Helmut Schwier (Heidelberg) ist ein erfahrener evangelischer Prediger und Homiletiker. Er spricht von der revolutionären Botschaft der Auferstehung – und der Notwendigkeit, dies in neuer Sprache zu verkünden.
Das Zentrum – einfach unglaublich
Ostern stellt uns jedes Jahr vor neue, aber auch vor alte Herausforderungen. Als Prediger:innen und Liturg:innen bedenken und feiern wir das bekannte Evangelium, und wir tun es in bewusster Zeitgenossenschaft. Die besondere und bleibende Herausforderung der Osterbotschaft ist, dass sie einfach unglaublich und gleichzeitig das Zentrum christlichen Glaubens ist.
Die Osterbotschaft ist unglaublich. Das war sie schon zur Zeit des frühen Christentums und hat sich seit der Aufklärung nochmals gesteigert. In unserer Zeit einer naturwissenschaftlich orientierten Alltagsontologie sind Wunder nicht vorgesehen und eine Auferweckung erst recht nicht. Dennoch ist Ostern das Zentrum christlichen Glaubens, denn ohne Ostern gäbe es kein Evangelium.
Die theologische Provokation von Ostern ist unglaublich!
Diese intellektuelle Spannung benötigt theologische und hermeneutische Reflexionen. Wissenschaftlich seriös vermittelnde Apologien vermag ich derzeit nicht zu erkennen. Der letzte große Versuch in dieser Richtung (von Wolfhart Pannenberg) hat sich nicht durchgesetzt. Neuere Versuche (u.a. von Peter Lampe) verbinden Wissenschaftstheorie, Exegese und Konstruktivismus, nehmen Entwicklungen der neuen Physik wahr, stehen aber erst am Anfang. Daher taugt die apologetische Debatte nicht für die Kanzelrede – wohl aber in kirchliche Bildungsangebote. Anders die theologische Provokation, die ebenso unglaublich ist!
Ostern reflektieren – Gott hat sich verändert
Weniger aus den zunehmend legendarisch übermalten Ostererzählungen als aus den frühen Zeugnissen des NT, den Gottesprädikationen und Glaubensformeln (1 Thess 1,10; 1 Kor 6,14; 15,3b-5.6-8.14f; 2 Kor 4,14; Gal 1,1; Röm 4,17.24f; 10,9), wird deutlich, dass Auferweckung als grundlegende Tat Gottes gilt. Als derjenige, der Christus von den Toten auferweckt, ist Gott christlich bestimmt.
DieAuferweckung durch Gott … bleibt Gottes Selbstkundgabe als Liebe
Daraus ergeben sich elementare Inhalte und Grenzziehungen: Jesus ist nicht wiedererweckt worden und so zum Leben gebracht, dass er erneut sterben müsste – theologisch ausgedrückt: Er ist erhöht (Phil 2,9), also in Gottes Leben hinein auferweckt worden (Dalferth, 284, 295). Nicht irgendein Mensch ist erweckt worden, sondern dieser Jesus, also genau der, der das Reich Gottes als Heil für die Verlorenen ankündigte und in Heilungen wie Mahlgemeinschaften zeichenhaft realisierte und den brutalen und schmachvollen Kreuzestod starb; die Auferweckung durch Gott ist und bleibt die Auferweckung dieses Gekreuzigten, und sie bleibt Gottes Deutung dieses Todes (Stoellger, 600f) und seine Selbstkundgabe als Liebe (Dalferth, 304). Schließlich bedeutet solches Auferweckungshandeln Gottes etwas prinzipiell Neues, das nun umfassend und grundsätzlich nicht nur für die Menschen, sondern universal gilt: Dieses Handeln ist ein Sieg über den Tod, der als letzte Grenze keinen Bestand mehr hat, sondern Neuschöpfung und Ewigkeit weicht. Das österliche Exsultet besingt antizipierend die Weite des Heilshandelns: „Frohlocket nun, ihr Engel und himmlischen Heere…“
Unsere traditionelle Weltsicht … erhält einen Riss
Ostern zu denken, bedeutet nichts weniger als eine theologische Revolution: Gott, die Gottesrede und das gesamte Verständnis von Leben und Wirklichkeit sind radikal verändert. Unsere traditionelle Weltsicht samt Alltagsontologie erhält einen Riss. Sie ist nicht alles, sie bleibt begrenzt. In Kontinuität zum Handeln des Gottes Israels, die Paulus als das Lebendig-machen der Toten und als ’sein Rufen des Nichtseienden, dass es sei‘ systematisiert (Röm 4,17), erschließt sich Gott nicht nur als Verändernder, sondern auch als Veränderter: in Christus als unwiderruflich Liebender, dessen Reich und Herrschaft schon jetzt im Kleinen anbricht, in Zuwendung, Vergebung, Heilung und im Tun des Gerechten, und dessen Kommen Ziel, Grenze und Verwandlung des Kosmos bedeutet.
Diese theologische Revolution provoziert unsere Frömmigkeit, unser Gottesbewusstsein, unser Handeln, stellt es kritisch in Frage und sollte es konstruktiv prägen. Dazu braucht es eine neue Aufmerksamkeit für die Sprache.
