Die Beichte ist das genialste Sakrament. Sabine Demel (Regensburg) nähert sich dem Sakrament der Beichte von der Frage des Vertrauens her an und zeigt neue Wege für das Sakrament der Barmherzigkeit auf.
Wer kennt sie nicht – die Angst? Die „Angst davor, allein zurückzubleiben, Angst, am Ende der Dumme zu sein, Angst, das Gesicht zu verlieren, Angst vor einem Tod, der nichts von einem zurücklässt, Angst davor, dass Liebe nur Illusion und letztlich zu schwach ist in einer Welt, die oft als brutal und unmenschlich erfahren wird“[1]? Und wer hat noch nicht die Erfahrung gemacht, dass diese Angst manchmal stärker ist als all mein Vertrauen – mein Vertrauen ins Leben, in meine Mitmenschen, in mich selbst, in Gott?
Angst als Nährboden der Entfremdung von Gott und sich selbst
Genau diese Erfahrung der Angst und dieses Erleben der eigenen Unsicherheit ist der Nährboden für das, was im christlichen Sinn als „Sünde“ bezeichnet wird: nicht mehr aus dem Vertrauen zu sich selbst und zu Gott zu entscheiden und zu handeln, sondern aus einem Misstrauen zu sich selbst und zu Gott zu agieren. An die Stelle des Vertrauens tritt das Entfremden – das Entfremden von mir selbst und von Gott, das wiederum zu Entscheidungen und Handlungen führt, die in Widerspruch zu mir selbst und zu Gott stehen.
Ermutigung, dass sie sein dürfen, wie sie sind
Für Menschen, die in einer solchen Situation stecken, bietet die katholische Kirche eine spezielle Hilfe an, nämlich einen Ort, eine Zeit und eine Person, wo sie ihre Ängste, Nöte und Unsicherheiten aussprechen können, Verständnis erfahren und Ermutigung erleben – die Ermutigung, dass sie sein dürfen, wie sie sind, und dass sie so, wie sie sind, bedingungslos von Gott angenommen sind, dass Gott sie auch dann nicht verlässt, wenn sie sich selbst verlassen haben, dass Gott auch dann noch an sie glaubt, wenn sie (gerade) nicht an Gott glauben können. Das ist das Angebot, das die katholische Kirche mit der Einrichtung der Beichte macht. Es richtet sich vor allem an Menschen, „die nach Heilung und Befreiung dürsten.“[2]
Umdenken als neuer Zugang zu Gott und mir selbst
Ausgangspunkt für die Idee und Ausgestaltung der Beichte ist die christliche Überzeugung, dass Gott uns Menschen nahe ist, dass er uns durch Jesu Worte und Taten zur Gemeinschaft mit ihm und damit zugleich zu unserem wahren Selbst ruft. Ohne diese Überzeugung gäbe es das Sakrament der Beichte nicht. Jesu erster und grundlegender Ruf lautet: „Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!“ (Mk 1,15). Er ist Ursprung und Zentrum der Beichte.
Umkehren heißt: Das Eigentliche erkennen
Was unser Leben aus christlicher Perspektive ausmacht, findet in der Beichte seinen dichtesten Ausdruck: das Umkehren. Im griechischen Urtext steht hierfür der Ausdruck: Metanoia, was wörtlich bedeutet: umdenken, anders denken, hinter die Dinge schauen.[3] Umkehren heißt daher: „Das Eigentliche erkennen, das in allem verborgen ist. … Umkehr heißt, den Blick Jesu einzuüben, um in allem, was mir begegnet, Gott zu erkennen, der zu mir spricht durch die Begegnung mit einem Menschen, durch eine glückliche Erfahrung, durch ein Missgeschick, durch Erfolg und Misserfolg, durch meine Gedanken, durch Worte, die andere zu mir sagen. Umkehr heißt, in allem damit zu rechnen, dass Gott mir nahe ist, mich anspricht, an mir handelt.“[4]
Befreiung und Stärkung zum Vertrauen auf Gott und mich selbst
Das gibt Freiheit, Gelassenheit, Zuversicht und Selbstvertrauen im Umgang mit meinen Problemen, Sorgen und eigenen Unzulänglichkeiten. Die Metanoia, das Umkehren, in allem Gottes Nähe erkennen können, ist nicht eine Fähigkeit, die man beherrscht, wenn man sie sich einmal erworben hat, sondern sie ist eine Haltung, die immer wieder neu eingeübt werden muss, die dementsprechend Wachstumsschübe, Stagnationen und Rückschläge kennt.
Umkehren ist eine Haltung, die immer wieder neu eingeübt werden muss.
Daher ist es wichtig, von Zeit zu Zeit innezuhalten und die Ausrichtung seines Lebens zu überprüfen – im Hinblick auf sich selbst, auf Gott und auf seine Mitmenschen. Wenn dabei Belastendes und Beunruhigendes, Unsicherheit oder Unzufriedenheit mit mir selbst oder mit der Umgebung aufkommen, dann bietet das Sakrament der Beichte die Möglichkeit, dass ich aussprechen kann, was mich belastet, beunruhigt, unsicher oder unzufrieden macht, dass ich darin Gehör finde und dass ich Befreiung und neue Stärkung erfahre in meiner Haltung bzw. auf meinem Weg der Umkehr als Hinkehr zu Gott und damit auch als Hinkehr zu mir selbst.
