Gastvorlesung von Br. Dr. Andreas Knapp (Kleine Brüder Jesu) in Innsbruck.
1. Wanderer zwischen Sprachwelten
Ich bin Priester, Ordensmann, arbeite als Packer am Fließband und, lebe gemeinsam mit 4 Mitbrüdern in einer Wohnung in einem Plattenbau am Stadtrand von Leipzig. Warum sind wir nach Leipzig gegangen? Unsere Gemeinschaft führt sich auf Charles de Foucauld zurück, den es trieb, dorthin zu gehen, wo Menschen vom Evangelium noch nichts gehört haben.
Osten Deutschlands: sehr säkularisiert. Umfrage im Leipziger Hauptbahnhof. Ein konfessionskundliches Institut befragte die Leute: „Sind Sie katholisch? Sie Sie evangelisch?“ Und die allermeisten Leute antworteten: „Ich bin normal.“ – Normal, das bedeutet: Keinerlei Religion. In unserem Viertel gibt es ein großes Einkaufszentrum mit einem Kuppelbau für Ausstellungen, etwa für Autos oder für Schmuck. Alle Jahre wieder wird die Ausstellungshalle in der Vorweihnachtszeit in eine künstliche Schneelandschaft verwandelt: mit Plastiktannen, ausgestopften Rentieren und Frau Holle.
Vor einigen Jahren wagte es eine christliche Gruppe, inmitten dieser Szenerie ein paar kirchliche Weihnachtslieder zu singen. Dies erregte Unmut: „Jetzt wollen sich die Christen auch noch Weihnachten unter den Nagel reißen…“ Vielen in Leipzig ist nicht mehr bekannt, dass Weihnachten ein christliches Fest ist. Wir leben alle in einem zunehmend säkularisierten Umfeld. Aber Leipzig gilt zurecht als Hauptstadt des deutschen Atheismus. Und der neue säkulare Mensch heißt: Homo areligiosus Leipzigensis.
Wie kann ich in einem Umfeld, das mit dem religiösen Sprachspiel nicht mehr vertraut ist, von meinen religiösen Erfahrungen reden? Worte wie „Verheißung,, Gnade, Heilig, Huld“, das sind Fremdworte. Wenn ich von meinem Glauben rede, geht es meinen religiös unmusikalischen Zeitgenossen wie Kindern, die manche Worte aus dem Gottesdienst falsch verstehen, weil sie ihnen nicht vertraut sind. Etwa: „der zahme Ritter“ – statt Samariter.
Oder wenn ein Ministrant nicht verstand, warum Jesus eingehen soll, also krepieren, wenn er unter mein Dach kommt: …. dass du eingehst unter meinem Dach… Die drei Sterndeuter aus dem Osten bringen Gold, Weihrauch und Möhren. Und Pontius Pilatus, das klingt wie eine Krankheit mit einem lateinischen Namen: gestorben unter Pontius Pilatus –
was ist ein Märtyrer? Ein Auto mit mehreren Türen. Mehr-Türer.
Gegrüßet seist du Maria, voll der Knaben, Oh du fröhliche, o du selige, knabenbringende Weihnachtszeit. Ein Lektor stutzt bei dem Wort „Schutzpanier“ und verbessert sich dann: „Schutzpapier“. Oder Jesus, der eingeborene Sohn – da denkt man natürlich an einen Indianer…
Oder Kind, das fragte, warum Susanna in der Höhe ist (Hosanna in der Höhe)
Liebe Theologinnen, liebe Theologen: Sie sollen und wollen von Gott reden: Theos logein. Aber haben wir für Gott noch Worte?
2. Zur Sprache kommen
„Im Anfang war das Wort.“ So etwas kann man vielleicht von Gott sagen. Aber nicht von uns Menschen. Für uns gilt: Im Anfang war das Erleben. Das Wort kommt erst später. Erleben können nur Lebewesen. Steine verändern sich, aber sie erleben das nicht. Das Erleben ist zunächst etwas Inneres. Ich erlebe etwas. Ich wache auf und habe gute Laune. Oder ich erwache und habe Zahnschmerzen. Ich bin traurig oder ich spüre eine unbeschreibliche Leichtigkeit. Dieses mein Erleben ist etwas ganz Persönliches.
Niemand kann in mein Innerstes hineinschauen. Natürlich kann man mir ansehen, ob es mir gut oder schlecht geht. Aber mein Gesicht kann auch eine Maske sein. Ich kann meine Gefühle verstecken. „Doch wie das drinnen aussieht, das geht niemand was an!“ Nur ich weiß, wie es mir geht oder wie sich mein Schmerz anfühlt. Andere Menschen können mitfühlen, weil sie Ähnliches erlebt haben. Aber mein Zahnschmerz ist und bleibt mein Zahnschmerz, den nur ich so empfinde.
Was wir innerlich erleben, das wollen wir oft auch äußern. Wir Menschen haben viele Möglichkeiten, unser inneres Erleben nach außen zu zeigen. Unsere Körperbewegungen, unser Mienenspiel, Lachen und Weinen, Stirnrunzeln und Erröten. Und dann die Sprache. Mit dem Geburtsschrei geht es los. Wir äußeren Schmerz und Freude, unsere Bedürfnisse. Darin steckt der tiefe Wunsch: Ich will mich bemerkbar machen, will mich anderen mitteilen. Ich will mein Inneres nach außen zeigen und anderen mitteilen. So beginnen wir, die Äußerungen der anderen zu interpretieren und uns darüber zu verständigen. Das ist Sprache. Jetzt kommt das Wort. Und wir treten ein in das schier endlose Gespräch mit uns selbst und mit anderen.
Wie aber verstehe ich eine Äußerung richtig? Unsere Sprache baut eine Welt auf. Durch die Sprache können wir uns selber verstehen und auslegen lernen. Wir können mit Hilfe der Sprache ganze Welten konstruieren: Die Welt eines Romans, eines Science fiction. Die Welt der Physik oder der Biologie braucht eine Sprache, die sie aufbaut. Durch Sprache öffnet sich unsere Welt. Darum können wir reden über Gott und die Welt, über uns selbst und sogar über unser Reden.
Die Sprache prägt unser Wahrnehmen. Man kann Dinge beispielsweise in der Sprache der Physik ausdrücken. Max Frisch erzählt in seinem Roman „Homo faber“ von einem Techniker, der im Flugzeug unterwegs ist, das in der mexikanischen Wüste eine Notlandung machen muss. Während andere Passagiere die Schönheit des Mondes in der Wüste bestaunen, sagt er: „Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen wie sie sind. Ich sehe: den Mond über der Wüste …, klarer als je, mag sein, aber eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis?“ (Max Frisch, Homo faber, Suhrkamp Frankfurt 1957, 28)
In einer Sprache, die nur die Begriffe der Physik kennt, kann das Staunen oder das Bewundern des Schönen nicht vorkommen.
Die Sprache, in der wir leben, prägt auch das innere Erleben. Es gibt sogar Erfahrungen, die erst mit Hilfe der entsprechenden Sprache zustande kommen. Ein Liebesgedicht etwa benennt nicht nur Gefühle, sondern weckt auch solche. Wenn Verliebte sich ihre Liebe in Worten eingestehen und zum Ausdruck bringen, wird ihre Sprache zur Schöpfung neuer und tieferer Empfindungen.
Die Sprache schärft die Wahrnehmung. So kennen angeblich die Eskimos über einhundert Wörter, die mit Schnee zu tun haben. Diese sprachliche Vielfalt verhilft ihnen, unterschiedlichste Arten von Schnee zu erkennen und zu unterscheiden. Die Sprache erschließt uns Wirklichkeit. Oder um ein Beispiel aus dem Feinschmeckerlokal anzuführen: Weinkenner haben ja tolle Begriffe, um Weine zu charakterisieren: das geht von „blumig“ über robust, kantig, marmeladig, seidig, stumpf, überschwenglich, vegetabil, vollmundig, weich, wuchtig, würzig, elegant, geschmeidig.
Hören wir ein paar Beispiele, wobei ich Ihnen die Weine nicht verrate, weil ich hier keinen Werbeblock einfügen darf: Chateau Y: wunderbar, beständig, üppiger Reichtum, geschmeidig, ein Feuerwerk von Aromen, angenehm, offenherzig. Chateau Z: Kostbares, flüssiges Gold Eingehüllt in eine karamelartige Fülle, die so dickflüssig und üppig ist, dass sie am Gaumen noch eine Ewigkeit zu spüren ist. Ich selber bin kein Weinkenner. Ich kann schon unterscheiden zwischen sauer und süß. Aber dieses differenzierte Vergnügen des Weinkenners hängt zusammen mit dem zur Verfügung stehenden Vokabular, das bei der Geschmacksbildung Verwendung findet. (Robert Spaemann)
Am Anfang ist das Erleben. Und dann kommt das Wort. Das Wort bewirkt, dass unser Erleben eine bestimmte Färbung und Deutung bekommt. Ja, ohne das Wort sind wir oft blind und können gar nichts erleben. Denn das Wort macht uns erst aufmerksam, schärft unsere Wahrnehmung und wird somit zur Tür, und öffnet uns die Wirklichkeit..
Nun unterscheidet sich die Beschreibung nach Art des Homo faber von einem dichterischen Text. Man kann beispielsweise den anbrechenden Tag als einen bestimmten Moment beschreiben, der durch die Drehung der Erde um die eigene Achse mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit zustande kommt. Man kann Lichtverhältnisse messen. Man kann aber auch ein Gedicht schreiben.
Geburt des Morgens
Der letzte Stern
gibt der Amsel den Einsatz
Im Crescendo des Lichts
wächst die Erwartung des neuen Tages
Der erste Sonnenstrahl
bricht sich in den Nachttränen
Tausendfaches Aufblitzen imTau
als habe sich der Sternenhimmel
in den Grashalmen verfangen
Alle Farben werden neu erfunden
Ein Atemzug Ahnung
vom ersten Schöpfungstag
Unsere Welt ist gesprächig. Zusammenleben findet nicht nur einfach statt, sondern muss besprochen werden. Deutung legt sich wie ein Netz über die Dinge. Text heißt wörtlich „Gewebe“. Denken wir an das Wort „Textilien“. Dieses legt sich als zweite Haut über die Wirklichkeit und zwar manchmal so dicht, dass die erste Wirklichkeit darunter verschwindet oder eine andere Gestalt annimmt. Es gibt Textilien, die uns gut kleiden – und solche, die uns entstellen. In ähnlicher Weise lässt Sprache die Wirklichkeit erscheinen – oder sie verdunkelt sie.
Die alten Griechen, noch lange bevor sie Philosophen waren, sprachen als Fischer vom Netz: logos, mit dem sie Fische an Land zogen. Die Maschenweite bestimmte die Größe des Fangs. So wird das Netz zur Sprache. Logos heißt dann auch Sprache, Vernunft, Wort. Mit Hilfe des Logos zieht man die Wirklichkeit an Land. Dinge werden durch die Sprache ausgelesen oder erst sichtbar.
Sprache gehört, wie die Kleidung oder das Haus – zur Kultur, um uns Menschen die rohe Natur wohnlich zu machen. In dieser unersetzlichen Aufgabe der Deutung, der Humanisierung von Welt liegt aber auch die Versuchbarkeit von Sprache. Sprache kann auch blind machen und täuschen. Worte können die Wirklichkeit kaschieren oder verzerren.
Wir können hier an die Unworte des Jahres denken: Kollateralschaden, Herdprämie, notleidende Banken, Menschenmaterial, Entlassungsproduktivität, Menschenrest (schwerst pflege-Bedürftiger), Humankapital. Sozialtourismus. Lügenpresse.
