Die 4. Versammlung des Synodalen Weges erlebt und überwindet eine Krise. Daniel Kosch stellt als Beobachter aus der Schweiz fest, dass der Synodale Weg mit Risiken behaftet bleibt.
Der Schlüsselmoment der vierten Synodalversammlung vom 8.-10. September 2022 in Frankfurt war die Schlussabstimmung zum Grundtext über die «Grundlinien einer erneuerten Sexualethik». Dieser wurde mit einer deutlichen Mehrheit von 82% der Stimmen angenommen, verpasste aber mit 61% die notwendige Zweidrittels-Mehrheit der Stimmen der Bischöfe relativ knapp.
Ein Abstimmungsergebnis enttäuscht viele Laien und viele Bischöfe gleichermassen
Für grosse Emotionen und deutliche Kritik sorgte dabei weniger das Ergebnis selbst als die Tatsache, dass die Kritiker des Textes ihre ablehnende Haltung im Vorfeld der Abstimmung nicht deutlich artikuliert hatten. ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp sprach von «heimlichen Blockierungen», die Rede war auch von «feigen Heckenschützen». Eine Synodale antwortete auf den Aufruf des DBK-Präsidenten Bischof Georg Bätzing «Bleiben wir zusammen!» mit der bitteren Frage: «Liebe Bischöfe, warum sollen wir bei euch bleiben, wenn ihr nicht bei uns bleibt?»
«Nicht nur ein Text wurde abgelehnt, sondern Menschen»
Dass es ausgerechnet ein Text zur Sexualethik und zum Geschlechterverhältnis war, dem dieses Schicksal widerfuhr, sorgte auch bei vielen Bischöfen für Konsternation, weil sie für Reformen der Sexualmoral eintreten. So war am gleichen Tag in der renommierten Zeit-Beilage «Christ & Welt» ein grosses Interview mit Helmut Dieser, Bischof von Aachen, unter dem Titel «Homosexualität ist gottgewollt» erschienen. Und Heiner Koch, Bischof von Berlin, erklärte anderntags auf der Webseite des Bistums: «Ich habe mit diesem Ergebnis nicht gerechnet und weiss nicht, was ich den Menschen im Erzbistum Berlin am nächsten Montag sagen soll.» In der anschliessenden Aussprache war von einer «Katastrophe», einem «Desaster», «Dialogverweigerung», einer «Führungskrise» und einer «Krise des Bischofsamtes» die Rede, weil der Vorgang den Graben zwischen Kirchenvolk und Bischöfen vertiefe. Die Aussage «Nicht nur ein Text wurde abgelehnt, sondern Menschen» machte deutlich, dass der Vorgang für viele Menschen, insbesondere queere Kirchenmitglieder von existenzieller Relevanz ist. Sie reagierten ebenso verletzt wie empört.
Die anthropologische Frage des Geschlechterverhältnisses spielt eine zentrale Rolle.
Der Vorgang machte überdeutlich, dass der mit dem Synodalen Weg beabsichtigte «Prozess nachholender Entwicklung» (Rainer Bucher) alles andere als reibungslos verläuft. Zwar wird sie von einer deutlichen Mehrheit der Synodalversammlung und der engagierten Katholikinnen und Katholiken gefordert, um das, was sie als evangeliums- und zeitgemäss beurteilen, zur offiziellen Position der Kirche zu machen und ihre Glaubwürdigkeit zu stärken. Aber es gibt weiterhin eine relevante Zahl von Bischöfen und eine kleine, aber gut vernetzte Minderheit, die bestreitet, dass ein solches aggiornamento mit dem Willen Gottes und mit der Lehre der Kirche vereinbar ist. Allen vier Themen des Synodalen Weges ist nicht nur der Bezug zur Missbrauchsthematik gemeinsam, sondern auch, dass sie in ähnlicher Weise umstritten sind und dass dabei die anthropologische Frage des Geschlechterverhältnisses eine zentrale Rolle spielt.
Es überrascht daher nicht, dass die Beratungen nach der Abstimmung unterbrochen wurden und eine allgemeine Aussprache folgte, zumal der Grundtext zur Rolle der Frauen in der Kirche als nächster Punkt auf der Tagesordnung stand. Hätte dieser bei den Bischöfen auch nicht die nötige Zustimmung gefunden, stünde der Synodale Weg vor einem Scherbenhaufen. Dazu kam es allerdings nicht. Er wurde anderntags mit überwältigendem Mehr der Synodalen und deutlichem Mehr der Bischöfe angenommen.
Drei Grundlagentexte und ein Synodaler Rat: Schon liegen wichtige Ergebnisse vor
Man wird schon wegen dieser Entscheidung weder der vierten Versammlung noch dem Gesamtverlauf des Synodalen Weges gerecht, wenn man die Krise nach der Abstimmung zum Text zur Sexualmoral zum Anlass nimmt, das gesamte Vorhaben einmal mehr schlechtzureden oder als letztlich irrelevant zu diskreditieren. Immerhin sind nach der vierten Versammlung insgesamt drei entscheidende Texte zu den theologischen Grundlagen des Synodalen Weges, zu Macht und Gewaltenteilung und zur Rolle der Frau definitiv verabschiedet.
