Ein ungewöhnlicher Dokumentarfilm kommt dieser Tage bundesweit in die Kinos. Ein Gespräch über DER STEIN ZUM LEBEN mit Regisseurin Katinka Zeuner.
Der Film DER STEIN ZUM LEBEN ist vielerlei zugleich: er ist das filmische Portrait des Steinmetz Michael Spengler und damit auch eine Dokumentation über das schrittweise Entstehen von drei Grabsteinen. Zugleich gibt er Einblicke in den intimen Prozess der Trauer der Angehörigen, in ihr Ringen, zu einer zu den Verstorbenen passenden Gestaltung des Steins zu finden. Über zwölf Monate werden drei Familien begleitet, in denen sie immer wieder Michael Spengler auf seinem Werkstattgelände mitsamt dem als Büro dienenden Zirkuswagen mitten in Berlin aufsuchen. Sie berichten aus dem Leben der Toten. Er nimmt ihre Erzählungen auf und versucht, daraus Vorschläge für Materialwahl und Bearbeitungsmöglichkeiten abzuleiten.
Zu den Angehörigen gehört auch Familie Neustadt, die ihren zweijährigen Sohn Josef verloren hat und nach Wegen sucht, seinen charakteristisch rauschenden Atem im ausgewählten fragilen Kalkstein widerzuspiegeln. Ihre Sicht auf den Film kann in einem Beitrag auf ihrem Blog 22monate nachgelesen werden.
Es ging mir darum erfahrbar zu machen, was es bedeuten kann, den Abschied von einem geliebten Menschen selbst zu gestalten.
Silke Merzhäuser: Wie entstand die Idee für ein solches Filmsujet?
Katinka Zeuner: Ich habe Michael Spengler kennengelernt, als ich mit ihm einen Stein für meine Mutter gestaltet habe. Die Arbeit, die er macht, der Raum, den er schafft und er als Persönlichkeit haben mich damals sehr beeindruckt. So habe ich ihn gefragt, ob ich einen Film über seine Arbeit drehen kann. Es ging mir darum erfahrbar zu machen, was es bedeuten kann, den Abschied von einem geliebten Menschen selbst zu gestalten.
Inwieweit konntest Du die Prozesse, die zu jeder Steingestaltung gehören, planen? Wie war der Kontakt zwischen den Angehörigen und Dir?
In die Abläufe, vom Erstgespräch bis zum abschließenden gemeinsamen Aufstellen des Steines auf dem Friedhof, habe ich nicht eingegriffen. Die Herangehensweise war das bloße Beobachten. Die Idee war, in dem Film einen Raum abzubilden. Den geographischen Raum, dieses Quadrat, wo Zirkuswagen und Container stehen, der eine ganz andere Atmosphäre als sein Umfeld hat. Hier gelten andere Regeln, hier hat die Zeit einen anderen Rhythmus. Aber auch den zwischenmenschlichen, den emotionalen Raum, den Michael Spengler in jeder einzelnen Begegnung mit Familien schafft. Alles fand an diesem Ort statt. Mit dieser Entscheidung war klar, ich muss damit arbeiten, was ich dort vorfinde. Das war ein Risiko. Mit den drei Familien hatte ich Glück, mit ihren Geschichten und mit ihrer Unterschiedlichkeit. Aber vielleicht wäre es auch schwierig gewesen, an diesem Ort keine „schönen“ Geschichten zu finden.
„Es geht mehr darum, eine neue Beziehung zu finden.“
Eine Angehörige, Frau Jakob, sagt über den entstehenden Grabstein, man wolle ja eine Gestaltung finden, die dem Verstorbenen gefalle, oder etwas, das man mit ihm verbinde. Und sie wendet ein: „Klar bildet es auch uns ab – wozu auch immer.“ Ist diese Grabsteingestaltung eine Trauerarbeit, die von dem Kreisen um sich selbst als Trauernde ablenkt und hilft, sich auf den Verstorbenen zu fokussieren?
Es gibt ja viele traditionelle Formen, mit Tod umzugehen, die heute für viele Menschen gar nicht mehr stimmig sind, weil Religion keine Rolle in ihrem Alltag oder im Alltag der Verstorbenen spielte. Für mich war es wichtig zu realisieren, dass man etwas – auch den Grabstein – selber gestalten kann. Ein Aus-der-Ohnmacht-Heraustreten. Ich glaube, dass diese Art eine Hilfe ist, bei dem Übergang zu einer neuen Beziehung zu den Verstorbenen. Es gab ja lange die Haltung: dann muss man loslassen, den Verstorbenen gehen lassen. Aber das stimmt gar nicht, das kann man eigentlich nicht verlangen. Ich glaube, es geht mehr darum, eine neue Beziehung zu finden. Der Stein wird mit Überlegungen, Arbeit und Emotionen aufgeladen, er kann für die neue Beziehung zu dem Verstorbenen stehen.