Sprache kann Wirklichkeit verzerren – oder helfen, uns in der Welt zurecht zu finden. Durch Sprache werden wir mit unserer Welt vertraut. Etwas benennen oder einen Namen geben bedeutet, etwas kennen, damit umgehen können. Etwa ein dumpfes Gefühl: Wenn ich es ausspreche und ihm einen Namen gebe, kann ich leichter damit umgehen. Eltern geben Kindern einen Namen – das ist wie eine Zeugung: Jetzt bist zu jemand. Unsere Sprache schenkt uns Identität und Beheimatung. Wir reden ja von der Muttersprache. Sprache ist der Weg, um zu sich und zu anderne zu finden. Doch wie ist das mit unseren Wegen zueinander?
„Gedichte sind einer der kürzesten Wege von Mensch zu Mensch.“ So die große Dichterin Hilde Domin. Manchmal spüren wir etwas von einer anderen Person. Wir können uns in sie einfühlen, ganz spontan, ohne Worte. In einem wortlosen Blick. Solche Augenblicke sind ein großes Geschenk. Das intuitive Verstehen ist der allerkürzeste Weg von Mensch zu Mensch.
Und dann gibt es das Wort. Ich versuche, einem anderen etwas von mir zu erzählen. Ich sage dir, was ich denke, was ich empfinde, wie es mir geht. Das Wort wird Brücke, die ich zum anderen hinüber baue. Und vielleicht kann er oder sie über diese Brücke auch zu mir kommen. Dann begegnen wir uns. Wir lernen uns kennen. Wir verstehen uns. Wir lernen uns vielleicht sogar lieben.
Worte können Wege von Mensch zu Mensch sein. Aber Worte können auch Barrieren sein. Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse, heißt es bei Saint-Exupery. Vielleicht haben Sie schon Situationen erlebt, wo es einfach nicht möglich war, einem anderen etwas von mir zu erklären. Wir machen immer mehr Worte und verstricken uns in endlosen Diskussionen. Zu viele Worte sind der Tod des Verstehens.
Umgekehrt reichen manchmal ganz wenige Worte zu einem tiefen Verständnis. Oder sogar ein einziges Wort, das stimmt und das trifft. Ein Wort, das sitzt. Im Evangelium heißt es: Herr, sprich nur ein Wort, dann wird alles gut. Wenn wir doch so ein Wort finden könnten!
passwort
jeder mensch
ein verwunschener turm
von sich selber
hinter schloss und riegel gebracht
bewegungsmelder lösen alarm aus
komm mir nicht zu nah
unübersehbar das warnschild
vorsicht bissiger mensch
keine brechstange
kein raffinierter dietrich
nur ein schlüsselwort
zärtlich gesprochen
DU
vielleicht entriegele ich
die sperrkette der angst
und aus dem spaltbreit
ein leises willkommen
3. Von Gott reden
„Worüber man nicht reden kann, drüber muss man schweigen“. So der große Wiener Philosoph Ludwig Wittgenstein. Gibt es Hoffnung für das Ganze des Lebens? Einen Sinn, der die Gebrochenheit unserer Welt umschließt? Allzu schnell wird hier das Wort „Gott“ bemüht. Ein Lückenwort, das in unsere Leerstellen eingesetzt wird. Und ein Wort, das in der Geschichte viel zu leichtfertig in den Mund genommen wurde, um politische oder soziale Verhältnisse zu rechtfertigen oder gar um einen Krieg anzuzetteln, und das deshalb ideologieverdächtig ist.
Martin Buber schrieb einmal: „Gott ist das beladendste aller Menschenworte. Keines ist so besudelt und so zerfetzt worden. … Die Geschlechter der Menschen haben die Last ihres geängsteten Wesens auf dieses Wort gewälzt und es zu Boden gedrückt. .Sie haben dafür getötet und sie sind dafür gestorben. Es trägt unser aller Finger Spuren und es trägt unser aller Last“.
Von diesem Text Martin Bubers inspiriert habe ich folgendes Gedicht geschrieben:
Gott (Tiefer, 10)
Unwort der Jahrtausende
blutbesudelt und missbraucht
und darum endlich zu löschen
aus dem Vokabular der Menschheit
Redeverbot von Gott
getilgt werde sein Name
die Erinnerung an ihn vergehe
wie auf Erden so im Himmel
wenn unsere Sprache aber
dann ganz gottlos ist
in welchem Wort
wird unser Heimweh wohnen
wem schreien wir noch
den Weltschmerz entgegen
und wen loben wir
für das Licht
Der Sprache geht es um das Ganze der Welt. Denn Kommunikation will ja die verschiedenen und unterschiedlichen Aspekte miteinander verknüpfen und zu einem gesamten Weltbild weben. Wenn es um das Ganze geht, dann stellt sich auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Und hier wird die Sprache zum Medium, um tiefer zu schauen. Begriffe sind ja nicht eindeutig, sondern es schwingen sehr verschiedene Bedeutungen mit. Auf etwas deuten will auch sagen: Ich weise auf etwas hin und zugleich weise ich über es hinaus. Es hat eine Bedeutung. So wird die Sprache zum Medium für Sinn.
Es ist eine der großen Herausforderungen an die Theologie, diese tiefere Dimension aller Dinge offen zu legen. Also: die Welt deuten zu helfen und erfahrbar zu machen, dass hinter den Dingen noch mehr steht. Ingeborg Bachmann sage einmal: Es muss noch mehr als alles geben. Aber haben wir noch Worte für diesen Mehrwert der Welt?
Seit vielen Jahren bemühe ich mich, als Theologe und Priester, für meine religiösen Erfahrungen eine Sprache zu finden. Gerade der Kontext, in dem ich lebe, fordert mich heraus, über meinen Glauben noch einmal anders nachzudenken und manchmal auch um ihn zu ringen.
wo bist du
ich rudere
zu gott
ins uferlose
ich greife
nach gott
ins unfassliche
ich schreie
nach gott
ins unerhörte
ich spähe
nach gott
im aussichtlosen
ich brenne
nach gott
noch im erloschenen
Der Theologe und Literaturwissenschaftler Karl-Josef Kuschel stellt fest, dass sich die traditionelle religiöse Sprache von der Lebenswirklichkeit entfernt hat. Ihre Bilder kommen noch aus Sprachwelten, die längst versunken sind.“ Wir reden von Gott als König, als Herrscher, als gnädiger Richter. Aber ist das noch unsere Welt? Wie können wir in Begriffen von Gott reden, die unserer modernen Gesellschaft entsprechen? Irgendwie ist es noch komisch, wenn wir von Gott als Präsident, als Vorsitzenden oder Generalsekretär sprechen würden. (vgl. Ebd., 11)
Für viele Zeitgenossen ist die religiöse Sprache eine Fremdsprache. Begriffe aus der Symbolwelt des Glaubens liegen noch in unserer Sprachlandschaft herum, wie Ruinen aus anderen Zeiten. Die religiöse Sprache hat musealen Charakter und wirkt daher künstlich, oft irgendwie übertrieben feierlich, altbacken.
Bruno Latour schreibt in seinem Buch „Jubilieren“: „Einst war die Ausdrucksform der Religion frei und erfinderisch. Doch heute zerfällt diese Sprache auf unserer Zunge. Das, was einmal so viel Sinn hatte, wird heute geradezu widersinnig, wie ein Wortschwall, der in der Kälte Sibiriens auf den Lippen Verbannter erfriert.“ (vgl. S. 9) Die religiösen Worte haben für viele nicht mehr die geringste Wirkung. Gleichgültig gleiten sie an unserem Leben ab wie Regentropfen an einer Windschutzscheibe. (vgl. ebd., 83f). Der Theologe Friedolin Stier sagte selbstkritisch an die Sprache der christlichen Predigt gerichtet: „Schwülstig ist diese Sprache. Und sie leidet auch wirklich an Geschwülste“, an Fettwucherungen. Diese Sprache mit dem klebrigen Pathos bräuchte entfettende Pillen.
Unsere theologische Sprache darf nicht so vollmundig daherkommen. Denn Gott ist doch das, worüber hinaus nichts größeres gedacht werden kann, wie Anselm von Canterbury formulierte. Deus semper maior. Gott ist immer größer als unsere Worte, Bilder, als unsere Begriffe. Es gibt Erfahrungen, die wir in Worten nie angemessen ausdrücken können. Wenn ich etwa einer Person sagen will, dass ich sie liebe, dann beginne ich herumzustammeln und zu stottern. Denn meine Worte sind viel zu dürftig, um das zum Ausdruck zu bringen, was ich empfinde.
Das gilt auch für unsere religiöse Erfahrungen. Angesichts Gottes versagt unsere Sprache. Das Bilderverbot des Alten Testaments bringt dies zum Ausdruck: Dass wir uns von Gott keine Bilder und auch keine Sprachbilder machen können. Vor Gott sind wir sprachlos. Denn Gott ist der Namenlose, der Unaussprechliche. Zugleich aber wollen wir mit Gott in Beziehung treten. Und der ursprüngliche Sinn von Sprache ist ja, uns die Welt vertraut zu machen und Beziehung zu stiften. Was aber, wenn die religiöse Sprache das nicht mehr vermag? Wenn sie als fremd und befremdlich empfunden wird, dann bietet sie keine Heimat mehr. Wenn die religiösen Worte tot und kalt wirken? Wenn sie nichtssagend geworden sind, dann lassen sie Gott nicht mehr zu Wort kommen – und haben sie ihren ursprünglichen Sinn verloren.
Unser Wort Geheimnis meint: das Gesamt dessen, worin wir daheim sind. Die Vorsilbe Ge- meint im Deutschen das Gesamt, so wie etwa das Gebirge das Gesamt der Berge ist. Das Geheimnis ist also das Umfassende von Heimat, von Geborgenheit. Wenn Kinder ein Geheimnis haben, so meinen sie oft etwas, wo nur sie Zutritt haben, wo sie sich zurückziehen können. Das Wort Geheimnis ist auch ein religiöses Wort. Für religiöse Menschen ist Gott das Geheimnis dieser Welt, das heißt: das Gesamt, in dem alle Welt daheim ist oder irgendwann einmal nach Hause kommt. Gott als umfassende Wirklichkeit, der sich unsere kleine Wirklichkeit verdankt.
Doch von Gott reden ist schwer. Denn Geheimnis meint ja auch gerade, dass wir es nicht fassen können. Dass es uns entzogen ist. Vielleicht ist hier die Sprache der Poesie besonders gefragt. Wir können vom Mond der Weise der physikalischen Sprache reden: Die Masse, die Umlaufgeschwindigkeit. Und wir können vom Mond in der Sprache der Schönheit reden, der Maler, der Dichter. Von Gott können wir nur in dieser zweiten Sprache reden. Die umfassende Wirklichkeit entzieht sich jedem kühlen Kalkül. Weil sie umfassend ist, kann man sie nicht messen. Wer Gott begreifen will, vergreift sich. Ihn messen zu wollen, wäre vermessen. Es ist wie bei der Schönheit oder der Liebe. Man kann sich nur hingeben, sich loslassen, vertrauen. Dann kann es geschehen, dass ich erlebe: Ich bin getragen, geborgen, gehalten in einem größeren Ganzen, in einem Geheimnis.
Manchmal hilft ein Perspektivenwechsel, um das Altehrwürdige neu zu sehen und anders zu sagen.
von gott aus gesehen
ist unser suchen nach gott
vielleicht die weise wie er uns auf der spur bleibt
und unser hunger nach ihm das mittel
mit dem er unser leben nährt
ist unser irrendes pilgern
das zelt in dem Gott zu gast ist
und unser warten auf ihn
sein geduldiges anklopfen
ist unsere sehnsucht nach gott
die flamme seiner gegenwart
und unser zweifel der raum
in dem gott an uns glaubt
Wir können von Gott, der ja unermesslich ist, nie angemessen reden. Zugleich wohnen wir als Menschen im Haus der Sprache, wollen und müssen kommunizieren und als Christen sogar Zeugnis über unsere Erfahrungen abgeben. Aber nicht naiv und unbedarft, nicht in festgestanzten Sprachbildern der Tradition und schon gar nicht im Bewusstsein, dass ich mit dem Begriff auch schon die zur Frage stehende Sache ergriffen hätte. Wir können von Gott nie präzise, klar und eindeutig reden. Die sogenannte negative Theologie hat immer den Vorrang des Schweigens betont. „Negativ“ meint in diesem Zusammenhang nichts Abfälliges, sondern eine kritische Läuterung unserer Sprache und Bilder im Bezug auf Gott.
