Immer wieder steht die DİTİB, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, im Fokus der Öffentlichkeit, wenn es in Deutschland um den Islam und die Türkei geht. Theresa Beilschmidt erläutert die geschichtliche Entwicklung von DİTİB und die aktuellen Probleme für den Dialog mit dem Islam aus der Türkei.
Kaum ein islamischer Dachverband in Deutschland bestimmt derzeit die Debatten so stark wie die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. (DİTİB). Spätestens seit der Spitzelaffäre um Imame in DİTİB-Moscheegemeinden ist der Islamverband, der über lange Jahre als beliebter Dialogpartner der deutschen Regierung galt, zum Politikum geworden.
Zwischen der Türkei und Deutschland
Die in Köln ansässige Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. ist der größte islamische Dachverband in Deutschland. Sie wurde 1984 auf Initiative der türkischen Religionsbehörde Diyanet İşleri Başkanlığı (kurz: Diyanet) gegründet und unterhält nach wie vor enge Verbindungen in die Türkei. Diese strukturellen Verflechtungen sind seit der Gründung der DİTİB in den 1980er Jahren festgeschrieben und waren deutschen Behörden immer bekannt.
Im Deutschland der „Gastarbeiter_innen-Jahre“ wurde die Religionspolitik an ausländische Staaten outgesourct.
Die Tatsache, dass sich ein ausländischer Staat um die religiösen Bedürfnisse seiner Bürger_innen kümmerte, wurde gar in den Anfangszeiten der Gastarbeiter_innen-Abkommen seitens des deutschen Staates billigend (und gern) in Kauf genommen. In der Überzeugung, Deutschland sei kein Einwanderungsland und davon ausgehend, dass die Gastarbeiter_innen früher oder später in ihre Heimatländer zurückkehren würden, wurde die Religionspolitik quasi an ausländische Staaten ‚outgesourct‘. Die DİTİB selbst positionierte sich damals hauptsächlich als religiöse Dienstleisterin und trat ansonsten kaum an die Öffentlichkeit. Dies änderte sich erst mit dem Anstieg islamkritischer Stimmen nach dem 11. September 2001. Damals begann der Dachverband, öffentlich Statements zu religions- und integrationspolitischen Themen abzugeben. Dieses Engagement vor dem Hintergrund einer moderaten und wissenschaftsbasierten Auslegung der islamischen Theologie und der Betonung ihrer Überparteilichkeit zahlte sich aus. Als Garantin eines nicht-extremistischen Islams wurde die DİTİB zur Hauptansprech- und Dialogpartnerin deutscher Behörden.
DİTİB galt lange als Garantin eines nicht-extremistischen Islams.
In der Phase der Annäherung und Partnerschaft zwischen DİTİB und der deutschen Regierung spielten die Verbindungen in die Türkei eine geringere Rolle. Von deutscher Seite schien man davon auszugehen, dass die Anbindung an das laizistisch-säkulare Islamverständnis der Türkei garantiere, dass Religion nur im Privaten eine Rolle spiele und noch dazu nicht politisiert werde. Auf Seite des Dachverbandes verstand man sich als Interessengemeinschaft, die vor allem religions- und integrationsfördernd tätig war.
DİTİB-Selbstverständnis der Anfangsjahre: religions- und integrationsfördernde Tätigkeit
In dieser Zeit war auch von türkischer Seite kaum Einflussnahme zu spüren. Dennoch gab es im Dachverband unterschiedliche, teils gegenläufige Interessen. Ein Teil, die ‚deutschen Verwalter_innen‘, trieb den Emanzipationsprozess von der Türkei voran. Selbst in Deutschland sozialisiert, sahen sie die DİTİB klar in diesem Land verwurzelt. Auf der anderen Seite standen und stehen immer noch die ‚türkischen Theologen‘ (traditionell waren das immer Männer), die die enge Orientierung an der türkischen Theologie, also an der Diyanet verkörpern. Vermutlich liegt es an diesem Interessenkonflikt, dass sich die DİTİB immer noch mit einer klaren Positionierung schwer tut.
