Mit dem Buch „Die Ehe. Ein riskantes Sakrament“ von Christiane Florin stellt Wolfgang Beck ein gesellschaftliches Segment vor, das für die Kirche zur Chance der Realitätswahrnehmung wird.
Als katholisch geprägte Journalistin hat sich Christiane Florin in den zurückliegenden Jahren als Chefredakteurin der ZEIT-Beilage „Christ und Welt“ einen Namen gemacht. Anfang 2016 ist sie zum Deutschlandfunk gewechselt. Nun setzt sie mit der vorliegenden Veröffentlichung1 in einer Mischung aus journalistischem Tiefsinn und lustvollem Spiel mit der Sprache in Grenzgebieten zwischen Kirche und Gesellschaft, Theologie und Soziologie erneut ein Zeichen als scharfsinnige Beobachterin.
„Das Leben ist immer lebensgefährlich“, mag man Christiane Florin mit einem Zitat von Erich Kästner erwidern, wenn sie die Ehe unter dem Risikoaspekt in seiner vielschichtigen geschichtlichen Entwicklung betrachtet. Dass dies nicht nur aufgrund der Bindung an einen Mitmenschen und damit an einen unberechenbaren Faktor gilt, sondern auch aufgrund der je eigenen Persönlichkeitsentwicklung, scheint evident. Hinzu kommen Veränderungen der Lebensgewohnheiten und -umstände postmoderner Gesellschaften und alle soziologischen Verschiebungen, die bereits von Ulrich Beck und Elisabeth Beck-Gernsheim2 analysiert worden sind.
Die Ehe ist allerdings vor allem für Theologie und Kirche ein Risiko, ein ausgesprochen belebendes und wohl auch verkanntes. Denn mit ihr bindet die katholische Kirche ihre wichtige Sakramententheologie, einen Kernbestand ihrer Identität, an die Lebenswirklichkeit ihrer ZeitgenossInnen – und droht an dieser immer wieder zu scheitern.
Die Chance im Risiko – sich auch an Lebensrealitäten fest zu machen
Es wäre – oberflächlich betrachtet – kirchenstrategisch sicherer, die zentralen theologischen Kernpunkte in überzeitlichen Fragestellungen, in rein spirituellen Sphären zu verankern, sich also von kulturellen Kontexten, geschichtlichen Entwicklungen und individuellen Biographien unabhängiger zu machen. Genau hier wird die eigentliche Chance im Risiko katholischer Sakramententheologie sichtbar: in der Möglichkeit sich nicht nur an biblischen Fundierungen und theologiegeschichtlichen Entwicklungen, sondern auch an Lebensrealitäten fest zu machen und daran eine „Pastoral der Lebensformen“3 zu entwickeln. Das erst macht es erforderlich, sich immer wieder neu an ihr abzuarbeiten, sich über sie aufzuregen und sie in all diesen schmerzlichen Auseinandersetzungen letztlich doch weiter zu entwickeln. Dass das Risiko Ehe damit für die kirchliche Sakramententheologie in der Krise auch zu einer Chance wird, in den postmodernen Zumutungen zu einer Neuformulierung eigener Inhalte zu gelangen, übersieht Florin und bestätigt zugleich Hans-Joachim Sander, wenn dieser formuliert: „Um Autorität zu haben, muss man sich entschieden in der säkularen Welt verorten, so wie sie einfach da ist.“4
So gut wie nie verstand die katholische Kirche, ihren ZeitgenossInnen zu erklären, warum es für sie gut sein könnte, ein Sakrament zu empfangen, die Ehe einzugehen, ohne dabei Druck auszuüben.
Gleiches gilt für eine wirkliche Schwäche kirchlicher Ehetheologie: Sie liegt auch in ihrer Verkündigung, in ihrer pastoralen Praxis. So gut wie nie verstand die katholische Kirche (mit anderer Genese die evangelischen Kirchen wohl ebenso), ihren ZeitgenossInnen zu erklären, warum es für sie gut sein könnte, ein Sakrament zu empfangen, die Ehe einzugehen, ohne dabei Druck auszuüben. Sie hat es sich meist und bis in die Gegenwart zu leicht gemacht, indem sie sich auf moralische Forderungen, kleinkarierte Zulassungsdiskurse und bis hinein in aktuelles kirchliches Arbeitsrecht auf bloßes Machtgebaren5 beschränkte. Das funktionierte lange halbwegs, stabilisierte patriarchale und hierarchische Strukturen, überzeugt aber in aufgeklärten, modernen Gesellschaften so gut wie niemanden mehr. Hier wird die große Leerstelle katholischer Sakramententheologie sichtbar, die nach dem Wegfall einer Sorge um das ewige Seelenheil und nach dem Abbruch kirchlicher Sanktionsmacht keine überzeugenden Begründungen nennen kann, weshalb die kirchlich geschlossene Ehe für die Menschen einen Gewinn und eine Hilfe zum Glück darstellen könnte. Diese tieferliegenden Probleme einer Kirche, die bislang nur in Ansätzen in der Moderne angekommen ist, werden von Christiane Florin nur angedeutet. Lieber schildert sie die teilweise als Anachronismen überdauernden Kuriositäten der Geschichte ehelichen Lebens, die sich auch in manchen romantischen Sehnsüchten der Gegenwart finden. Dass die Frage nach der Ehe und ihrer angemessenen Gestaltung immer wieder in Gerechtigkeitsfragen mündet, zeigt sich im Blick auf rechtliche Entwicklungen, die Neubestimmung von Geschlechterrollen und eine gesteigerte gesellschaftliche Mobilität.