Die negative Theologie erinnert daran, dass man von Gott nichts aussagen kann, was man nicht zugleich auch wieder durchstreichen müsste. Schon Augustinus wusste: „Wenn du es begreifst, dann ist es nicht Gott.“ Und Thomas von Aquin formulierte später: „Wir wissen von Gott eher, was er nicht ist, als was er ist.“ Wer von Gott etwas sagen will, dem versagen sich die Worte.
Das Gesagte muss dem Ungesagten und eigentlich Unsagbaren erst abgerungen werden. Mit den Worten Latours: Es gibt keine religiöse Rede, die nicht zögerte, stotterte, unbeholfen wäre. (120)
Die Sprache von Gott müsste durchzittert sein, weil sie es wagt, von einem Unsagbaren zu sprechen. Man müsste einer solchen Sprache ihren Weg-Charakter anmerken, ihre Ungesichertheit, ihre Obdachlosigkeit.
Im Alten Testament findet sich die rührende Geschichte, wie Salomo Gott ein Haus bauen will. Und dann wird im berühmten Tempelweihgebet formuliert: „Die Himmel der Himmel fassen dich nicht. Wie viel weniger dieses Haus.“ Darauf Bezug nehmend habe ich ein Gedicht geschrieben:
salomos tempel
vermessenes raumangebot
für den unfasslichen
flüsterhalle des unaussprechlichen
zerstörung ist
vorprogrammiert als
richtfest des gottesbildes
nur die leerstelle
nie zu besetzen
ist Sein thron
Eine wichtige Gestalt des Alten Testaments, die uns alles leichtfertige Reden von Gott verbietet, ist Hiob. Angesichts des Leidens versagen alle glatten Rechnungen mit Gott. Man kann den Glauben an Gott nicht mit irdischem Wohlergehen verrechnen. Es bleibt ein Rätsel, warum die Welt so ist, wie sie ist. Es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Warum des Leidens. Glaubende wie Nichtglaubende verstummen vor dieser großen Frage.
Hiob
unter unbestirntem Nachthimmel
hin und her getrieben
von Irrlichtern des Schmerzes
die Knie aufgeschürft
vom vergeblichen Beten
Wundbrand des Zweifels
in schlaflosen Nächten
brüllst du den Himmel an
bleibst ihm keine Frage schuldig
Wortwechsel zwischen dir und ihm
werft ihr euch gegenseitig
die Fragezeichen an den Kopf
am Ende aber
stellt er die letzte Frage
und keine Antwort (mehr)
Gott ist also kein Lösungswort, sondern das letzte Wort vor dem Verstummen. Gott ist das Wort, das ins Schweigen führt. Wenn man „Gott“ gesagt hat, dann kann man nichts mehr hinzufügen. Wir haben mit dem Wort „Gott“ schon die letzte und höchste Möglichkeit des Sprechbaren überschritten. Jetzt bleibt nur noch das Schweigen und vielleicht die Anbetung.
Wie können wir dann von Gott reden? Heinrich Böll schrieb einmal: „Ich habe den Eindruck, dass die Theologie viel Sprache verbraucht und nicht viel sagt. (…) Sie ist ungeheuer wortreich und ausschweifend. Wenn sie formelhaft würde, auch im Sinne von (…) Poesie, könnte sie sich vielleicht (…) eher mitteilen.“
Vielleicht hilft uns also die Dichtung weiter. Denn Dichtung ist keine exakte Sprache – wie etwa die Sprache der Verwaltung oder der Technik Dichtung arbeitet mit der Vielschichtigkeit unserer Worte. Sie ruft Assoziationen auf, lässt Bilder entstehen, öffnet Räume, in denen jede und jeder seine eigenen Erfahrungen aufrufen kann.
Der Sinn für die poetische Sprache ist uns allerdings oft abhanden gekommen. Unsere gewöhnlichen Sprachwelten sind vom technischen Denken oder von den Kategorien der Verwaltung geprägt. Es geht um Exaktheit und um Information. Leider gibt es auch in der Kirche die Versuchung, die religiöse Sprache am Informationsmodell zu orientieren. Wenn etwa im Katechismus Gott und seine Eigenschaften wie in einem Lexikonartikel erklärt werden.
In Sachen Religion gibt es aber keine Informationen, denn Gott ist ja kein Sachverhalt, über den das Wort „Gott“ uns informieren würde. Gott ist ein Wirkwort: Die Nennung seines Namens will uns nicht informieren, sondern erschüttern, beglücken, bekehren. Das Wort „Gott“ ist ein sakramentales Wort, das nicht etwas erklären, sondern bewirken will. Religiöse Worte sind nicht informativ, sondern performativ. Es sind Wandlungsworte., die nicht nur Brot und Wein, sondern vor allem uns wandeln wollen.
Stellen sie sich einen Liebenden vor, der auf die Frage seiner Frau: Schatz, liebst du mich, antwortet: Aber ja, du weißt es doch. Ich habe es dir letztes Jahr schon gesagt. Er hat die Frage seiner Frau nicht verstanden. Sie wollte keine sachlich-kühle Information, sondern ein heißes Bekenntnis. Wenn unsere religiösen Worte uns nicht wandeln und verändern, dann sind sie sinnlos.
Wie finden wir zu Gott? Müssen wir den Himmel stürmen? Viele religiösen Bilder deuten nach oben. So auch das Bild der Jakobsleiter: Eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reicht. Vielleicht aber müssen wir gar nicht nach oben steigen.
Jakobsleiter
nur geträumt
die sprossen
hoch ins blau
steige lieber
die steinigen stufen hinab
in die lichtscheue
deiner katakomben
und wenn du
ganz zu grunde
gegangen bist
erwartet dich dort
der engel
Meister Eckard: Wenn ich nicht zu Grund gegangen wäre, dann wäre ich zugrunde gegangen. Ich muss also in meinen eigenen, tiefsten Grund hinabsteigen, um nicht zugrunde zu gehen.
Wdlh. des Gedichtes.
4. Jesus als das Wort Gottes für uns
Wir ringen oft um Worte, um uns selbst ins Wort zu bringen. Je wichtiger uns das ist, was wir sagen wollen, desto mehr fehlen uns die Worte. Die zentralen Erfahrungen unseres Lebens können wir mit Worten nie ganz angemessen ausdrücken. Nur von Gott können wir sagen, dass er der Logos ist. Er braucht nur EIN Wort, um sich selbst ganz zum Ausdruck zu bringen.
Gott ist unbegreiflich, so haben die Kirchenväter immer wieder betont. Aber zugleich gilt, was Leo der Große auf die geniale Formel gebracht hat: Gott ist unbegreiflich, aber er wollte sich begreiflich machen.Der Logos Gottes ist Wort geworden, damit wir das göttliche Wort hören können. Für mich als Christ ist das göttliche Wort in Jesus von Nazaret Fleisch geworden. Gott macht sich kommunikabel. Das Wort Gottes wohnt mitten unter uns. Und wir können es empfangen, hören, ihm antworten.
Ein weihnachtliches Gedicht:
krippe
im gedroschenen stroh
des leeren geredes
kein körnchen wahrheit mehr
täglich wächst der hunger
dass ein wort geboren werde
nahrhaft wie ein weizenkorn
Der unbegreifliche Gott macht sich in Jesus Christus angreifbar, bis zur letzten Konsequenz. Dass das Wort nämlich mundtot gemacht wird.
Doch als Christ darf ich hoffen dass derjenige, der das erste Wort hat, nämlich das Wort der Schöpfung, auch das letzte Wort haben wird. Im Anfang stand das Wort: Du sollst sein! Und: Es ist gut, dass du da bist. Und am Ende erhoffe ich ein letztes Wort, das unserem Leben einen letzten Sinn schenkt, eine Erfüllung, die bleibt.
Ostern
im anfang
war der tod
und der tod war alles
und alles war tot
doch dann das wort
liebeserklärung an das leben
und die tote materie
ist fleisch geworden
der tod aber
sitzt tief
und untergräbt
das leben
wenn ER aber
das wort ist
dann hält er wort
behält das letzte wort
Am Anfang war das Wort. Ganz am Ende aber zählen nicht mehr die Worte. Nur die Liebe bleibt. So sagt es Johannes vom Kreuz: Am Abend deines Lebens wird man nur deine Liebe prüfen. Die Frage nach der Liebe ist auch die letzte Frage, die Jesus im Johannes-Evangelium stellt. Petrus hat Jesus an einem Kohlenfeuer dreimal verraten. Und jetzt, nach der Auferstehung, fragt Jesus dreimal danach. Simon, liebst du mich?
Die Frage nach der Liebe
dreimal fragst du mich
das schmerzt
warum fragst du immer wieder
du weißt es doch
oder willst du es einfach hören
immer wieder hören
fragst du damit ich es nie vergesse
und immer neu sagen lerne
ja dann frage mich
frag immer wieder
frag immer neu
ach höre nie auf zu fragen
Im Anfang war das Wort. Sprache ist etwas Urmenschliches. Das Menschsein beginnt mit der Sprache. Schon die alten Griechen definierten den Menschen als das Lebewesen, das den logos hat, d.h. Wort, Sprache und Vernunft.
Was ist Sprache? Sprechen können nur Lebewesen, die damit etwas Inneres zum Ausdruck bringen. Steine können nicht sprechen. Sie sind tot und haben kein Innenleben. Wenn wir sagen, dass Steine schreien, so ist dies eine Metapher, welche die Steine selber nicht verstehen können. Im Unterschied zu den Steinen haben schon die primitivsten Lebewesen ein „Innenleben“, insofern sie äußere Einflüsse wahrnehmen und darauf reagieren können.
Es gibt das Empfinden von Schmerz, das zurückweichen lässt und es gibt das Lockende, das anzieht. Solche Reaktionen sind Aus-Druck eines Innen: Das Lebewesen flieht, um einen Schmerz zu vermeiden. Umgekehrt lässt es sich von Licht oder Wasser anziehen. In menschliche Sprache übersetzt bedeutet diese Äußerung: Ich mag das nicht! Oder: Ich will etwas! Dieser „subjektive“ Ausdruck kann zum Signal werden, das Artgenossen oder Feinden etwas sagen will.
So gibt es auch Kommunikation zwischen Tieren, etwa mit Hilfe von chemischen Botenstoffen, von Gesten und Lauten. Der abschreckender Geruch eines Wanze wird zum Warnsignal. Das attraktive Zirpen der Grille kommuniziert die Bereitschaft zur Paarung. Mit der Höherentwicklung der Lebewesen werden auch die Kommunikationssysteme komplexer und vielsagender: Eine Biene, die einen blühenden Baum gefunden hat, kann daheim eine Art von Freudentanz aufführen. Durch diesen Schwänzeltanz werden ihre Artgenossen dazu verlockt, in einer bestimmten Richtung eine Nahrungsquelle zu suchen. Alle Sinne können der Kommunikation dienen: Optische und akustische Signale, aber auch Berührung, Geruch und Geschmack können eine Botschaft vermitteln. Manche Tierarten verfügen über ein breites Spektrum von Signalen. Ein Hund kann durch Bellen, Knurren und Jaulen seine Befindlichkeiten und Gefühle sehr nuanciert zum Ausdruck bringen.
Es gibt also Gemeinsamkeiten zwischen Mensch- und Tiersprache. Wenn der getroffene Hund bellt, gibt er seinen Schmerz kund, ähnlich wie ein Mensch, der vor Schmerz aufschreit. Allerdings: Während getroffene Hunde auf der ganzen Welt in gleicher Weise jaulen, schreit der Deutsche „Au“, der Spanier„ai“ oder der Grieche: „iou“.