Interne Interessenkonflikte und Ringen um die Nähe zu Deutschland und zur Türkei
Genau das ist es jedoch, was inzwischen von allen Seiten – vor allem von Politik und Medien, aber auch seitens christlicher Kirchen – von ihr eingefordert wird. Die Ablösung von der Diyanet ist dabei nur ein Aspekt. Viel wichtiger scheint das Bekenntnis zum deutschen Staat zu sein. Impliziert wird damit aber auch indirekt eine Loslösung von der Türkei. Dies von Menschen zu fordern, die Verbindungen zu zwei Ländern haben, ist jedoch höchst problematisch, wie die Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft gezeigt hat.
Ein „Bekenntnis zum deutschen Staat“ allein löst nicht die Probleme aus den komplexen Verbindungen der Menschen in zwei Länder.
Virulent wurde der Konflikt erst jüngst wieder bei den Wahlkampfauftritten türkischer Politiker, die in Deutschland von Tausenden von Menschen euphorisch empfangen und gefeiert wurden. Unter der Regierung von Recep Tayyip Erdoğan hat die Religion in der türkischen Öffentlichkeit mehr an Sichtbarkeit gewonnen. Dies hat auch viele türkeistämmige Muslim_innen in Deutschland angesprochen. Die Anbindung der DİTİB an die Diyanet symbolisiert also auch das neue Selbstbewusstsein einer lange unsichtbaren religiösen Schicht.
Einflussnahme auf DİTİB aus der Türkei?
Letztlich ist die Verbindung zur Diyanet vor allem aus politischer Sicht zu kritisieren. Auch wenn von deutscher Seite die Entwicklung einer islamischen Theologie deutscher Prägung wünschenswert ist, spricht gegen die Orientierung an der Diyanet als einer theologisch-spirituellen Autorität zunächst einmal nichts. Problematisch ist dagegen die strukturelle Verflechtung, besonders dann, wenn wie derzeit von türkischer Seite aus Einfluss auf die islamische Religionsausübung und -politik in Deutschland geübt wird.
Problematische strukturelle Verflechtung der DİTİB mit dem türkischen Staat
Am prominentesten ist die Spitzelaffäre um Imame in DİTİB-Moscheegemeinden, die im Dezember 2016 publik wurde. Einige Bundesländer überprüften daraufhin ihre Zusammenarbeit mit der Organisation, Projektkooperationen wurden beendet. Auch viele Dialoginitiativen waren verunsichert. Dennoch hält der Dachverband weiterhin an seiner Verbindung zur Diyanet fest. Und obwohl der Dachverband betont, dass er „zum Nutzen“ der Gemeinden handele (DITIB 2016b), werden die Konsequenzen der aktuellen Ereignisse für die lokalen Moscheegemeinden kaum thematisiert.
Gelebte Integration in den Moscheegemeinden
Der Blick auf die lokale Ebene zeigt allerdings, dass dort die immer wieder geforderte Integration in die Mehrheitsgesellschaft von vielen Moscheegemeindemitgliedern schon längst in die Tat umgesetzt wurde und praktiziert wird. Statt der Imame lenken immer mehr ehrenamtliche Gemeindemitglieder die Geschicke der Moscheen. Es bestehen teilweise engere Verbindungen zu anderen lokalen Akteur_innen wie Kirchen und Kommunen als zum DİTİB-Dachverband in Köln oder zur Diyanet in Ankara. In den Moscheegemeinden herrscht ein großer Wunsch nach lokaler Autonomie und Unabhängigkeit vor, der mit einer Identifikation mit der direkten Nachbarschaft einhergeht.
Lokale Moscheegemeinden: Wunsch nach Autonomie und Unabhängigkeit
Lange koexistierten verschiedene politische oder theologische Ansichten in den DİTİB-Moscheen. Diese wurden von Menschen besucht, die im Alltag ihren Glauben leben wollten – ohne sich zu einer ideologischen Bewegung zu bekennen. Sie waren ein sozialer Ort, wo man Freunde treffen und zugleich emotional und spirituell die Verbindung zur alten Heimat Türkei halten konnte. Die Anerkennung und Wertschätzung der Vielfalt im Islam war in den Moscheegemeinden sichtbar. Dies hat sich nach dem Putschversuch stark verändert. Obwohl immer noch die Maxime des Unpolitischen hervorgehoben wird, herrscht in manchen Moscheen nun Misstrauen unter den Mitgliedern. Das Gemeindeleben wurde politisiert.
