Angst ist eine unsichtbare Weltmacht und ein Soundtrack der Krise. Die Salzburger Hochschulwochen stellen sich in diesem Jahr der »Angst«. Martin Dürnberger mit einem Aufschlag.
DJ Koze gehört zweifelsohne zu den spannendsten Vertretern seiner Zunft. Trotz aller Erfolge (Vgl. Link pitchfork.com) setzt Stefan Kozalla – so der bürgerliche Name des Musikers – aber ein Problem zu, das in der Leichtigkeit seiner Tracks nicht zu hören ist. Im Gespräch mit der FAZ spricht der Hamburger über Ängste, die ihn heimsuchen, besonders eindringlich aber von einer: der „Angst, nicht gut genug zu sein“ (Link faz.net).
„Angst, nicht gut genug zu sein“
Nun mag man den Selbstzweifel als gängige Figur aus den Repertoires künstlerischer Koketterie abtun, aber das wäre vorschnell. Tatsächlich scheint in Kozallas Selbstwahrnehmung eine Erfahrung der Zeit aufzublitzen: Einer Anfang des Jahres veröffentlichten Studie zufolge leidet z.B. jede*r vierte junge Erwachsene an Angststörungen, Panikattacken u.Ä. Gerade bei „angehenden Akademikern steigen Zeit- und Leistungsdruck kontinuierlich, hinzu kommen finanzielle Sorgen und Zukunftsängste.“ (Link Barmer- Arztreport 2018)
Angst ist ein Grundgefühl der Gegenwart, eine unsichtbare Weltmacht, der Soundtrack der Krise.
Die Erfahrung schillert nicht bloß in den Farben biographischer oder sozialer Wirklichkeit, sie ist auch ein politisches Thema – Emmanuel Macrons Karlspreisrede hat dies zuletzt deutlich vor Augen geführt (Link: karlspreis.de). Tritt man einen Schritt zurück, zeigen sich in vielen Großdiskursen der Gegenwart Angstfixierungen: Migration, Digitalisierung, Klimawandel, Körperlichkeit. Nicht zufällig machte sich Zygmunt Bauman die zeitdiagnostischen Potentiale dieser Erfahrung zunutze[1] oder identifizierte sie zuletzt Heinz Bude als soziologischen Passepartout:[2] Angst ist ein Grundgefühl der Gegenwart, eine unsichtbare Weltmacht, der Soundtrack der Krise.
Welche theologischen Folgerungen ergeben sich aus dieser Wahrnehmung, welche Chancen, welche Caveats – kurz: Glaube, wir hältst Du’s mit der Angst? Um diese Fragen zu adressieren, braucht es vorab ideengeschichtliche Orientierung: Es ist zu fragen, in welcher Weise Angst und reflexive Moderne nicht bloß zufällig, sondern strukturell aufeinander bezogen sein könnten.
Die Moderne bekämpft Angst und erzeugt neue Angstwelten.
Aufklärung und Moderne traten an, um „von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen.“[3] Das Habe Mut! Kants ist demnach bewusst und wohl gewählt, invers spiegelt sich darin der Antipode der Aufklärung – es ist die Angst in ihren vielen Gestalten, vor eigenem Denken ebenso wie vor eigener Freiheit.
Das Paradigma der Moderne muss bisherige Leistungen strukturell unterbelichten.
Die Moderne entwickelt dabei zwar erfolgreiche Strategien der Angstbewältigung, erzeugt dabei aber zugleich neue Angstwelten. Für zeitgenössische Subjektivität scheint etwa jene Dialektik besonders relevant zu sein, die die Ablösung des adeligen Erbschafts- durch das bürgerliche Leistungsprinzip entfaltet: So sehr diese ein emanzipatorischer Schub ist, so stark setzt sie das Individuum anspruchsvollen Imperativen aus. Das Paradigma der Moderne, das auf Freiheits- und Erkenntnisfortschritt gepolt ist, mag an Leistung interessiert sein, es muss aber bisherige Leistungen zugleich strukturell unterbelichten.
Wenn Handeln und Wissen in der Moderne so dynamisch werden, dass stets neue Anforderungsprofile auftauchen, interessiert die gestrige Lösung gestriger Probleme heute nicht mehr. So wird ‚Erbe‘ durch ‚Leistung‘ und diese durch ‚Kompetenz‘ ersetzt (i.e. von der Fähigkeit, zukünftige Probleme zu bewältigen), um nochmals abgelöst zu werden: durch das bloße Potential, die reine ‚Kompetenzkompetenz‘, die Fähigkeit, jene neuen Fähigkeiten zu generieren, die es braucht, um noch unbekannte Herausforderungen zu lösen.
Der Erfolg des heutigen Tages kann morgen schon irrelevant sein.