Im Aussprechen der Verantwortung neu die Gegenwart Gottes erfahren
Das Sakrament der Beichte ist somit Lebensreflexion, die das, was mich hemmt in meiner Beziehung zu mir selbst, zu Gott und/oder zu den Mitmenschen in die Sprache bringt und dadurch eine doppelte Verwandlung erwirkt: eine menschliche und eine göttliche Verwandlung.
Was ausgesprochen ist, verliert durch das Aussprechen seine Macht (über mich).
Die menschliche Verwandlung besteht darin, dass das, was ausgesprochen wird, allein schon durch das Aussprechen verwandelt wird. Denn was ausgesprochen ist, verliert durch das Aussprechen seine Macht (über mich). Deshalb kommt auch das Sakrament der Beichte wie kein anderes Sakrament einem therapeutischen Gespräch sehr nahe.[5]
Die göttliche Verwandlung ist das Heil und Heilwerden der Person, die ihre Verantwortung vor Gott ausspricht und damit bekennt. Denn im Aussprechen ihrer Verantwortung erfährt sie neu die Gegenwart Gottes in ihrem Leben, die als Geschenk der Gnade erfahren wird. Sichtbares und wirksames Zeichen dieser Gnadenerfahrung ist die Handauflegung des Priesters, der als Repräsentant Gottes die neu gewonnene Gemeinschaft mit Gott sinnenhaft zum Ausdruck bringt.
Neue Wege zur Beichte bahnen
Was für ein geniales Sakrament – die Beichte! Sie ist das persönlichste und intensivste Sakrament. Sie ist das Sakrament, bei dem wir lernen können, wer wir wirklich sind. Und sie ist das Sakrament gegen die Vereinsamung, wenn wir schuldig geworden sind, das Sakrament der Barmherzigkeit, in dem Vergebung geschenkt wird.
Beichte ist das Sakrament, bei dem wir lernen können, wer wir wirklich sind.
Wie kommt es dann aber, dass viele Gläubige alles mögliche mit der Beichte assoziieren, nur kaum (mehr) das, was die Beichte von ihrer Grundidee her ist? Warum geht der Sinn der Beichte seit Jahrzehnten zunehmend verloren? Wo liegen die Gründe dafür, dass die Beichte heutzutage das ungeliebte, verlorene und vergessene Sakrament zu sein scheint? Was ist zu tun, damit Idee und Wirklichkeit, Angebot und Nachfrage der Beichte nicht (mehr) so weit auseinanderklaffen? Denn die katholische Kirche kann und darf sich mit dieser Diskrepanz nicht abfinden, will sie nicht ihr Selbstverständnis als Instrument Gottes für das Heil der Menschen (= Heilssakrament) verraten.
Deshalb ist mit theologischem und lehramtlichem Hochdruck nach einer Beichtpraxis zu suchen, „die zu einer heilsamen Reflexion des eigenen Lebens samt seiner sündhaften Schattenseiten im Licht des Erbarmens Gottes einlädt und die so auch eine echte Reorientierung des Lebensweges ermöglicht.“[6] Wichtige Schritte dazu sind eine theologische Selbstvergewisserung über das Sakrament der Beichte, das Wahrnehmen der vielfältigen Erfahrungswelten aktueller und vergangener Beichtpraxis sowohl aus der Perspektive der SeelsorgerInnen als auch der Gläubigen sowie ein intensiviertes Nachdenken über die verschiedenen Facetten der Beichte und deren mögliche Neugestaltung in den verschiedenen theologischen Fachperspektiven.[7]
Anmerkungen:
[1] Wiedenhaus, A., Ein Sakrament der Ermutigung. Überlegungen zur Kinder- und Jugendbeichte, in AnzSS 3 (2009), 10-12, 11.
[2] Hajduk, R., Therapeutische Beichtpraxis. Eine Rückbesinnung auf die Rolle des Beichtvaters nach dem Buch Praxis confessarii vom Heiligen Alfons Maria de Liguori, in: StMor 38 (2000), 5-43, 22.
[3] Vgl. Grün, A., Die Beichte. Feier der Versöhnung, Münsterschwarzach 2001, 10f; 55.
[4] Ebd., 55.
[5] Vgl. ebd., 8. Gleichzeitig ist zu beachten: „Eine Beichte ist nicht eine Therapie für eine kranke Seele. Dazu bedarf es noch weiterer Hilfen, die in den ärztlichen Bereich fallen bzw. in den eines Therapeuten. Die Beichte will das Verhältnis eines Menschen zu Gott neu regeln. Dadurch wird der Seelenzustand wohl berührt, es wird ein Defizit in der Einstellung behoben, aber eben nicht in jenen Ecken der Seele, die bei einem therapiebedürftigen Menschen neurotisch verklemmt oder gar psychotisch erkrankt sind“ (Mödl, L., Sackgasse im Leben – Auswege in Hoffnung. Pastoraltheologische Überlegungen zu Buße und Krankensalbung, in: Für euch Bischof – mit euch Christ, hrsg. v. Weitlauff, M., Neuner, P., FS Kardinal Wetter, St. Ottilien 1998, 879-897, 894f).
[6] Faber, E.-M., Einführung in die katholische Sakramentenlehre, Darmstadt 32011, 124.
[7] Vgl. dazu Sakrament der Barmherzigkeit. Welche Chance hat die Beichte?, hrsg. v. Demel, S., Pfleger, P., Freiburg i.Br. 2017.
Autorin: Prof. Dr. Sabine Demel lehrt Kirchenrecht an der Uni Regensburg
Bild: Blog Radio Vatikan