Nicolaas Derksen, Seelsorger und Bibliodramaleiter, reagiert in einem Leserbrief auf den Beitrag von Norbert Lüdecke vom 4.2.2020, ausgehend von der Austreibung der Dämonen Mk 1.
Da geschehen noch Wunder und Zeichen. An seinem ersten pastoralen Arbeitstag kommt Jesus – lese Kapitel eins des ältesten Evangeliums, Markus – in der Synagoge von Kapernaum und spricht so, dass ein Mann, der vermutlich öfters dahin kommt, sich nicht mehr halten kann und anfängt zu schreien: „Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazareth. Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiss wer du bist: der Heilige Gottes“. Dieser Mensch lebt bis dahin mit seinem Angst-Gott, anders gesagt: seiner Angst vor Gott. Jesus treibt mit seiner Haltung, seinem Sein, seinen Worten, seinem Ton, sofort aus, was unterschwellig bei diesem Mensch lebt. Austreiben bedeutet nicht vernichten. Austreiben von Dämonen in der Bibel hat zu tun mit „zum Vorschein rufen“, hörbar, sichtbar machen. Dann kann ein neuer Weg gegangen werden, ein Weg, der Zukunft hat. Jesus hat gerade das das Kommen vom Reich Gottes genannt. Da herrschte Jesus ihn an und sagte: „Schweig und verlass ihn“. Und die Chaosmacht hat keine Macht mehr über den Mann.
Wort „Synodaler Weg“ treibt Dämonen aus.
Ich finde es wunderbar und ich freue mich, wie sehr das Wort „Synodaler Weg“ im Stande ist, Dämonen auszutreiben. Die Kardinäle Woelki und Müller – wahrscheinlich auch noch andere, mehr als ich jetzt denke und für wahr haben will – machen jetzt deutlich, dass sie nicht einverstanden sind mit dem Synodalen Weg: es gibt keinen hierarchiefreien Raum; die Gläubigen – vergeben sie mir, dass ich uns noch so nenne, denn ich muss jetzt noch sagen: die Laien – haben nichts zu sagen; sie schulden nur Gehorsam an die Kleriker, die Menschen von der Hierarchie: also nicht anderen Gläubigen, sondern Menschen, die laut Kirchenrecht die Vollmacht haben, über andere zu herrschen. Ich freue mich, weil sie so deutlich auf den Tisch bringen, was sie wirklich bewegt und wovon sie finden, dass sie ein Recht darauf haben. Wir wussten es eigentlich und sie verstecken es nicht länger.
Illusion ausgetrieben auf Gleichwertigkeit in dieser Kirche
Und Professor Dr. Norbert Lüdecke, Professor für Kirchenrecht, hat mir – und ich denke, vielen anderen – wirklich einen Dienst erwiesen und auch einen Dämon ausgetrieben: nämlich die Illusion, dass wir Chancen haben auf Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung in dieser Kirche, gemeinsam als gläubige Menschen. „Denn“, schreibt er: „Das Kirchenrecht gibt in der Katholischen Kirche keinen hierarchiefreien Raum“. Und wenn Gläubige bei der Eröffnungsliturgie des Synodalen Weges in Frankfurt zusammen die Kirche betreten, bringt so ein Geschehen nur Illusionen und verschleiert die Machtstruktur, die de facto die Ordnung der Kirche beherrscht. Jeden Morgen Eucharistie feiern bedeutet also nicht: Erinnern an Leben, Sterben und Tod von Jesus und Mahl halten, sondern es macht deutlich, dass es Kleriker und Laien gibt. Die Eucharistie wird also auch auf diesem Altar geopfert. Dann wissen wir, wo die Macht liegt. Ich bin Norbert Lüdecke dankbar, weil ich auch Neigung habe, hier die Realität aus den Augen zu verlieren, weil mein Verlangen nach dem Reich Gottes so gross ist.
Natürlich habe ich auch meine Dämonen, meine Illusionen. Ich, mit meiner Berufung und meinem Beruf – Seelsorger und Pastoraltheologe – bin ein Kind vom Vatikanum II. Ich habe noch gelernt, dass in Lumen Gentium das Amt, in welcher Form auch immer, Dienst an den Gläubigen ist. Und mit Gaudium et Spes, dass das Leben der Menschen, schwierig, mühsam und rau, Ausgangspunkt für alles seelsorgliche und theologische Handeln ist.
Epistemische Vollmacht – Argumentationskraft, und …
Und der Theologe Michael Seewald hat meine Erinnerungen frisch und wach gemacht mit seinem Buch „Die Kirche anders denken“. Er schreibt, dass es epistemische Vollmacht gibt und juridische Vollmacht. In meinen Augen hat biblisch gesehen epistemische Vollmacht Vorrang: das bedeutet Argumentationskraft, Rede und Antwort geben auf die Hoffnung, die in uns lebt (Petrusbrief). Die Weihe von Amtsträgern ist biblisch gesehen eine Bestätigung von Charismen und Qualitäten, von Gott gegeben. Wunderbar. Und vergesse nicht die 72 Frauen und Männer, die auch Vollmacht bekommen haben und ausgesendet werden. Nicht die Weihe überzeugt, doch die Kraft von Argumenten, unterstützt von Haltung, Ton, und Sein: auf den Spuren Jesu.
… Juridische Vollmacht
Und es gibt juridische Vollmacht: Es gibt immer auch Sachen, die gesetzlich geregelt werden müssen und können, als Unterstützung, dass wir gläubig leben können. Wenn die Leitung der Kirche nicht die Gleichwertigkeit und die Gleichberechtigung will, ist der Untergang der Kirche für mich damit definitiv angesagt. Ich werde das mehr als schade finden. Das will noch nicht sagen, dass das Evangelium und Transzendenzwahrnehmung damit obdachlos werden.
Herrschen-Wollen über Gläubige ist ein Dämon
Ist es nicht ein Zeichen ihrer Gesundheit, dass u. a. die Kardinäle Wölki und Müller beunruhigt sind und vielleicht „einigermassen“ unsicher werden? Denn da wird an den Beinen der Stühle gesägt, auf denen sie sitzen. In meinen biblischen Augen ist Herrschen-Wollen über Gläubige ein unreiner Geist, ein Dämon. Dieser Dämon wird heute jedenfalls ausgetrieben, ist mehr denn je hörbar und sichtbar. Damit ist nicht garantiert, dass dann auch Heilung stattfindet. Jetzt ist wirklich der Synodale Weg angesagt: auch wir – alle Gläubige, nicht nur Theologen*innen und Seelsorger*innen – sollen so gut und gläubig, wie wir können, Rede und Antwort geben, respektvoll und ganz klar. „Zitternd vor Furcht sagte sie ihm die ganze Wahrheit“ (Mk 5, 33). Noch einmal: Laien, sie mögen auch nicht mehr weggucken! Als Menschen, die zur Freiheit befreit sind und die Angst vor Gott und vor den Machthabern hinter sich lassen oder schon gelassen haben.
Angst ist immer wach. Vertrauen schläft und will geweckt werden. Jesus habe ich hier schon genannt, meinen Bruder aus Galilea. Ich beende meinen Beitrag mit Hilde Domin:
Vertrauen, dieses schwerste ABC.
Solange wir atmen,
müssen wir dieses schwierige ABC neu buchstabieren.
Täglich.
„Jede und“ jeder von uns.
Es ist der Atem selbst
Kaiserstuhl, 7.Februar 2020
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Nicolaas Derksen ist Seelsorger, Pastoraltheologe und Bibliodrama-Ausbilder in Wislikofen
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