Die Kolumne für die kommenden Tage 13
Ein pastoraltheologisches Leben lang habe ich darüber geforscht, warum die Kirchen immer leerer werden. Zwei Wochen Corona-Lockdown und der Reiz der leeren Kirchen wird immer größer.
Aktuell sind Städte anders als je erlebt: leiser und ziemlich leer, voller Paare, und ein paar Einzelnen, ohne alle Gruppen. Der öffentliche Raum ist von angenehmer, auch ein wenig gespenstischer Ruhe. Man kann sich in ihm bewegen wie früher nie: zum Beispiel mitten auf der Straße und man muss sich in ihm bewegen, wie früher nie, schlicht um auszuweichen.
„Mir kommt die Stadt vor wie ein Gefäß, das geleert wurde. Wie ein ziemlich volles Gefäß, das nun fast gänzlich leer ist“ schreibt der Stadtforscher Peter Payer. „Jetzt ist nur noch die Hülle übrig, und durch den Mangel an Ablenkung – an Menschen, an Autoverkehr, an Kaufangeboten, an optischen, akustischen und olfaktorischen Reizen – konzentrieren wir uns plötzlich mehr auf unsere Sinne. Wir spüren den Untergrund, auf dem wir gehen, wir sehen die Schönheit der Gebäude und nicht nur jene der Schaufenster, wir erleben den öffentlichen Stadtraum in seiner vollen Bandbreite. In dieser puren Materialität werden wir die Stadt in absehbarer Zeit nie wieder wahrnehmen. Das ist eine einzigartige Laborsituation.“
Das gilt auch für die Kirchenräume. Auch sie sind ein Gefäß, das geleert wurde. Sie sind still und sprechen doch, sie sind stark und doch von angenehmer Stille und vorbildlichem Schweigen. Sie sind voller Angebote, zu denen man ebenfalls schweigen, vor denen man, wenn man will, beten, zu denen man hingehen oder kommentarlos weggehen kann. Und wenn einmal jemand mit in der Kirche ist, dann weichen wir uns freundlich grüßend aus. Leere Kirchen sind einfach vorbildlich diskret und respektvoll. Und nichts ist falsch an und in ihnen.
Manchmal gar signalisieren leere Kirchen, dass sie wissen, was mich bewegt: nicht automatisch, aber wenn ihre Verantwortlichen nur ein wenig sensibel und aufmerksam sind. Es braucht dazu nicht viel, aber es ist viel, wenn es gelingt.
Zum Beispiel die Stadtpfarrkirche Graz, Ziel unseres morgendlichen Kirchgangs am letzten Sonntag: ein offenes Anliegenbuch, das aufgeschlagene Tagesevangelium mit brennender Kerze, ein kurzer, prägnanter Gebetstext für die Zeiten von Corona, das ist schon genug.
Ansonsten wirkt dieser alte, erfahrene Raum, wo Gotik und Barock und aktuell eine eindringliche Beleuchtung zur Fastenzeit miteinander in Beziehung treten. Vielleicht setzt sich ab und an noch ein Organist, eine Organistin an die Orgel, um Tröstliches zu spielen?
Übrigens geht diese Kirche auch auf das ein, was an Schrecklichem früher schon war: ein Glasfenster aus den 50er Jahren zeigt Hitler und Mussolini an der Seite der Peiniger Christi. Wen müsste ein solches Fenster heute zeigen?Vielleicht geht es gar nicht so sehr darum zu ersetzen, was gerade nicht möglich ist, sondern zu entdecken, was gerade jetzt möglich ist. Sicher nicht nur in Graz.
Rainer Bucher ist Professor für Pastoraltheologie in Graz.
Photos: Rainer Bucher
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