Gregor Böckermann, selber einmal ein „Weißer Vater“ in Afrika, reagiert in einem Leserbrief auf den Beitrag von P. Bernd Pehle zu den Afrikaerfahrungen als Lernerfahrungen für den synodalen Weg. Eine Erkenntnis war, dass Dialog auch eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus voraussetzt.
Seit Jahrzehnten verbindet mich eine Freundschaft mit P. Bernd Pehle. Deshalb freue ich mich, dass feinschwarz diesen hoffnungsmachenden Artikel, quasi sein „Testament“, veröffentlicht hat.
Der Dialog war „in“
Nie hätte ich gedacht, dass ich so einen Weg zurücklegen würde, als ich 1968 auf dem Kirchplatz von Wesuwe im Emsland von Bischof Sangu (Tanzania) zum Priester geweiht wurde. Wie Pater Pehle gehörte ich den Afrikamissionaren „Weisse Väter“ an, die im 19. Jahrhundert gegründet wurden, eigentlich um Muslime zu bekehren. Von 1964 bis 1968 habe ich in Leuven (Belgien) Theologie studiert, in den ersten beiden Jahren noch mit lateinischen Handbüchern, fast wie im Mittelalter. In den beiden letzten Jahren kriegten wir ein bisschen von der Öffnung der katholischen Kirche nach dem 2. Vatikanum mit. Jetzt sprach man vom „Respekt“, mit dem man den großen Weltreligionen begegnen wolle. Der Dialog war „in“. Deshalb habe ich mich freiwillig nach Algerien gemeldet. Dort war Dialog gefordert, denn die Kirche hatte gut hundert Jahre vergeblich versucht, Muslime zu bekehren.
Dialog ist nur zwischen einigermaßen gleichberechtigten Partnern möglich.
Algerische Freunde haben mir dann mit Beharrlichkeit beigebracht – leider habe ich 18 Jahre gebraucht, um das zu verstehen -, dass Dialog nur zwischen einigermaßen gleichberechtigten Partnern möglich ist. Sie meinten: „Es gibt keinen echten Dialog zwischen euch Christen und uns Muslimen, zwischen euch Europäern und uns Arabern, so lange wir zwar politisch unabhängig sind, wirtschaftlich und kulturell aber immer noch von euch abhängen“.
Und sie sagten etwas, das mir bis heute als Auftrag gilt: „Wenn du das ehrlich meinst mit dem Dialog , wenn du uns wirklich bei der Entwicklung des Landes helfen willst, dann ist es besser du gehst zurück nach Deutschland“. Und in den 70er Jahren, Anfang der 80er Jahre war Algerien sozialistisch ausgerichtet, deshalb sagten sie: „Geh zurück in dein kapitalistischen Deutschland und verändere dort ungerechte Strukturen. Dann hilfst du uns mehr, als wenn du hier als Entwicklungshelfer arbeitest“.
Von 1986 – 2005 habe ich versucht, diesem Auftrag algerischer Freunde bei den Weißen Vätern in Frankfurt/Main nachzukommen. Die anfängliche Hoffnung nach einer schnellen Veränderung, nach einer „Revolution“, hat sich leider nicht erfüllt. Vorträge über den christlich-islamischen Dialog, Predigten, die ich immer benutzte, um meine Kapitalismuskritik anzubringen, Mitwirken am Konziliaren Prozess „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“, … waren mir nicht genug.
Deutsche Bank in Frankfurt – Für uns war und ist sie Symbol für „unser Wirtschaftssystem, das über Leichen geht“.
Von 1990 bis heute habe ich dann mit den „Ordensleuten für den Frieden“ jeden ersten Donnerstag im Monat Mahnwache gehalten vor der Zentrale der Deutschen Bank in Frankfurt. Für uns war und ist sie Symbol für „unser Wirtschaftssystem, das über Leichen geht“, für den Kapitalismus, der die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht, weltweit aber auch in Europa. Im Laufe der Jahre blieben die Ordensfrauen und -männer immer mehr weg, auch weil die Orden von der Bank bedrängt wurden. Inzwischen wird die Mahnwache auch getragen von Menschen, die mit der Kirche nichts am Hut haben. Trotzdem handeln sie, meiner Meinung nach, im Sinne Jesu, der immer Partei ergriffen hat für die Schwachen und Unterdrückten.
Zum Schluss noch ein Beispiel für „Eucharistie als Beauftragung und Bestärkung der Gemeinde für die Verwandlung der Welt“. Beim Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin musste eine ökumenische Mahlfeier der „Kirche von unten“ und von „Wir sind Kirche“ außerhalb des offiziellen Programms stattfinden. Dem Gottesdienst nach katholischem Ritus folgte einer nach evangelischer Tradition. Am dritten Tag fand ein „Mahl der Solidarität“ statt, von den „Ordensleuten für den Frieden“ organisiert im Rahmen einer Mahnwache vor der Deutschen Bank auf dem Kurfürstendamm. Dieser „Gottesdienst“, zu dem auch Obdachlose eingeladen waren, und der von Bischof Gaillot eröffnet wurde, war für mich der wahre Gottesdienst.
Ob die Corona-Pandemie, in der Kirchen oft geschlossen werden mussten, dazu beiträgt, dass die Kirchen verstehen: nicht der sonntägliche Gottesdienst ist ihr Herzstück, sondern der Auftrag Jesu: „Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan“? Zu wünschen wäre es.
—
Der Leserbrief reagiert auf den Beitrag von P. Behle vom 23.7.2020:
Der Synodale Weg – Ist das der Weg aus der Sackgasse der Kirche?