, Wege der weitergehenden Integration und der Überwindung von Exklusion zu finden. Auf der allgemeinen Ebene heisst dies: „Man muss deshalb unterscheiden, welche Formen des Ausschlusses überwunden werden können, die derzeit im Bereich Liturgie, Seelsorge, Erziehung oder kirchliche Verwaltung praktiziert werden“ (Nr. 84). Für diese Formulierung dürften der Circulus (Sprachgruppe) Italicus C und der Circulus Hibericus A wegweisend gewesen sein. 3 Neben dem Ausschluss von der Kommunion (der aber ebensowenig explizit erwähnt wird wie eine etwaige Zulassung oder aber auch nur die Empfehlung geistlicher Kommunion statt des ganzheitlichen Kommunionempfangs!) gibt es andere Formen der Exklusion: Ausschluss von den Sakramenten überhaupt (z.B. auch Taufe für erwachsene Katechumenen, was auf der Synode auch zum Thema wurde), Ausschluss vom Patenamt und Ausschluss von kirchlichen Diensten (auf der Synode für Katecheten thematisiert). Es wäre zu wenig gewesen, auf einen einzigen Punkt fixiert zu sein!
Die Integration ist gemäss Nr. 84 nicht zuletzt wegen der Kinder notwendig – hier dürfte sich ein grosses Anliegen von Papst Franziskus zeigen. Kinder von Menschen in komplexen Familiensituationen sollen nicht mit einem negativen Vorzeichen aufwachsen müssen.
der Weg der Unterscheidung
Wenn es darum geht, die einzelnen auf einem solchen Weg der Integration zu begleiten, so muss wiederum der Weg der Unterscheidung gegangen werden, „gemäss der Lehre der Kirche und den Richtlinien des Bischofs“ (Nr. 85). Die Ortskirchen werden also hier in die Pflicht genommen, Kriterien weiter zu konkretisieren. Papst Franziskus sagt: „Jeder allgemeine Grundsatz muss inkulturiert werden, wenn er beachtet und angewendet werden soll“. 4 Es geht um die Frage, wie nach Scheidung Wiederverheiratete „mit ihren Kindern umgegangen sind, als die eheliche Gemeinschaft in die Krise geriet; ob es Versuche der Versöhnung gab; wie die Situation des verlassenen Partners ist; wie sich die neue Partnerschaft auf die weitere Familie und die Gemeinschaft der Gläubigen auswirkt; wie ihre Vorbildwirkung auf die Jüngeren ist, die sich auf die Ehe vorbereiten“. Diese Kriterien werden nicht benannt, um mit einem drohenden Zeigefinger dazustehen, sondern weil „eine ehrliche Besinnung das Vertrauen in Gottes Barmherzigkeit stärken kann, die niemandem verweigert wird“. Zudem ist evident, dass es dem menschlichen Wohl und auch der Beziehung in einer neuen Partnerschaft dient, sich mit solchen Fragen auseinandergesetzt zu haben. Eigens wird darauf hingewiesen, dass Situationen und die darin gelebten Verantwortlichkeiten allein aufgrund einer objektiven Betrachtungsweise nicht hinreichend erfasst sind. „Die pastorale Unterscheidung muss diese Situationen zur Kenntnis nehmen“.
Nr. 86 benennt den Ertrag dieses Unterscheidungsprozesses. „Ein solcher Weg der Begleitung und der Unterscheidung kann diese Gläubigen dazu führen, sich ihrer Situation vor Gott bewusst zu werden. Das Gespräch mit dem Priester im Forum internum kann zu einem zutreffenden Urteil über das führen, was der Möglichkeit einer vollen Teilnahme am Leben der Kirche im Weg steht, und über die Schritte, die diese Teilnahme fördern und sie wachsen lassen können“.
Schritte
Wer im Text von Nr. 86 nach „Zulassung zur Kommunion“ schaut, übersieht die „Schritte“, von denen hier die Rede ist. Nachdem vorher (Nr. 84) die Formen der Exklusion in einer grossen Diversität benannt wurden, wäre es nicht sinnvoll, in Nr. 85 nun eine Engführung auf die Zulassung zur Kommunion vorzunehmen. Im Kontext ist alles dafür getan, dass diese Zulassung mit in den Blick kommen kann. Aber auch andere Formen der Exklusion müssen auf den Prüfstand. Unmissverständlich klar ist: „Die Logik der Integration ist der Schlüssel für seelsorgerische Begleitung. Sie sollen nicht nur wissen, dass sie zum Leib Christi gehören, der die Kirche ist, sondern dies auch freudig und produktiv erfahren“ (Nr. 84).
Die Logik der Integration ist der Schlüssel für seelsorgerische Begleitung.