Frömmigkeit und Sprache
In der deutschen Sprache ist die Rede von Auferweckung eigentlich auffällig. Durch die Erweiterung „-er-“ in „auferwecken/erwecken“ und „auferstehen/erstehen“ ist die über die Alltagsverwendung hinausweisende besondere Bedeutung eingeschrieben. Es handelt sich um eine Präfigierung, die einen qualitativ und emotional intensivierenden Charakter zum Ausdruck bringt. Die durch das Wort ausgelöste Empfindung wird ins Überalltägliche gesteigert. Diese Steigerung und Erweiterung sind im gängigen Sprachgebrauch nicht mehr bewusst und in Folge der ausschließlich christlich gefüllten Bedeutung samt Wirkungsgeschichte zum Klischee erstarrt. Hier braucht es neue und sensible Sprache, die Dichtung und Metaphern ermöglichen und die uns gleichzeitig erkennen lassen, dass alle österlich-biblische Sprache metaphorisch ist. In solcher Sprache kommt Gott zur Welt, bleibt flüchtig, verletzbar, entzieht sich den Vereinnahmungen, erwartet und schenkt Glauben als Wagnis des Vertrauens.
„hier liegt der HERR, ermordet in einem sarg“
Dazu ein Beispiel. Marjana Savka aus Lviv, eine der führenden ukrainischen Dichterinnen, schrieb im April – in der Osterzeit – letzten Jahres auf ihrer Facebook-Seite:
hier liegt der HERR, ermordet in einem sarg.
die auferstehung verspätet sich, so scheint es.
er war freiwilliger im jüngsten schrecklichsten kriege.
er hatte die ruhe weg, fuhr durch die city, unbewaffnet,
verteilte brot im höllischen verkehr.
denen um ihn herum redete er zu, nicht im groll zu leben […]
die sonne versank über der stadt hinter den schwarzen hügelrücken.
feurig loderten die häuser wie trockene Mastbäume.
das duell zwischen licht und dunkel dürfte dauern.
ein raketensplitter, in die brust, streckte ihn nieder.
neben ihm lagen zwölf andere leiber, ein kind zwischen ihnen.
im nu umringten gut fünfzig leute, murmelnd:
„Herodese verschonen niemanden, nicht einmal kinder“.
sie verschwanden schnell wieder. sperrstunde!
hier liegt der HERR. er war freundlich. teilte das brot.
er kam von irgendwo – aus Izyum, aus Bucha, aus Popasna.
in einem sarg liegt er. wir harren des wunders der wunder.
er bat uns, nicht zu töten. er wandelte unter uns, hier.
er wird wiedererstehen, niederlegen sein kreuz,
schließen die wunden.
er wird wiedererstehen, sich zu uns gesellen,
verzweifelt,
mutig,
vertraut mit uns,
lebendig.
An die Stelle christlicher Apologetik tritt die dramatische Kriegs- und Todeserfahrung.
In diesem Gedicht, das der Heidelberger Theologe und Lyriker Peter Lampe ins Deutsche übertragen hat, sind Karfreitag, Karsamstag und österliche Hoffnung unlösbar verbunden. An die Stelle christlicher Apologetik tritt die dramatische Kriegs- und Todeserfahrung, die den gekreuzigten Christus helfend, heilend und getötet sieht. Theologia crucis mitten im Leben und Sterben, in Unrecht und unter der gnadenlosen Gewalt der Mächtigen. Die Auferstehung verspätet sich, so scheint es. Auch wer diese Kriegserfahrungen nicht erlebt und zu erleiden hat, wird hart auf das „Noch nicht“ der Verheißung gestoßen, auch in eigener Todesfurcht oder im Zweifel am Zentrum des Glaubens.
Österliche Sprache setzt … unbekümmert auf Freiheit, Gerechtigkeit, Hoffnung und Heiterkeit.
Hier liegt unsere Aufgabe, heute in Liturgie und Predigt – und selbstverständlich in Seelsorge und Diakonie/Caritas – diese existentielle Spannung zu benennen und das angemessene Verhältnis zu bestimmen und zu gestalten zwischen dem österlichen Lob in Dichtung, Musik und Gebeten und der Predigt, die den sich verändernden Gott, sein Leiden und sein heilendes Handeln verkündet, dies im Sakrament feiert und uns mit Hoffnung in die Welt sendet. Der auferweckte und erhöhte Gekreuzigte ist dabei der gegenwärtige Christus. Österliche Sprache setzt sine vi sed verbo gegen die praktizierten Irrlehren von Gewalt, Gottesvergiftung und muffiger Frömmigkeit unbekümmert auf Freiheit, Gerechtigkeit, Hoffnung und Heiterkeit. Dass sich diese Sprache am besten gemeinsam singen und musizieren lässt, gehört zur Grundeinsicht der Kirche. Möge sie 2023 kraftvoll und leidenschaftlich erklingen.
Literatur:
Ingolf U. Dalferth: Volles Grab, leerer Glaube? Zum Streit um die Auferweckung des Gekreuzigten, in: Hans-Joachim Eckstein/Michael Welker (Hg.), Die Wirklichkeit der Auferstehung, Neukirchen-Vluyn 2002, 277-309.
Peter Lampe: New Testament Theology in a Secular World. A Constructivist Work in Philosophical Epistemology and Christian Apologetics, London/New York 2012, 79-134.
Helmut Schwier: Gottes Menschenfreundlichkeit und das Fest des Lebens. Beiträge zur liturgischen und homiletischen Kommunikation des Evangeliums, Leipzig 2019, 123-159.
Philipp Stoellger: Deutung der Passion als Passion der Deutung. Zur Dialektik und Rhetorik der Deutungen des Todes Jesu, in: Jörg Frey/Jens Schröter (Hg.), Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament, (unveränderte Studienausgabe) Tübingen 2007, 577-607.
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Prof. Dr. Helmut Schwier ist Ordinarius für Neutestamentliche und Praktische Theologie der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg und Universitätsprediger
Beitragsbild: Johann Pock