Ein Synodaler Rat stellt Synodalität auf Dauer.
Dasselbe gilt für Handlungstexte zur Beteiligung der Gläubigen an der Bestellung des Diözesanbischofs und zur Einrichtung eines Synodalen Rates. Letzterer stellt Synodalität auf Dauer und damit die Weiterarbeit nach der letzten Versammlung im März 2023 sicher. Dass zudem Texte zur Situation homosexueller Priester, zum Umgang mit geschlechtlicher Vielfalt und zur Verkündigung des Evangeliums durch Frauen in Wort und Sakrament in erster Lesung verabschiedet wurden, macht deutlich, dass die Themen Sexualität und Gender weiterhin hohe Priorität haben[1].
Ein Blick auf die zurückgelegten Etappen
Auf dem Synodalen Weg werden allerdings nicht nur Themen und Texte bearbeitet, sondern ein synodaler Stil, synodale Prozesse und Strukturen sowie synodale Entscheidungsverfahren erprobt und eingeübt. Es lohnt sich, nach der überstandenen Krise, wie vor dem Hintergrund von nunmehr vier Synodalversammlungen, unzähligen Sitzungen in den Foren und online-hearings sowie etlicher Publikationen, die den Synodalen Weg und die weltkirchliche Synode 2021-2023 begleiten und kommentieren[2], nicht nur dessen Ergebnisse, sondern den gesamten Prozess in den Blick zu nehmen. Denn die Synodalisierung der Kirche hat auf allen Ebenen und in allen Teilen der Weltkirche hohe Priorität und die deutsche Kirche investiert in diesen Prozess nicht nur viel Geld, sondern hohe Aufmerksamkeit, theologisches und organisatorisches Know-how sowie viel ehrenamtliches und professionelles Engagement.
das «wie weiter» nach der Krise
Bei meiner Reflexion über die bisherigen Erfahrungen orientiere ich mich an drei Schlüsselbegriffen, die das Co-Präsidium des Synodalen Weges, Georg Bätzing und Irme Stetter-Karp, für das «wie weiter» nach der Krise verwendeten. Sie sprachen von ihrer Verantwortung für den Prozess, für den Grundtext und für die Menschen.
Verbindliche Prozesse: in heiklen Phasen unerlässlich
Was den Prozess betrifft, werden an den Synodalversammlungen gewissermassen nur die «Gipfelbesteigungen» auf dem Synodalen Weg sichtbar. Und diese folgen anderen Gesetzmässigkeiten als die «Mühen der Ebene» mit ihren unzähligen Abzweigungen, Rotlichtern, Jogging-Strecken, Sackgassen und wagemutigen Abkürzungen. Im Alltag sind auch andere Verknüpfungen und Balancen zwischen Reden und Schweigen, Beten und Arbeiten, Ringen um Formulierungen und Gebet um den Trost und die Phantasie des Heiligen Geistes möglich. Die Krise während der vierten Synodalversammlung hat jedoch deutlich gemacht, dass auch in diesen entscheidenden Phasen übermässiger Zeitdruck kontraproduktiv wirken und blockieren statt beschleunigen kann. Gleichzeitig ist zu konstatieren, dass die Krise ohne verbindlich geregeltes Vorgehen, Satzung und Geschäftsordnung, klar definierte Themen und professionelle Moderation nicht hätte überwunden werden können.
kurz innehalten
Spürbar ist auch das Bemühen, der für synodale Wege zentralen Verbindung von geistlichem Prozess und ergebnisorientierten Formen von Beratung und Entscheidungsfindung Sorge zu tragen. Allerdings tritt dieser Aspekt eher in den Hintergrund, wenn Abstimmungen, Geschäftsordnungsanträge und Einzelvoten Schlag auf Schlag folgen, Mindestens vor Schlussabstimmungen könnte man kurz innehalten und in einem Moment der Stille oder in einem Gebet die Frage stellen: Bringt mein Ja, mein Nein oder meine Enthaltung das zum Ausdruck, was ich als Willen Gottes in dieser Frage und für unsere Zeit erkenne? Auch vor jedem Votum und jedem Antrag wäre eine kurze Phase der persönlichen Unterscheidung angebracht: Worum geht es mir? Um mich? Um das Durchsetzen einer Position? Um eine Perspektive für jene Menschen, die ich vertrete und im Blick habe? Ist das, wofür ich mich einsetze, und die Art, wie ich mich einsetze, lebensdienlich und evangeliumsgemäss?
Den unfehlbaren Glaubenssinn des Gottesvolkes ernstnehmen.
