Ritentreue fordern die einen, Innovation wünschen sich die anderen. Wie inszeniert sich Kirche in Großgottesdiensten? Katrin Großmann und Benedikt Kranemann über einen spannungsreichen Gestaltungsprozess im Kontext des Katholikentags.
Auf Großgottesdiensten eines Katholikentags lastet ein besonderer Druck, da sie mit vielfältigen Erwartungen verbunden sind.
Im zweiten Halbjahr 2023 gab es unter Beteiligung von zahlreichen ZdK-Mitgliedern aus den Verbänden und den diözesanen Räten an fünf Orten in Deutschland und in einem digitalen Workshop die Möglichkeit, wichtige Weichenstellungen für die Weiterentwicklung der Katholikentage zu formulieren. In seinem Bericht vor der ZdK-Vollversammlung betonte der Leiter der Abteilung „Katholikentage und Großveranstaltungen“ im Generalsekretariat des ZdK, Dr. Andreas Kratel, am 24.11.2023: „Rund um die beiden Großgottesdienste (am Donnerstag und Sonntag) wurde kritisch angefragt, ob Inhalt und Form weiterhin zeitgemäß sind und hier nicht innovativer agiert werden sollte.“
„… angefragt, ob Inhalt und Form weiterhin zeitgemäß sind und hier nicht innovativer agiert werden sollte.“
Die Erwartungshaltung der ‚Laien‘, die das ZdK als Veranstalter der Katholikentage vertritt, ist damit deutlich formuliert: Die Gottesdienste beim Katholikentag sollen durch innovative Formate geprägt sein, die Neues wagen und eine starke Partizipation der Gläubigen im Sinne einer synodalen Kirche in der Liturgie ermöglichen. Welche Beobachtungen und Fragen auf Zukunft hin ergeben sich für uns, die wir am Konzept für beide Gottesdienste mitgearbeitet haben?
Entwickelt wird die liturgische Konzeption für zwei Großgottesdienste, die traditionell Bestandteil des Programms der Katholikentage sind und im Fernsehen und Radio übertragen werden, von einem Arbeitskreis: der eine zum Hochfest am Donnerstag (Christi Himmelfahrt oder, wie in Erfurt, Fronleichnam), der andere als Schlussgottesdienst am Sonntag. Der AK, zusammengesetzt aus Vertreter*innen des gastgebenden Bistums sowie des ZdK mit liturgiewissenschaftlicher, kirchenmusikalischer, liturgiepraktischer und ökumenischer Kompetenz und Perspektive, hat die von der ZdK-Vollversammlung skizzierte Aufgabe für Erfurt gern angenommen, sah sich dabei jedoch in der Kommunikation mit den Zelebranten und der Bischofskonferenz insgesamt mit der deutlichen Erwartungshaltung konfrontiert, dass die Gottesdienste genau den rechtlichen Vorgaben, wie sie in der Allgemeinen Einführung ins Messbuch (AEM) fixiert sind, folgen sollten. Spannungen zwischen den verschiedenen Erwartungshaltungen waren vorprogrammiert.
… mit der Erwartungshaltung konfrontiert, dass die Gottesdienste genau den rechtlichen Vorgaben folgen.
Die Menschen vor Ort müssen bei solchen Gottesdiensten ebenso im Blick sein wie die vor den Fernsehern und an den Radiogeräten. Beim Katholikentag in Erfurt, der vom 29. Mai bis zum 2. Juni 2024 stattfand, war das seit Generationen besonders säkulare Umfeld zu bedenken, aber auch die hier ebenfalls mit langer Geschichte lebendige Ökumene – gerade für Fronleichnam, das durch und durch katholische Hochfest des Leibes und Blutes Christi. In Erfurt ist das ein normaler Werktag, was bald zu Überlegungen führte, am Vormittag einen Wortgottesdienst und am Abend, wenn die Stadtgemeinde dabei sein konnte, die Eucharistie zu feiern. An Fronleichnam sollte das Leitwort des Katholikentags „Zukunft hat der Mensch des Friedens“ aus Ps 37 eine Rolle spielen. Das gelang u. a. durch die Rezitation des ganzen Psalms, die Visualisierung durch eine künstlerisch gestaltete Psalmrolle und die Verkündigung von drei Textabschnitten in ganz unterschiedlicher Form.