Haben Primaten eine Sprache? Unlängst hat die Primatenforscherin Julia Fischer (in: Der Tagesspiegel, 11. Juli 2013, S. 20) behauptet: Primaten haben keine Sprache. Ihre Rufe erfüllen zwei Anforderungen nicht, die wir an Sprache stellen. Da sind zunächst Wörter. Innerhalb einer Sprachgemeinschaft einigt man sich, dass ein bestimmtes Wort eine bestimmte Bedeutung hat. Und das muss gelernt werden. Dieser Zusammenhang ist willkürlich: Man kann einen Tisch „Tisch“ nennen und ein Bett „Bett“. Oder umgekehrt einen Tisch „Bett“. Solange sich alle einig sind, ist das frei wählbar. Die zweite Anforderung ist Grammatik – wir setzen Wörter in größere Zusammenhängen zusammen und erzeugen damit neue Bedeutungen. Das schaffen Primaten nicht.
Mit Training hat man versucht, Affen eine Symbolsprache oder eine Art Gebärdensprache beizubringen. Die Ergebnisse sind sehr bescheiden. Sie wenden das in der Natur einfach nicht an, obwohl sie die Fähigkeit dazu haben. Warum tun sie das nicht? Man vermutet, das ihnen das Mitteilungsbedürfnis fehlt. Sie verstehen vermutlich gar nicht, dass sie eine eigene Erlebniswelt haben, die sie mit jemand anderem teilen wollen. Sie gehen wohl eher davon aus, dass alle in derselben Welt leben. Chesterton hat diese Vermutung in einen spöttischen Satz gekleidet: Affen haben keine Sprache, weil sie nichts zu sagen haben.
Aller Wahrscheinlichkeit nach haben erst unsere unmittelbaren Vorfahren eine Sprache entwickelt. Doch warum? Nehmen wir die Neandertaler, die wahrscheinlich über eine rudimentäre Sprache verfügten. Auf jeden Fall waren sie anatomisch zum Sprechen in der Lage. Vermutlich hat sich zu einer bestimmten Zeit wahnsinnig viel im Gehirn getan. Am Anfang stand die Einsicht, dass die anderen Individuen ein eigenes Leben haben, einen eigenen Wissensstand. Wenn man das begriffen hat, sind der Druck und der Wert zu kommunizieren, viel größer. Hierzu kommt noch eine Besonderheit von Sprache: Sie bedeutet auch, sich gegenseitig zu informieren und nicht nur zu manipulieren.
Die frühen Menschenformen verfügten wahrscheinlich über ein noch kleines Repertoire von Lauten, um Wohlbefinden, Angst oder Warnung auszudrücken. Mit der Zeit wurden Worte geprägt, die nicht nur innere Gefühle, sondern auch äußere Handlungen und Gegenstände bezeichneten. Wann man auf etwas deuten und zugleich einen Laut dazu äußern konnte, so bekam der Laut eine Be-deutung. Die Sprache war geboren. Ja, es zeigte sich, dass der Mensch ein Sprachgenie ist: er findet immer mehr Worte, erfindet Zeichen und schließlich die Schrift.
Eine interessante These zum Ursprung der Sprache wurde Dean Falk, einer Neurowissenschaftlerin und Anthropologin aufgestellt. (Mütter, Kinder und der Ursprung des Sprechens, München, 2010). Biologisch gesehen spielen zwei wichtige Faktoren eine Rolle bei der Menschwerdung des Menschen: Der aufrechte Gang und die Vergrößerung des Gehirns. Doch beides geht nicht gut zusammen: Denn anatomisch wird durch den aufrechten Gang die Größe des Geburtskanals begrenzt. Babies mit zu großen Köpfen können nicht geboren werden. Das Wachstum des Gehirns muss also teilweise nach der Geburt stattfinden.
Und daher sind menschliche Babies so hilflos. Sie verfügen nicht über das große Spektrum angeborener Reflexe, wie sie sich bei den Tierbabies finden. Neugeborene Affen haben einen Klammerreflex und können sich sofort am Muttertier festhalten. Menschenbabies können sich aus eigener Kraft nicht an der Mutter festhalten. Daher muss die Mutter bei der Nahrungssuche das Kind auf dem Boden ablegen. Hier kommt es zu einer Urangst – nämlich der zeitweiligen Trennung von Mutter und Kind. Vielleicht ist in diesem Trauma der Ursprung der Sprache zu suchen. Denn das Kind reagiert auf diesen Trennungsschmerz mit Winseln oder Schreien.
Die Mutter baut umgekehrt den Kontakt zum Kind auf, indem sie ebenfalls mit Lauten antwortet. Es kommt zu einem Hin und Her von Klängen, eine Vorform der Kommunikation und gegenseitigen Beruhigung, dass doch alles in Ordnung ist. Das Kind wusste, dass die Mutter noch in der Nähe ist. Und die Mutter wusste, dass es dem Kind gut geht. Die früheste Sprache war also eine Art Geborgenheitsersatz für den fehlenden Körperkontakt. (CiG 62. S.589f)
Bei Schimpansen können wir beobachten: Solange sich das Kind bei der Mutter festgeklammert hält, ist es ruhig. Wenn es getrennt wird, beginnt es zu nörgeln. Weil sich das Kind im Normalfall an der Mutter angeklammert hält, braucht es keine Sprache, um die fehlende Distanz zu überbrücken.
Menschliche Neugeborene dagegen schweigen nicht. Sie bringen Freude und Glück durch glucksende und juchzende Laute zum Ausdruck. Schmerz oder Unwohlsein durch Schreien. Und dabei gibt es ein ganzes Spektrum verschiedenster Ausdrucksweisen. Babies erkennen ihre Mutter an der Sprache. Und die Mutter beruhigt und tröstet ihr Kind durch Reden. Auf der ganzen Welt sind Wiegenlieder bekannt, deren einfache Melodien Kinder in den Schlaf singen. Am Beginn der Sprache stehen also Gefühlsregungen und der Wunsch nach Verlässlichkeit und Geborgenheit. Sprache will Beziehung stiften. Sie vermittelt das Gefühl von Nähe, Vertrautheit, Heimat.
Der Mensch ist das Wesen der Sprache. Lange bevor das Neugeborene zu sehen beginnt, kann es schon hören. Das Hörorgan ist nach der Haut das zweite Organ des Menschen, das in seiner embryonalen Entwicklung funktioniert. Zuerst kommt das Fühlen –und gleich danach das Hören. Kinder hören im Mutterleib schon ab dem 3. Monat die Stimme ihrer Mutter und lernen den Klang ihrer Sprache. Das Grundmuster des Hörens, des Verstehens und des Sprechens, wird hier schon grundgelegt. Dem Körper ist das Ohr so wichtig, dass nirgendwo am ganzen Leib so viele Nerven enden wie am Ohr.
Im Hören nimmt der Mensch wahr, wohin er ge-hört. Hören und Beheimatung stehen in einem engen Zusammenhang. Ich gehöre dahin, wo mich etwas anspricht. Wer im Ausland war und dort nicht versteht, was gesprochen wird: weiß: Durch Sprache wird man heimisch. Wir reden von Mutter-Sprache.
In der Muttersprache wächst das Kind heran und findet immer mehr zu sich und seiner Identität. Die Mutter spricht das Kind an. Die ersten Worte, die das Kind hört, prägen auch das Gemüt des Kindes. (A. Grün, Achtsam Sprechen, S. 16). Wenn Menschen in ihre Heimat kommen, dann spüren sie das Besondere des Dialektes und der Sprachmelodie. Hilde Domin hat in besonderer Weise auf die Sprache als Heimat aufmerksam gemacht, wenn sie schreibt: Für mich ist die Sprache das Unverlierbare, das letzte, unabnehmbare Zuhause. (vgl. A. Grün, Achtsam sprechen, 17). So gehört die Sprache zum Menschsein dazu: Wir werden in eine Sprache hineingeboren, die uns Beheimatung und Geborgenheit schenkt.
Wie kommt es nun zur Ausprägung einer differenzierten Sprache? Von Geburt an bringen Babies ihr Unbehagen durch Laute zum Ausdruck. Im ersten Lebensjahr lernen sie dann, Laute als Appell einzusetzen, um Nahrung zu erhalten. Und sie beginnen, Laute spielerisch nachzuahmen. Etwa im Alter von einem Jahr beginnt die Sprache: Kinder lernen nämlich, einzelne Wörter als Zeichen zu verstehen, die etwas bedeuten. Ma-Ma. Dieses Wort wird mit einer ganz bestimmten Betonung und mit Gesten und Gesichtsausdruck vermittelt – das Wort wird gefühlsmäßig aufgeladen und so lernt das Kind seine tiefe Bedeutung kennen. Ab anderthalb Jahren werden schon kleine Sätze verstanden und gespeichert. Daher auch die wissbegierigen Fragen im zweiten Lebensjahr: „I’sn das“ – um von möglichst vielen Dingen die Benennung zu erfahren. Die Was-Frage prägt die Entwicklung bis zum dritten Lebensjahr einschließlich. Ähnliches ist auch von den intelligentesten Tieren unbekannt. Dann kommt es zur Warum-Frage, um die Welt zu verstehen und sie zu werten (bis zum 6. Lebensjahr).
Wie kommt es nun zu konkreten Wörtern oder Ausdrücken? Vielleicht entstanden in der Menschheitsgeschichte die ersten Worte durch Plappern. So wie Kinder. Bababa – mamama. Die ersten Wörter ahmen manchmal noch das Bezeichnete nach: BumBum – für Trommel. Oder Wauwau für Hund. Anfänglich sind manche Worte wohl durch Onomatopöie (lautnachahmend) entstanden: etwa Kuckuck. Oder eine Katze miaut. Es gibt lautmalerische Wortspiele, etwa im lateinischen: tamquam sunt sub aqua sub aqua maledicere temptant. Für die, die kein Latein können: Worum geht es?
Oder denken wir an das Wort „zischen“ – hören Sie, wie es zischt?
Doch die Erklärung durch Lautmalerei trifft nur in wenigen Fällen zu, und auch dort begrenzt. Die deutschen Hähne machen: Kikeriki, die französischen Hähen: Cocorico.
Die Übertragung von Äußerungen auf das Tier ist meist willkürlich: Der Hahn kikerikit nämlich nicht, sondern kräht. Trotzdem heißt er nicht Krähe, sondern Hahn. Man kann also nicht recht erklären, wie eine Sprache die Dinge benennt. Die Entstehung der Sprache ist hoch komplex und hat Eigengesetzlichkeiten oder Willkür. Der Herkunft vieler Worte lässt sich also nicht nachvollziehen.
Es gab Zeiten, da war man auf der Suche nach der Ursprache. Manche meinten: Hebräisch sei die Ursprache der Menschheit, weil ja die Bibel den Anfang der Welt und des Menschen auf hebräisch beschreibt. Um die Ursprache zu finden, hat Friedrich II ein Experiment gestartet. Er ließ Kinder nach der Geburt von ihren Müttern isolieren. Diese Kinder bekamen Nahrung, Körperpflege und alles, was sie brauchten. Nur man redete nicht mit ihnen, um so herauszufinden, in welcher Sprache diese Kinder sich dann äußern würden. Doch die Kinder starben. Was zeigt: Wir Menschen sind auf Sprache lebensnotwendig angewiesen. Aber eine angeborene Urprache gibt es nicht.
Unsere Welt ist gesprächig. Zusammenleben findet nicht nur einfach statt, sondern muss besprochen werden. Deutung legt sich wie ein Netz über die Dinge. Text heißt wörtlich „Gewebe“. Denken wir an das Wort „Textilien“. Dieses legt sich als zweite Haut über die Wirklichkeit und zwar manchmal so dicht, dass die erste Wirklichkeit darunter verschwindet oder eine andere Gestalt annimmt. Es gibt Textilien, die uns gut kleiden – und solche, die uns entstellen. In ähnlicher Weise lässt Sprache die Wirklichkeit erscheinen – oder sie verdunkelt sie.