Auf diese Weise sorgt daher gerade die Moderne, die sich Fortschritt und Dynamik verschreibt, aus strukturellen Gründen für stets neue Unübersichtlichkeit (Habermas), neue Ungewissheiten und damit neue Bedrohung – und erzeugt tendenziell auch ein ‚erschöpftes Selbst‘ (Ehrenberg), das ständig mit jenen Ängsten kämpft, die auch DJ Koze umtreiben: dass der Erfolg des heutigen Tages morgen schon irrelevant ist, dass das eigene Tun zu wenig sein, dass es vielleicht nicht reichen könnte.[4]
Selbst wenn dies nur ein dialektischer Twist der Aufklärung ist und man sich (gerade als Theologe) vor monistischen Phänomenologien hüten muss, die in allem stets bekannte Muster finden – vielleicht rührt man hier an ein Drehmoment aktueller Angstdiskurse, welches in der penetranten Reduktion aller Debatte auf das Flüchtlingsthema beinahe unsichtbar wird: dass der Kapitalismus der Gegenwart so vielfältig darauf bezogen ist, dass man nicht gut genug sein könnte. Nationalismus bezieht sich genau darauf, er ist die Verheißung, dass bloße Herkunft doch ausreichend ist – und der Populist sekundiert mit dem Versprechen, sich um die eigenen Leute zu kümmern.
Glaube vertreibt nicht alle Angst – aber bestimmt präzise ihren Status
Eine erste theologische Folgerung legt sich wie von selbst nahe: Fürchtet euch nicht! Angstsklerosen wie die beschriebenen sind stets neu und mit Witz und Freude mit der Erinnerung zu konfrontieren, dass man mehr ist als der befristete Vertrag, die Überschuldung, die eigene Erschöpfung. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Christi (Röm 8,35) – und diese, so eine Erfahrung von Christ*innen von Beginn an, vertreibt die Furcht (1 Joh 4,18).
‚Mehr‘ Glaube bedeutet nicht ‚weniger‘ Angst.
Gerade weil aber die Profilierung des Glaubens als Antipode der Angst in der Sache eher unstrittig scheint, ist ein zweites anzusprechen.
Sowohl gegen jene christliche Kraftmeierei, die alle Angst mit Kleinglaube assoziiert, als auch den populär religionskritischen Argwohn, der Religion als Obdach der Mutlosen versteht, ist nämlich daran zu erinnern, dass Glaube keineswegs dagegen immunisiert. Sehr nüchtern schreibt Hans Urs von Balthasar 1951, dass Gott offenkundig nicht in die Welt gekommen sei, um dem Menschen „die Angst einfachhin wegzunehmen oder zu ersparen“[5]. Nicht einmal Jesus ist davon befreit: Die Evangelien verschweigen den Ölberg nicht. Diese Schlüsselstelle aller Christologie irritiert bis heute: Selbst die engst mögliche Gottesbeziehung erspart den Tod nicht, sie ist auch kein Schutz vor Angst. Die Einsicht aber, dass beides einander nicht ausschließt, ist ein Hinweis darauf, wie unpräzise ein Denken ist, das Glauben zum Medikament verkürzt oder eine Logik forciert, derzufolge ‚mehr‘ Glaube immer auch ‚weniger‘ Angst bedeutet.
‚Schwester Angst‘ – eine geschöpfliche Wirklichkeit.
Vielleicht lässt sich Angst daher besser einordnen, wenn man sie nicht aus einem starren Gegensatz zum Glauben bestimmt, sondern in der beweglichen Logik des Sonnengesangs in Analogie zum Tod begreift: Dann wäre sie eine ‚Schwester Angst‘, die uns zwar immer wieder mit Macht heimsucht, aber auch in dieser Macht doch nichts anderes ist als wir selbst: eine geschöpfliche Wirklichkeit.
Darin ist die Absolutheit, mit der sie uns angeht, als bloßer Schein entlarvt: Sie hat nicht das letzte Wort über uns. Das vertreibt nicht alle Angst – aber es bestimmt präzise ihren Status: als bloß vorletzte Wirklichkeit. Oder, um nochmals zur Popkultur zurückzukehren, mit Josef Hader gesprochen: „Angst ist ja auch überschätzt.“[6]
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Martin Dürnberger ist Assistenzprofessor für Fundamentaltheologie und Ökumenische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg. Er ist Obmann der Salzburger Hochschulwochen.
Bild: pixabay.com / Creative Commons CC0.
»Angst?« ist das Thema der diesjährigen Salzburger Hochschulwoche (29.07.–05.08.2017)
Weitere Infos unter:
http://www.salzburger-hochschulwochen.at/
https://www.facebook.com/SalzburgerHochschulwochen/
Programm 2018:
Online: http://www.salzburger-hochschulwochen.at/programm
Als Pdf: http://www.salzburger-hochschulwochen.at/dl/KMuKJmoJkJqx4KJKJmMJlM/Folder_2018.pdf
[1] Bauman, Zygmunt, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg 1997.
[2] Vgl. Bude, Heinz, Gesellschaft der Angst, Hamburg 2014.
[3] Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max, Dialektik der Aufklärung, Darmstadt 1998, 19.
[4] vgl. exemplarisch: Neckel, Sighard/Wagner, Greta (Hgg.), Leistung und Erschöpfung. Burnout in der Wettbewerbsgesellschaft, Berlin 2013.
[5] von Balthasar, Hans Urs, Der Christ und die Angst, Einsiedeln 51953, 13.
[6] Maeckes/Josef Hader, Kino, auf dem Album ‚Tilt‘ von Maeckes, 2016.