Die Eucharistie, die hier im Mittelpunkt stehen soll, wurde am Sonntagvormittag unter der Leitung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz auf den Domstufen in Erfurt gefeiert. Die für den neunten Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr B vorgesehenen Texte wurden in der Wortverkündigung aufgegriffen. Das zentrale Motiv des Gottesdienstes, der „Schatz in den zerbrechlichen Gefäßen“, war der zweiten Lesung aus dem Zweiten Brief an die Gemeinde in Korinth (2 Kor 4,7) entnommen, der auch Grundlage der Dialogpredigt von Bischof Dr. Georg Bätzing und Dr. Juliane Eckstein war, die unmittelbar auf die Verkündigung der zweiten Lesung folgte. Nach dem Katholikentag in Stuttgart sollte an der Form der Dialogpredigt mit einer Predigerin als heute sprechender Form festgehalten werden.
Als Resonanz auf das Evangelium folgten drei Zeugnisse, die die Aufforderung Jesu an den Mann mit der verdorrten Hand „Steh auf und stell dich in die Mitte!“ aufgriffen und unter der Leitfrage „Wen stellen wir in unserem Handeln in die Mitte?“ über ihr Engagement für gesellschaftlich marginalisierte Menschen (in der Begleitung von Sterbenden, im Engagement für die Inklusion im Sport, bei der Bahnhofsmission) berichteten. Das Hochgebet ermöglichte durch Akklamationen eine aktivere Beteiligung des versammelten Volkes Gottes in ähnlicher Weise, wie dies auch in Stuttgart bereits praktiziert worden war.
eine aktivere Beteiligung des versammelten Volkes Gottes
In Erfurt wurde der Friedensgruß, weil Ritus und Bitte um Frieden besonders akzentuiert werden sollten, mit dem Schuldbekenntnis verbunden, fand also bereit in der Eröffnung seinen Platz. Unzulässige Veränderung oder eine mit Blick auf Ort und Anlass sinnvolle Interpretation und Gestaltung? Der Ritus stand historisch an verschiedenen Stellen: am Ende der Fürbitte oder unmittelbar nach dem Hochgebet oder in Verbindung mit der Brotbrechung. In den Messriten z.B. von Mailand und dem Kongo (Zaire) steht er heute am Ende des Wortgottesdienstes. Es gab beim Katholikentag Zustimmung, so sei der Friedensgruß stimmig. Es begegnete aber auch Kritik mit Hinweis auf die Rubriken. Wäre eine Lesung, etwa die aus dem Alten Testament, weggelassen worden, hätte das kaum gestört. Wäre die Einheit der Bibel aus Altem/Erstem und Neuem Testament dadurch betont worden, dass bereits vor der alttestamentlichen Lesung das Halleluja gesungen worden wäre, wie zunächst vorgesehen, wäre der Protest aus bestimmten Kreisen absehbar gewesen.
statt theologischen Gründen der Hinweis auf „Ordnungen“
Theologische Gründe werden für solchen Widerspruch selten ins Feld geführt, sondern zumeist der Hinweis auf „Ordnungen“. Wieviel Situativität ist in Gottesdiensten bei einem Katholikentag an welcher Stelle theologisch legitim oder gar notwendig? Und was bringt die Liturgie und die sie feiernde Kirche in schwierigsten Zeiten wirklich weiter? Wann ist die Zeit reif für eine Dialogpredigt mit einer Predigtpartnerin aus der Ökumene? Gerade im Erfurter Kontext wäre dies ein deutliches Zeichen gewesen.
Was bringt die Liturgie und die sie feiernde Kirche in schwierigsten Zeiten wirklich weiter?
Jeder Ort, an dem die großen Gottesdienste bei Katholikentagen gefeiert werden, stellt vor Herausforderungen. In Erfurt sollten Ambo und Altar sowie das Kreuz des ZdK auf den Domstufen stehen, hinter denen sich Mariendom und St. Severi erheben. Damit tauchten vielfältige Fragen auf nach dem Verständnis von Liturgie und Kirche auf. Ein Gegenüber von Zelebranten und Konzelebranten und übriger Gemeinde – Liturgie als „Publikumsveranstaltung“ (Reinhard Meßner) lautet der berechtigte Vorwurf.
