„Die pastorale Umkehr der Pfarrgemeinde im Dienst an der missionarischen Sendung der Kirche“. Das klingt erst einmal nach einschlägiger pastoraltheologischer Lyrik. Wenn sich dahinter aber einigermaßen widersprüchliche Anweisungen mit romantischem Hintergrund verbergen, wird es spannend. Das muss nicht von Nachteil sein. Von Rainer Bucher
Mit einigen Abstand muss man feststellen: Die kirchliche Öffentlichkeit funktioniert. Theologen und Theologinnen, Bischöfe und JournalistInnen, haben in reichem Maße Instruktives gesagt zur sommerlichen Instruktion aus Rom. Die Alttestamentlerin Juliane Eckstein etwa hat eine ebenso feine wie treffliche Exegese des vatikanischen Textes geliefert, auf feinschwarz.net hat Andreas Unfried in einem Leserbrief eindrücklich beschrieben, wie es einem Priester und Pfarrer mit solch einem Text geht, und Johann Pock, Priester auch er, hat mit Verve aufgespießt, was unübersehbar und auch am ärgerlichsten ist: der in Papst-, vor allem Franziskuszitate eingehüllte Klerikalismus dieses Textes.
Eine Dienstanweisung
Nun sind Instruktionen erst einmal einfach nur: Dienstanweisungen. Sie haben nicht zuerst argumentativen Sinn, sondern direktive Bedeutung. Entscheidend ist also, ob sie befolgt werden. Man wird vermuten dürfen: Damit wird es in den deutschsprachigen Landen und wahrscheinlich auch darüber hinaus nicht so arg weit her sein. Diese Instruktion kam einigermaßen „out of the blue“, Institutionen mögen aber keine Überraschungen. Wenn dann auch noch, wie Erich Garhammer an historischem Beispiel exemplifiziert, diese Instruktion sowieso „ungültig – weil nicht rezipierbar“ ist, dann antwortet jedes halbwegs kluge System erst einmal mit dilatorischer Resistenz.
Es spricht einiges dafür: Weder die Sammlung von päpstlichen Zitaten zur missionarisch-pastoralen Umkehr noch die etwas umständliche Reprise der einschlägigen Bestimmungen des CIC zum Amt des Pfarrers und den Gremien der Pfarrei werden am Lauf der deutschen, österreichischen oder gar schweizerischen Dinge groß etwas ändern.
Zwei Linien, eine gemeinsame Utopie
Ganz zu schweigen davon, dass im Hintergrund beider, in sich nicht ganz leicht vereinbarer Text- und Argumentationsstränge eine gemeinsame romantische Utopie erkennbar ist: die alte Pastoralidylle des liebenswürdigen Pfarrpriesters, der sich für die Seinen hingibt, für jeden und jede, omnes et singulatim, ein selbstloser Hirte aller, mögen wir auch heute noch so sehr in einem „globalen und pluralen Dorf“ (Nr 8) leben.
Juliane Eckstein hat es in ihrer Analyse sehr schön zusammengefasst: „Gefährlich wird es, wenn ein bestimmtes kirchliches Handeln beide große Strömungen der römischen Kurie gegen sich aufbringt.“ Die eine Seite „kritisiert die Lebensferne, die Bürokratieaffinität der großen Einheiten und die herablassende Schreibtischmentalität, in der die neuen Strukturen entworfen worden sind (34.36–37)“ – dass also der bürokratisierte Amtshirte seine Schafe nicht mehr kennen kann und liebt und umsorgt. Die andere, die hierarchische Seite aber kritisiert, „dass die Leitungsgewalt nicht eindeutig bei den Pfarrern liegt (66)“, die Schafe also mehr sein wollen als Schafe.
Und da ist ja auch ein wahrer Kern: Es gibt den technokratischen new public management-Habitus in den diözesanen change-Prozessen und das katholische Amtspriestertum (und vor allem seine Träger) hätte(n) angesichts epochaler Krisenphänomene ihrer Existenz tatsächlich weit mehr verdient als die Einschärfung kirchenrechtlicher Privilegierungen. Die romantische Utopie eines pastoralen Pfarrerideals zwischen rechtlicher Allzuständigkeit und pastoraler Totalhingabe aber führt auch nicht wirklich weiter.
Wenn also diese Instruktion auch erwartbar den Weg so mancher realitätsdistanter Dienstanweisungen gehen wird, so lassen sich an ihr doch einige Beobachtungen treffen, die über den vergänglichen Anlass hinaus vielleicht wert sind, notiert zu werden.
Erstens:
Wenn die römische Zentrale etwas kritisiert, geht es um etwas.
Was einer korrigierenden Instruktion für würdig erachtet wird, ist bedeutsam. Es war die Kleruskongregation, die reagierte, also geht es um den Klerus. Man sieht ihn offenkundig durch die neueren diözesanen Kirchenentwicklungsprozesse in seiner Identität gefährdet. Das ist bemerkenswert, gab und gibt es doch Kritiker dieser Prozesse, die in ihnen selbst einen gesteigerten Klerikalismus walten sehen, da man hier, getrieben vom fehlenden Priesternachwuchs, allein um des Klerus willen die Räume vergrößere. So mag es sein, aber offenkundig dekonstruiert das doch auch – gewollt oder ungewollt – nachhaltig die nach-tridentinische (und im 19. Jahrhundert so recht erst installierte) Rolle des priesterlichen Hirten. Das kann man ja mal festhalten.
Zweitens:
Wer so gerettet wird, ist schon verloren.