Seit dem Putschversuch herrscht Misstrauen.
Dennoch halte ich es für wichtig, zwischen Dachverband und lokaler religiöser Praxis zu unterscheiden. Während der DİTİB-Dachverband versucht, staatliche Anforderungen in seine Arbeit zu inkorporieren, spielt die Staatsnähe für die Moscheegemeinden zwar auch eine Rolle, war aber bislang bei Weitem nicht der bestimmende Faktor des alltäglichen Gemeindelebens. Während der Dachverband in Deutschland eindeutig religionspolitisch agiert – was ihm als religiöser Verband durchaus zusteht –, bemühen sich die Moscheen bislang vor allem um die Ermöglichung islamischen Gemeindelebens und die Vernetzung vor Ort. Würde man jetzt die Kooperationen mit dem Dachverband abbrechen, würde dies vor allem den Moscheegemeinde-Mitgliedern schaden.
Gefährdete Projekte
Die Projekte, die über die Jahre gewachsen sind, würden dadurch gefährdet. Statt deshalb die Gespräche zu unterbrechen, muss im Austausch miteinander nach Lösungen gesucht werden. Die Bezahlung der Imame ist hier ein großes Problem, das bislang einer Loslösung von der Diyanet, die diese zu einem Großteil bezahlt, im Wege stand. Diese Regelung lässt sich nicht so leicht durch die viel zu niedrigen Mitgliedsbeiträge auffangen. Um Steuern erheben zu können, müsste die DİTİB als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt werden. Die Anerkennung erlangt sie jedoch aufgrund der Verflechtungen mit der Türkei nicht. Es müsste im Interesse des deutschen Staates sein, dass sich die DİTİB mit ihren religiösen Diensten klar in Deutschland verortet.
Mögliche Rolle des deutschen Staates
Dabei könnten und sollten Bund und Länder Unterstützung leisten, indem sie sich zumindest übergangsweise und bis zur Etablierung starker Strukturen an der Finanzierung der Imame beteiligen. Ein erster Schritt wurde durch die Einrichtung von Instituten der Islamischen Theologie an verschiedenen Universitäten gemacht. Nun muss die Auseinandersetzung mit den islamischen Verbänden in Deutschland weitergeführt werden. Auch die Einrichtung einer Stiftung oder eines Fonds wäre hier denkbar. Unerlässlich dafür ist allerdings, dass diese Debatten auch inner-islamisch geführt werden.
Muslimische Gläubige in Deutschland sind eine gesellschaftliche Realität. Es muss im Interesse aller sein, dass diese dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen ihre Religion praktizieren können. Deshalb heißt das für die Zukunft, dass die Gespräche weitergeführt werden müssen, kontrovers und kritisch – aber immer konstruktiv.
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Literatur
DITIB (2016a): „Pressemeldung zu den aktuellen Berichten“. http://ditib.de/detail1.php?id=547&lang=de.
——— (2016b): „Vertrauensverhältnis zum Imam ist höchstes Gut“. http://ditib.de/detail1.php?id=550&lang=de.
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Dr. Theresa Beilschmidt arbeitet als Referentin in der Erwachsenen- und Jugendbildung am St. Jakobushaus, Akademie der Diözese Hildesheim, in Goslar. Dort ist sie zuständig für die Bereiche Migration/Flucht, Islam, interreligiöser Dialog und gesellschaftlicher Zusammenhalt. Ihr Buch Gelebter Islam. Eine empirische Studie zu DITIB-Moscheegemeinden in Deutschland erschien 2015 bei transcript.
Eine ausführlichere Version dieses Textes erscheint in Kürze im Themenheft „Religion – Macht – Politik“ des Journals für politische Bildung beim Wochenschau-Verlag. Der Verlag stellt allen Interessierten dieses Themenheft kostenlos zur Verfügung.
Bild: https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkisch-Islamische_Union_der_Anstalt_f%C3%BCr_Religion#/media/File:DITIB-Zentralmoschee_K%C3%B6ln_-_April_2015-7489.jpg