In Österreich haben im Dezember 2018 drei Jahre der Bibel begonnen – Das Ziel dieser Jahre ist es, die Bibel stärker „als Seele der Pastoral“ ins Bewusstsein der Gläubigen zu bringen. Wieso das gut klingt, aber keineswegs überall ankommt, beschreibt Elisabeth Birnbaum.
Vorweg eine persönliche Bemerkung: Als glühende Opernliebhaberin habe ich jahrelang am Wochenende eine Sendung namens: „Opernwerkstatt“ gehört. Berühmte Sängerinnen und Sänger erzählten von ihrem Werdegang, ihren Lieblingsopern und ihren sonstigen Sichtweisen auf die Welt der Musik. Ein Thema, das dabei häufig fiel, war der hymnische Lobpreis von Wolfgang A. Mozart. Mozart sei wie ein Arzt für die Stimme, sei über alle anderen Komponisten zu stellen, sei der größte, beste, genialste Komponist, den es gibt. Nun ist auch für mich Mozart ein besonderer Komponist, keine Frage. Aber solche Äußerungen kamen immer wieder auch von Sänger/innen, die Mozart gar nicht in ihrem Repertoire hatten, die Mozart kaum oder nicht besonders stilgerecht sangen, und ich hatte immer wieder das Gefühl, hier wird eine Floskel bemüht, die nicht unbedingt mit der eigenen Praxis übereinstimmt.
Aber sieht man sich dann die Praxis an, gerät man doch ins Grübeln …
Was hat nun Mozart mit der Bibel zu tun? Ganz einfach: Bibel ist in der katholischen Kirche mancherorts das, was Mozart für diese Sänger ist. Niemand würde wohl zu behaupten wagen, dass die Bibel nicht grundlegend für die Pastoral, die Kirche oder den Glauben an sich sei. Sie ist „Wort des lebendigen Gottes“, „Quelle des Glaubens“ oder eben „Seele der Pastoral“. Aber sieht man sich dann die Praxis an, gerät man doch ins Grübeln. Wie viele Pfarren oder gar Bildungshäuser haben tatsächlich schon die revidierte Einheitsübersetzung bei sich stehen? Wie viel wurde und wird in diesen Bibeln tatsächlich gelesen? Wie viele Firmunterrichtseinheiten, Krankenhausseelsorgen etc. gründen in der Bibel? Und ist wirklich schon überall angekommen, dass die biblischen Lesungen im Gottesdienst genau so wichtig sind wie die anschließende Eucharistiefeier? Oder dass es nicht egal ist, ob man eine Lesung aus dem Alten Testament liest oder eine hübsche Erzählung aus „Der kleine Prinz“?
Das Büchl und das Allerheiligste
Aufschlussreich war auch die Irritation einer Kirchenbesucherin nach dem „Begrüßungsgottesdienst“ für das neue Lektionar. In diesem Gottesdienst wurde das neue liturgische Buch, aus dem die biblischen Lesungen des Gottesdienstes gelesen werden, in einer Prozession nach vorne getragen. Die Kirchenbesucherin war darüber erstaunt bis entsetzt und meinte, warum man diesem „Büchl“ eine Ehre zukommen lasse, die eigentlich nur dem Allerheiligsten zukomme. Die Eucharistie, Leib und Blut Christi, das sei das eigentlich Verehrungswürdige, nicht aber die Bibel. Ist also, so fragte ich mich einigermaßen verunsichert, die Bibel tatsächlich der Mozart der Pastoral, das Lippenbekenntnis aller, dem die Praxis einiger Weniger gegenübersteht?
Spaghetti und Feigenblatt
Die Kluft zwischen hochschätzenden Worten und Praxis bedeutet paradoxerweise nicht, dass Mozart zu wenig aufgeführt würde oder dass die Bibel nicht ausreichend in der Öffentlichkeit aufschiene. Das Gegenteil ist der Fall. Allerdings fragt sich manchmal, wie und warum. Und, sehr überspitzt gesagt, (man verzeihe mir das als einer, die Mozart und die Bibel liebt) erlebe ich oft zwei Weisen: Die Spaghettiisierung und die Feigenblatt-Variante. Beides zielt auf Menschen, die eher fernstehen und erst angelockt werden sollen.
Die Spaghettiisierung geht, nach dem Motto: „Spaghetti schmecken allen“, davon aus, dass der Name „Mozart“ mehr Menschen anzieht als, sagen wir, Carissimi oder Messiaen. Die Folge: In so mancher Wiener Innenstadt-Kirche wird jährlich mindestens zweimal Mozarts Krönungsmesse aufgeführt. Warum? Weil das ein Garant ist für höheren Kirchenbesuch und für dementsprechend hohe Spendeneinnahmen. Große Haydn-Messen oder anspruchsvolle barocke Messen werden durch diese Krönungsmessen querfinanziert.
Die „Feigenblatt-Variante“ ist oft in Konzertprogrammen zu finden und äußert sich darin, dass weniger beliebte (meist moderne) Kompositionen gerne sandwichartig zwischen zwei „klassischen“ Stücken versteckt werden (damit das Publikum nicht vorzeitig gehen oder später kommen kann). Und zu Beginn eines solchen Sandwiches steht sehr häufig Mozart.
Auch hier lassen sich Parallelen zu unserem Umgang mit der Bibel ziehen. Die Spaghetti-Variante weiß, dass mit der Aufschrift „Bibel“ mehr bildungshungrige Menschen angesprochen werden als etwa mit der Aufschrift „Liturgie“ oder „Dogmatik“. Das lässt sich für Veranstaltungen nützen.
Die Feigenblatt-Variante verwendet die Bibel, um eigene oder kirchliche Aussagen ansprechend zu verpacken. Durch ein: „Das steht in der Bibel“ wird ein unliebsamer Inhalt verbrämt und mundgerecht serviert.
Ebenso wie Mozart wird die Bibel oft verklärt, in unerreichbare Höhen gehoben und dort stehen gelassen.
Grundsätzlich ist dagegen gar nichts zu sagen. Niederschwellige Angebote können und sollen den Zugang zur Bibel und zum Glauben erleichtern. Was hier aber auf der Strecke bleibt, ist eine intensive Beschäftigung derer, die schon „da“ sind, die den nächsten Schritt gehen könnten, die über ein „Bibel ist super!“ hinauswollen hin zu einem reflektierten Umgang mit der Bibel, gerade in der Pastoral. Und das bedeutet eben auch, sich mit allen Seiten der Bibel zu befassen.
Denn auch das ist ein oft erlebtes Phänomen: Ebenso wie Mozart wurde und wird die Bibel oft verklärt, in unerreichbare Höhen gehoben und dort stehen gelassen. Konfrontiert mit einigen weniger schönen Seiten folgt dann oft das große Erschrecken: Was? Von Mozart stammen auch zotige Texte? Was? Dieser Gewalttext steht auch in der Bibel? Das soll das Wort Gottes sein? Und diese Phase zu überwinden, dazu braucht es mehr Anstrengung als ein paar schöne Worte in der Opernwerkstatt oder anderswo. Welche Schritte hier gesetzt werden könnten, dazu ein anderes Mal mehr.
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Elisabeth Birnbaum ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks und seit Juni 2018 Mitglied der Redaktion von Feinschwarz.
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