Darüber hinaus führt es in den Gerechtigkeitsdebatten der Moderne in grotesk anmutende Selbstwidersprüche: Forderte sie mit der Ehe das moralische Gut der monogamen Verlässlichkeit, so verweigert sie genau dieses klassisch-bürgerliche Ideal der kleinen Gruppe gleichgeschlechtlicher Paare, die sich überhaupt noch danach sehnt.
Nur Geschichtsvergessene können die immer wieder überraschende Vielfalt kirchlicher Entwicklungen und autoritärer Positionen ignorieren und schmalen Ausschnitten des 19. Jahrhunderts Ewigkeitscharakter verleihen.
Im Rückgriff auf den populären Kirchenhistoriker Hubert Wolf wird auch in Florins Durchgang durch die europäische Kulturgeschichte deutlich: Nur Geschichtsvergessene können die immer wieder überraschende Vielfalt kirchlicher Entwicklungen und autoritärer Positionen ignorieren und schmalen Ausschnitten des 19. Jahrhunderts Ewigkeitscharakter verleihen. Damit nimmt sie in den gegenwärtigen Debatten den Schützern naiv-überzeitlicher Lehre und den Realitätsverweigerern eines ihrer wichtigsten Instrumente aus der Hand: die Tradition. Sie entlarvt, dass Tradition in der Regel selektiv wahrgenommen wird und in den meisten Debatten nur das ist, was gerade die eigenen Ressentiments zu stabilisieren vermag.
Christiane Florin lädt mit ihrem Buch zum riskanten Sakrament der Ehe dazu ein, sich diesen mal schmerzlichen und mal befreienden Einsichten partnerschaftlichen Zusammenlebens zu stellen, Verschiebungen in den Geschlechterbildern6 auch kirchlich ernst zu nehmen und heilsame Destabilisierungen von Ressentiments zuzulassen. Sie liefert damit einen Beitrag zu einem besseren, innerkirchlichen Geschichtsbewusstsein eigener theologischer Entwicklung und zur Konfrontation mit lebensweltlichen Realitäten. Derartige Konfrontationen kann es in der Kirche nie genug geben – nicht für TheologInnen, nicht für Ehepartner, aber auch nicht für Menschen in unterschiedlichen Lebensformen bis hin zu ehelos Lebenden.
Eine besondere Stärke Florins liegt in ihrer Narration vielfältiger eigener Familiengeschichten. Diese sind durch so plurale Eheerfahrungen bestimmt, dass LeserInnen mit eigenen Erfahrungen des Scheiterns und Hoffens, Glückens und Sehnens anknüpfen werden. Gerade in dieser Würdigung biographischer Vielfalt entfaltet sich die vielleicht wichtigste, theologische Wirkung: das Ernstnehmen der Biographie als Ort theologischer Erkenntnis. An diesem Ort gelingen und scheitern nicht nur Ehen, an diesem Ort gelingt oder scheitert auch die Theologie der Ehe. Eine Theologie, die sich an diesen Ort wagt, hätte viel zu lernen.
Anmerkungen:
1 Florin, Christiane: Die Ehe. Ein riskantes Sakrament, Kösel Verlag, München 2016.
2 Beck, Ulrich / Beck-Gernsheim, Elisabeth: Fernliebe. Lebensformen im globalen Zeitalter, Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
3 Bucher, Rainer: Fundamentale Neukontextualisierungen. Auswege aus den Sackgassen der katholischen Ehe- und Familienlehre, in: Bauer, Christian / Schüssler, Michael (Hg.): Pastorales Lehramt? Spielräume einer Theologie familialer Lebensformen, Grünewald Verlag, Ostfildern 2015, 69-82, 82.
4 Sander, Hans-Joachim: Sieben Fehlanzeigen – Oder: Wie man der gefährlichen Profession und kritischen Berufung der Theologie ausweichen kann, in: Bucher, Rainer / Oxenknecht-Witzsch, Renate (Hg.): Was fehlt? Leerstellen der katholischen Theologie in spätmodernen Zeiten: ein Experiment, Echter Verlag, Würzburg 2015, 89-96, 93.
5 Fuchs, Ottmar: Sakramente – immer gratis, nie umsonst, Echter Verlag, Würzburg 2015, 46: „Es geht darum, die Verkleinerung Gottes zurück zu nehmen, die mit eigenen Grenzziehungen und Blockierungen geschieht, in die Offenheit der ewigen Unerkanntheit und Unbestimmbarkeit hinein.“
6 Vgl. Heimerl, Theresia: Andere Wesen. Frauen in der Kirche, Styria Verlag, Wien-Graz-Klagenfurt 2015.
(Beitragsbild: http://www.randomhouse.de/content/edition/covervoila_hires/Florin_CDie_Ehe_-_riskantes_Sakrament_162242.jpg)