Im Kunsthistorischen Museum in Wien ging gerade eine große Bruegel-Ausstellung zu Ende. Höhepunkt der überaus erfolgreichen Ausstellung waren die beiden noch existierenden Gemälde des Meisters vom „Turmbau zu Babel“. Bruegels Darstellung zeigt, wie aktuell die Geschichte ist, damals wie heute. Eine persönliche Annäherung von Elisabeth Birnbaum.
Über 400.000 Menschen sahen die Ausstellung zum Werk Pieter Bruegels d. Ä. und seine beiden Versionen des Turmbaus zu Babel. Wochenlang im Voraus mussten die Karten gebucht werden, andernfalls war es fast unmöglich die Ausstellung zu besuchen.
Besonders viel Gedränge herrschte natürlich beim Ausstellungshighlight, den beiden „Turmbauten“. Der in Wien beheimatete „Große Turmbau“ wurde dem „Kleinen Turmbau“ aus Rotterdam gegenübergestellt. Während die Wiener Version, der sogenannte „Große Turmbau“ ein großes Gemälde von 114×155 cm ist, kommt der „Kleine Turmbau“ von Rotterdam nur auf 60×74,5 cm. Der Maßstab ist jedoch ebenfalls wesentlich kleiner und so wäre der „kleine Turm“ in realiter etwa 250 Mal größer als der „große“.
Hochmut kommt vor dem Fall?
Der Turmbau zu Babel wird im 11. Kapitel des Buches Genesis/1. Buch Mose geschildert. Die Menschen haben alle eine Sprache und wohnen am selben Ort. Als Gott sieht, dass sie sich eine Stadt bauen mit einem Turm, dessen Spitze bis zu den Wolken reicht, verwirrt er ihre Sprache und zerstreut sie über die ganze Erde.
Meist wird die Erzählung als Parabel über die Bestrafung des menschlichen Hochmutes gelesen. Diese Interpretation stützt sich auf zwei Pfeiler im Text: Die Menschen wollen „sich einen Namen machen“, und sie bauen einen „Turm bis zum Himmel“: Wenn Menschen „sich“ etwas „machen“ wollen, so ist das in der Bibel oft verdächtig. Meist „machen“ sie sich Götzenbilder, menschliche Fetische, die als Gott-Ersatz dienen sollen. In diesem Fall ist es ein Denkmal ihrer eigenen Fähigkeiten, das sie sich setzen möchten: ein Turm „bis zum Himmel“ soll gebaut werden. Biblisch gesprochen wird damit Gottes „Privatsphäre“ berührt. Die Geschichte könnte also unter das Motto subsumiert werden: „Hochmut kommt vor dem Fall“.
Größenwahn
In Bruegels „Großem Turmbau“ wird dieser Aspekt verschiedentlich ausgedrückt. Zunächst mit dem Kontrast groß-klein. Der König, der das Werk offenkundig beauftragt hat und es nun besichtigt, ist überdurchschnittlich groß dargestellt. Er und sein Gefolge erscheinen als dominante Figuren gegenüber den vielen winzig kleinen Menschen des restlichen Bilds. Und der Turm sticht ebenso deutlich aus der sehr klein dargestellten Stadt hervor, die nur als unbedeutender Hintergrund, als Kontrastfolie fungiert. Der Turm überschreitet die üblichen Grenzen menschlichen Tuns und ragt bereits in die Wolken hinein, die sich da und dort auch schon bedrohlich gewittrig zusammenziehen.
Ein paradoxer Bau
Die Größe von König und Bau wird konterkariert durch die Realitätsferne aller Protagonisten: Der König lässt sich huldigen, stolz auf sein Projekt, und merkt gar nicht, dass der Turmbau keineswegs professionell oder auch nur sinnvoll vor sich geht. Der Wiener „Turmbau“ zeigt nämlich einen im Grunde unmöglichen Bau. Bereits am Fundament zeigt sich die Instabilität des Turms. Es hat noch eingerüstete Elemente, die längst nicht fertig sind, während oben bereits die Stockwerke emporragen. Die Mischung aus Etagen- und Spiralbau lässt erkennen, dass es sich bei dem Bauwerk um ein paradoxes Gebilde handelt. Die Anspielung an das römische Kolosseum im oberen Teil des Turms stellt den Bezug zu den Errungenschaften weltlicher Baukunst im Allgemeinen her. Der Bau stellt nach Ansicht vieler ein „Gleichnis lebensverschwendender Sinnlosigkeit“ dar.1
Doch wenn die sinnlose Bauweise als Resultat der Sprachverwirrung gemeint sein sollte, ergibt sich die Schwierigkeit, dass der Turm ja bereits von Anfang an falsch gebaut ist und nicht erst ab einem späteren Zeitpunkt. Und, noch schwerwiegender, dass die Menschen nach der Verwirrung der Sprachen durch Gott gar nicht mehr weiterbauen.2 Der Grund für die paradoxe Bauweise in Bruegels Bild scheint also weniger die (spätere) Sprachverwirrung zu sein, sondern die fehlgeleitete menschliche Planung des Turms gleich zu Beginn.