Es ist der Klassiker: Man will gefährdete priesterliche Identität durch die Einschärfung alter Distanz- und Privilegierungsregelungen gegenüber Laien sichern. In guter Erinnerung ist da noch das vatikanische Papier der nämlichen Kongregation Zu einigen Fragen über die Mitarbeit der Laien am Dienst der Priester Ecclesiae de mysterio aus dem Jahre 1997, das man auch gerne zitiert. Schon rein organisationspsychologisch ist solch eine Strategie natürlich einigermaßen misslich, vor allem für die Priester und Pfarrer selbst, denn wer durch die Abwertung anderer gerettet werden muss, wird systemisch ganz offiziell als schwach markiert – und damit weiter geschwächt. Anders gesagt: Wer so gerettet wird, ist schon verloren. Im eigentlichen Sinne Theologisches, wie die grundlegende Einheit des Volkes Gottes und seines Auftrages, ist damit noch gar nicht berührt.
Drittens:
eine Art vatikanischer Burgfrieden?
Wie schon in Veritatis gaudium, dessen erster Teil wahrhaft inspirierende Sätze zur Aufgabe der wissenschaftlichen Theologie enthält („kulturelles Laboratorium“), dessen zweiter Abschnitt aber einfach nur gültige kirchenrechtliche Regelungen repetiert, teilweise gar verschärft, so ist auch in dieser Instruktion hartes Recht durch einschlägige Franziskuszitate ummäntelt. Man gewinnt den Eindruck, dass sich hier ein Muster, eine Art vatikanischer Burgfrieden andeutet, dem vielleicht noch manch weitere Erzeugnisse aus Rom zu verdanken sein werden: herzerfrischende Papstzitate als Rahmen für eingeschärftes traditionelles Kirchenrecht. Damit können offenkundig beide Seiten erst einmal bis auf weiteres leben.
Viertens:
Dilemmata sind keine Paradoxa.
Nur eben die Betroffenen nicht so arg gut. Die Liste der deutschen Bischöfe, die sich mehr oder weniger deutlich von dieser Instruktion distanzieren, ist lang und im Geheimen wahrscheinlich noch länger. Und sie umfasst nicht nur die (wenigen) „üblichen Verdächtigen“, sondern etwa auch meinen Bamberger Heimat- und Erzbischof Ludwig Schick, der in fast schon kritischer Theologenmanier schreibt: „Es wäre besser gewesen, diese Instruktion so nicht zu veröffentlichen, weil sie für die Gemeinschaft der Kirche und ihrem missionarischen Auftrag mehr Schaden als Nutzen bringt“. Was muss passiert sein, dass solches geschieht?
Man muss in ein Dilemma geraten sein. Kirchengebäude dürfen nicht profaniert werden, auch wenn man weder Personal noch Geld hat, sie zu erhalten. Katholische Gemeinden sollen grundsätzlich von Priestern geführt und nur im Ausnahmefall zusammengelegt werden. Wenn es aber nicht mehr genug Priester gibt? Dann trotzdem. Das nennt man Dilemmata.
Dilemmata sind aber keine Paradoxa. Paradoxa entlassen produktive Irritationen, verordnete Dilemmata aber Ratlosigkeit. Paradoxa kann man prozedieren, Dilemmata muss man entrinnen. Denn in ihnen steht man irgendwann vor der Entscheidung: Widerstand oder Resignation. Wenn’s nicht mehr weitergeht, geht es nicht mehr weiter, außer man dreht sich um und sagt: So geht es nicht mehr weiter.
Und fünftens: das Kirchenrecht…
Und dann ist da noch das Kirchenrecht, dieser pastorale Tragödienklassiker, diese intrikate Chance. Man kann sicher sein: Findige JuristInnen werden einen Ausweg finden. Sagt nicht der Text selbst – gleich in der Nr 1, vor der Einschärfung der Normen – in einem Franziskuszitat, „dass ‚die Kirche und auch der Kodex des kanonischen Rechts uns sehr viele Möglichkeiten und große Freiheiten bieten, um diese Dinge zu suchen‘“ und bei „diesen Dingen“ handelt es sich um nichts anderes als „neue Wege“ und „Kreativität“, also genau das, was man ansonsten wort- und paragraphenreich zu bremsen sucht.
Und dann noch: zwei kleine Spezialitäten
Und dann finden sich in der Instruktion noch zwei kleine Spezialitäten, die man nicht unmittelbar erwartet hätte: Die Nr 65 leistet so etwas wie die späte Rehabilitierung von Eugen Drewermanns Klerikerbuch: Priester sollen, so es keine andere Möglichkeit gibt, wieder bei ihrer Herkunftsfamilie einziehen. Priestermütter[1] wird es freuen.
Und die Nr 16 bietet eine doch überraschende Referenz zu neueren Raumtheorien, wenn von einem „existentiellen Territorium“ jenseits des bloß geographischen Raums die Rede ist: prämodern das eine, postmodern das andere.
Die ungeklärte Richtungsfrage.
Wo solche Dienstanweisungen ausgegeben werden, werden die Zeiten spannend, unübersichtlich, überraschungsdicht. Denn solche Anweisungen klären nichts – sie veröffentlichen vielmehr die ungeklärte Richtungsfrage.
Das ist unter Umständen wertvoll. Denn es gibt ohne jeden Zweifel nicht nur die List der Vernunft, sondern auch die List des Heiligen Geistes. Sie ist sogar schon viel, viel älter. Harren wir gespannt der Dinge, die da noch kommen werden.
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Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz und Mitglied der feinschwarz.net-Redaktion.
Titelbild: Pixabay
[1] Vgl. Barbara Körber-Hübschmann, Priestermütter. Expertinnen in Kirche und Theologie, Bamberg 1997.