Durch eine übergroße Zahl von Konzelebranten kann der Eindruck noch verstärkt werden. Konzelebration ist übrigens für eine Veranstaltung wie einen Katholikentag, der ja keine „Bischofsversammlung“ ist, weder vorgeschrieben noch empfohlen (AEM 153). In Erfurt, wo zudem eine breite Rettungsgasse vor den Domstufen die Gemeinde auf Distanz zu Ambo und Altar hielt, sollte auf den Domstufen deutlich werden, dass Wort- und Eucharistiefeier von der Gemeinde getragen werden und in ihrer Mitte stattfinden. Drei Bischöfe konzelebrierten: der Vorsitzende der DBK, der Ortsbischof und ein ukrainischer Bischof für die Weltkirche, umgeben von vielen jungen Leuten und der liturgischen Assistenz. Ein gutes, ein sinnvolles Bild von Kirche heute.
Es sollte deutlich werden, dass Wort- und Eucharistiefeier von der Gemeinde getragen werden und in ihrer Mitte stattfinden.
Eine Frage bleibt nach Erfurt: Wo finden die anderen Bischöfe, die anwesend sind, Platz? Die Idee war, dass sie bei den übrigen Gläubigen stehen sollten, um das Miteinander der Getauften in der Kirche erfahrbar zu machen. Das Bild einer synodal auf dem Weg befindlichen Kirche sollte sich darin ausdrücken. Das ist so nicht aufgegangen und stieß auf Kritik mancher Bischöfe. Aber es bleibt eine Aufgabe, die sich für jede Liturgie stellt: Wie wird Gemeinschaft der Getauften im Gottesdienst sichtbar? Wieviel Leitung ist notwendig, wie stellt sich das Amt dar, wie kommt vor allem die Taufberufung aller in der Liturgie zur Geltung? Wer sitzt im „Ehrengastbereich“ und wer nicht?
Wer sitzt im „Ehrengastbereich“ und wer nicht?
Über beide Gottesdienste lässt sich in vielen Punkten berechtigt streiten. Es gibt kritische Reaktionen, die Mehrheit der Resonanzen ist in der Grundtendenz eher positiv. Eine Gruppe konfessionsloser Jugendlicher schreibt „von sehr spannenden und positiven Erfahrungen“, eine Katholikin aus dem Rheinland könnte sich vorstellen, so immer Fronleichnam zu feiern. Ein evangelischer Landesbischof war berührt vom Umgang mit der Monstranz, ein älterer Mitfeiernder lobte den Verzicht auf „klerikale ‚Scheindominanz‘“. Immer wieder gelobt wurde die Gestaltung des Raumes. Manche hörten die Bibeltexte in leichter Sprache neu, viele waren angetan von den Dialogpredigten. Die ‚arabisch‘ klingende Musik des Orchesters „Klänge der Hoffnung“, aber auch die Pueri Cantores haben viele angesprochen. Alles in allem: Manches von diesen Gottesdiensten könnte also auch auf Zukunft hin anregend sein.
Wie will sich Kirche in solchen Feiern selber erleben, welches Bild von sich will sie nach außen vermitteln? Je nach Ort und Feier ist das neu zu diskutieren, aber das theologische Programm – Liturgie als Versammlung des Volkes Gottes – sollte die entscheidende hermeneutische Perspektive für die Gottesdienste insgesamt liefern.
Wie will sich Kirche in solchen Feiern selber erleben, welches Bild von sich will sie nach außen vermitteln?
Die Gottesdienste in der ARD-Mediathek:
Dr. theol. Katrin Großmann ist Leiterin der Abteilung „Theologie und Glaube“ im Generalsekretariat des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
(Copyright Bild: ZdK/Bongard)Dr. theol. Benedikt Kranemann ist Professor für Liturgiewissenschaft an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt.
(Copyright Bild: Pressestelle Universität Erfurt)Beitragsbild: Katholikentag/Heßland