Die alten Griechen, noch lange bevor sie Philosophen waren, sprachen als Fischer vom Netz: logos, mit dem sie Fische an Land zogen. Die Maschenweite bestimmte die Größe des Fangs. So wird das Netz zur Sprache. Logos heißt dann auch Sprache, Vernunft, Wort. Mit Hilfe des Logos zieht man die Wirklichkeit an Land. Dinge werden durch die Sprache ausgelesen oder erst sichtbar.
Sprache gehört, wie die Kleidung oder das Haus – zur Kultur, um uns Menschen die rohe Natur wohnlich zu machen. In dieser unersetzlichen Aufgabe der Deutung, der Humanisierung von Welt liegt aber auch die Versuchbarkeit von Sprache. Sprache kann auch blind machen und täuschen. Worte können die Wirklichkeit kaschieren oder verzerren.
Wir können hier an die Unworte des Jahres denken: Kollateralschaden, Herdprämie, notleidende Banken, Menschenmaterial, Entlassungsproduktivität, Menschenrest (schwerst pflege-Bedürftiger), Humankapital. Dieses Jahr war das Unwort: „Sozialtourismus“.
Sprache kann Wirklichkeit verzerren – oder helfen, uns in der Welt zurecht zu finden. Worte können kalt und tot sein – oder sie können uns helfen, ins zurechtzufinden in dieser Welt. Denn der Mensch ist ein Mängelwesen. Er ist gezwungen, Unbekanntes zu deuten. Und dabei ist er auf vorherige Generationen angewiesen. Er muss Richtlinien im Chaos der Eindrücke aufstellen, um rein biologisch zu überleben. Wenn alle Sinneseindrücke einer Situation auf den Menschen ungefiltert hereinbrechen würden, so könnte sein Bewusstsein dies nicht bewältigen. Er würde in der ungeordneten Fülle der Eindrücke ertrinken. Erst indem er selektiv erkennt, d.h. im Erkennen auswählt und ordnet, gewinnt er einen Überlick.
Das Tier ist immer schon daheim – der Mensch muss im Un-Heimlichen erst heimisch werden. Eben diesem Vorgang entspricht die Sprache: Sprache ist Deutung des Vieldeutigen, ist Tradition erprobter und bewährter Ordnung. Durch die Sprache wird meine Aufmerksamkeit auf bestimmte Hinsichten gelenkt. Die Welt wird mir dadurch vorsortiert angeboten. Weil sich der Mensch eine nicht instinkthaft vorgeordnete Wirklichkeit überschaubar machen muss, ist für ihn die Sprache so lebensnotwendig wie für das Tier der Instinkt.
Sprache bannt die Welt in ihrer gefährlichen Unbekanntheit. Etwas benennen oder einen Namen geben bedeutet, etwas kennen, damit umgehen können. Etwa ein dumpfes Gefühl: Wenn ich es ausspreche und ihm einen Namen gebe, kann ich leichter damit umgehen. Eltern geben Kindern einen Namen – das ist wie eine Zeugung: Jetzt bist zu jemand. Der Nachname schenkt Zugehörigkeit zu einer Familie. Ursprünglich hieß es ja: Sohn des XY. Man gehört zur Sippe. Man hat eine Identität.
Name
dein Name
nicht Schall und Rauch
sondern Klang und Bild
ein gutes Omen
unverwechselbarer Schriftzug
Buchstaben des Lebens
dein Name
von der Liebe erfunden
zärtlich geflüstert
kein einsames Echo
sondern Widerhall des Herzschlags
Passwort zu dir
dein Name
Lebenslinie in SEINER Hand
unvergänglicher eingraviert
als in granitesten Grabstein
Lieb-Kose-Name
unaufhörlich
Die Sprache ist ein individuelles und ein kollektives Phänomen. Ich lerne die Sprache in Kontakt mit anderen. Eine Mutter muss einem Kind einen Laut sehr oft vorsagen, bevor das Kind den Laut nachahmt und das erste Wort formuliert. Kinder lernen eine Sprache, indem sie zuhören. Sie entwickeln ein Gefühl für Stimmungen, Tonlagen und Inhalte. Sie kennen die Bedeutung von Sätzen und Worten, bevor sie diese selbst benutzen können. Die Sprache ist eine Hilfe, um die Welt zu verstehen. Oft erschaffen Kinder eigene Worte, die ihre eigene Gedankenwelt widerspiegeln. (Natalie Knapp, Anders denken lernen, 134)
Jeder Mensch formt die Welt mit seiner eigenen Sprache und wird zugleich selbst geformt von der Sprache, die ihn umgibt. (ebd. 140) „Jeder Einzelne lebt von der Sprache aller. Wir übernehmen die Sprache, wir machen sie nicht einfach.“ (K. Lehmann, Wer ist Gott?, 15) Wir stricken alle an ihr fort im Gewebe der Worte und Wörter. Durch Sprache werden wir wirklich und durch Sprache entdecken wir die Wirklichkeit.
In der Bibel gibt der Mensch gibt den Tieren einen Namen. Damit wird die Herrschaft des Menschen über das Reich der Tiere zum Ausdruck gebracht.
Das mythische Denken, das älter ist als die Philosophie, versucht, sich das Unfassbare an der Welt mit Bildern vertraut zu machen. Das Unbegreifliche wird vermenschlicht: Etwa der Donner: Ein Gott poltert. Ein Blitz: Gott schießt Pfeile ab. In dieser Epoche der Menschheitsgeschichte hat die Sprache magische Züge. Name und Benanntes sind so eng verbunden, dass der Gebrauch des Namens über eine Sache verfügen kann. Segen und Fluch sind direkt wirksam.
Die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort, heißt es bei Eichendorf. Ein Zauberwort öffnet Tür und Tor zur Wirklichkeit. Denken wir an: Sesam öffne dich …Ein magisches Sprachverständnis findet sich in vielen Märchen, etwa bei: Rumpelstilzchen: Das hinterhältige Männchen verhilft der Müllerstochter zunächst aus ihrer misslichen Lage. Als das Mädchen schließlich Königin wird, verlangt das Männchen ihr Erstgeborenes als Lohn, es sei denn, sie wisse innerhalb von drei Tagen seinen Namen. Zwei Tage lang nennt die Königin die falschen Namen. Am dritten Tag berichtet ihr ein Bote, dass er das Männlein im Wald beobachtete, wie es sang: Heute back ich, morgen brau ich, übermorgen hole ich der Königin ihr Kind; ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß.
Als das Männlein ein drittes Mal kommt, sagt die Königin: „Heißt du etwa Rumpelstilzchen?“ „Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt“ schrie das Mänchen und stieß mit dem rechten Fuß vor Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den Leib hinabfuhr, dann packte es in seiner Wut den linken Fuß mit beiden Händen und riss sich selbst mitten entzwei. Rumpelstilzchen verliert alle Macht, sobald sein Name bekannt wird.
Im Märchen ist der Name mit einem Schlüssel oder Code vergleichbar, der neue Möglichkeiten eröffnet. Wer den Namen kennt und nennt, hat Macht.
Auch Jesus nutzt namensmagisches Wissen. Den Besessenen von Gerasa fragt er: Wie ist dein Name? Als dieser seinen Namen „Legion“ preisgibt, hat Jesus Macht über ihn. Eine Zauberformel lautet: Hocuspocus – eine Verballhornung von „Hoc est corpus“ – Das ist mein Leib. – Wir sehen, dass auch im Sakramentenverständnis ein magisches Sprachverständnis vorkommt: Wandlung geschieht durch ein Zauberwort.
Auch heute noch finden sich Reste eines magischen Verständnisses von Sprache, etwa in der Formel: Toi, toi, toi. Ein anders Beispiel für ein magisches Sprachverständnis: wir haben Angst, dass eine Sache scheitert, wenn sie beschrien wird. So nach dem Motto: Rede nicht zu viel darüber – sonst wird’s nichts.
Oder: Es gibt Umschreibungen, weil man fürchtet, die Dinge direkt beim Namen zu nennen: Der „Gottseibeiuns“ für Teufel. Man hat Angst, vom Tod zu reden, weil das den Tod herbeirufen könnte. So nach dem Motto: Wenn man den Teufel nennt, kommt er g’rennt. Statt zu sagen: Jemand ist gestorben, bevorzugen wir: er hat das Zeitliche gesegnet oder er ist heimgegangen.
Den Namen wissen heißt Macht haben. Sprachverlust ist Rückkehr ins Chaos – Denken wir an das Elend von Kaspar Hauser. Umgekehrt gilt, was Kafka sagt. „Wenn man die Herrlichkeit des Lebens mit dem richtigen Namen ruft, dann kommt sie.“ (Kafka)
5. Der Verlust der religiösen Sprache
Ich stamme aus Süddeutschland und habe auch in Italien und Bolivien gelebt. Aber die Welt in Ostdeutschland ist mir im Blick auf die Religion sehr fremd. Denn vieles von dem, war mir wichtig ist, kann ich mit den Nachbarn oder Freunden nicht teilen. Wenn ein nichtreligiöser Bekannter zu uns zu Besuch kommt, fällt es mir schwer, ihm zu erklären, was die Kapelle in unserer Wohnung bedeutet. Vielleicht denkt man bei Kapelle nur an „Musikkapelle“. Was ist eine Kapelle? Ein Raum, in dem wir beten. Aber was ist Beten ist. Reden mit Gott? Kann man mit Gott reden? Wenn ich über meine religiösen Erfahrungen reden soll, verschlägt es mir die Sprache. Es fehlen mir einfach die Worte. Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt (Ludwig Wittgenstein).
Eine ganz andere Erfahrung machte ich in Bolivien, wo ich manchmal in einem Indio-Dorf „Beichte hörte“. Die Leute sprachen nur Quechua, eine indigene Sprache, die mir unbekannt war. Ich begann den Beicht-Ritus auf spanisch. Dann bekannten die Leute ihre Sünden auf Quechua. Am Schluss erteilte ich die Lossprechung auf Spanisch. Obwohl wir keine gemeinsame Sprache hatten, konnten wir uns verstehen. Denn wir waren im gleichen religiösen Kosmos mit seinen Riten und Erfahrungen daheim. Ich wusste, dass die Menschen ihre Sünden bekannten. Und die Leute wussten, dass ich von der Barmherzigkeit Gottes und von Vergebung sprach. In Leipzig sprechen religiöse und nichtreligiöse Menschen deutsch.
Und doch gibt es wesentliche Erfahrungen, die sie nicht miteinander austauschen können. Können wir von unserer Gottes-Erfahrung reden? Wann und wie hast du Gott erfahren? Wir merken, dass uns oft die Spucke wegbleibt und wir sprachlos sind. Uns sind die Bilder abhanden gekommen, um solche Erfahrungen sprachlich zu kommunizieren. Wir suchen Hoffnung, Vergebung, Segen und wollen unsere Endlichkeit und die Sehnsucht nach dem Bleibenden thematisieren. Aber es fehlen die Worte…
Ursprünglich will Sprache uns die Welt vertraut machen und Beziehung stiften. Was aber, wenn die religiöse Sprache das nicht mehr vermag? Wenn sie als fremd und befremdlich empfunden wird, dann bietet sie keine Heimat mehr. Wenn die religiösen Worte tot und kalt sind, nichtssagend, dann haben sie ihren ursprünglichen Sinn verloren.
Der Sprache geht es um das Ganze der Welt. Denn Kommunikation will ja die verschiedenen und unterschiedlichen Aspekte miteinander verknüpfen und zu einem gesamten Weltbild weben. Wenn es um das Ganze geht, dann stellt sich auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Und hier wird die Sprache zum Medium, um tiefer zu schauen. Begriffe sind ja nicht eindeutig, sondern es schwingen sehr verschiedene Bedeutungen mit. Auf etwas deuten will auch sagen: Ich weise auf etwas hin und zugleich weise ich über es hinaus. Es hat eine Bedeutung. So wird die Sprache zum Medium für Sinn.