„Was würden Sie sagen… was hat sich durch Josefs Tod für Sie und ihr Leben verändert?“
Eine andere Protagonistin, Anne Neustadt, erzählt im Film, wie sie den Moment des Todes ihres Sohnes erlebt hat. Für mich als Zuschauerin ist dies ein kostbarer, seltener Moment, in dem eine intime Erfahrung geteilt wird. Wie kam es zu der Filmaufnahme davon?
Ich habe Michael Spengler nie darauf angesetzt, bestimmte Fragen zu stellen. Das passierte von alleine. Die Geschichte von dem verstorbenen Josef hat ihn so berührt, da wollte er ganz viel wissen. Die Eltern Neustadt haben sich intensiv dem Erlebten – dem Tod ihres Sohnes – gestellt, so haben sie dann auch sehr offen und ehrlich erzählt. Als der fertige Grabstein schließlich auf dem Friedhof gemeinsam aufgestellt wird – bei den letzten Filmaufnahmen -, fragt Michael Spengler, wie nebenbei und abschließend, nach: „Was würden Sie sagen… was hat sich durch Josefs Tod für Sie und ihr Leben verändert?“. Solche Fragen stellt er sicher nur, wenn er spürt, dass es der Familie auch zumutbar ist.
Der Raum, den Du in dem Film abbildest ist ein zunächst religionsfreier Raum. Zur Zielgruppe gehören Menschen, die nicht kirchlich gebunden sind, sondern nach einer Alternative suchen. Da erstaunt es, wenn der Steinmetz Michael Spengler fragt, wie der Verstorbene über Transzendenz dachte. Ob er glaubte, durch den Tod sei alles vorbei, oder ob es etwas gäbe, das durch den Tod nicht zerstört werden könne? Warum diese Fragen?
Michael Spengler fragt grundsätzlich nach, ob die Verstorbenen religiös waren oder Atheisten, Heiden oder Agnostiker. Wo die meisten Angehörigen dann ins Rudern kommen, weil sie die Unterschiede gar nicht so genau kennen. Es ist für ihn wichtig, dies zu thematisieren. Um zu verstehen, wie der oder die Verstorbene gedacht haben, und um zu wissen, was die Menschen dachten, was nach dem Tod passiert. Es ist eine von vielen Fragen, die er stellt, um sich ein Bild zu machen und das richtige Objekt zu gestalten. Neulich hat er für einen verstorbenen Pfarrer einen Stein gestaltet – es ist kein per se areligiöses Feld.
„Wie man einem Stein begegnet, solle man auch Trauer begegnen. Denn wenn man dem Stein mit Hektik begegnet, dann fällt er einem auf den Fuß.“
Ein zentrales Motiv im Film ist die Zeit: Zeit, die es braucht, dem Stein eine Gestaltung zu geben, die Zeit, um sich von den Verstorbenen noch ein weiteres Stück zu verabschieden. Und da fragt der Steinmetz im Film unvermittelt eine Angehörige: „Haben Sie es eigentlich sehr eilig mit dem Stein?“ Welche Rolle spielt die Zeit?
Klar, es geht auch um das Pensum, was der Steinmetz schaffen kann, aber das ist nur das Vordergründige. Denn er möchte die Angehörigen oft absichtlich ausbremsen. Es ist ihm wichtig, den Menschen den Zeitdruck zu nehmen. Oft haben die Familien bestimmte Daten im Kopf, wann der Grabstein fertig sein soll, zum Beispiel an einem Geburtstag. Er versucht, gegen die Hektik, gegen die Dringlichkeit zu arbeiten. Wie man einem Stein begegnet, solle man auch Trauer begegnen. Denn wenn man dem Stein mit Hektik begegne, dann falle er einem auf den Fuß.
Die Arbeit des Steinmetz hat für die Angehörigen auch seelsorgerische Qualitäten, er begleitet sie in ihrer Trauer und hält diese zusammen mit ihnen aus. Wie beschreibt er selbst seine Aufgabe?
Michael Spengler hat darin eine Tätigkeit gefunden, die zu ihm passt und ihn erfüllt. Er versteht sich als Übersetzer, nicht sein künstlerisches Schaffen steht im Mittelpunkt. Die emotionale Belastung ist mitunter heftig. Doch für ihn steht im Vordergrund, was er von den Menschen bekommt. Er hat mir erzählt, dass er mit Menschen, die in Trauer sind, zum Teil sogar besser umgehen kann, als mit anderen. Das Positive an den Menschen in Trauer sei ja, dass sie in ihrer Verletztheit weich sind, offen sind, ehrlich sind. Das ist oft ein schönerer Kontakt, so Michael Spengler.
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Infos, Trailer und Termine: https://www.dersteinzumleben-film.de
Autorin/Interviewerin: Silke Merzhäuser, Dramaturgin, www.werkgruppe2.de