Es ist zu wünschen, dass diese Logik der Integration beherzt gegangen wird, auch im Blick auf Menschen und Situationen, die in der Relatio der Synode einstweilen nur zurückhaltend vorkommen (so Personen mit homosexueller Orientierung, von denen in Nr. 76 nur im Abweis von Diskriminierung die Rede ist – ohne weitergehende Frage, was dies ernst genommen bedeuten müsste.) 5
Konkretisierungen sind wünschbar, um engführende Interpretationen zu vermeiden und abzuweisen. Zu fragen ist dann auch, wie eventuelle Weisungen gegenüber Menschen zu deuten sind, die schon viele Jahre in einer zweiten Partnerschaft leben und in deren Biographie die Prozesse, für die hier Begleitung und Unterscheidung verlangt werden, schon lange zurückliegen.
Jedenfalls aber ist gar nicht wünschbar, dass doch wieder pauschale Regeln aufgestellt werden, seien sie auch anders als die bisherigen positiv formuliert. Damit würden Situationen ebenso wie Begleitprozesse unterkomplex behandelt.
Die Synode hat die Relatio formell dem Papst übergeben.
Die Synode hat die Relatio formell dem Papst übergeben, dies sogar mit sehr grosser Deutlichkeit. Die Sprachgruppen Gallicus A und Anglicus B hatten eigens die Titelfrage thematisiert und vorgeschlagen, dass der vorhersehbare Titel „Berufung und Sendung der Familie in der Kirche und der zeitgenössischen Welt“ ergänzt wird durch einen Untertitel („Réflexions ou contributions des pères synodaux remises au Saint Père) oder einen Titelzusatz („presented to His Holiness Pope Francis“) 6 Der jetzt vorliegende Titel lautet noch zurückhaltender: „Relazione Finale del Sinodo dei Vescovi al Santo Padre Francesco“. Damit wird unterstrichen, was sich im Verlauf und vor allem gegen Ende der Synode abzeichnete: Die Synode betont ihren Charakter als Beratungsgremium, das dem Papst eventuelle Entscheidungen offen lässt bzw. in Fortführung einer „Tradition“ seit den 70er Jahren nur Vorschläge macht, die in einem nachsynodalen Schreiben des Papstes verarbeitet werden. Dass die Relatio jetzt keinen Sachtitel mehr trägt (also nicht wirklich als eigenständiger Beitrag zu diesem Thema auftritt), ist ein Zeichen für den deutlichen Wunsch der Synodenväter nach einem solchen nachsynodalen Schreiben. Am Schluss des Dokumentes wird in Nr. 94 der Papst ausdrücklich gebeten, diese Gelegenheit für ein Dokument über die Familie zu nutzen.
Wer sich fragt, in welche Richtung ein solches Dokument gehen könnte und welche Konkretisierungen im vorhin thematisierten Sinn zu erwarten sind, möge doch ganz einfach die Rede lesen, die Papst Franziskus am Samstag zum Abschluss der letzten Synodensitzung in der Aula hielt. Darin geht er der Frage nach, was es bedeutet, die Synode zum Abschluss zu bringen. Es bedeute, „die verschlossenen Herzen entblösst zu haben, die sich oft sogar hinter den Lehren der Kirche oder hinter den guten Absichten verstecken, um sich auf den Stuhl des Mose zu setzen und – manchmal von oben herab und mit Oberflächlichkeit – über die schwierigen Fälle und die verletzten Familien zu richten“. Und weiter:
„Die erste Pflicht der Kirche ist nicht die, Verurteilungen und Bannflüche (Anathematisierungen) auszuteilen, sondern jene, die Barmherzigkeit Gottes zu verkünden, zur Umkehr aufzurufen und alle Menschen zum Heil des Herrn zu führen.“7
(Eva-Maria Faber, Chur)
- Der Begriff taucht im Übrigen dafür im Text des zweiten Teils dann gleich an erster Stelle auf. Gerade an dieser Stelle wird aber deutlich, dass der Blick auf biblische und kirchliche Grundlagen noch nicht selbst Unterscheidung ist, sondern dafür nur Orientierungspunkte gibt (Nr. 35). ↩
- https://www.youtube.com/watch?v=XRu0xe6jUXs bei Minute 1:01:15 (23.10.2015). ↩
- Vgl. http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2015/10/21/0803/01782.html (25.10.2015). ↩
- http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151024_sinodo-conclusione-lavori.html (25.10.2015). ↩
- Vgl. den Redebeitrag zur Synode von Bruder Hervé Janson, dem Generalprior der Kleinen Brüder Jesu: https://www.commonwealmagazine.org/print/37743 (25.10.2015). ↩
- Vgl. http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2015/10/21/0803/01782.html (25.10.2015). ↩
- http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2015/october/documents/papa-francesco_20151024_sinodo-conclusione-lavori.html (25.10.2015). ↩