Es ist eine der großen Herausforderungen an die Theologie, diese tiefere Dimension aller Dinge offen zu legen. Also: die Welt deuten zu helfen und erfahrbar zu machen, dass hinter den Dingen noch mehr steht. Ingeborg Bachmann sage einmal: Es muss noch mehr als alles geben. Haben wir einen Namen für dieses „mehr“? In welcher Sprachform können wir heute vom religiösen Mehrwert unserer Welt reden?
Wir wollen unser Inneres zum Ausdruck bringen: Unsere Gedanken, Erfahrungen, Gefühle. Dichtung will helfen, den Alltag zu entschlüsseln. Was wir tagtäglich erleben, erscheint uns oft banal, dumpf, stumpf und stupide. Aber vieles enthält eine geheime Tiefe, an der wir achtlos vorüberhasten. Das Gedicht will Sehhilfe sein, um das verborgene Mehr zu entdecken.
Klopfzeichen
in der Traurigkeit
für die du keinen Namen findest
in der Unruhe
die dich ziellos umhertreibt
in den Träumen
die dir schlaflose Nächte bereiten
im dem Heimweh
das dich zuhause befällt
in der Sehnsucht
die ausufert nach immer mehr
in all deinem Nichtfinden
da sucht er dich
Wie können wir es wagen von Gott zu reden? Im Anfang war das Wort. Und das Wort ist Fleisch geworden. Und wir haben es in den Mund genommen. Das Sakrament des Leibes Christi. Und das Sakrament des Wortes.
Das göttliche Wort in den Mund nehmen? Nehmen wir dabei nicht den Mund zu voll? Kann man das Wort „Gott“ in den Mund nehmen, ohne sich wie bei einer heißen Kartoffel die Zunge zu verbrennen? Oder ist das göttliche Wort längst abgekühlt, und wir schmecken nur noch die fade Asche einer ausgebrannten Sprache?
Wer ist Gott? Wir sagen, dass Gott ein Geheimnis ist. Er ist das, worüber hinaus nichts größeres gedacht werden kann., hat Anselm von Canterbury formuliert.
Deus semper maior. Gott ist immer größer als unsere Worte, Bilder, als unsere Begriffe.
Die großen Theologen warnen uns daher: Wenn du ihn begriffen hast, dann ist es nicht Gott. Eigentlich kann man von Gott nicht angemessen reden. Die Sprache von Gott müsste durchzittert sein, weil sie es wagt, von einem Unsagbaren zu sprechen. Man müsste einer solchen Sprache ihre Obdachlosigkeit anmerken, ihren Weg-Charakter, ihre Ungesichertheit. Aber oft sind wir unbeholfen in unserer Sprache und wollen Gott fassen. Wir reden von ihm, als ob wir ihn begriffen hätten. Wir wollen Gott fixieren, ihn in den Griff bekommen.
Gott ist also kein Lösungswort, sondern das letzte Wort vor dem Verstummen. Gott ist das Wort, das ins Schweigen führt. Wenn man „Gott“ gesagt hat, dann kann man nichts mehr hinzufügen. Wir haben mit dem Wort „Gott“ schon die letzte und höchste Möglichkeit des Sprechbaren überschritten. Jetzt bleibt nur noch das Schweigen und die Anbetung.
Gott ist keine Vokabel, die das Kreuzworträtsel unseres Lebens löst. Wort mit vier Buchstaben… als Antwort auf alle Fragen. – Gott ist keine Zauberformel. Sondern ein Wort der Hoffnung, dass das Ungelöste unseres Lebens einen Raum findet.
Wir sprechen von Ge-heimnis. Darin steckt das Wort – heim. Also: Heimat, daheim. Und dann gibr es eine Vorsilbe: Ge- . Und diese meint das Gesamt, so wie das Gebirge das Gesamt der Berge ist. So ist das Ge-heimnis das Gesamt dessen, worin wir daheim ist.
Gott ist das Geheimnis der Welt.
Wie aber können wir von unserer Gottes-Erfahrung reden? Wann und wie hast du Gott erfahren? Wir merken, dass uns oft die Spucke wegbleibt und wir sprachlos sind. Uns sind die Bilder abhanden gekommen, um solche Erfahrungen sprachlich zu kommunizieren. Wir suchen Hoffnung, Vergebung, Segen und wollen unsere Endlichkeit und die Sehnsucht nach dem Bleibenden thematisieren. Aber es fehlen die Worte… Vor den Wundern des Lebens fühlen wir uns wie Parzival in der Gralsburg: Unfähig, auch nur eine einzige Frage zu stellen.
Gedichte sind ein tastender Versuch, die Sprachlosigkeit zu überwinden und wieder neu zu entdecken: die staunenden Fragen, die zärtlichen Augenblicke, die angsterfüllten Schmerzen, das übersprudelnde Glücksgefühl, kurz gesagt: die großen und kleinen Wunder des Lebens. (Sabine Janson)
wo bist du
ich rudere
zu gott
ins uferlose
ich greife
nach gott
ins unfassliche
ich schreie
nach gott
ins unerhörte
ich spähe
nach gott
im aussichtlosen
ich brenne
nach gott
noch im erloschenen
Es gibt Erfahrungen, die wir in Worten nie angemessen ausdrücken können. Das gilt vor allem für religiöse Erfahrungen. Das Bilderverbot des Alten Testaments bringt genau dies zum Ausdruck: Dass wir uns von Gott keine Bilder und auch keine Sprachbilder machen können. Vor dem Geheimnis Gottes bleiben wir immer sprachlos. Denn Gott ist der Namenlose, der Unsagbare, der Schweigende.
Und doch hat Gott uns angesprochen, hat uns eine Sehnsucht ins Herz gepflanzt. Eine Unruhe, nach ihm zu suchen. Augustinus sagt: Auf dich hin sind wir geschaffen und unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir.
Wie aber finden wir zu Gott? Müssen wir den Himmel stürmen? Viele religiösen Bilder deuten nach oben. So auch das Bild der Jakobsleiter: Eine Leiter, die von der Erde bis zum Himmel reicht. Vielleicht aber müssen wir gar nicht nach oben steigen.
Jakobsleiter (Weiter, 20)
nur geträumt
die sprossen
hoch ins blau
steige lieber
die steinigen stufen hinab
in die lichtscheue
deiner katakomben
und wenn du
ganz zu grunde
gegangen bist
erwartet dich dort
der engel
Meister Eckard: Wenn ich nicht zu Grund gegangen wäre, dann wäre ich zugrunde gegangen. Ich muss also in meinen eigenen, tiefsten Grund hinabsteigen, um nicht zugrunde zu gehen.
Wir ringen oft um Worte, um uns selbst ins Wort zu bringen. Je wichtiger uns das ist, was wir sagen wollen, desto mehr fehlen uns die Worte. Die zentralen Erfahrungen unseres Lebens können wir mit Worten nie ganz angemessen ausdrücken. Nur von Gott können wir sagen, dass er der Logos ist. Er braucht nur EIN Wort, um sich selbst ganz zum Ausdruck zu bringen.
Für uns Christen ist ist das göttliche Wort Fleisch geworden. Er macht sich kommunikabel. Das Wort Gottes wohnt mitten unter uns. Und wir können es empfangen, hören, ihm antworten.
Ein weihnachtliches Gedicht:
krippe
im gedroschenen stroh
des leeren geredes
kein körnchen wahrheit mehr
täglich wächst der hunger
dass ein wort geboren werde
nahrhaft wie ein weizenkorn
Wir hoffen darauf, dass derjenige, der das erste Wort hat, nämlich das Wort der Schöpfung, auch das letzte Wort haben wird. Im Anfang stand das Wort: Du sollst sein! Und: Es ist gut, dass du da bist. Und am Ende erhoffen wir ein letztes Wort, das unserem Leben einen letzten Sinn schenkt, eine Erfüllung, die bleibt.
Ostern (S. 43)
im anfang
war der tod
und der tod war alles
und alles war tot
doch dann das wort
liebeserklärung an das leben
und die tote materie
ist fleisch geworden
der tod aber
sitzt tief
und untergräbt
das leben
wenn ER aber
das wort ist
dann hält er wort
behält das letzte wort
Am Anfang war das Wort. Ganz am Ende aber zählen nicht mehr die Worte. Nur die Liebe bleibt. Am Abend deines Lebens wird man nur deine Liebe prüfen. Die Frage nach der Liebe ist auch die letzte Frage, die Jesus im Johannes-Evangelium stellt. Und er stellt sie gleich drei mal.
Die Frage nach der Liebe
dreimal fragst du mich
das schmerzt
warum fragst du immer wieder
du weißt es doch
oder willst du es einfach hören
immer wieder hören
fragst du damit ich es nie vergesse
und immer neu sagen lerne
ja dann frage mich
frag immer wieder
frag immer neu
ach höre nie auf zu fragen
„Im Anfang war das Wort.“ So etwas kann man vielleicht von Gott sagen. Aber nicht von uns Menschen. Für uns gilt: Im Anfang war das Erleben. Das Wort kommt erst später. Erleben können nur Lebewesen. Steine verändern sich, aber sie erleben das nicht. Das Erleben ist zunächst etwas Inneres. Ich erlebe etwas. Ich wache auf und habe gute Laune. Oder ich erwache und habe Zahnschmerzen. Ich bin traurig oder ich spüre eine unbeschreibliche Leichtigkeit. Dieses mein Erleben ist mein innerstes Privatleben.
Niemand kann das von außen exakt wahrnehmen. Natürlich kann man mir ansehen, ob es mir gut oder schlecht geht. Aber mein Gesicht kann auch eine Maske sein. Ich kann meine Gefühle verstecken. „Doch wie das drinnen aussieht, das geht niemand was an!“ Nur ich weiß, wie es mir geht oder wie sich mein Schmerz anfühlt. Andere Menschen können mitfühlen, weil sie Ähnliches erlebt haben. Aber mein Zahnschmerz ist und bleibt mein Zahnschmerz, den nur ich so empfinde.
Was wir innerlich erleben, das wollen wir oft auch äußern. Wir Menschen haben viele Möglichkeiten, unser inneres Erleben nach außen zu zeigen. Unsere Körperbewegungen, unser Mienenspiel, Lachen und Weinen, Stirnrunzeln und Erröten. Und dann die Sprache. Mit dem Geburtsschrei geht es los. Wir äußeren Schmerz und Freude, unsere Bedürfnisse. Darin steckt der tiefe Wunsch: Ich will mich bemerkbar machen, will mich anderen mitteilen. Ich will mein Inneres nach außen zeigen und anderen mitteilen. So beginnen wir, die Äußerungen der anderen zu interpretieren und uns darüber zu verständigen. Das ist Sprache. Jetzt kommt das Wort. Und wir treten ein in das schier endlose Gespräch mit uns selbst und mit anderen.
Wie aber verstehe ich eine Äußerung richtig? Unsere Sprache baut eine Welt auf. Durch die Sprache können wir uns selber verstehen und auslegen lernen. Wir wohnen in der Sprache, die uns die Welt heimisch und vertraut macht. Unsere moderne Welt wird immer differenzierter und so gibt es viele Sprachen. Wir leben in der Sprache des Alltags, in der Computersprache, in der Sprache unserer religiösen Gemeinschaft. Wir können mit Hilfe der Sprache ganze Welten aufbauen: Die Welt eines Romans, eines Science fiction. Die Welt der Physik oder der Biologie braucht eine Sprache, in der kommuniziert wird. Durch Sprache öffnet sie unsere Welt. Darum können wir reden über Gott und die Welt, über uns selbst und sogar über unser Reden. Die Sprache prägt unser Wahrnehmen. Man kann Dinge in der Sprache der Physik ausdrücken oder in der Sprache der Poesie.