Angst vor Vielfalt
Das hat einen starken Anknüpfungspunkt in der biblischen Erzählung. Dort resultiert die (bei Bruegel widersinnige) Planung aus dem Motiv für den Bau: der Angst. Die Menschen in Genesis 11 sind vor der „Sprachverwirrung“ nicht einfach „einmütig“ oder harmonisch, sie haben Angst vor Vielfalt und Diversität. Sie stellen zu Beginn der Geschichte künstlich Konformität her, indem sie alle an denselben Ort ziehen und eine einzige Sprache sprechen. Sie stehen damit im Gegensatz zum vorangehenden Kapitel, wo Sprachenvielfalt und unterschiedliche Wohnsitze als unproblematisch gesehen werden. „nach ihren Sprachen in ihren Ländern, nach ihren Völkern“ (Genesis 10,31): „Das waren die Sippenverbände der Söhne Noachs nach ihrer Geschlechterfolge in ihren Völkern. Von ihnen zweigten sich nach der Flut die Völker der Erde ab.“ (Genesis 10,32)
In Kapitel 11 wandelt sich das Bild und die Ausdrucksweise:3 Haben sich die Menschen in Kapitel 10 über die ganze Erde „verzweigt“, fürchten sie sich in Kapitel 11 davor „zerstreut“ zu werden und rotten sich deshalb zusammen. Plötzlich erleben sie Vielfalt als Gefahr. Die Folge dieser angstbesetzten Uniformität ist das gemeinsame Streben nach Selbstbefreiung und Selbstvergöttlichung (den Turm bis in die Wolken zu bauen). Alles wird dem einen Ziel unterworfen, alle müssen mitwirken.
Die Effizienz der Uniformität
Was hier aus Angst entsteht, ist zwar widersinnig und absurd, aber nicht planlos. Ganz im Gegenteil: Das Problem ist, dass sie in der Lage sind ihre verqueren Pläne tatsächlich umzusetzen. Die Einigkeit unter den Menschen ist demnach fähig äußerst zielgerichtet zu funktionieren.
Auch auf Bruegels Bild lässt sich das erkennen: Die Menschen bauen, scheinbar widersinnig und wirr. Doch so paradox und bizarr der Turm gebaut ist, er ist gebaut und ragt in den Himmel. Die Menschen arbeiten mit geballter Arbeitskraft und unaufhörlich, stumpf und beharrlich an der Verwirklichung ihres seltsamen Plans. Keiner ist darunter, der dem Einhalt gebietet oder sich dagegenstellen könnte. Sie schaffen damit Fakten, die nicht mehr aus der Welt zu schaffen sind. Gott erkennt die große Gefahr, die darin liegt und erzeugt durch die „Sprachverwirrung“ wieder Unterschiedlichkeit und Vielfalt (Genesis 11,6).
Das Bild Bruegels geht also über eine Kritik menschlicher Hybris hinaus und kann auch als Radikalkritik an Uniformität, ja Totalitarität gesehen werden: Wenn Menschen aufhören zu denken, weil sie Angst haben, wenn sie sich in die Kon- und Uniformität flüchten, weil sie nur so zu überleben glauben, dann entsteht eine unheilvolle Massenbewegung, die allzu leicht in Größenwahn mündet. Die Macht einer solchen Massenbewegung, die sich kraftvoll in Gang setzt und ihre oftmals widersinnigen Ziele effizient verfolgt, ist weitaus tragischer und gefährlicher als es jede Hybris vermag.
Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.
- Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=H38TsLt–VQ; einges. am 9.1.2019. ↩
- Interessanterweise führt die Sprachverwirrung nicht nur dazu, dass der Turmbau aufhört, sondern dass sie überhaupt nicht mehr an der Stadt bauen. ↩
- Ich verzichte hier auf eine Diskussion der literarischen Schichten und lese die beiden Kapitel in ihrer heute gegebenen biblischen Abfolge. ↩