Sie verspricht viel, die mittlerweile berühmte Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“ des British Museum, zu sehen nun – nach großem Erfolg in London – in Berlin, im Martin-Gropius-Bau. Hält sie auch, was sie verspricht? Eine Besichtigung von Rainer Bucher.
Neil MacGregor war bis 2015 Direktor des British Museum und wurde im Mai 2015 zum Intendanten des Berliner Humboldtforums berufen. MacGregor ist nicht nur ein weitgerühmter, ja weltberühmter Meister des Museumswesens, sondern auch ein preisgekrönter Virtuose der Wissenschaftskommunikation, ein Buch des Briten zu Deutschland wurde denn auch hier zur Ausstellung.
Höhepunkte, aneinandergereiht: nachsichtig und einsichtig erklärt.
Zu sehen sind Highlights und Zeugnisse der deutschen Kunst-, Politik-, Gesellschafts- und Technikgeschichte: „hochkarätige Museumsobjekte“, wie der Prospekt verrät, tatsächlich alle, von der Gutenberg-Bibel (freilich nur als Video) bis zum VW Käfer mit geteilter Heckscheibe, von der deutschen Kaiserkrone (Replik) bis zu Originalaufnahmen der Grenzöffnung 1989, von Caspar David Friedrichs und Carl Gustav Carus’ romantischen Landschaften bis zum schrecklichen „Jedem das Seine“-Tor von Buchenwald, auch Barlachs „Schwebender“ aus dem Güstrower Dom fehlt nicht, selbst nicht (recht kleine) Photos zerbombter deutscher Städte und natürlich nicht eine Goethe-Wand, alles begleitet von Tafeln, auf denen der Welt außerhalb Deutschlands, vornehmlich der britischen, ein fremdes, ein wenig seltsames, aber wichtiges und kulturell, materiell, leider auch militärisch potentes Land nachsichtig und einsichtig erklärt wird.
Der mit seiner, der deutschen Geschichte halbwegs vertraute einheimische Besucher durchwandert die – deutlich zu eng gehängten – Räume mit zwiespältigen Gefühlen. Er kennt und erkennt (fast) alles, er freut sich zu sehen, und sei es im Nachbau, wovon er in Schule und Universität hörte, er wandert von Gipfel zu Abgrund zu Gipfel von 600 Jahren deutscher Geschichte und erläuft sich so das, was er in vielen Jahren kennen lernte, in einer guten Stunde.
Und er fragt sich: Was war das jetzt? Ein Volkshochschulkurs mit „Originalstücken“ im Schnelldurchgang? Ein Einblick, wie andere uns sehen? Höhepunkte aneinandergereiht, dekontexualisiert, ohne Detail- und Basisperspektive verbacken sich leicht zum Klischee.
Und doch noch eine Entdeckung.
Zwei Bilder und eine Nachbarschaft machten den Besuch dann doch zum Ereignis: Die vier apokalyptischen Reiter aus Dürers „Apokalypse“ (1498), Gerhard Richters „Betty“ und die „Topographie des Terrors“ unmittelbar neben dem Martin-Gropius-Bau gelegen, wo noch bis zum 19. März 2017 die Sonderausstellung „Massenerschießungen. Der Holocaust zwischen Ostsee und Schwarzem Meer 1941–1944“ zu sehen ist. Dürers frühneuzeitliches biblisches Szenario vom immer möglichen Ende, Richters Studie über Verlust und Trennung, Nähe und Schönheit, Familie und deren Auflösung aus dem Jahre 1988 und jene Bilder, die MacGregor in britischer Vornehmheit nicht zeigte: Sie überschreiten jede museale Volkspädagogik. Sie erschüttern.
Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz und Mitglied der feinschwarz-Redaktion.
Deutschland – Erinnerungen einer Nation. Der britische Blick.
8.10.2016 bis 9.1.2017 im Berliner Martin-Gropius-Bau
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Mittwoch bis Montag, 10-19 Uhr
24. und 31.12. geschlossen
(Photo: Rainer Bucher)