Die Sprache prägt unser Wahrnehmen. Man kann Dinge beispielsweise in der Sprache der Physik ausdrücken. Max Frisch erzählt in seinem Roman „Homo faber“ von einem Techniker, der im Flugzeug unterwegs ist und dann in der mexikanischen Wüste eine Notlandung machen muss. Während andere Passagiere die Schönheit des Mondes in der Wüste bestaunen, sagt er: „Ich bin Techniker und gewohnt, die Dinge zu sehen wie sie sind. Ich sehe: den Mond über der Wüste, klarer als je, mag sein, aber eine errechenbare Masse, die um unseren Planeten kreist, eine Sache der Gravitation, interessant, aber wieso ein Erlebnis?“ In einer Sprache, die nur die Begriffe der Physik kennt, kann das Staunen oder das Bewundern des Schönen nicht vorkommen.
Im Alltag nutzen wir die Sprache vor allem dazu, Informationen zu vermitteln. Die Sprache, in der wir leben, prägt das innere Erleben. Es gibt sogar Erfahrungen, die erst mit Hilfe der entsprechenden Sprache zustande kommen. Ein Liebesgedicht etwa benennt nicht nur Gefühle, sondern weckt auch solche. Wenn Verliebte sich ihre Liebe in Worten eingestehen und zum Ausdruck bringen, wird ihre Sprache zur Schöpfung neuer und tieferer Empfindungen. Umgekehrt verhindert eine lieblose Sprache die Geburt und das Wachsen von Freundschaft. Wer in einer Umgebung aufwächst, in der nur grobe Worte gebraucht werden, kann wohl kaum zarte Gefühle entwickeln.
Die Sprache schärft die Wahrnehmung. So kennen angeblich die Eskimos über einhundert Wörter, die mit Schnee zu tun haben. Diese sprachliche Vielfalt verhilft ihnen, unterschiedlichste Arten von Schnee zu erkennen und zu unterscheiden.
Am Anfang ist das Erleben. Aber auch das Wort. Denn durch das Wort kommt es zu einer ganz bestimmten Färbung des Erlebens. Ja, ohne das Wort sind wir oft blind und können gar nichts erleben. Denn das Wort macht uns erst aufmerksam, schärft unsere Wahrnehmung und wird somit zur Tür, um in das Erleben einzutreten.
Die Sprache erschließt uns Wirklichkeit. Um ein Beispiel aus dem Feinschmeckerlokal anzuführen: Weinkenner haben ja tolle Begriffe, um Weine zu charakterisieren: das geht von „blumig“ über robust, kantig, marmeladig, seidig, stumpf, überschwenglich, vegetabil, vollmundig, weich, wuchtig, würzig, elegant, geschmeidig.
Hören wir ein paar Beispiele, wobei ich Ihnen die Weine nicht verrate, weil ich hier keinen Werbeblock einfügen darf: Chateau Y: wunderbar, beständig, üppiger Reichtum, geschmeidig, ein Feuerwerk von Aromen, angenehm, offenherzig. Chateau Z: Kostbares, flüssiges Gold wegen seines schieren Reichtums und der exotischen Aromen. Eingehüllt in eine karamelartige Fülle, die so dickflüssig und üppig ist, dass sie am Gaumen noch eine Ewigkeit zu spüren ist. Ein drittes Beispiel, das ich mir erst neulich von einer Weinflasche abgeschrieben habe. Rotwein mit herrlich intensiver kirschroter Farbe und purpurroten Reflexen.Verführerische Aromen von roter und schwarzer Frucht mit anklingenden Noten von Süßgebäck. Fleischige und seidige Textur mit Nuancen von Waldfrüchten und Lakritze am Gaumen. Fruchtig und sehr angenehm im Abgang. Spüren Sie auch etwas am Gaumen?
Diese Beispiel zeigen: Das differenzierte Vergnügen des Weinkenners hängt zweifellos eng zusammen mit einem zur Verfügung stehenden Vokabular, das bei der Geschmacksbildung Verwendung findet.« (Robert Spaemann)
Worte wollen Erfahrungen vermitteln und deuten helfen. Nun unterscheidet sich die Beschreibung nach Art des Homo faber von einem lyrischen Text. Man kann beispielsweise den anbrechenden Tag als einen bestimmten Moment beschreiben, der durch die Drehung der Erde um die eigene Achse mit einer ganz bestimmten Geschwindigkeit zustande kommt. Man kann Lichtverhältnisse messen. Man kann aber auch ein Gedicht schreiben.
Geburt des Morgens
Der letzte Stern
gibt der Amsel den Einsatz
Im Crescendo des Lichts
wächst die Erwartung des neuen Tages
Der erste Sonnenstrahl
bricht sich in den Nachttränen
Tausendfaches Aufblitzen imTau
als habe sich der Sternenhimmel
in den Grashalmen verfangen
Alle Farben werden neu erfunden
Ein Atemzug Ahnung
vom ersten Schöpfungstag
Ein Gedicht beschreibt ein Erlebnis ganz anders als etwa der Homo faber, der nur eine technische Sprache kennt. Seit der Neuzeit behandelt der Mensch die Natur als eine rein sachhafte Gegebenheit, die ihm total zur Verfügung gestellt ist. Es geht um ein Herrschaftswissen, das der Mensch der Natur gewaltsam entreißt. In einer von Technik und Naturbeherrschung geprägten Welt gilt für unsere Naturerkenntnis das Gesetz von Zahl und Maß. Aber ist das immer ein menschliches Maß?
Was eine Elle oder ein Klafter war, das konnte man sich noch anhand des eigenen Körpers gut vorstellen. Aber was ist mit einem Meter, dessen Definition lautet: Das 1 650 763,7 fache der Vakuum-Wellenlänge des Lichtes, das ein Krypton-Isotop aussendet? Das klingt wirklich kryptisch…
Wir können natürlich Liebe auch als ein Wechselgeschehen von Hormonen und Gehirnströmen zu verstehen versuchen. Und vielleicht kann man evolutionsbiologisch erklären, dass der Kuss ursprünglich ein Fütterungsvorgang und das Streicheln ursprünglich ein Lausen gewesen sein könnte. Dem Küssenden wird dies völlig gleichgültig sein und er ist überzeugt davon, dass sich seine Erfahrungen von Zärtlichkeit nicht in objektivierenden Streichel-Einheiten messen lassen.
Jeder Mensch ist ein Geheimnis. Ich bin in mir daheim. Aber wie kann ein anderer zu mir kommen? Wie kann ich einen anderen Menschen verstehen? Wie weiß ich, wie es dir zumute ist, was in dir vorgeht, was dich bewegt, wer du bist? Wir können versuchen, im Gesicht eines Menschen zu lesen. Aber ein Gesicht kann auch eine Maske sein. Das Innere eines Menschen bleibt uns verborgen.
Manchmal spüren wir etwas von einer anderen Person. Wir können uns in sie einfühlen, ganz spontan, ohne Worte. In einem wortlosen Blick. Solche Augenblicke sind ein großes Geschenk. Das intuitive Verstehen ist der kürzeste Weg von Mensch zu Mensch.
Und dann gibt es das Wort. Ich versuche, einem anderen etwas von mir zu erzählen. Ich sage ihm oder ihr, was ich denke, was ich empfinde, wie es mir geht. Das Wort ist eine Brücke, die ich zum anderen hinüber baue. Und vielleicht kann er über diese Brücke auch zu mir kommen. Dann begegnen wir uns. Wir lernen uns kennen. Wir verstehen uns. Wir lernen uns vielleicht sogar lieben.
Worte können Wege von Mensch zu Mensch sein. Aber Worte können auch Barrieren sein. Die Sprache ist die Quelle aller Missverständnisse, heißt es bei Saint-Exupery. Vielleicht haben Sie schon Situationen erlebt, wo es einfach nicht möglich war, einem anderen etwas von mir zu erklären. Wir machen immer mehr Worte und verstricken uns in endlosen Diskussionen. Zu viele Worte sind der Tod des Verstehens.
Umgekehrt reichen manchmal ganz wenige Worte zu einem tiefen Verständnis. Oder sogar ein einziges Wort, das stimmt und das trifft. Ein Wort, das sitzt. Herr, sprich nur ein Wort, dann werde ich gesund. Dieses eine Wort, in dem ich mich ganz ausdrücken kann, oder in dem ich ganz und gar verstanden und angenommen werde, dieses Wort ist göttlich. Im Anfang war das Wort und das Wort war Gott und Gott war das Wort.
Wenn wir doch so ein Wort finden könnten!
Die zentralen Erfahrungen unseres Lebens können wir mit Worten nie ganz angemessen ausdrücken. Wenn ich sagen will, was Liebe ist, so beginne ich, herumzustammeln und zu stottern. Und wenn ich gar jemandem meine Liebe erklären möchte, dann muss ich eingestehen: Du, ich kann das gar nicht richtig sagen, was ich für dich empfinde. Ich liebe dich mehr, als ich das mit Worten ausdrücken kann.
Der Sprache geht es um das Ganze der Welt. Denn Kommunikation will ja die verschiedenen und unterschiedlichen Aspekte miteinander verknüpfen und zu einem zusammenhängenden Weltbild verweben. Wenn es um das Ganze geht, dann stellt sich auch die Frage nach dem Sinn des Ganzen. Und hier wird die Sprache zum Medium, um tiefer zu schauen. Begriffe sind ja nicht eindeutig, sondern es schwingen sehr verschiedene Bedeutungen mit. Auf etwas deuten will auch sagen: Ich weise auf etwas hin und zugleich weise ich über es hinaus.
Es hat eine Bedeutung. So wird die Sprache zum Medium für Sinn.
Es ist eine der großen Herausforderungen an die Theologie, diese tiefere Dimension aller Dinge zu berühren.. Also: die Welt deuten zu helfen und erfahrbar zu machen, dass hinter den Dingen noch mehr steht. Ein zentrales Wort dafür lautet: „Geheimnis“.
Unser Wort Geheimnis meint: das Gesamt dessen, worin wir daheim sind. Die Vorsilbe Ge- meint im Deutschen das Gesamt, so wie etwa das Gebirge das Gesamt der Berge ist. Das Geheimnis ist also das Umfassende von Heimat, von Geborgenheit. Wenn Kinder ein Geheimnis haben, so meinen sie oft etwas, wo nur sie Zutritt haben, wo sie sich zurückziehen können.
Das Wort Geheimnis ist auch ein religiöses Wort. Für religiöse Menschen ist Gott das Geheimnis dieser Welt, das heißt: das Gesamt, in dem alle Welt daheim ist oder irgendwann einmal nach Hause kommt. Gott als umfassende Wirklichkeit, der sich unsere kleine Wirklichkeit verdankt. Doch von Gott reden ist schwer. Denn Geheimnis meint ja auch gerade, dass wir es nicht fassen können. Dass es uns entzogen ist. Vielleicht ist hier die Sprache der Poesie besonders gefragt. Wir können vom Mond der Weise der physikalischen Sprache reden: Die Masse, die Umlaufgeschwindigkeit. Und wir können vom Mond in der Sprache der Schönheit reden, der Maler, der Dichter.
Von Gott können wir nur in dieser zweiten Sprache reden. Die umfassende Wirklichkeit entzieht sich jedem kühlen Kalkül. Weil sie umfassend ist, kann man sie nicht messen. Wer Gott begreifen will, vergreift sich. Ihn messen zu wollen, wäre vermessen. Es ist wie bei der Schönheit oder der Liebe. Man kann sich nur hingeben, sich loslassen, vertrauen. Dann kann es geschehen, dass erleben: Ich bin getragen, geborgen, gehalten in einem größeren Ganzen, in einem Geheimnis.
Religiöse Lyrik, so könnte man in Abwandlung eines Wortes von Hilde Domin sagen, religiöse Lyrik ist einer der kürzesten Wege des Menschen zu Gott. Unsere religiösen Worte sind oft überladen. Wir reden von Gott, als ob wir ihn begriffen hätten. Dabei warnen uns die großen Theologen: Wenn du ihn begriffen hast, dann ist es nicht Gott. So sagt Augustinus. Eigentlich kann man von Gott nicht angemessen reden.