Was die zugleich inhaltliche und spirituelle Verantwortung für den Gesamtprozess des Synodalen Weges betrifft, hat die Krise rund um das Papier zur Sexualmoral einiges in Gang gesetzt, insbesondere bei den bisher teils eher passiven (Weih-)Bischöfen. Der Vorgang hat bewusst gemacht, dass mit der «Sperrminorität» von einem Drittel der Bischöfe, d.h. von 20-25 Personen in einer Synodalversammlung von 230 Personen und in einer Kirche mit 22 Millionen Mitgliedern eine grosse «Pastoralmacht» und eine hohe Verantwortung verbunden sind. Nimmt man in synodalem Geist den unfehlbaren Glaubenssinn des Gottesvolkes ernst, reichen persönliche Vorbehalte, ungenügende Vertrautheit mit der Sache und Einwände gegen einzelne Formulierungen nicht für ein «Nein». Synodale Wege schmälern daher die Verantwortung der Bischofskonferenzen nicht, erfordern jedoch hohes Engagement, tiefe Sachkenntnis und eine entsprechende Prozesskompetenz.
Texte: was vom Synodalen Weg bleiben wird
Als Ergebnis des Synodalen Weges werden – wenn die Aufregungen um Abstimmungen, Personalien, Pannen, Emotionen und Konflikte Vergangenheit sein werden – die verabschiedeten Texte übrigbleiben. Ich halte deren oft hervorgehobene theologische Qualität für ihre Stärke, ihre grosse Zahl und ihre Länge jedoch für ihre Schwäche. Allein die drei Grundtexte zu Sexualität, Rolle der Frau und priesterlicher Existenz, die hätten behandelt werden sollen, umfassen 84 Seiten, dazu standen 11 Handlungstexte zu je 3-6 Seiten auf der Tagesordnung. Das ist nicht nur für die teils ehrenamtlichen Synodalen, sondern auch für die Rezeption durch die Kirchenbasis zu viel des Guten. Zudem steigt mit dem Detaillierungsgrad jedes Textes die Zahl möglicher Kritikpunkte und Missverständnisse. Auch hier wäre mehr «Unterscheidung der Geister» hilfreich: Was ist wirklich so wichtig, dass es der Kirche in Deutschland und der Weltkirche in die heutige Zeit hinein gesagt werden muss?
Menschen: durch synodale Erfahrungen berührt und verändert
Was schliesslich die Menschen betrifft, bin ich überzeugt, dass der Synodale Weg die meisten verändert, die involviert sind. Auch diesbezüglich hat die Krise am ersten Versammlungstag einiges in Bewegung gebracht. Ich bin kaum der Einzige, der die Tränen jener, welche das Abstimmungsergebnis verletzte, nicht mehr vergessen wird. Aus dem theoretischen Wissen um Leid queerer Menschen an der Kirche ist eine Erfahrung geworden, die unter die Haut ging. Der Glaubensmut, mit dem Theologinnen ihre Positionen in Anwesenheit fast aller deutschen Bischöfe vertreten haben, hat meine Zuversicht gestärkt. Gleichzeitig habe ich realisiert, wie gross die Gefahr der Selbstbezüglichkeit auf synodalen Wegen ist: Befindlichkeiten und Betroffenheiten haben ihre Berechtigung. Die Ausrichtung der Arbeit auf die realen Nöte und Ängste, Sehnsüchte und Erwartungen der Menschen «draussen», ob kirchlich oder nicht, bleibt jedoch vorrangig und darf in der synodalen «Blase» nicht vergessen gehen. Erfreulich, dass dies immer wieder explizit thematisiert wird.
Das Dokument über die Sexualmoral hat die Zweidrittel-Hürde der bischöflichen Stimmen nicht geschafft und der Synodale Weg bleibt bis zum Schluss ein Risiko. Aber schon die bisherigen Ergebnisse machen es möglich, dass Verantwortliche und engagierte Mitglieder der katholischen Kirche in Deutschland und darüber hinaus mit kirchlicher Rückendeckung Menschen glaubwürdig zusagen können, was Bischof Dieser im Zeit-Interview zum Thema so formulierte: «Gott sagt immer: Du kannst sein, wer du bist, wenn du nur wirklich willst.» Und das unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und ihrem Kirchenbezug.
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Daniel Kosch, Dr. theol., ist Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz.
[1] Alle Texte, Entwürfe, Abstimmungsergebnisse etc. sind unter https://www.synodalerweg.de/ zugänglich.
[2] Zuletzt: Frank Ronge (Hg.), Weltkirche im Aufbruch. Synodale Wege (Herder Thema), Freiburg 2022; Themenheft «Synodale Kirche» der IKZ Communio 51 (4/2022); M. Leitschuh/K. Kluitmann (Hg.), Wir können auch anders! Der Beitrag der Orden zum Synodalen Weg und für die Zukunft der Kirche, Münsterschwarzach 2022; R. Luciani, Unterwegs zu einer synodalen Kirche, Luzern 2022; P.M. Zulehner u.a. (Hg.), Synodalisierung, Ostfildern 2022.
Zum Weiterlesen
Die zuletzt auf feinschwarz.net veröffentlichten Beiträge zum Synodalen Weg in Deutschland:
https://www.feinschwarz.net/unmoeglich/
https://www.feinschwarz.net/nach-dem-synodalen-weg/
Hic Rhodus hic salta, oder: Warum Entscheidungen auch irgendwann getroffen werden müssen.