Ich habe 12 Jahre in der Hochschulseelsorge und Priesterausbildung in Freiburg gearbeitet. Wenn ich dann Gottesdienste vorzubereiten hatte, so kam ich oft in Verlegenheit. Denn manche Texte aus dem Messbuch klangen mir fremd und ihre Sprache war nicht mehr die meine und wohl auch nicht mehr die vieler meiner Zeitgenossen und -genossinnen.
Ein Beispiel aus der Präfation des Dreifaltigkeitssonntags: „Mit deinem eingeborenen Sohn und dem heiligen Geist bist du der eine Gott und der eine Herr, nicht in der Einzigkeit einer Person, sondern in den drei Personen des einen göttlichen Wesens. So beten wir an die Sonderheit in den Personen, die Einheit im Wesen und die gleiche Fülle in der Herrlichkeit.“
Wir verstehen das, was hier gemeint ist. Aber viele meiner Bekannten, vor allem in Ostdeutschland, werden nur verständnislos den Kopf schütteln. Wenn für die kirchliche Verkündigung der sprachliche Zug der Zeit abgefahren ist, verstehen die Leute nur noch Bahnhof. Und dann könnte man ja auch argumentieren: Wenn die Leute sowieso nichts verstehen, dann kann man auch gleich wieder auf Latein zelebrieren…
Für viele Zeitgenossen ist die religiöse Sprache eine Fremdsprache. Begriffe aus der Symbolwelt des Glaubens liegen noch in unserer Sprachlandschaft herum, wie Ruinen aus anderen Zeiten. Die religiöse Sprache hat musealen Charakter und wirkt daher künstlich und scheint an einer Art Sprachsklerose zu leiden.
Bruno Latour schreibt in seinem Buch „Jubilieren“: „Einst war die Ausdrucksform der Religion frei und erfinderisch. Doch heute zerfällt diese Sprache auf unserer Zunge. Das, was einmal so viel Sinn hatte, wird heute geradezu widersinnig, wie ein Wortschwall, der in der Kälte Sibiriens auf den Lippen Verbannter erfriert.“ (vgl. S. 9) Die religiösen Worte haben für viele nicht mehr die geringste Wirkung. Gleichgültig gleiten sie an unserem Leben ab wie Regentropfen an einer Windschutzscheibe. (vgl. ebd., 83f).
Eine Sprache, die antiquiert klingt, ist deshalb noch lange keine sakrale Sprache. Es geht darum, eine Sprache zu suchen, die der Liturgie und dem in ihr Gefeierten angemessen ist und die zugleich Sprache der Teilnehmenden sein kann.
Nach dem 2. Vat. Konzil: Frage der Übersetzung. Damals gab es ein sensibles Dokument, das u.a. forderte: Es geht bei den liturgischen Texten um personale Begegnung im Medium der Sprache; Übersetzungen sollen der Verkündigung der Frohen Botschaft dienen. Ausgangspunkt ist der Inhalt des Textes. Es genügt nicht, eine wortwörtliche Übersetzung anzufertigen, sondern es muss einem Volk in der eigenen Sprache vermittelt werden, was die Kirche einem anderen Volk in der lateinischen Sprache mitgeteilt hat. Weitere Stichworte waren: Gesamtzusammenhang des Textes, Verständigungsprozess und literarische Eigenart eines Textes.
Nun gibt es seit 2001 eine neue neue römische Instruktion:Übersetzung kann kein kreatives Werk sein, sondern erfordert eine genaue und getreue Übertragung der Originaltexte in die Volkssprache. Dabei kommt es z.T. zu sprachlich schwierigen Konstruktionen. Bsp. aus der allerneuesten Übersetzung des Beerdigungsrituales: „Die Ohren deiner Barmherzigkeit mögen daher für unsere Bitten offen stehen?“ Kann man im Deutschen wirklich von den Ohren der Barmherzigkeit sprechen? Oder: Kann man im Deutschen von der „Beisetzung des Fleisches unserer Verstorbenen“ reden?
Der Theologe und Literaturwissenschaftler Karl-Josef Kuschel stellt immer wieder fest, wie sich die traditionelle religiöse Sprache von der Lebenswirklichkeit entfernt hat. Die traditionell-kirchlich-religiösen Sprache hat sich vielfach überlebt, ihre Metaphorik ist schal geworden. Bilder kommen vielfach aus Sprachwelten, die versunken sind.“ (Kuschel, Im Spiegel der Dichter, 10f). Sprachkritiker weisen darauf hin, dass die religiöse Sprache bei den großen Umbruchsituationen, etwa von der agrarischen zur industriellen Gesellschaft, nicht mitgehalten hat.
In der kirchlich-liturgischen Sprache sind längst vergangene gesellschaftliche Ordnungen eingefroren. Denken wir etwa an die Rede von Gott, die in der Feudalgesellschaft geprägt wurde: Gott als König, als Herrscher, als gnädiger Richter. Unsere moderne Gesellschaft konnte sich dagegen religiös noch nicht adäquat artikulieren. Jedenfalls reden wir Gott nicht als Präsident, als Vorsitzenden oder Generalsekretär an. (vgl. Ebd., 11)
Dies liegt auch an jenem Dilemma, dass die Theologie an bestimmte normative Urkunden zurück gebunden bleibt: Etwa an die Bibel. Übersetzungsversuche, die dann Gott als „Großen Boss“ artikulieren, wirken lächerlich. Ist die Sprachsklerose (12) ein unvermeidbares Symptom einer alt gewordenen Religion? Man kann bisweilen den Muff der kirchlichen Sprache förmlich riechen. Es ist eine verstaubte, ungelüftete Sprache, ohne den frischen Wind. Wie verbrauchte Luft in einem stickigen Raum – so wie manchmal auch Kirchenräume riechen.
Der kath. Theologe Fridolin Stier kritisierte einmal die Sprache der Theologie mit folgenden Worten: „Schwülstig diese Sprache, auch wirklich an Geschwülsten leidend, bräuchte sie das Skalpell des Sprachchirurgen … wenigstens entfettende Pillen….Diese Sprache leidet an Fettwucherungen, an Ödemen. …“
Ein solcher Rat täte vielen theologischen Traktaten und auch dem überbordenden Sprachstil von päpstlichen und bischöflichen Verlautbarungen gut. Wir müssen uns verabschieden von einer vollmundigen und selbstgewissen Zurschaustellung des Glaubens. Kuschel kritisiert die vielen hohlen Formeln und das klebrige Pathos, den Wortschwall und den Sprachmüll, der sich in der christlichen Binnensprache findet (286).
Wir müssen uns also verabschieden von einer vollmundigen und selbstgewissen Zurschaustellung des Glaubens. Kuschel kritisiert die vielen hohlen Formeln und das klebrige Pathos, den Wortschwall und den Sprachmüll, der sich in der christlichen Binnensprache findet (286). Die Sprache von Gott müsste durchzittert sein, weil sie es wagt, von einem Unsagbaren zu sprechen. Man müsste einer solchen Sprache ihren Weg-Charakter anmerken, ihre Ungesichertheit, ihre Obdachlosigkeit. Das Gesagte muss dem Ungesagten und eigentlich Unsagbaren erst abgerungen werden. Mit den Worten Latours: Es gibt keine religiöse Rede, die nicht zögerte, stotterte, unbeholfen wäre. (120)
Es gibt Erfahrungen, die wir in Worten nie angemessen ausdrücken können. Das gilt vor allem für religiöse Erfahrungen. Das Bilderverbot des Alten Testaments bringt genau dies zum Ausdruck: Dass wir uns von Gott keine Bilder und auch keine Sprachbilder machen können. Gottes Name ist unaussprechlich. In Israel durfte nur der Hohepriester am Versöhnungstag, also einmal im Jahr und nur er, im Allerheiligsten des Tempels den Gottesnamen aussprechen, und auch das nur flüsternd.
Vor dem Geheimnis Gottes bleiben wir immer sprachlos. Denn Gott ist der Namenlose, der Unsagbare, der Schweigende. Das Wort „Gott“ ist das letzte Wort vor dem Verstummen. Und doch wohnen wir als Menschen im Haus der Sprache, wollen und müssen kommunizieren und als Christen sogar Zeugnis über unsere Erfahrungen abgeben.
Aber nicht naiv und unbedarft, nicht in festgestanzten Sprachbildern der Tradition und schon gar nicht im Bewusstsein, dass ich mit dem Begriff auch schon die zur Frage stehende Sache ergriffen hätte. Wir können von Gott nie präzise, klar und eindeutig reden. Die sogenannte negative Theologie hat immer den Vorrang des Schweigens betont. „Negativ“ meint in diesem Zusammenhang nichts Abfälliges, sondern eine kritische Läuterung unserer Sprache und Bilder im Bezug auf Gott.
Die negative Theologie erinnert daran, dass man von Gott nichts aussagen kann, was man nicht zugleich auch wieder durchstreichen müsste. Schon Augustinus wusste: „Wenn du es begreifst, dann ist es nicht Gott.“ Und Thomas von Aquin formulierte später: „Wir wissen von Gott eher, was er nicht ist, als was er ist.“
In der frühen Kirche war es vor allem Pseudodionys der Areopagit, der alles menschliche Reden von Gott radikal in Frage stelle. Er gestand zwar zu, dass alle Eigenschaften, von denen wir reden, auch mit Gott zu tun haben, weil er ja der Schöpfer aller Dinge ist. Aber weil er als Schöpfer zugleich ganz anders ist als alles Geschaffene, ist die Negation stärker als die positive Zuschreibung: Gott ist Licht. Aber er ist mehr Dunkel als Licht, weil Gott weit mehr ist als unser menschliches Licht. Gott ist gut, wahr, schön, allmächtig,…
Aber wenn wir das sagen, dann muss hinzugefügt werden, dass all das immer mehr falsch ist als richtig. Denn Gott ist ganz anders und unser Erkennen und unsere Worte bringen immer nur einen kleinen Teil von dem zum Ausdruck, was Gott ist. Der größere Teil bleibt uns immer verborgen. Nach dem Areopagiten können wir Gott nicht einmal „seiend“ oder „wirklich“ nennen, da diese Begriffe zwar für unsere Welt angemessen sind, nicht aber für Gott, den Grund allen Seins.
Alles Reden von Gott ist analog, das heißt: Unsere Bilder sagen immer mehr falsches als Richtiges. Wir können den Unendlichen nicht definieren, denn definieren heißt ja wörtlich: begrenzen. Gott ist der Grenzenlose, der nicht definiert werden kann. Alles Reden von Gott bleibt daher immer vorläufig. Menschen in der Bibel wollen Gottes Angesicht sehen. Aber das bleibt ihnen verwehrt. Wer von Gott etwas sagen will, dem versagen sich die Worte.
Diese Einsicht könnte auch resignativ interpretiert werden: Wovon man nicht reden kann, davon muss man schweigen. Und doch, so sagt die Apostelgeschichte, von den ersten Jüngern: „Wir können unmöglich schweigen von dem, was wir gesehen und gehört haben.“ Es stimmt: Niemand kann und darf und wird jemals Gott in den Be-griff bringen. Doch die Gottbetroffenen müssen von ihm reden, künden, jauchzen, lobend, klagend, dankend, bitten, stammeln. Wir stehen vor einer paradoxen Situation: Um von Gott zu reden, ist jedes Wort zu viel. Und: Um von Gott zu reden, sind alle Worte zu wenig.
Daher braucht es eine Sprache, die dieses Paradoxon aufscheinen lässt.
Es käme darauf an, dass wir eine Sprache finden, die Menschen neu und ungewohnt anspricht, aus allzu selbstverständlichen und abgewohnten Formen herauslockt, damit er das Wort hören kann, von dem es heißt: Im Anfang war das Wort. In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Ich schließe mit einem Wort von Karl Kraus:
„Die Sprache tastet wie die Liebe im Dunkel der Welt einem verlorenen Urbild nach“.
Bildquelle: http://www.herder.de/buecher/details?k_tnr=33389